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zu Pilgerwegen in Spanien
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Die kumulierten Entfernungen beziehen sich auf unseren Abmarschort Villaviciosa.
Über die Pilgerwege hinter Santiago, also im Dreieck Santiago - Kap Finisterre - Muxía, gibt es ein Faltblatt auf Galicisch, mit einer stilisierten Streckenübersicht und realistischen Entfernungsangaben. Titel: Prolongación Xacobea a Fisterra e Muxía. Guía Práctica do Peregrino. Herausgegeben von der Asociación Galego de Amigos de Camino de Santiago. Wir bekamen es typischerweise nicht in den zuständigen Pilgerbüros in Santiago, sondern in einer Bar in Vilaserío, auf halber Strecke zwischen Negreira und Olveiroa. (2005 war das Faltblatt in der Bar vergriffen.)
Die Auszeichnung des Pilgerweges ist gut, so dass ich mir wenig Notizen gemacht habe. Im Prinzip überquert man vier waldige Höhenrücken im gemäßigten Auf und Ab.
Die nächste größere Ortschaft ist Carballal. Platz mit Bank und Bushaltestelle. Man macht einen überflüssigen Rechtsschwenk durchs Dorf, erreicht danach fast wieder die Landstraße, biegt unmittelbar vorher rechts ab. (10h27, 1.10, 84,4) Cafe-Bar Los Arcos wenige Meter rechts von der Straße. (11h12, 1.55, 82,1) Wieder wird eine Ortschaft durchquert. Ich frage ein Mädchen nach dem Namen: Quintáns. Man läuft im Zickzack um den Ort. Einmal weiße Pfeile auf der Straße: ignorieren. Kurz darauf schöner Rastplatz an einem Flüsschen. 11h29 (2.02) weiter. Hinter dem nächsten Höhenrücken erreichen wir bei km 80,2 eine größere Asphaltstraße, die von links kommt. Links Ortsschild Roxos. Geradeaus liegt ein Bar-Restaurant. Rechts auf der Straße weiter. (11h49, 2.22) Ortsschild Alto do Vento. (11h56, 2.29) Ortsschild Ventosa. An einer Bushaltestelle wird man rechts parallel zur Landstraße geführt, ohne dass es viel bringt. Dann folgte ein nutzloser Linksschwenk unter verlockenden Weintrauben hindurch, leider hingen sie zu hoch. Endlich erreichten wir auf der Straße den Ort Lombao (kein Ortsschild). Links liegt ein kleiner Laden mit einem Schild "Centro Comercial". Hier sind Harald und ich definitiv gewesen, haben Milch gekauft. Das sage ich auch dem Kaufmann, der sich freut, Gelegenheitskunden zu haben. Jetzt kommen mehr Erinnerungen wieder. Im Jahr 2000 sind Harald und ich hinter Santiago zunächst ziemlich lange die Fernstraße Richtung Noia gelaufen, erst dann rechts in diese Gegend abgebogen. Wir kamen damals auf einem der jetzt hinter uns liegenden Höhenzüge auf den aktuellen Pilgerweg. Ich weiß, dass jetzt links, außerhalb der Bebauung, sehr hohe Bürgersteige folgen werden, die ich als lebensgefährlich wahrgenommen hatte. In diesem Jahr gibt's außerdem Hunde hinter einem Zaun, gar nicht so große, aber sie geifern, dass meine Frau erschreckt die Straßenseite wechselt. Das ruft nach Rache. Gegen meine Gewohnheiten gibt's für die zwei lautesten Kläffer was mit der Pfefferspritze durch den Zaun.
15h55 (5.02) Ortsschild Barca. Hier irgendwo habe ich ein einzelnes Haus mit zwei Furcht erregenden Hunden hinter dem niedrigen Zaun in Erinnerung. Anscheinend ist die Route geändert. - Ich fühle mich auf einmal schlapp. Man merkt das daran, dass ich anfange zu nörgeln. Schon bei den Fotos am Ende der Brücke war ich sehr ungnädig. Jetzt habe ich Gummiknie, und eine immer stärkere Müdigkeit zieht mir den Körper hoch. Habe ich etwa einen Darmgrippe-Rückfall?
16h14 (5.21) kommt ein großes Gut in Sicht, das, wie ich weiß, kurz vor Negreira liegt. Gottseidank! Weiter, nur nicht stehenbleiben, sonst falle ich um. Hinter dem Gut Anfang der Bebauung. Etwa 67,0 km bis Finisterre. Aber noch sind wir nicht am Ziel. Links sieht man jenseits des Flusses Höhen, und ich weiß, dass wir noch bis dorthin müssen, denn oben, außerhalb der Stadt, liegt die Herberge, die ich schon im Rohbau gesehen habe.
Geradeaus in die Stadt hinunter. An der Hauptstraße links. Ich laufe wie im Traum, nur nicht stehen bleiben. "Sieh mal, ein Zentrum der Zeugen Jehovahs" sagt meine Frau. Nur einen Augenblick halten wir an, da springt eine "Bereitschaft" aus einem Auto und will uns Traktätchen andrehen. Wir flüchten. Meine Frau merkt sich alles: Obstzentrum auf der Ecke, wo man links abbiegt. Rechts liegt das Hostal, in dem Harald und ich übernachtet haben.
Die Herberge von Negreira ist fast luxuriös, mit Cola- und Kaffeeautomat, wie eine Jugendherberge. Küche, Toiletten, Duschen, alles gut eingerichtet. Zwei Schlafräume unterm Dach, wenige Stockbetten. Es sind schon viele Pilger da (verdächtig viele), darunter die Eigenbrödlerin und die Deutsche, die uns an der Brücke überholt hat. Sie haben sich die besten Betten in einer Nische geschnappt. Naja, hätten wir auch gemacht. Jedenfalls ist genug Platz, und ich falle einfach aufs nächste Bett, komme auch nicht wieder hoch. Eine bleierne Müdigkeit raubt mir fast die Besinnung. Ich bitte meine Frau um Verzeihung, dass sie im Moment nicht mit mir rechnen kann, denn sie will, sie muss, zurück in die Stadt zum Einkaufen. So lässt sie mich liegen und geht pflichtbewusst allein. Ja, auf dieser Tour bin ich einwandfrei der Schwächere, und ohne sie wäre ich ein paarmal ganz schön aufgeschmissen gewesen.
Weitere Pilger kommen nach und nach. Die Eigenbrödlerin hat den bekannten Trick angewandt, ihre Sachen auf den benachbarten Betten zu verstreuen, dass alles belegt zu sein scheint. Nein, ich bin zwar halbtot, aber da kommt mir etwas die Galle hoch, und ich sage einer Spanierin, sie soll die Sachen einfach runterschmeißen. Später kommt die Eigenbrödlerin dazu und hat diesen und jenen Einwand, sagt aber nicht klar, was frei ist. So erreicht sie, obwohl die Herberge am Abend total überfüllt ist, dass die beiden oberen Betten in der Nische frei bleiben. Es kommt noch eine deutsche Dreiergruppe, Mutter, Sohn (ca. 13) und eine ältere Frau (Tante? Oma?). Sie maulen, dass sie nicht einmal mehr alle im gleichen Schlafraum unterkommen, sind zum Schluss aber froh, überhaupt Betten zu haben. Bis 18h00 sind alle 22 Liegen belegt. Die drei Deutschen überlegen laut, nach dieser harten Etappe morgen mit dem Bus zu fahren. Ich vermute, dass sie nicht die Einzigen sind. Andererseits liegt das nächste Refugio auf dieser Strecke sehr abgelegen und ist wohl kaum direkt mit dem Bus zu erreichen.
Nach zwei Stunden kommen meine Lebensgeister wieder. Rainer ist inzwischen eingetroffen. Meine Frau ist aus der Stadt zurück. Sie muss etwas um die Möglichkeit kämpfen, in der Küche kochen zu können, denn eine Jugendgruppe hat alles dauerbelegt und kommt im wahrsten Sinne des Wortes nicht zu Potte. Dann sitze ich vor einer Suppe und einer leckeren Paella. Will ich das nun essen oder nicht? - Ich will, fange an, und da kommt der Appetit. Eine Stunde später bin ich fast wieder der Alte, bis auf etwas Bauchkneifen. - Was diese plötzliche Erschöpfung ausgelöst hat, weiß ich nicht. Ich tippe darauf, dass der Apfelsaft, den wir in dem Kramladen gekauft hatten, verdorben war. Den hatten wir zum Teil in der Mittagspause getrunken. Geblieben war ein heftiger Ekel, den Rest zu trinken, und das ist immer ein Signal des Körpers. Ich nahm wieder eine Aspirin und eine Anti-Durchfall-Tablette und hoffte, dass ich die ziemlich harte Etappe anderntags durchstehen würde.
Ich hatte die anderen Pilger gefragt, wo wir denn Stempel bekommen. In der Stadt, war die Antwort. Na, da war inzwischen alles geschlossen. Später kommt eine resolute Frau herein, die sich freundlich umschaut. Ich spreche sie an: Nein, sie sei nicht die Hospitalera (muss hier aber wohl für Ordnung sorgen), der Hospitalero käme um 21h00 und würde dann die Pässe stempeln. So so. Dann kommt er auch, schaut nur griesgrämig und verzieht sich in sein Büro, fängt Dauertelefonate an. Ich schaue ins Gästebuch des Refugios: Oha, jede Menge Einträge in verschiedenen Sprachen, aber gleichem Tenor: Herberge toll, Herbergsvater zum Abschießen.
Immer noch treffen Pilger ein, junge Leute, die teilweise als alte Bekannte begrüßt werden. Ein junger Mann mit langen Haaren, der reinste Jesus, sieht wirklich gut aus. Sie machen nicht lange rum, weil es keinen Platz gibt, sondern richten sich in Ecken auf dem Boden ein. Da kann man nichts sagen, anspruchslos sind sie und benehmen sich auch sonst einwandfrei.
Ich lauere zweimal beim Büro des Hospitalero um die Ecke. 21h10, 21h20, er hört nicht auf zu telefonieren. Wir müssen uns bald schon für die Nacht fertig machen. Gegen 21h30 wird der erste "empfangen". Ich stelle mich an. Beim Eintreten grüße ich ihn freundlich und schaue ihn an. Sein Kopf kommt hoch und - er lächelt, erwidert meinen Gruß freundlich. Wir erledigen die Formalien. Ich danke ihm höflich, er quittiert es wieder mit einem freundlichen Lächeln und nickt noch dazu. - Der Mensch ist gar nicht so. Der hat es nur aufgegeben, freundlich zu sein, weil ihn ja sowieso alle beschimpfen, wie das Gästebuch zeigt. Mein Signal, ihn als unbelasteten Menschen anzunehmen, hat seine Abwehr durchbrochen. Wenigstens im Moment. Wer weiß, wie es weitergegangen wäre.
8h13 sind wir abmarschbereit. Mir geht es prima, was uns beide sehr erleichtert. Rainer kommt nach, sagt er. Zunächst zur Kirche hoch. Morgengebet. Ich will dann weiter, denn ich habe hier einen üblen Hund in Erinnerung. Wir kommen aber ungeschoren davon. (Tatsächlich erzählte Rainer, dass Pilger später am Tag wieder eine Begegnung mit diesem Untier hatten. Er war ganz begierig, mal meine Pfefferspritze in Aktion zu sehen, aber dazu kam es in seinem Beisein nicht.)
8h26 (0.13, 66,8) Ein Muschelstein. 8h39 (0.26) Ortsschild Zas. 8h48 (0.35) rechts an einer geschlossenen Bar ab. 8h54 (0.41, 64,6) Camino Real wird berührt. Ich habe jetzt Schwierigkeiten, die Orte zu identifizieren. Es gibt so gut wie keine Ortsschilder. Daher weiß man auch nicht, wie weit man ist. Die Skizze ermöglicht es einem nicht, das herauszufinden. Nur wenn man umgekehrt weiß, in welchem Dorf man sich befindet, kann man von der Skizze ablesen, was man geschafft hat. (9h28, 1.15, 61,9)
9h40 (1.27) ziehen wir in einem großen Linksbogen wieder mal durch ein namenloses Bauerndorf. Es ist Rapote, wie ich nachher rekonstruiere. Dieses Kaff blieb mir von 2000 daher in Erinnerung, weil in ihm wirklich hinter jedem Zaun ein großer Hund tobte. Im Gegensatz zu anderen Abschnitten dieses Weges hat sich hier nichts verbessert. Man läuft mit gesträubten Nackenhaaren fast Spießruten über die Dorfstraße, mag gar nicht daran denken, was passiert, wenn irgendwo mal ein Halsriemen reißt oder eine Pforte offen geblieben ist. Natürlich habe ich meine Pfefferspritze feuerbereit in der Hand, aber ich verzichte diesmal darauf, durch die Zäune zu spritzen. - 13 min später passieren wir lustige Steinmännchen.
(10h01, 1.48) Nach schönen Waldwegen erreichen wir das nächste Dorf. Auf einem Grundstück links hatte es 2000 auch Ärger gegeben, diesmal nichts. Dahinter weist ein Schild "Bar 50 m" nach links. Kurz darauf kommt man zu einem Dorfplatz mit Pilgerkreuz. Hm, das musste laut Skizze A Pena sein. (10h05, 1.52, 59,5) Große Enttäuschung: Das Ortsschild am Ende sagt Piaxe. Auf dieser Etappe hatte uns das damalige Faltblatt 2000 auch verwirrt. Angeblich waren wir in 3 Stunden nur 7,5 km gelaufen. Ich passte weiter auf. - Tatsächlich stellt sich im Nachhinein heraus: Piaxe war tatsächlich A Pena. Eines dieser Benamungsgeheimnisse im Norden Spaniens, ob's nun am Dialekt oder an einer Kirchspieleinteilung liegt: die Ortsschilder können einen ganz schön in die Irre führen. (Ich erinnere an Miraz; dessen Ortsschild auch anders lautete.)
10h15 (2.02) Portocamiño. Eine baumlose Hochfläche mit weitem Ausblick nach Norden und Nordwesten. Dann geht es rechts ab durch ein Waldgebiet. Man ahnt die Straße links parallel. 10h32 (2.19, 57,4) erreicht man wieder die Landstraße. Auf ihr geht es nun kilometerlang weiter.
13h07 (4.32, 47,0) sind wir beim zweiten Ortsteil, laut Skizze Santa Mariña, mit Kirche. Um die Ecke muss der halb fertige Pilgerrastplatz sein. Eine Frau hört uns reden und spricht uns von einem Balkon aus an. Sie kann Deutsch. Wenige Meter weiter der Rastplatz. Weder Bänke noch Tische, auch kein Wasser. Ist nie angeschlossen worden. Aber schönes Gras zum Liegen und Ausruhen, was wir auch ausgiebig machen. Gegen 14h00 hören wir eine vertraute Stimme: Rainer hat uns eingeholt. Er freut sich, denn etwa in dieser Entfernung wollte er auf uns treffen und hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben, weil er uns nicht vor sich sah. Auf einmal liegen wir da im Gras. 14h10 ziehen wir zusammen weiter.
Zur Straße und links an den zwei Bares vorbei zur Dorfschulruine, wo im Jahr 2000 unsere Übernachtungsträume zerstoben waren. Was war aus ihr geworden? Oho, von weitem leuchtete sie in neuem weißen Anstrich.
Einige Pilger schauen uns neugierig entgegen. Einer ist unverkennbar Deutscher. Wir lernen nachher die ganze Dreiergruppe kennen, aus Süddeutschland. Ein Ehepaar und sein Freund. Nach kurzem Hin und Her sagt er: "Wir haben doch korrespondiert." Richtig, Gottlieb, an den Namen kann ich mich erinnern. Er hat meine Unterlagen für die Vorbereitung der Nordroute genutzt. Die drei sind Knistertüten, wie aus dem Bilderbuch. Sie erzählen, dass sie jeden Morgen gegen 5h00 mit Taschenlampen loslaufen, anders halten sie es nicht aus. Dabei laufen sie weite Etappen. Junge, da komme ich nicht mit.
Heute kommen sie wie wir von Negreira, sind aber schon seit Stunden da. Sie haben in Negreira in einer Pension übernachtet und dabei was Tolles erlebt, was ich hier zur Warnung wiedergebe. Da sie ja immer so früh aufbrechen, haben sie abends beim Kellner nicht nur die Zeche, sondern auch die Übernachtung bezahlt, sich aber gottseilob eine Quittung geben lassen. Am Morgen sind sie im Dunkeln gerade einige Kilometer weit, da kommt ein Auto hinter ihnen her und versperrt ihnen den Weg. Zwei Männer springen raus und sagen böse, sie seien Zechpreller. Ja, da war die Quittung Trumpf! Eine Entschuldigung stammelnd ließ man sie weiterziehen. Das hätte übel werden können.
Abends kocht die Hospitalera in der Küche für alle Suppe in einem riesigen Topf. Natürlich helfen alle, soweit es geht. Es schmeckt gut, Obst gibt es auch noch, und wir spenden zum Schluss einen Obolus. Dann übernehmen wir den Abwasch. Alle sind dankbar und zufrieden.
Abends wie üblich (wenn möglich) zu einem Schlummertrunk in eine Bar: Man geht die Straße an der Herberge weiter hoch, an der nächsten Abzweigung rechts bis zur Fernstraße. (Gegenüber liegt ein großes himmelblaues Lagergebäude, an dem man - ich meine mich zu erinnern: schon vom Berg Aro aus - die Lage von Olveiroa erkennen kann.) Auf der Straße 150 m nach rechts, dann liegt die Bar auf der linken Seite. - Als wir eintrafen, war alles knackvoll mit Pilgern. Es herrschte eine heitere Stimmung, auch bei den drei Generationen Familienmitgliedern hinter dem Tresen, die Speisen (Bocadillos) und Getränke (hauptsächlich Bier und Rotwein) nach vorn reichten. Da sowieso die Hälfte der Leute stehen musste, ging man rum, schwatzte mit allen und trank sich zu. Gegen 22h00 bezahlten alle brav (unglaubliche Niedrigpreise) und rückten in Kolonne ab zur Herberge zurück. Einfach ideal für alle Beteiligten.
Im Bett tat mir der linke Oberschenkel auf der Oberseite etwas weh, besonders wenn ich das Bein anzog. Da hatte ich mir irgendeine Zerrung geholt; evtl. war ich einmal umgeknickt, wie ich mich dunkel erinnerte. Am andern Morgen war der Schmerz aber schon verschwunden.
Morgens war der Aufenthaltsraum gegenüber dem Schlafgebäude geschlossen, so dass wir vor der Herberge auf der Treppe und auf Steinen frühstückten. Die Knistertüten waren alle schon längst weg. Rainer lief heute von Anfang an mit uns.
8h13 (0.00) Abmarsch. Zunächst nicht in Richtung Bar, sondern zu der Kreuzung zwischen den Bauernhöfen zurück, wo wir gestern zur Herberge abgebogen waren. Dort nach rechts und im Bogen auf die Fernstraße zu, Bevor man sie erreicht, geht es aber links (8.19, 0.06, 34,6) über eine Brücke, und man erreicht eine Piste, die rechts von der Straße herführt. Hier waren Harald und ich im Jahr 2000 von der Fernstraße hereingekommen. (Die Herberge gab es ja noch nicht.) Man folgt dem Weg die Montes de Buxantes hoch, ein landschaftlich äußerst schöner Abschnitt. Unten tost der Fluss, der vor und hinter Olveiroa gestaut wird. Rainer machte ein sehr schönes Foto von meiner Frau und mir. - 8h50 (0.37) ging es zu einem Bach hinunter, über den einmal eine klobige Steinbrücke führte, die nun aber zerstört im Wasser liegt. Nun, bei Niedrigwasser wie jetzt war es kein Problem, über die Steine zu turnen, die dicht beieinander lagen. Gegenüber steil hoch, in einem großen Rechtsbogen. Dann eine breite Piste weiter bis zum Örtchen Logoso (kein Ortsschild). (9h06, 0.53, 31,1) Keine Hunde. Der Weg lief hoch über dem Einschnitt her, tolle Aussicht auf die Berge ringsum. In der Ferne die Straße, der wir uns langsam wieder näherten. 9h30 (1.17, 29,8) Wir kamen an der Fernstraße bei Hospital de Logoso heraus.
Hier mussten wir nun Abschied von unseren Pilgerfreunden nehmen. Von Carlos, von ein paar anderen und vor allem von Rainer. Denn gleich hinter dem Wirtshaus kommt die Verzweigung nach Finisterre bzw. Muxia. Zum wiederholten Mal erklärte ich, dass wir heute nach Muxía mussten, weil ab morgen schlechtes Wetter angesagt war. - Meine Frau blättert in der Tageszeitung und sagt auf einmal: "Die Wettervorhersage ist geändert, morgen gibt's doch Sonne und keine Änderung zum Schlechten." Wir schauen uns an, haben denselben Gedanken. "He, dann gehen wir doch nach Finisterre!"
Es gefiel mir, mal spontan zu sein, gegen meine sonstige Gewohnheit. Sicher, wir würden dann den Ruhetag in Muxía nicht haben und weniger von dem angeblich schönen Ort sehen. Auf der anderen Seite wog schwer, mit unseren Freunden am Kap Abschied feiern zu können. Auch wollte Rainer uns dann morgen nach Muxía begleiten, noch ein Punkt. Endlich musste ich das kommende "endlose" Stück über die Höhen noch einmal gehen, um es zu verarbeiten, denn vor drei Jahren waren wir doch ziemlich erschöpft da hergelaufen und völlig kaputt in Cée angekommen. Den Gedanken, dass wir heute dann noch von Cée weiter bis Finisterre laufen mussten (was ich vor drei Jahren von der Anstrengung her für unmöglich hielt), unterdrückte ich. - Jubel kam bei diesem Entschluss auf. Wir schwangen noch einmal die Kaffeetassen. ;-)
10h28 (2.02, 26,4) überqueren wir eine Asphaltstraße. Hier steht ein großes Pilgerkreuz. Die Skizze vermerkt Sicht auf das Meer erst dahinter, aber wir haben es ja schon gesehen, jetzt aber auch das Kap, noch sehr weit entfernt.
Dann folgt die Abzweigung nach rechts, zum Santuario das Neves. Ohne unsere jetzige Skizze hatten wir damals keine Ahnung, wo und wie weit wir waren. 10h58 (2.32) - 11h05 Kurze Wasserpause. Schatten; Quelle unterhalb der Kirche an einem Kreuz. Das Wasser ist mühsam zu schöpfen und kommt mir nicht sehr rein vor. - Die Kirche ist geöffnet. Ich trete ein und singe aus voller Kehle dankbar ein spanisches Kirchenlied von meinen mitgebrachten Seiten. Erst danach entdecke ich eine Restaurateurin im Hintergrund. Na, machte ja nichts.
Vor uns sehen wir noch lange Carlos und seine Begleiter herziehen, da der Weg sich sichtbar weit über die Höhen zieht. 11h55 (3.29) liegt rechts vom Pilgerweg die Ermitá San Pedro Martir. Man soll das Gelände nicht betreten, aber ich hatte eine Quelle in Erinnerung. Wir stiegen also über den Absperrungsdraht und suchten etwas herum. Ja, da war sie, ganz nahe am Weg, aber etwas versteckt. Stufen führten zu einem klaren Wasserstrahl hinunter. Ich schüttete das Wasser von der Quelle an der Kirche aus und füllte die Flaschen neu. Dann sahen wir, dass der Pilgerweg nicht auf dem Asphaltweg jenseits des Zaunes weiterging. Wir mussten 100 m zurück zu einer Feldwegkreuzung und dort rechts ab (links ab, wenn man auf dem Pilgerweg geblieben ist) in einen Sandweg. Kurz darauf links landwirtschaftliche Gebäude. Hier hatten vor 3 Jahren (nicht sichtbare) Hunde hinter der Mauer getobt, jetzt nichts.
13h16 (4h27, 16,9) sind wir kurz vor Cée, 13h21 an der Hauptstraße. 13h29 (4.40) kommt eine Verzweigung des Pilgerweges auf der Hauptstraße, die an der linken Straßenseite gekennzeichnet ist. Eine gelbe Inschrift zeigt mit "Albergue" geradeaus. In Cée, so hatten wir letztes Jahr erfahren, gibt es eine Turnhalle (es soll sogar mehr als eine gewesen sein), in der Pilger übernachten dürfen. Evtl. zeigte der Pfeil dorthin, oder es war eine private Herberge (Jugendherberge?) damit gemeint.
Wir folgen jedoch dem Pilgerweg, und der geht links ab, Wegweiser "Hospital". Wenige Minuten später kommen wir an einem Mesón O Gallego vorbei, das vielversprechend aussieht. Ich sage spontan "Hinein", und die andern sind einverstanden. Ein gutes Mittagessen wäre jetzt nicht schlecht. Hm, üblicher großer Barraum und im Hintergrund der Esssaal. Wir lassen unser Gepäck am Eingang der Bar und schauen in den Saal. Ja, Arbeiter im Blaumann, einfache Leute, hier ist es sicher gut und billig. Allerdings schaut der Kellner etwas irritiert. Alles brechend voll, kein Platz. Der Kellner macht keine Anstalten, uns hinzuhalten oder gar einen Platz zu besorgen. Wir sind wohl bei ihm durchgefallen. Ich lasse mich aber nicht abschrecken. Als wir unschlüssig abdrehen, um vielleicht im Barraum zu warten, winkt uns ein Arbeiter lebhaft zu. "5 Minuten" ruft er, dann würde ihr Tisch frei. Und tatsächlich, nicht einmal "spanische 5 Minuten" (also 15), sondern schon nach 3 Minuten stehen die Männer auf und überlassen uns ihren Tisch. Wir bedanken uns herzlich, das war wirklich nett. Dem Kellner bleibt nichts anderes übrig, als unsere Bestellung entgegenzunehmen. Das Essen ist wirklich super und preiswert (5,41 EUR). Rainer lobt mich für meine Nase, was Nahrungsbeschaffung angeht. :-))
14h35 (4.43) laufen wir weiter durch die Stadt, verlieren den Weg. Wir sind am Ende des Meeresarmes, und ich weiß auswendig, dass es am andern Ufer auf der Fernstraße weitergeht, etwa bis zum Hotel Hórreo. Also laufen wir in einem Linksbogen zu dieser Straße, ohne weiter nach Zeichen zu suchen. Tatsächlich, gerade kündigt eine Reklametafel das Hotel an, da geht der Pilgerweg halbrechts eine Straße hoch. Genau, wie ich es in Erinnerung hatte. (Harald und ich sind zwecks Suche nach einer Unterkunft unten weiter die Straße entlanggegangen, bis Corcubión, wo wir übernachteten.)
An einer Y-Kreuzung rechts weiter nach oben. Der Weg ist schwer auszumachen, wenige Zeichen. Aber irgendwer winkte uns immer, wo es weiterging. Dem Schild "Gardia Civil" nach. Nochmal rechts bis zu einer Kapelle. (15h00, 5.08) Rúa San Antonio. Hinter der Kapelle halbrechts, nicht scharf rechts weiter hoch. Man hat jetzt nämlich die erste Höhenstufe erreicht und läuft parallel zur Küstenstraße unten. 15h15 (5.23) geht's in steilem Aufstieg einen Grasweg hoch, bis zu einem Haus und einem Feldweg oben, dort links. 3 min später kommt man an einer Asphaltstraße heraus, die links von Corcubión kommt. Ich erkenne sie wieder: hier sind Harald und ich 2000 anderntags hochgelaufen. Rechts hoch bis zur großen Kreuzung mit der Fernstraße, auf dem Gipfel des Höhenzugs. Jetzt weiß ich wieder einiges auswendig. (15h23, 5.31) Die Kreuzung überqueren, nach 100 m Rechtskurve, geradeaus runter bis zu einem Tor (herrlicher Blick auf das Kap). Am Tor rechts im Wald runter, links neben der Fernstraße her, bis man (15h34, 5.42) in Amarela herauskommt.
15h39 (5.47, 11,9) rechts ab und sofort wieder links. Man schlängelt jetzt um die Fernstraße herum. 15h50 Ortsschild Estorde. Wir haben Carlos und seine Begleiterinnen fast eingeholt. Als wir Miene machen, nicht jeden kleinen Schwenk durch die Bebauung mitzumachen, winken sie erregt. Pilger haben doch immer Angst, dass andere sich Vorteile verschaffen, indem sie auf der Straße bleiben. Wir laufen rechts von der Straße parallel durch den Ort. Hinter einer Metalltür bellt wütend ein Hund; ich haue meinen Pilgerstock der Länge nach an die Tür, es knallt erstaunlich laut. Das nächste Bellen des Hundes klingt von wesentlich weiter drinnen im Haus :-)) Wir kommen an einem kleinen Laden heraus, wie ich es mir schon gedacht hatte.
Vor Sardiñeiro findet Rainer ein Mobiltelefon auf der Straße, in Höhe eines Hotels. Er steckt es ein, und wir wollen es in Finisterre in der Herberge abliefern. - (16h02, 6.10) Dann wieder ein Rechtsabzweig, den ich eigentlich ignorieren möchte. Aber diesmal lohnt es sich. Es geht oberhalb der Straße über Waldwege, bis man an einem herrlichen Aussichtspunkt an der Fernstraße herauskommt. 16h39 (6.47) sagt mein Notizbuch. Diese 37 Minuten sind mir sehr schwergefallen. Es ist inzwischen brüllheiß. Obwohl es nicht rauf und runter geht, läuft der Schweiß in Strömen. Ich bin ziemlich fertig. Rainer juckt es in den Beinen. Er entschuldigt sich und zieht davon. Ich stecke mir die Wasserflasche vorne ins Oberhemd, damit ich trinken kann, ohne anzuhalten. Sie soll ja nur noch bis zum nicht fernen Finisterre halten. Das viele Trinken hilft etwas.
Dann bekomme ich noch einen Riesenschrecken, als ich zu Hause anrufe. Dass meine Mutter krank war, wusste ich schon, aber jetzt war sie vor zwei Tagen ins Krankenhaus gekommen und lag ziemlich schlecht. Mein Vater schimpfte, dass wir kein Mobiltelefon haben. In Negreira war ich ja krank, und in Olveiroa gab's kein Telefon. Deshalb hatten wir uns ausnahmsweise zwei Tage lang nicht gemeldet. Da die größte Gefahr für meine Mutter aber schon wieder vorüber war, mussten wir nicht sofort nach Hause.
Wie wir betrübt da stehen, kommen Jochen und Marion an. Typisch, dass man alle wiedertrifft. Ein Spanier fragt uns in gepflegtem Englisch, ob die Telefonzelle frei ist. Er ist auch Pilger, wir werden ihn morgen in Muxía wiedersehen. Auch die deutsche Dreiergruppe aus Negreira sehe ich wieder. Ich höre, wie sie erzählen, mit dem Taxi bis Hospital gefahren zu sein, von dort zu Fuß nach hier. Donnerwetter, das hätte ich ihnen nicht zugetraut!
Jetzt wollen wir uns gegen 22h00 noch was zu essen machen, ist doch beste spanische Abendessenszeit. Aber einige Jugendliche blockieren mal wieder die Küche. Meine Frau hat gerade doch noch eine Suppe zubereitet, da will uns die Hospitalera aus dem Aufenthaltsraum scheuchen. Wir essen stur die Suppe zu Ende. Die Jugendlichen kratzen alles Gekochte auf Teller und verziehen sich in den kleinen Innenhof, neben der Seitentür, die nachts offen bleibt. Hinter uns wird abgeschlossen. Geschirr spülen im Waschbecken vor den Toiletten. (Es gibt nur zwei, ein echter Engpass. Eine weitere Toilette neben dem Aufenthaltsraum ist für "das Personal" reserviert, jetzt ohnehin nicht mehr zugänglich.)
Spät, sehr spät wie immer trudelt die Jugendgruppe ein, die in jeder Herberge auf dem Boden landet. Sie sind's gewohnt, nehmen diesmal den Flur im ersten Stock. Auch sonst liegen jetzt überall Matratzen. Abends sind die Jugendlichen etwas laut, aber ein "Ruhe bitte" auf Spanisch von irgendwoher reicht. Das kenne ich sonst ganz anders. Ich fand diese Gruppe immer sympathischer. Ich habe mir meinen schmerzenden Oberschenkel dick mit Sportlersalbe eingerieben. Das müsste eigentlich helfen.
Übrigens kamen (im Gegensatz zum letzten Jahr) hier in der Herberge alle Eintreffenden der Reihe nach unter, egal, ob Fußgänger, Radfahrer oder angebliche Fußgänger. Auch durfte man ohne Weiteres einen Tag verlängern.
2005 war es wieder anders. Es wurde streng erst um 17h00 aufgeschlossen und zuerst kamen die Fußgänger mit der Bettenzuteilung dran. - Da sieht man, wie schnell sich alles ändert.
Am andern Morgen waren wir stinksauer, dass der Aufenthaltsraum immer noch abgeschlossen war. (Auch an den Spendenkasten kommt man so nicht mehr ran.) Also muss man anderswo frühstücken, z.B. in dem kleinen Innenhof (oder draußen auf einer Bank am Hafen). Ich machte es mir aber auf Matratzen vor unserem Schlafsaal gemütlich. (Die dort geschlafen hatten, waren längst weg.) - Die junge Hospitalera ist ja ganz nett, aber einige Regeln in dieser Herberge sind doch nicht sehr pilgerfreundlich, und wenn der Spendenkasten morgens nicht erreichbar ist, geht ihnen auch einiges an Geld verloren.
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Letzte Änderungen: 08.07.2022