Im Jahre 2003 auf dem Camino Francés:
von Arzúa nach Santiago de Compostela
Dieselbe Strecke, Arzúa - Santiago de Compostela
September 2005 /
Juli 2006
(Die kumulierten Entfernungen beziehen sich auf unseren Abmarschort Villaviciosa.)
29.08.2003, Freitag: In Arzúa
Ein alter und mehrere neue Pilgerfreunde
Wir kommen in den besseren Schlafsaal, der nur in der Mitte
Doppelstockbetten hat. Hier lernen wir ein deutsches Pilgerpaar, Marion und Jochen, kennen.
Marion hat ihre Füße endgültig kaputt, aber Jochen will weiterlaufen. Mit uns parallel, bieten wir
an. - Nachmittags läuft die Herberge langsam voll. Wo auf dem Fußboden noch Platz
ist, werden noch Matratzen ausgelegt, z.B. neben meinem Bett. Eine junge Spanierin
landet dort, mit etwas verstimmtem Gesichtsausdruck. In unserem Schlafraum sind
die Älteren, Ruhigeren. Die Hospitalera packt alles "junge Gemüse" gegenüber in
den großen Saal. Sehr nett von ihr, denn dort kommt eine laute Jungengruppe unter, die
auch den Männer-Waschraum unsicher macht, als ich dort duschen will. Es gelingt mir nicht,
die Dusche zu bewegen, warmes Wasser zu liefern (ein Problem der Boiler-Kapazität?).
Die Jungen gehen dann einfach frech in die Frauen-Dusche gegenüber und dölen dort rum.
Mit Jorge vor der Herberge von Arzúa
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Diesmal gehen wir zum Essen in die Bar Arcano gegenüber, denn etwas weiter,
die Bar O' Rueiro, haben wir in schlechter Erinnerung. O Wunder - ja, wir sind ja
am Hauptweg: es gibt mitten am Nachmittag ein Pilgermenü (7 EUR), die Jugendgruppe ist
schon da. Kaum haben wir uns niedergelassen, freudiges Gebrüll: Der Fotopilger,
jetzt lüftete ich das Geheimnis seines Namens: Jorge ist eingetroffen und
hat uns entdeckt. Er schreit nach Essen und Trinken, gesellt sich zu uns, freut
sich wie närrisch, uns immer wiederzutreffen. Er ist ja kurz vor seinem Heimatort,
Santiago de Compostela. Natürlich wollen wir uns dort treffen und den erfolgreichen
Verlauf der Pilgertour (für uns nur ein Teil) feiern.
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In der Herberge stoßen wir auf Rainer, machen uns näher bekannt.
Er erzählt unheimlich
viel, da er wochenlang nur mit Spaniern zusammen war. An den Füßen hat er
Sportsandalen, fest und dicht anliegend. Ist das erste Mal, dass ich sowas sehe.
Er gibt zu, dass sie bei feuchtem Wetter nicht das Wahre sind, hat aber keine Blasen.
Sonst sind da noch zwei nette junge Mädchen aus Berlin. Als ich sie anspreche,
haben sie sogar offensichtliches Interesse, dass ich einiges an Kenntnissen über den
Pilgerweg von mir gebe. Das freut mich. Ich bin sonst sehr vorsichtig,
nicht andere ungebeten vollzuschwallen. - Auch die beiden tragen Sandalen,
sind durch ganz Nordspanien in
so einem Tempo gelaufen, dass sie nun Tage ihrem Plan voraus sind und mich fragen,
wo man überzählige Tage am besten verbringen könnte. Eine von ihnen leidet auch unter
Darmgrippe. Wenn man rumfragt, betrifft das sehr viele Pilger. Rainer erzählt, dass
er sich schon dran gewöhnt hat. Die hygienischen Verhältnisse der Herbergen scheinen
sowas doch zu fördern. - Die Mädchen sagen noch, dass sie am liebsten zu uns Alten
in den "ruhigen" Schlafsaal kämen. Sie haben die Nase voll davon, ewig von jungen
Machos angequatscht zu werden. Na, bei dem guten Aussehen der beiden (blond wie im
Deutschen-Bilderbuch) in Spanien unausweichlich.
Neue Wanderschuhe in Rekordzeit
Im Erzählen mit Rainer schaue ich auf einmal entsetzt auf die Uhr. Es ist 19h40,
und meine Frau will sich noch neue Wanderschuhe kaufen, denn ihre Pilgerschuhe
sind hin: bis ins Luftpolster durchgelaufen, in den Löchern setzen sich Steinchen fest
und drücken; bei dem Regen der letzten Tage ließen sie außerdem Wasser ein. -
So geht's nicht weiter, hatte ich auch gesagt. - Also zur Hauptstraße,
gleich rechts ist ein Schuhgeschäft. Sie haben wirklich auch Wanderschuhe.
20 Minuten später haben wir es tatsächlich geschafft, und für einen Spottpreis,
keine 20 EUR. Die Schuhe passen wie angegossen, aber natürlich sagt jeder meiner
Frau, die könnte sie doch nicht sofort anziehen, müsste sie einlaufen.
Abends mit vielen anderen Pilgern noch einen Absacker in der Bar Arcano gegenüber.
Die Herberge ist nun knackvoll, aber was soll's?
30.08.2003, Samstag: Von Arzúa zum Monte do Gozo, 36 km (401 km)
Wir hatten offen gelassen, ob wir heute die Mammutetappe von 36 km bis zum
Monte do Gozo gehen wollten, oder nur bis Pedrouzo, dessen Herberge
meine Frau noch nicht kannte. Nun, Wetter und Kondition sprachen für die lange
Strecke. Also versuchten wir es. (Der Vorteil ist ja, dass man dann den Tag
danach ruhig und gelassen schon früh in Santiago ist.) - Zu den Besonderheiten dieser
Etappe verweise ich auf die Berichte von 2000 und 2002. Hier gebe ich nur einiges
Aktuelle wieder.
8h19 zogen wir zu zweit los. Das Wetter war ideal, freundlich und trocken. Seitdem
wir mit Sobrado dos Monxes die Berge hinter uns gelassen hatten, war
gleichzeitig auch der Regen zurückgeblieben. Nicht zu fassen, dass diese
Wetterscheide so zuverlässig ist. Auf dem Hauptweg will einem niemand
glauben, dass man auf der Nordroute so oft Regen erlebt.
Gelassen sah ich den Weg, den ich nun zum vierten
Mal ging, vorüberziehen. Das Bewusstsein, abends garantiert Unterkunft zu finden
(und sie schon zu kennen), wirkt auf mich immer sehr beruhigend. 10h00 Kaffeepause
in Calle, dem Ort, der einem auch deshalb im Gedächtnis bleibt, weil er
zwei Besonderheiten aufweist: einen Hórreo mitten über dem Weg und eine Furt
am Ende des Dorfes; für die Fußgänger gibt's aber eine Steinbrücke. Jetzt liegt
mitten im Ort auch eine neue Bar mit Tischen und Stühlen draußen. Dort
gesellten wir uns zu Jochen. Sehr freundliche Wirtsleute, die am Pilgerweg
auch gut verdienen. Außer Getränken gibt es auch leckere Empanadas und Bocadillos.
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Neue Bar in Calle
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Blumenpracht hinter Boavista
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10h20 mit Jochen zusammen weiter. Wir halten es, wie unter Pilgern üblich. Man zieht nur
locker in Sichtweite miteinander. Wenn einer stehen bleibt, laufen die übrigen
weiter. Nur so halten alle ein gleichmäßiges Tempo, denn irgendwann muss
jeder mal in die Büsche, sich die Nase putzen, einen Pullover ausziehen
u. dgl.
Hinter Boavista notiere ich wieder Zeiten, denn hier kam mir im Vorjahr
der Weg bis zur Höhe von Empalme (auf der Michelin-Karte Cerceda)
sehr weit vor, jedenfalls im Vergleich zur Karte im DuMont-Handbuch. Nun, diese
Frage konnte ich lösen. (Das Ergebnis ist als Nachtrag im Bericht von 2002 eingetragen.)
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12h15 erreichten wir den Rastplatz von Santa Irene, wo wir mit Jochen,
der ohnehin kaum außer Sichtweite geraten war, verabredet waren. Gemütliche lange
Mittagspause. Dann durch Rúa, wo das schöne Haus, das wir 2002 im Rohbau
vorgefunden hatten, immer noch nicht weitergebaut war. 13h20 lieferten wir Jochen
in Pedrouzo an der Herberge ab, Marion wartete schon auf ihren Mann.
Übrigens Platz für tausend Mann: um diese Zeit waren noch kaum Pilger eingetroffen,
die bleiben wollten. Meine Frau schaute sich noch einen Schlafsaal an, bevor
wir von den anderen Abschied nahmen. Neben der Herberge ist gleich ein Supermarkt, in dem wir
einkauften. Wir liefen dann die Hauptstraße weiter, weil ich kontrollieren wollte, ob
mein Hinweis auf die Querverbindung nach San Antón richtig war. (Sie war es,
ist auch nachgetragen.)
So zogen wir bei gutem, aber nicht zu gutem Wetter
weiter, bis wir oben an dem berühmten Hohlweg Pause machten. Dort stieß
Rainer zu uns, ein "historischer Moment", denn den Rest der diesjährigen Pilgerfahrt
sollten wir (nach Pilgerart) zusammenbleiben. Mit Rainer gab es viele Gesprächsthemen,
und da ich ebenso wie er "mitteilungsfreudig" bin, verflogen die nächsten Kilometer
noch schneller.
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Vor dem Hohlweg in Aminal
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Meine Frau hatte allerdings ein Problem: Die neuen Schuhe, die sie
immerhin heute schon mehr als 20 km getragen hatte, fingen an zu drücken, und leider
sagte sie das nicht. Sie hatte die alten Schuhe zur Vorsicht noch hinten am Rucksack
hängen und hätte unbedingt wechseln müssen. Außerdem zur Vorbeugung einen Streifen
"Wunderpflaster" auf die drückenden Stellen. So lief sie sich natürlich bis abends
Blasen, aber mit dem "Wunderpflaster" ließ sich auch das kurieren, so dass sie die
folgenden Tage ohne Schwierigkeiten weiterlaufen konnte, allerdings vorerst wieder
in den alten Schuhen.
17h00: Labacolla. Wir rasten kurz an der Kirche. Es läutet, und einige
alte Männer und Frauen nähern sich. Anscheinend auch der Pfarrer. Er grüßt uns
freundlich. - Nun kündige ich einige stinklangweilige Kilometer an, aber da
Rainer ganz heiße Themen anschneidet, sehe ich nichts mehr um mich herum und
laufe automatisch. Als ich aufschaue, sind wir am Monte do Gozo. Nicht
zu fassen, was ein Gespräch ausmacht! - Ob die Kapelle geöffnet ist, dass ich wieder
singen kann? Sie ist sogar "sehr geöffnet", hat gar kein Dach; weil sie nämlich
repariert wird und innen nur Baumaterial aufgeschichtet ist. Trotzdem, zumindest
beten kann man überall.
Pilgerdenkmal auf dem Monte do Gozo
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Auf dem wirklichen Aussichtshügel
Dann wollen meine Frau und ich unbedingt noch den eigentlichen Aussichtshügel
anlaufen, wo das Monument mit den Pilgerfiguren steht. Dort sind wir beide noch
nicht gewesen. - Wir durchqueren einen Zaun, laufen durch den Park, lassen die
Barracken des Monte do Gozo rechts unten liegen. Hinter dem Park, parallel
zum Weg nach Santiago, verläuft eine Straße. Wir verlassen den Park durch ein
Tor im Zaun, überqueren die Straße und gehen etwas nach rechts zu einem Parkplatz.
Dort geht man steil den gegenüberliegenden Hügel mit Parkanlagen hoch, und
rechts trifft man auf die Pilgerfiguren. Tatsächlich kann man von hier aus die
Kathedrale sehen, auch wenn diesmal die Sicht nicht so klar war.
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Wir merken, dass wir vergessen haben, Rainer Bescheid zu geben. Wir möchten
nämlich nicht zurück zur Kapelle, weil man vom Denkmal und vom Parkplatz aus
direkt gegenüber wieder durch den Zaun in die Unterkunftsanlage kommt. Na, wir
verlassen uns darauf, dass er nicht oben auf uns wartet. - Vom unteren zentralen
Platz mit den Geschäften und sonstigen Gemeinschaftseinrichtungen
geht es mal wieder die Treppen hoch, aber dann folgt nur noch Pflaster in
aufsteigenden Wellen. Es ist auch nicht so anstrengend, wie ich vom letzten Jahr
in Erinnerung hatte. Da waren wir wohl müder gewesen.
Die Unterkunft auf dem Monte do Gozo, besser als ihr Ruf
Oben in der Verwaltungsbaracke teilt eine freundliche Dame, die immer wieder
Französisch in ihr Spanisch mischt, die Unterkünfte ein. Ob wir mit jemandem,
den wir kennen, zusammen in einem Zimmer sein wollen? - Ja, mit Rainer (Mist,
seinen Hausnamen vergessen), aber so viele Rainers sind noch nicht da. Er
begrüßt uns im Zimmer. Außer ihm ist in diesem 8-Bett-Zimmer noch ein junger Pilger
aus Oldenburg. Aber von dem haben wir nicht einmal den Namen erfahren, da er
nachts seine Sachen zusammenraffte und zu irgendeiner Pilgerbekanntschaft zog ...
Die Toiletten sind so klein, dass selbst ich (mit 1,68 m) Mühe hatte, mich
niederzulassen. Die Füße unter der Tür hervorzustrecken, als Zeichen, dass
besetzt war, fiel nicht nur leicht, sondern war gar nicht zu vermeiden ... ;-)
Im Selbstbedienungsrestaurant hatte sich einiges geändert, aber nicht zum Schlechten.
Zwar konnte man nicht mehr alternativ noch einen 4. Gang gegen Zuzahlung
bekommen, aber für 7,50 EUR gab's ein 3-Gänge-Menü mit leckeren Sachen.
Ich nahm Suppe, Seezunge, Nachtisch, dazu Brot und Wasser. 1 Flasche Wein kostete
einen ganzen Euro mehr. (Am Aushang hieß es: 1/2 Fl. 1 EUR, war es ein Irrtum?) Wir waren
gleich um 20 Uhr da, deshalb konnten wir uns die Plätze aussuchen und mit den
Mädchen an der Theke und der Kasse unsere Scherze machen. Kurz darauf standen
die Leute schon Schlange.
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Im Restaurant auf dem Monte do Gozo
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Abends holte ich mir noch meinen Schlummertrunk in der benachbarten Bar.
Da machte ich noch eine hässliche Beobachtung. Drei Machos wie aus dem Bilderbuch,
mit den zugehörigen Frauen im Schlepp, schikanierten nicht nur ihre Begleiterinnen,
sondern auch das Thekenpersonal (ein junges Mädchen, eine ältere Frau und ein
Mann in mittlerem Alter, der mich sehr aufmerksam, aber nicht zudringlich mit
Bier versorgte). Erst war der Kaffee zu dünn, dann zu heiß, dann fehlte
Milch, dann war sie zu kalt. Die Bedienung tauschte bewunderswert freundlich
zwei Mal die Getränke (auf Kosten des Hauses) aus. Es gibt Momente im Leben, da
wünsche ich mir, bärenstark und eiskalt zu sein. Dann hätte ich diese miesen Typen
angerempelt und gezwungen, den ganzen Abend Thekendienst zu machen ... nachdem sie
ihren Kaffe vom Boden aufgeleckt hätten, natürlich. Auch wenn
das Böse sich am Ende immer selbst bestraft: mir taten die Opfer Leid. Zum Trost
signalisierte ich den zwei Damen und dem Herrn der Bedienung Freundlichkeit und
Zufriedenheit und legte noch ein Trinkgeld zur Rechnung, was bei Getränken an der
Bar nicht üblich ist.
Die Nacht verlief ruhig. Auch mein Schnarchen wäre gar nicht so schlimm, meinte
Rainer anderntags.
31.08.2003, Sonntag: Vom Monte do Gozo nach Santiago de Compostela, 4 km (405 km)
Morgens nach Santiago
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Morgens nach dem Aufwachen machte sich Rainer eilig davon. Er wollte im Seminario Menor,
dem Refugio von Santiago unterkommen. Auch, erklärte er später, habe er uns ein wenig
Zweisamkeit gönnen wollen. Meine Frau und ich lachten über diese unnötige Rücksicht.
Wir steuerten heute ja traditionell die Bar La Campana an, da hatten wir unsere
Zweisamkeit.
Gemächlich vom Monte do Gozo los und mit vielen anderen Pilgern vor und hinter
uns auf die Stadt zu. Wieder war das Informationsbüro am Stadtrand geöffnet. Die
junge Dame, die uns mit aktuellem Material versorgte, hatte einen hübschen südländischen
Akzent in ihrem sonst erstaunlich guten Deutsch. Minuten später merkte ich, dass sie
Schweizerin war. Wer ist denn auch auf sowas gefasst?
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Schon in der Vorstadt San
Lázaro wiesen Reklamen auf neu errichtete Herbergen hin, aber viel zu weit vom
Stadtzentrum entfernt. Ich kannte ja den Weg auswendig. In den Jahren 2000 und 2002
war ich genau am 1. September in Santiago eingezogen, dieses Jahr einen Tag
früher. Am Sonntag vom Monte do Gozo einzutreffen, wie schon 2002, ist
besonders angenehm und sehr zu empfehlen.
Die folgenden Begebenheiten sind zum größten Teil Pilgerroutine, und ich fasse sie
deshalb ohne Berücksichtigung der wirklichen Reihenfolge zusammen:
Pilgerurkunde im Pilgerbüro holen. "Alles zu Fuß?" fragte der junge Mann, der
mir meine 4. Compostela ausstellte. "Jeden Meter", brummte ich zustimmend. Er
lachte: "Jeden Zentimeter, was?"
Unterkunft in der Bar "La Campana", neben der Kathedrale
"Unsere" Bar La Campana
hatte wieder genug Zimmer frei.
Wir nahmen diesmal ein kleines mit nur einem großen Bett (mit garantierter
"Zweisamkeit") für 22 EUR. Da konnten wir nämlich gleich unser Gepäck lassen.
Jochen und Marion waren auf unseren Tipp hin hier auch untergekommen und gut zufrieden.
Pilgermesse um 12 Uhr. In Sichtweite viele Bekannte. Kein Botafumeiro,
weil um 13 Uhr die nächste Messe war. (Ein blödsinniges Gedränge zwischen
Raus- und Reingehenden, weil nur ein einziger Portalflügel geöffnet war.)
Essen in Santiago
Mittagessen für 6,60 EUR im O Sotano, Rúa do Franco, wie schon früher.
Der Preis war geblieben, aber die Qualität etwas herabgesetzt. Es gab nur Auswahl
von je zwei Vor- und Hauptspeisen; ich nahm Fischsuppe und Hähnchenschenkel.
Der junge Mann, der uns die Fischsuppe einschenkte, machte das ganz toll. Es war
eigentlich eine Fertigsuppe, die man durch eine Handvoll großer Muscheln aufgemotzt
hatte. Er musste nun meinen Teller füllen und dabei genau eine einzige Muschel
von unten aus der Terrine hochholen, was ihm, dank täglicher Übung, meisterhaft gelang. Trotzdem: es schmeckte gut.
Am Nachmittag kamen wir am Restaurant
Casa Manolo vorbei,
wo ich mir die Essenszeiten notierte.
Neuerdings hatten sie sogar sonntags geöffnet, dachte ich (13h30 -16h30 und
20h30-23h30). Das war falsch, denn das galt nur für mittags, und abends hatten
sie ein Schild "heute Abend geschlossen" einfach dazugehängt. Darauf sind wir
reingefallen. Aber mittags hätte es also was gegeben. Pech!
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Pilgermusik vor der Kathedrale
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Überraschende Begegnungen
Nachmittags schlendern wir unweit der Kathedrale durchs Gewimmel. Es ist meine
Angewohnheit, immer mit halbem Ohr auf das Stimmengewirr ringsum zu lauschen und
zu üben, Fremdsprachen zu identifizieren.
Zwei neue Esperanto-Freunde
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Ich hörte außer Spanisch und Nichtidentifiertem
Französisch, Englisch, Deutsch, Niederländisch - und Esperanto! - Wie bitte? Ich
dachte im ersten Moment, meine Fantasie habe mir einen Streich gespielt. Ich ging
auf zwei junge Burschen zu und hörte genauer hin: lupenreines Esperanto. Das
gab's ja nicht! - "Bonan tagon! Mi aŭdas, ke vi parolas Esperanton." (Guten Tag!
Ich höre, dass Sie Esperanto sprechen.) sprach ich sie an.
Sie waren ebenfalls verblüfft, dann hoch erfreut, dass wir sogar Deutsche waren,
mit denen es ja besonders Sinn hatte, Esperanto zu reden. Es waren zwei Studenten
aus Vigo, zu Besuch in Santiago. Aber in zwei Stunden träfen sie eine ganze Familie
aus Madrid. Georgo Camacho, den kannte ich sogar persönlich. - Als wir später alle
zusammentrafen, fragte Georgo als erstes nach unserem älteren Sohn, den er besser
kannte als uns. Man fühlte sich gleich wie auf einem Verwandtentreffen. (Nur besser ;-))
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Wir stehen auf der Südtreppe der Kathedrale, da schreit meine Frau auf: "Teresa!"
Wieder schießt mir durch den Kopf: "Das muss Einbildung sein." Ich schaue
hinter meiner Frau her, die auf eine braungebrannte Frau mit Kopftuch und
Gepäck zuläuft. Ich bin platt: Das ist wirklich Teresa, mit der wir im letzten
Jahr einige Tage vor Santiago zusammen gelaufen sind. Ist es denn menschenmöglich,
dass sie gerade in dieser Minute hier eintrifft, nach gut 1.000 Kilometern,
die sie (im Sommer!) auf der Via de la Plata von Sevilla nach hier
zurückgelegt hat? Wegen der anderen tauschen wir nur kurz eine freudige Begrüßung
aus. Sie erzählt in wenigen Sätzen von unglaublichen Strapazen. Jeden Tag über 30 km
und ein-zwei Male beinahe verdurstet trotz 3,5 Litern Wasser. Wir verabreden uns
für abends, verpassen uns dann aber, da das Casa Manolo ja geschlossen
ist und wir vergessen haben zu sagen, wo wir wohnen.
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Wiedersehen mit Teresa
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Keine Fahrkarte mit Englisch
Nachdem wir uns von unseren Esperanto-Freunden verabschiedet haben, treffen
wir noch Rainer und laufen mit ihm zum Bahnhof. Diesmal wollen wir die Fahrkarte
unserer Rückfahrt von La Coruña nach Barcelona
eine Woche vorher kaufen, bevor der Zug wieder ausverkauft ist
wie in Barcelona. Auch Rainer will von Santiago aus mit dem Zug zurück.
Am Hauptbahnhof sind zwei Schalter geöffnet. Ich verhandele an dem einen wegen
einem Liegewagen. 30 EUR Zuschlag pro Person sind mir zu viel. (Es sollte sich
herausstellen, dass diese Sparsamkeit ein Fehler war.) Also nur einfache Platzkarten, aber
wenigstens ist noch alles frei. Mit dem kommt Rainer vom andern Schalter
herüber. Nicht nur, dass die Dame dort sein Englisch nicht verstanden hat, sie
ist regelrecht geflüchtet und schaut im Hintergrund um die Ecke. Tja, von wegen
"mit Englisch kommt man überall durch"! Ich bestelle also auf Spanisch auch die
Fahrkarte für ihn, kein Problem.
Seminario Menor
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Am Refugio von Santiago
Dann gehen wir noch zusammen zum Seminario Menor zurück, wo er untergekommen
ist. Es stellt sich heraus, dass von dort ein sehr schöner Weg durch die
alten Stadtbefestigungen hindurch, steil runter und noch steiler rauf, in
Richtung Innenstadt geht. Da hatte ich in Santiago nochmal was Neues gesehen.
Rainer erzählt, dass im Refugio gestohlen wird und sich zwei Pilger
um ein Bett geprügelt haben. Betten sind nämlich knapp, die meisten bekommen nur
Matratzen. Ansonsten kann man beliebig oft unterkommen. Man muss nur morgens
samt Gepäck raus, am Abend wieder rein und eben nochmal bezahlen. -
Rainer hat eigentlich sogar ein Zelt mit, aber die Campingplätze sind ihm zu
weit von der Innenstadt entfernt.
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Näheres zum Seminario Menor: im
Bericht vom Frühjahr 2005 sowie
im Bericht vom Herbst 2005
Eine schöne Abschiedssause
Am Abend kommt Jorge (der Fotopilger) zum "La Campana", ebenfalls Rainer, sonst
niemand mehr, obwohl er einigen gesagt hat, dass wir uns treffen wollen. Nachdem
sich herausgestellt hat, dass das Casa Manolo geschlossen ist, ist guter Rat teuer.
Es ist schon dunkel, und ich schlage deshalb einfach vor, zum "Campana" zurückzugehen
und dort noch etwas zu feiern. Unsere Wirtin weiß gar nicht, ob sie sich wirklich
freuen soll, denn wir sind doch eine sehr gemischte Gruppe und kein bisschen leise.
Dann fällt mir ein: Die Wirtin hat doch im Hintergrund immer auch für Gäste Essen
zubereitet. Ob sie vielleicht auch für uns ...? Natürlich, sie strahlt und zählt
auf: Merluza, Pommes, Kotelett, und, und ... Na, super! Da bin ich in früheren
Jahren durch die halbe Stadt gelaufen, um ein einfaches Essen ohne Nepp zu finden
und hätte es hier die ganze Zeit haben können! Bald schmausen und trinken wir nach
Herzenslust, und als ich am Ende meine Hälfte des Essens bezahlt habe und nach
der Summe für die Getränke frage, war diese schon inbegriffen. Unglaublich. -
So verbrachten wir noch einen sehr schönen Abend und nahmen zu vorgerückter Stunde
von Jorge Abschied.
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Abschiedsfeier im "La Campana" mit Jorge, dem "Fotopilger", und Rainer
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Rainer würden wir wahrscheinlich unterwegs noch treffen, denn
ab morgen gingen wir weiter dieselben Etappen Richtung Finisterre. Erst
am Wirtshaus in Hospital de Legoso würde uns auch mit ihm die Abschiedsstunde
schlagen. Es sollte übrigens anders kommen ... Deshalb heißt das nächste Kapitel
auch "Von Santiago de Compostela zum Kap Finisterre" und nicht: "... nach Muxía."
Was war dieser Tag mit Begegnungen gefüllt! Mein Dankgebet in der Pilgermesse
für den bisherigen Verlauf der Pilgerfahrt war schon ehrlich gewesen, doch wir hatten
mit Gottes Führung noch einiges Schöne vor uns.
Zum nächsten Kapitel: Von Santiago de Compostela
zum Kap Finisterre
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Letzte Änderungen: 02.03.2017