Autor: Rudolf Fischer
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Wir wollen heute mit dem Bus von Pamplona nach Oviedo fahren. Jetzt verstehe ich, warum der Zug, den wir eigentlich nehmen wollten, gestern schon ausverkauft war, und das Gegröle heute Nacht: Ist ja kein Wunder! Halb Spanien macht langes Wochenende.
Insbesondere Banken sind dann geschlossen, und das merke ich erst, als ich vor der verrammelten Banco de España stehe. Hier wollte ich meine Pesetenscheine vom letzten Jahr eintauschen. Jetzt hatte ich nur noch eine letzte Chance in Oviedo, denn diesen Umtausch gibt es in ganz Spanien nur in einigen Städten und nur bei der Staatsbank.
Das war aber nur das Wenigste! Überall hatte ich davor gewarnt, in Oviedo am Sonntag aufzukreuzen, da dann das Refugio geschlossen ist. Am Feiertag gilt natürlich dasselbe. - Na, vielleicht hatte sich ja was in Oviedo getan.
Ich kann mich noch an den Weg zur Kathedrale erinnern. Denn dort war das Oficina de Turismo, wo wir erst mal Stadtpläne und - für alle Fälle - ein Unterkunftsverzeichnis besorgen wollen. Allerdings war das Touristenbüro letztes Jahr sonntags auch geschlossen. Wie es an Feiertagen ist, weiß ich nicht. - Wir ziehen optimistisch los, finden den zentralen Platz vor der Kathedrale, aber das Oficina de Turismo ist verzogen (also die Adresse im Handbuch von Michael Kasper überholt!). Jetzt rückt die Italienerin die neue Adresse raus, die ihr der Busfahrer mit Kugelschreiber auf die Hand (!) geschrieben hat. Glück: Das Touristenbüro ist jetzt in einem Kiosk an der großen Kreuzung am zentralen Stadtpark Campo de San Francisco. Die Straße San Francisco führt von der Kathedrale aus schnurgerade darauf zu. - Hurra, der Kiosk ist geöffnet. Dann ist alles kein Problem, ruckzuck, haben wir Stadtpläne. Auf zum Refugio!
Sie erzählen, dass sie schon ein großes Stück der Nordroute, die Küste entlang, hinter sich haben. Wenn auch nicht alles gelaufen; dafür reicht die Zeit nicht, da sie ja noch bis Santiago wollen. Mein Respekt wächst. Ich weiß ja, wie hart die Nordroute ist. Jürgen ist auch schon schwer angeschlagen, trägt einen Knieverband. Er sieht voraus, einige Etappen mit dem Bus machen zu müssen, will aber so viel laufen, wie es sein Knie aushält. Tapfer.
Wir blättern im Gästebuch. Sieh da, die Pilgerfreundin aus Aachen grüßt uns mal wieder, hat also auch gut hergefunden. Christines Kopf rückt hoch: "Äh, heißt ihr etwa Fischer?" - Wir geben es zu. - "Ja, sag mal" wendet sie sich an mich, "hast du dann den Bericht über die Nordroute im Internet geschrieben?" - Auch das muss ich zugeben. Da packt sie eine Kopie aus. "Mann, nach dem haben wir doch alle Ergänzungen und Berichtigungen in unser Handbuch von Michael Kasper geschrieben." (Hier also einmal ein schlagender Beweis, dass ich mit meinen Kontrastberichten den Absatz der Handbücher kräftig fördere.) Tatsächlich hatten sie schon nach mir Ausschau gehalten und manchen Bärtigen verdächtigt. Jetzt, wo sie eigentlich nicht damit gerechnet hatten, trafen sie auf einmal auf uns. (War gar nicht so unwahrscheinlich, denn wir waren ja auf den Tag genau gemäß unserer Planung im Internet hier.) Susanne lacht: "Das gibt's doch gar nicht. Da kennt man jemanden von seinen Erzählungen so gut, und auf einmal steht er leibhaftig vor einem." (Ja, würde mir mit Michael Kasper auch so gehen, den wir in Cizur Menor nur um drei Tage verfehlt haben.) Später fragte ich Christine nach vorgefundenen Abweichungen zu meinem Bericht, es hatte sich tatsächlich schon einiges wieder geändert. (Diese Änderungen habe ich im Bericht von 2001 als aktuelle Zusätze vermerkt.)
Einkauf im benachbarten Supermarkt, der auch sonn- und feiertags geöffnet ist. Abendessen im vorderen Aufenthaltsraum, gleichzeitig Empfang. Der Hospitalero erscheint und stempelt unsere Ausweise. Eine knappe Stunde später geht er wieder. Da Jürgen, Susanne und Christine in der Stadt sind. bekommen sie keinen Stempel. Irgendwie ist das in Oviedo nicht gut geregelt. Dass überhaupt am Feiertag geöffnet war, lag ja nur daran, dass die beiden anderen Österreicher schon von der Nacht davor einen Schlüssel hatten. Sonst hätte man telefonieren oder bis spät abends auf der Schwelle sitzen müssen in der Hoffnung, dass der Hospitalero auch feiertags kommt... - Man zahlt nichts, es gibt eine Spendendose.
In Oviedo ist auch angeschlagen, dass man sich in Fonsagrada mindestens 4 Tage vorher melden soll, wenn man dort übernachten will. Der Hospitalero bestätigt das, sagt aber, 1-2 Tage vorher genügten. Wir waren gespannt, wie es in Wirklichkeit sein würde.
Die Herberge (16 Betten) wurde noch voll, aber nicht überfüllt. Alle Einrichtungen sind in Ordnung, ein angenehmer Aufenthalt.
251 km hatten wir bislang von Urdos nach Pamplona zu Fuß zurückgelegt. Für die Gesamtstrecke der diesjährigen Fahrt sind diese also zu den folgenden Kilometerangaben hinzuzuaddieren.
Dann mit Hilfe des Stadtplans zur Plaza de la Liberación und die Straße Colonel Tejeiro bis zum nächsten Kreisverkehr. Dort zweigt der Umweg (2,5 km hin, 1,5 km zurück) zu den sehenswerten Gebäuden aus dem 9. Jahrhundert (!) ab. Die wollten wir gesehen haben, da wir auch Zeit genug hatten. Man folgt den Schildern mit den touristischen Hinweisen auf die monumentos; einmal mussten wir fragen. Auf halber Strecke die Avenida de los Monumentos hoch, merkte ich mir eine Abzweigung nach links, die in die richtige Richtung ins Tal hinunterführte (s.u.). Ich hatte mal wieder keine Lust, allzu weit denselben Weg später zurückzugehen. - Dann kam einige hundert Meter weiter links ein Parkplatz. Von dort aus führt ein Fußweg nach oben zu den alten Gebäuden. Wir wussten das nicht und blieben auf der Landstraße. Dafür wird man in einer Serpentine mit einem schönen Ausblick über die Stadt belohnt.
Beide historischen Gebäude sind wirklich einen Besuch wert. Zurück liefen wir einen Fußweg, kamen aber nicht am Parkplatz heraus, wie wir wollten, sondern etwas oberhalb wieder auf die Landstraße. Wir waren wohl einmal zu früh nach links gegangen (keine Hinweise).
Zurück zum Abzweig. Er ist leicht zu erkennen, da hier zwei Asphaltsträßchen gleichzeitig abgehen, die obere zu einem großen Sportgelände. Die untere, direkt rechts von einem Gebäude, hat keinen Namen, ist aber auf dem Stadtplan noch eingezeichnet. Ich fragte zur Vorsicht einen Mann, der an seinem Auto herumbastelte, ob dieser Weg zum Neubauviertel La Florida hinunterführe. Er bejahte. Super! Etwa 1 km gespart. Es ging an einigen verfallenen Häusern und bellenden Hunden vorbei steil runter ins Tal.
Wir suchten dann noch den Jakobsweg und fanden ihn auch, jenseits der Hauptstraße, aber die Suche lohnt nicht. Auch der Jakobsweg mündet zum Schluss in die Prachtstraße. Dann gab es keine gelben Pfeile mehr. Der Boulevard endet im Grün. Geradeaus kann man das nächste Dorf San Lázaro de Paniceres auf der Höhe ahnen, aber man weiß nicht, welche der sichtbaren Gebäude dazu gehören. Am einfachsten geht man am letzten "auf Halde gebauten" Kreisverkehr kurz vor dem abrupten Ende der Prachtstraße nach rechts und sucht dort eine alte Brücke über einen Bach. Dort findet man die gelben Pfeile wieder, und eine kleine Landstraße führt zu dem gesuchten Dorf hoch.
Auf dem Berg Naranco hat man Jürgen und Co. etwas von einer Abkürzung nach San Lázaro erzählt, aber sie haben es nicht verstanden. War auch zu riskant. Man sah zwar zurückblickend den Berg noch zum Greifen nahe, aber keine sichtbare Straße, die von dort nach San Lázaro herführte. Auch nichts auf dem Stadtplan.
Der weitere Weg ist angenehm, ohne große Steigungen. Auf der AS 232 gibt es im ersten Dorf La Bolguina eine Bar mit Unterkunftsmöglichkeit (P), die nicht im Handbuch steht. Nachdem wir danach drei weitere Dörfer durchquerten, hatten wir Probleme mit Hunden, die hinter Zäunen bellten und uns erschreckten. Hinter dem dritten Dorf erwartete uns ein Köter vor einem einzelnen Haus auf der Straße, wir bogen aber vor dem Haus rechts ab. Wie ich schon erwartet hatte, kam er hinter uns her. Da packte mich die Wut. Ich nahm einige Steine auf und warf sie ihm um die Ohren, er floh jaulend. (Das habe ich aber nur gewagt, weil er nicht groß genug war, um wirklich gefährlich zu werden.) Gleich darauf bogen wir wieder links ab, fanden leckere Brombeeren und trafen wieder auf die Straße. Oben an der Kreuzung lagerten einige Mädchen mit Rucksäcken an einer Bar. Sie trafen aber später nicht im Refugio ein, das nur noch 1 km entfernt lag. Links folgte danach erst eine andere Bar, wo man den Schlüssel holen sollte.
14h00. In der Bar rücken sie ohne Kommentar den Schlüssel raus. Also sind wir auch die ersten. Unterwegs kommen wir an der kleinen Ruine eines Stromhäuschens vorbei. Auf ihm prangt eine Muschelkachel wie bei einem Refugio. Ich stelle mich in die Ruine und mache ein entsetztes Gesicht, spiele "schlimme Unterkunft". Das Refugio ist, wie viele auf diesem Weg, eine ehemalige Landschule. Auf dem Nachbargrundstück kläffen pausenlos mehrere Hunde, meinen aber nicht uns, sondern spielen nur. Neben der Wäscheleine liegt auch ein kleiner Hund vor seiner Hütte. Aber er döst nur, ist Pilger gewohnt.
Am andern Morgen spricht es sich herum. Die Radfahrer haben zu viel getrunken. Einer hat oben aus dem Fenster gek..., direkt vor die schlummernden Vespafahrer. Da war es auch mit deren Romantik vorbei. (schadenfrohes unchristliches Grinsen) - Die Vespafahrer haben wir danach nicht mehr wiedergesehen, sie machten wohl längere Etappen.
7h56 machen wir uns auf den Weg. Jürgen will versuchen, einen Bus zu finden. Haltestellen haben wir gesehen, aber keinen Hinweis auf Ziele, geschweige denn Fahrpläne. Das Wetter ist zunächst schlecht, feuchter Nebel, wird danach aber langsam besser. Wir laufen weiter durch eine hügelige Weidelandschaft. Vor dem sehenswerten Horreo, den Michael Kasper abgebildet hat, liegt ein verlassenes Haus, das sich hervorragend als Refugio eignen würde. Es muss früher sehr schön gewesen sein. Hinter dem Horreo geht es eine Steintreppe hinunter in ein weites Flusstal. Ein Bauer grüßt und fragt nach dem Woher und Wohin. (5 Minuten später kommen Susanne und Christine, denen er erzählt, dass gerade zwei Deutsche vorbeigekommen sind.) Dann geht es durch eine feuchte Au, am Fluss entlang, bis zu einem einzelnen Haus. Ein großer weißer Hund springt dort herum, erweist sich aber als friedlich, will wirklich nur spielen. Dahinter taucht man erst richtig ins Dickicht. Meine Frau kann nicht mehr weiter. Ich bin etwas sauer über den Weg, knurre "Räumpanzer vor!" und werfe mich, mit dem Stock die Dornen niederschlagend nach vorn. Eine Minute später stecke ich auch hoffnungslos fest. Zurück. (Ich hasse sowas.) Da sehen wir nur 20 m zurück einen gelben Plastikstreifen des Jakobswegs, der hier steil die Böschung nach rechts hochführt. "Hier müssen die Fahrradfahrer wohl endgültig passen", hatte ich vorher an dieser Stelle spöttisch gesagt. Nun, die Fußgänger also ebenfalls. Tatsächlich war es die ohnehin vorgesehene Abzweigung, die über einen verwilderten Acker zu einer Landstraße führt.
Gut 1 km weiter überquert man den Fluss und erreicht die Nationalstraße 634. Hier treten auf beiden Seiten Felsenwände zusammen, durch die sich der Fluss gesägt hat, eigentlich eine schöne Ecke, aber die viel befahrene Straße macht alles kaput. Wir quetschen uns 200 m an ihr entlang (kein Seitenstreifen), bis wir kurz hinter dem Ortsanfang von Peñaflor schräg nach rechts auf eine Seitenstraße flüchten können. Ein großer weißer Hund bellt uns an, wird vom Besitzer zurückgerufen. Ein paar Häuser weiter tobt ein wahres Untier an der Kette. Wehe, wenn der sich losreißen könnte. Kurz darauf fährt der Mann von eben auf dem Fahrrad an uns vorbei, der weiße Hund trabt daneben, ohne von uns Notiz zu nehmen. 2 km vor uns liegt Grado, eine größere Stadt.
Gegenüber wohnt ein alter Mann, der das Refugio betreut und uns freundlich zuwinkt. Wir dürfen bei ihm die Wäsche aufhängen und so viel Birnen aus dem Garten einsammeln, wie wir wollen. Sehr nett. Vielleicht hat die Polizei ihm nur Bescheid gesagt, dass er aufschließt und den Boiler anstellt. Notfalls käme man also auch ohne vorherigen Anruf unter. Carlos sagt, dass er ebenfalls die Polizei benachrichtigt habe. Mein Spanisch reicht nicht aus, um ihn zu fragen, was denn wohl ohne das passiert wäre. Ich kann keine Konditionalformen der Verben.
Ein zweiter Spanier, Javier, trifft ein. Carlos freundet sich mit ihm an, und sie pilgern danach noch viele Tage zusammen weiter. Nun kommen auch Jürgen, Susanne und Christine. Damit haben wir (vorerst) die Belegschaft zusammen. - Im Refugio wird gebeten, den Müll wegzubringen. Der Container sei am Friedhof. Die Skizze daneben bietet keine Orientierung. Meine Frau und ich laufen ein Stück den Pilgerweg zurück und erforschen auch die Abzweigungen. Oberhalb der Herberge und der Kirche liegen ein paar Häuser, von denen eines nach Bar aussieht. Ein älterer Mann mit bloßem Oberkörper spricht uns von der anderen Seite an. Ob wir Cidra kennen? - Natürlich. - Wollen wir welchen probieren? - Ja, doch. - Er führt uns zu seiner kleinen Cidraproduktion im Nachbarhaus, erklärt alles und reicht uns einen Probetrunk. Doch, schmeckt nicht schlecht. Ob wir mehr haben wollen? Nein. (Wir müssen weiter und den Container suchen.) Er ist sichtlich enttäuscht. Irgendwas haben wir falsch gemacht. Hat er erwartet, dass wir ihm etwas abkaufen? Oder einfach nur mehr Interesse? Wir stolpern etwas beschämt davon. Eines dieser interkulturellen Missverständnisse, die man nicht klären kann.
Ein gutes Stück den Pilgerweg zurück, schon längst an dem Hohlweg vorbei, den wir hochgekommen sind, erreichen wir zwei Bauernhäuser. Hunde? Nur kleine. Wir kehren dennoch um.
100 m weiter wären der Friedhof und der Container gewesen, direkt am Verlauf des weiteren Pilgerweges der nächsten Etappe. Warum haben sie das nicht in der Herberge geschrieben? Dann braucht man doch anderntags nur den Müll mitzunehmen und wird ihn nach 500 m los.
| Wir kehren zum Refugio zurück. Es ist das schönste vom Camino primitivo, denn es ist nicht nur sehr geräumig, sauber und gut eingerichtet, sondern die Lage ist auch einmalig: Hoch auf dem Berg mit Blick zurück auf Grado, das ganze Tal und die umliegenden Berge. Wir sitzen mit unseren spanischen und österreichischen Freunden auf der Bank vor dem Haus (vor der Bank ein großer Tisch), essen und genießen den Blick. |
Dann helfe ich noch Christine, die Wäsche zu holen. Sie fürchtet den kleinen Hund des freundlichen Refugiobetreuers. Es ist noch fast ein Welpe, langweilt sich zu Tode, stürmt auf alle zu und will spielen, zerkratzt einem aber dabei die Beine. Ich halte ihn in Schach, während Christine die Wäsche einsammelt. Am Nachmittag hat der Hund schon einmal einen Schlag mit der Gerte bekommen. Man läuft den Leuten nicht nach, schimpfte der alte Mann mit ihm. Wenn nur alle Hunde so streng erzogen würden...
Leider sind die Kochmöglichkeiten auch dieser Herberge auf ein-zwei Elektroplatten beschränkt. Es steht immer "Küche" im Handbuch, aber selten ist es wirklich eine, die diesen Namen verdient, und da immer Töpfe, Pfannen und Sonstiges fehlen, kann man richtiges Kochen vergessen.
Ansonsten nochmals: Diese Herberge verwöhnt einen. Gegen Abend kommt der alte Mann mit Stempel und Gästebuch herüber. "Kontrolle" witzele ich, er lacht, setzt ein gespieltes Amtsgesicht auf und stempelt unsere Ausweise. Eine Spende wehrt er ab, die Begründung verstehe ich nicht. Nachdem er gegangen ist, sitzen wir noch lange zusammen und genießen den Sonnenuntergang. Schade um die Sprachbarriere. Wir hätten auch gern mit Carlos und Javier geschwatzt.
Einige hundert Meter hinter dem Dorf wird's spannend. Michael Kasper warnt vor dem evtl. schwierigsten Abschnitt des Camino primitivo, weil hier Teilstrecken zugewachsen sind. Wir haben mit Jürgen und den Mädchen vereinbart, die wegen Jürgens Knie nicht so schnell sind, dass wir Steinzeichen legen. - Also links ab von der Straße, 300 m weiter ist Schluss: Undurchdringliches Dornengestrüpp und wie zum Hohn hier und da ein gelber Plastikstreifen. Die spinnen, die Asturier! Also zurück zur Landstraße und am Abzweig Steine quergelegt, das heißt "Hier nicht rein". | "Pilgerweg" |
Teresa, die wir viele Tage später kennen lernen, berichtet, dieser Abschnitt sei doch frei gewesen. Der erste allerdings hat sie fertiggemacht; alle Mühen und ein Versuch, an dem Gestrüpp vorbei über Zäune hinweg die Richtung zu halten, waren gescheitert. Den Weg gab's gar nicht mehr. Also abzuraten!
Die Landstraße macht hinter Doriga einen großen Bogen nach links und erreicht dann eine Fernstraße. Diesen Teil hätte man also (ab Doriga) abkürzen können, natürlich nicht, ohne den obligaten Hügel dabei zu überqueren.
Das Kloster war geöffnet. Hier gab es schöne (und billige) Ansichtskarten, 7 Stück für 1 EUR. Da bedienten wir uns. (In Pamplona wollte man pro Karte 50 Cent haben!) Die Kirche war schon renoviert, der Kreuzgang noch nicht. Draußen sah man die Verwüstungen einer Gemeindefeier vom Vorabend. Überall haufenweise Müll und - oha! - neben einer Bank drei Rotweinflaschen, eine davon praktisch noch voll. "Der liebe Gott hat Erfrischungen für uns bereitgestellt", erklärte ich meiner Frau. Bald saßen wir auf einer Bank und aßen etwas. Ich füllte dazu aus der Flasche "Erfrischungen" in meine Plastiktasse.
Obwohl um 12h30 im Kloster eine Messe war, brachen wir wieder auf, denn es war 11 Uhr und der Weg noch weit. Wir überquerten die Brücke. Ein Wegweiser zeigte alle möglichen Ziele (darunter Santiago de Compostela), der Pilgerweg kam hier aus der Stadt her wieder dazu.
Wir bedankten und verabschiedeten uns und liefen den ausgewiesenen Pilgerweg. Nun ja, er war stellenweise wirklich sehr kotig. Auch ging es über zwei Höhen, die man sich hätte ersparen können, aber dafür war es eine wunderschöne Landschaft im Sonnenschein. Ein Bauer fragte uns, ob wir den Draht wieder geschlossen hätten, der den Weg hinter uns für die Kühe sperrte. Ehrensache! Er freute sich und wünschte "Beaucoup merci!" ;-)
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Als wir die zweite Höhe emporzogen, sahen wir Jürgen, Susanne und Christine die erste herunterkommen. Wir johlten und winkten. Sie winkten zurück. Jenseits der Höhe, längst wieder im Tal, ging es durch einige Bauerndörfer, aber ohne Hundebelästigungen. In einer Abzweigung mit schönem Gras hockte ich mich hin, holte den Rest der "Erfrischungen" raus und wollte auf die anderen warten. Es dauerte doch sehr lange, bis sie kamen. Leider hatte ich inzwischen alles allein getrunken... Wir ließen die drei zurück, die ihrerseits wieder eine Pause brauchten und zogen weiter. |
Die anderen sahen wir vorerst nicht wieder, weil sie nach Salas gehen wollten. Die Abzweigung war im Handbuch sehr gut beschrieben. Inzwischen zogen sich vor uns dunkle Gewitterwolken zusammen, und wir waren froh, nicht wegen der Messe gut 2 Stunden länger in Cordellana geblieben zu sein. Rechts ging es nach Salas, links unter der Fernstraße hinweg nach Godán. Also die Hufe geschwungen und im Zickzack (wegen evtl. Hunde) die Landstraße entlang, an vielen Häusern vorbei. Die von Michael Kasper angedeuteten Abkürzungen vor und hinter Godán gab es noch nicht. Zumindest letztere hätte auch ganz schön über eine Höhe geführt...
Schnurgerade durch das ganze Dorf Godán, außer einem kleinen Kläffer keine Hundebelästigung. Endlich eine Linkskurve und kurz dahinter die Herberge. 15h00. Ich schelle am Nachbarhaus. Eine Frau schaut raus und schließt uns die Herberge auf. Stempel liegen drinnen auf einem Tisch zur Selbstbedienung. Wir sind heute die ersten und bleiben auch die einzigen.
Seit dem 12.8. hat hier niemand mehr übernachtet. Meine Frau schreibt in ihrem Tagebuch: "Die Räumlichkeiten sind großzügig: oben und unten je zwei Duschen und Toiletten. Die Einrichtung eher spartanisch: unten 3 und oben 4 Doppelstockbetten, wobei bei dreien die Matratzen fehlen; dazu einige ehemalige Schultische und -stühle. Die 'Küche' besteht aus einer Kochplatte und zwei Töpfen auf einem wackligen Tisch. Wir bleiben die einzigen Gäste. Mit der Dunkelheit kommt der Regen, Dauerregen. Von den Bergen ringsum ist nichts mehr zu sehen. Wir genießen den ruhigen Abend zu zweit mit einer Hühnersuppe aus einer Tüte, Käse, Brot, Früchten und Wein. Der Wecker wird auf 5h30 gestellt, denn die morgige Etappe ist mit 25 km wesentlich länger, und es geht in die Berge!
Rings um das Haus wuchert in der Feuchtigkeit alles. Sie haben angefangen, einen Kamin zu installieren. Das Außenrohr ist schon montiert. Das zugehörige Baugerüst steht auch noch da, schon so lange, dass es halb von Dornenranken überwuchert ist. Spanien! - Noch lange befürchten wir, dass spät nachts wieder Fäuste gegen die Tür hämmern, aber das passiert nicht. Es wird bitter kalt. Ausnahmsweise frieren sogar wir "Nordeuropäer". :-) Wir schließen alle Türen und Fenster und stellen uns zwei vorhandene Heizlüfter an, vor denen natürlich auch unsere Wäsche hängt. Bald ist der Raum schön mollig, und wir schlafen ungestört. Heute haben wir mit gut 300 km die Hälfte unserer diesjährigen Tour hinter uns.
O je, was für ein Unterschied zu Godán! Ein einziger kleiner Raum mit 6 Betten, dazu ein winziger Dusch-Wasch-Klo. Ein Pilger (Radfahrer) sitzt auf dem Boden (es gibt weder Tische noch Stühle) und frühstückt. Ein zweiter ist gerade unterwegs. Nicht einmal genug Betten hätten wir also gehabt, um hier unterzukommen. Gesegnet unser Entschluss, die paar Kilometer nach Godán zuzulegen.
Die vier Spanier, die in San Juan de Villapañada nachts noch ankamen, waren auch hier gewesen. Merkwürdig, dass sie nicht nach Godán gefahren sind. (Später erzählen sie, davon nichts gewusst und sich ein Privatquartier gesucht zu haben. Sie und wir hätten ja sogar jede Gruppe für sich eine eigene Etage in Godán gehabt!)
Dann heißt es: Vorwärts! Jetzt geht's ins Gebirge. Mir ist etwas mulmig zumute. Die Wegbeschreibung bei Michael Kasper ist einmal recht kritisch; finden wir das alles, und das in Nebel und Regen, bei schwerem Boden und steil aufwärts? - "Bangemachen gilt nicht!" Anfangs geht es einen sehr schönen Wanderweg langsam ein Tal hoch. Überall tropft's. Bald sind die Schuhe nass. Sie sind nicht regendicht, und bald quietschen auch die Socken vor Nässe. Aber überall an den Sträuchern hängen die schönsten Brombeeren, und die schmecken jetzt kalt und frisch so gut wie nie! Am Ende eine Serpentine zur Fernstraße hoch, auch machbar. Ich atme schon etwas auf.
Oben an der Straße liegt links eine Bar. Ein Hund will über die Straße zu uns hin, kommt fast unter einen Lastwagen. Da lässt er's sein. Es folgen 2 blöde Kilometer die Straße entlang. Haben wir die Abzweigung nach links übersehen? Aber überall geht es doch nur undurchdringlich ganz steil hoch. Eine große Rechtskurve, eine Brücke, Linkskurve, dann eine Ruine rechts, wie im Handbuch beschrieben. Wenige hundert Meter weiter geht ein breiter Waldweg links ab, gar nicht zu übersehen. Gelbe Pfeile leiten uns einigermaßen deutlich. Bald geht es einen sehr matschigen Hohlweg hinauf, keine gelben Pfeile mehr. Doch, in sehr großen Abständen, aber es geht einfach den Weg weiter. Michael Kasper schreibt, bald sei der Weg zugewachsen, und man müsse sich links durch den Wald bis zu einem Haus durchschlagen. Das ist wohl nicht mehr so. Man bleibt stur auf dem Weg, der auch nicht wesentlich schlechter wird und kommt fast auf der Höhe an zwei Wiesen raus. Links liegen zwei Bauernhöfe. Zwischen ihnen geht man hindurch und findet die bei Michael Kasper genannte kleine Asphaltstraße. Ich jubele, das war das schwierigste Stück heute.
Ein Waldschrat und eine Hexe als HundeschreckEin angeketteter Hund, der aber den halben Weg erreichen kann, sieht uns vom ersten Bauernhof rechts entgegen. Für ihn kommen ein unförmiger Waldschrat und eine Hexe mit einem Riesenbuckel (unsere Regenumhänge!) aus dem Wald und dem Regen. Rückwärts kriecht er durch ein Loch ins Haus. Erst als wir längst vorbei sind, traut er sich wieder raus. Den haben wir vielleicht geschockt! |
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In La Espina machen wir in einer großen offenen Betonhalle, die für Dorffeiern dient, Pause und essen etwas. Leider ist fast alles dreckig und feucht. Da kommen Susanne und Christine, für Jürgen war diese Bergtour nichts. Auch sie haben alles gut gefunden. Wir laufen getrennt weiter, treffen aber im nächsten Dorf, La Pereda, wieder zusammen. Aufgepasst: Wir ließen uns durch einen Trecker und einige Leute ablenken und verpassten die Abzweigung bei Hausnummer 39 rechts hoch. Die gelben Pfeile führen nämlich geradeaus zur Dorfkirche und von ihr etwas höher parallel zurück, bis man 100 m unter sich die Abzweigung sieht, an der man vor etlichen 100 m vorbeigekommen ist. Die spinnen, die Asturier!
Danach ging es noch viele Kilometer auf halber Höhe durch die hügelige Landschaft. Susanne und Christine waren mal vor uns, mal hinter uns, je nachdem, wie die Einzelnen Pause machten. Einige Male muss man aufpassen, weil Fahrspuren abgehen. Ein quergelegter Zweig mit einem Stein hielt uns von einer falschen Abzweigung ab. Im Tal tauchte Industrie auf, sicher schon Vorgeplänkel von Tineo. Schon dachten wir, dass die Stadt gleich um die Ecke läge, aber dann waren wir noch lange nicht da. Es muss erst ein Friedhof erreicht werden, vor dem man rechts geht. Dann muss man noch einen Hügelrücken überwinden, und dann kommen langsam einige Häuser in Sicht. Ein Fußballplatz, eine Kapelle, eine breite gepflasterte Allee, und man ist immer noch nicht da. Unterhalb liegt ein neuer Stadtteil von Tineo, aber die Altstadt ist weiter rechts. Am Ende der Allee stiegen wir Treppen hinab, zogen durch einen Vorort (ich hatte den Eindruck, dass die Leute unfreundlich guckten) und kamen so an den oberen Altstadtrand und eine große Kirche. Man läuft nun geradeaus die Calle Mayor bergab ins Zentrum. Unten (aber noch lange nicht unten im Tal) liegt links das Rathaus, in dem man sich bei der Polizei den Schlüssel holt. Wir bekamen dort später die Stempel für den Pilgerpass. Da wir mit Recht annahmen, nicht die ersten zu sein, ließen wir das Rathaus links liegen und gingen geradeaus die Altstadt weiter hinunter, an Geschäften vorbei. (Links an einem kleinen Platz liegt die Bar Los tres chicos, wo wir abends sehr gut gegessen haben.) Nochmal senkt sich die Straße, und rechts liegt ein großes altes Gebäude, das ehemalige Schlachthaus. Das ist das Refugio.
Einwandfrei das schlechteste vom ganzen Camino primitivo: Nix "24 Liegen" (Michael Kasper), sondern 18 Betten, aber Dreistock! Wie ein Schock traf mich die Erinnerung an Viana (siehe meinen Bericht von 2000). Jürgen, Carlos und Javier waren anwesend, die spanische Vierergruppe (Enrique und Co.) nicht, sie hatten aber Betten belegt. So unglücklich, dass für meine Frau und mich weder neben- noch übereinander in der 1. und 2. Etage etwas frei war. Ich war stocksauer. Schimpfte auf Spanisch, dass motorisierte Pilger gefälligst zu warten hätten, weil Fußpilger Vorrang haben. Jürgen war ganz erschrocken, fühlte sich schon mitgemeint. Javier war gleich bereit, sich ein anderes Bett zu suchen. Nein, nein, sagte ich, das werde ich mit der anderen Gruppe ausmachen, bei denen beschwere ich mich.
Tristes Refugio in Tineo | Eine Dusche, 2 Toiletten. Kein Aufenthaltsraum, ein kleiner Tisch im Schlafraum, keine Stühle. Carlos und Javier frühstückten am andern Morgen im Vorraum auf dem Fußboden. Also, Tineo ist wirklich kein Ruhmesblatt. Nach San Juan de Villapañada und Godán war man vielleicht etwas verwöhnt, aber hier konnte auch mit wenig Aufwand viel verbessert werden. Ein paar wackelige Stühle findet man z.B. auf jedem Sperrmüll... |
Enrique war der kontaktfreudigste der vier. Als er merkte, dass ich mir mit Spanisch Mühe gab, trainierte er mich regelrecht. Aber zunächst entschuldigte er sich noch für den nächtlichen Auftritt in San Juan de Villapañada und erklärte alles. Sie seien an diesem Tag den ganzen Weg von Alicante mit dem Auto heraufgekommen, um den Camino primitivo zu gehen. In Oviedo war zu ihrem Schrecken alles voll, in Escamplero auch. Deshalb kamen sie so spät, was ihm jetzt noch furchtbar peinlich war. Er, sein Arbeitskollege Antonio und dessen Sohn David, liefen brav jeden Tag wie wir, evtl. mit etwas weniger Gepäck. Jesus, sein Bruder, fuhr das Versorgungsfahrzeug. (Nach den Caminoregeln hätte Jesus nicht in den Refugios übernachten dürfen.) Nun, was sollte es, bald saßen wir alle zusammen und radebrechten um die Wette. Jesus kam aus Murcia und war kaum zu verstehen. David hatte auch Englisch in der Schule, aber er war zu schüchtern und ungeübt... Sie hätten fantastisch gut und billig gegessen, schwärmten sie und beschrieben das Lokal. Abends gingen wir dorthin: Fleitepiepen, gesalzene Preise laut Aushang. Als wir wieder zurückgingen, kamen uns Enrique und die anderen entgegen. Ob das Lokal nicht gut sei? - Das schon, sagte ich, mittags! Abends haben sie ganz andere Preise. - So war's. Also in die viel näher liegende Bar "Los tres chicos". Comedor im Hinterzimmer, wie üblich. Wir sind zu fünft, die Wirtin freut sich. Klar gibt es Menü, und Fischsuppe, und... und... Alles bestens und super. Diese kleinen Bares und Restaurants freuen sich über ein Geschäft in der Woche, und dann wird man in jeder Hinsicht bestens bedient.
Abstecher zum Kloster ObonaGegen 10h00 sind wir an der Abzweigung zur Ruine des Klosters Obona. Die 300 m wollen wir investieren. Das Kloster kommt in Sicht. Was, so weit weg? Das mit den 300 m scheint wohl nicht zu stimmen. Außerdem geht es noch in ein Bachtal runter und dann wieder rauf, fast bis an den kleinen Ort. Endlich an der Ruine. Oh, diese ist schon teilweise renoviert. Das Dach ist neu, das Obergeschoss macht sogar einen bewohnbaren Eindruck. Überall liegen behauene Ersatzsteine rum. Hm, die Arbeiten sind wohl seit langem unterbrochen. Die "neuen" Steine auf dem Boden setzen bei der dauernden Feuchtigkeit schon wieder Moos an... Jedenfalls haben wir einen schönen Lagerplatz, ein Dach über dem Kopf und zu essen und zu trinken... Guter Laune geht es um 11h00 zurück zum Pilgerweg. Pedantisch zähle ich die Schritte. Bei 600 höre ich auf, wir sind knapp vor dem Abzweig. 300 m waren also durchaus richtig. - Inzwischen ziehen schon wieder Nebel und Regenwolken heran und fangen an, das Kloster zu verhüllen... |
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Kurz darauf kommt Borres in Sicht, liegt oben auf einem Querhang. Wir gehen gerade einen sehr kotigen Weg hinunter. Vor einem Brunnen kommt uns ein Bauer auf einem Trecker entgegen. Er hält und sagt: Zum Refugio einfach hier rechts hoch! - Der Pilgerweg macht nämlich einen riesigen Bogen durchs Dorf. (Tatsächlich weist auch eine Muschelkachel darauf hin, aber die haben wir übersehen. Nur wer nicht übernachten will, sollte weiter geradeaus gehen.) Wir bedanken uns und ziehen den steilen Weg rechts hoch, an einem Bauernhof vorbei, bis zum Refugio. Wieder eine ehemalige Schule. Sie liegt zwischen zwei Höfen an einer Straße, die aus dem Ort kommt. Geschlossen, keiner da. 13h00. |
Da fährt Jesus mit dem Auto vor, ein Nachbar kommt neugierig hinzu. Ich biete an, den Schlüssel zu holen. Sie wundern sich: Jesus könnte doch mit dem Auto... Nein, nein, meine Frau und ich traben schon los. Laut Handbuch an der Kirche irgendwo... Stimmt nicht mehr! Wir fragen mehrere Leute. Den Schlüssel hat der jetzige Bürgermeister, der in einem großen Bauernhof 30 m oberhalb der Straße wohnt. Der Hof ist an einem großen Balkon zu erkennen; außerdem geht direkt rechts an ihm der weitere Verlauf des Pilgerweges vorbei. - Ich gehe vorsichtig in ein Stallgebäude (kein Hund). Vor mir ein Treppenaufgang, eine Tür. Ich klopfe und rufe "Buenas tardes." Ein Junge erscheint und holt seine Mutter. Die hat das Pilgerbuch gleich mitgebracht und den Stempel. Sie ist sehr freundlich, aber hier kann offensichtlich jeder mit Credencial den Schlüssel bekommen. Was dann in der Herberge abläuft, wird nicht kontrolliert.
Die Herberge ist dementsprechend vernachlässigt und unsauber. Wir müssen erst einmal fegen. Im Schrank liegen Essensreste, pfui! Gottlob ist oben an der Straße ein Container. Inzwischen treffen Enrique, Antonio und David, dann auch Jürgen, Susanne und Christine ein. Später noch der Radfahrer, den wir in Salas gesehen hatten, sowie sein Kumpel, der "Rastapilger" (so nannte er sich laut Gästebuch selbst), Prototyp südländischer Macho im Jesusstil, aber zusätzliche Rastalocken, die er abends sorgfältig auf seinem Kissen ausbreitete. Wenn die Räder nicht hätten repariert werden müssen, wären sie uns von Salas aus längst davongefahren...
Von 12 Betten blieb also nur eines frei. Carlos und Javier waren noch die 15,5 km nach Peñaseita weitergegangen, die 18 km nach Borres fanden sie zu wenig. Wir sahen sie nicht wieder. Man kann diese Doppeletappe machen, sollte aber beachten, dass es vor Pola de Allande über 2 Pässe geht und hinter dem Ort 3 km sehr mühsam nach Peñaseita hoch.
Das Wetter ist gut. Die Wäsche trocknet auf den Dornenhecken. Jesus winkt mir, mit zum Einkaufen zu fahren. Es soll einen Laden geben, aber wir finden ihn nicht. Der Nachbar gibt uns den Tipp: Das Haus mit den blauen Türen an der Straße. Einfach anklopfen. Außer einem Schild, dass es hier ein öffentliches Telefon gibt, ist äußerlich dem Haus in keiner Weise anzusehen, dass es ein Laden ist. Enrique klopft. Ein Mann schaut aus der Tür, fragt misstrauisch, was wir wollen. (Aha, der Laden ist wohl dem Finanzamt nicht bekannt.) Na, was wohl? - Wir gehen hinein. Drinnen ist es recht dunkel, weil alle Fenster geschlossen sind, aber wir erkennen: Bar, großer Laden, usw. Von der Decke hängen einträchtig Regenschirme und Würste. Brot? - Die alte Frau nuschelt was von Eis. Endlich geht mir ein Licht auf: Brot gibt's nur tiefgefroren, aber abends sei es aufgetaut wieder knusprig. - Wissen wir, so eines lag im Refugio im Schrank... Mangels Alternativen nehmen wir eines, dazu einige "Kannen" San Miguel, usw. Die Frau schreibt die Preise auf einen Zettel. 11,40, Mann, die schlagen hier aber zu. Ich habe schon das Geld in der Hand, was rechnet die denn immer noch? Auf einmal will sie nur noch 6,85 EUR. Ach du liebe Zeit, die Angabe vorher lautete auf 1.140 Peseten. Da hätte sie mich ganz schön übers Ohr hauen können.
Zurück im Refugio machen wir es uns in der frischen Luft bequem und schwatzen. "Mopsen", nenne ich das, wenn man herrlicherweise nichts zu tun hat, als zu faulenzen und sich auszuruhen. Körper, Nerven und Seele tanken auf.
Abends, als wir unsere Betten vorbereiten, muss der Rastapilger noch seinen Machopflichten nachkommen. Wo sie denn schlafe, fragt er Susanne. Na, unter Jürgen, neben Christine. - Was, nicht neben mir? Er spielt den Geknickten. Susanne schaut mich verständnislos an. Ich erkläre ihr, dass Machos so sein müssen, auch wenn sie mal keine Lust haben. ;-) Na, bei Susanne, jung und gut aussehend, ist es ihm sicher nicht schwergefallen...
Gegen 22h00 reißt uns das Mobiltelefon des Rastapilgers aus dem ersten Schlummer. Ich kann verfolgen, worum es geht. Er fragt: "Seid ihr die 3er- oder die 4er-Gruppe?" - Nein, es sei nur noch ein Bett frei hier. - Also okay.
Eine knappe halbe Stunde später treffen seine 3 Bekannten ein, lärmen rum, essen im Vorraum. Zwei Männer und eine Frau. Die Frau hat wie viele Spanierinnen eine unglaublich tiefe Stimme, dazu laut wie ein Feldwebel. Man stelle sich vor: Ihnen war das Refugio in Tineo nicht gut genug, und da sind sie mal eben mit dem Taxi hierher. Der ältere der beiden Männer schnappt sich das freie Bett über Christine, die beiden anderen betten sich auf den Boden, dass ich kaum an ihnen vorbei aufs Klo kann. (Zum Glück habe ich nachts immer die Taschenlampe griffbereit.) Sie wecken auch noch unsere österreichischen Freunde, ob diese ihre Isomatten auspacken und ihnen leihen. Tun sie nicht, sie haben schon fertiggepackt und müssen morgen ganz früh los. Sollen sie ihnen dann die Isomatte unterm Hintern wegreißen? Nein, die beiden Neuankömmlinge wollen auch lieber etwas hart schlafen als morgens früh raus. Wie es beliebt... Später werden sie außerdem merken, dass Jesus, Enrique und ich fürchterlich schnarchen. Tineo hätte doch auch seine Vorzüge gehabt.
8h13 ziehen wir los, sind fast die letzten. Unterwegs gabelt sich der Weg. Man kann theoretisch Pola de Allande links liegen lassen und direkt über den Pass Puerto de Palo ziehen. Als Unterkunft gibt Michael Kasper eine Viehhütte an. Hier kann man schon sagen: Unmöglich! (siehe im Bericht weiter unten)
Also den Weg Richtung "Pola" weiter. Dann kommt hinter dem Dorf Samblismo eine Wiese, die man wegen geschlossener Gatter nicht durchqueren kann. Man sollte sich aber weniger über den sturen Bauern aufregen als über die Trägheit der Anwohner, den Pfad, der neben der Wiese herführt, nicht gelegentlich freizuschneiden. Ich musste wieder "Räumpanzer" spielen, unsere Isomatten wurden abermals arg zerrupft. Kurz darauf wurde es noch schlimmer, da war der Weg völlig durch Dornen versperrt. Meine Frau wich auf die benachbarte Wiese aus, ich selbst "schlug mich durch".
Hundegebell aus dem Dorf hinter uns lässt uns vermuten, dass Susanne und Christine nahen. Ein Trecker will gerade den Hohlweg vor uns ausfüllen. Wir schlüpfen noch heraus, bedeuten ihm, dass noch mehr Leute kommen. Er bleibt tatsächlich mit dem Trecker stehen. (Nachher erzählen Susanne und Christine, dass sie keinen Trecker gesehen haben.)
Dann liegt der erste Pass, Alto de Porciles (770 m), vor uns. Da wir schon sehr hoch sind, keine große Anstrengung. Im Dorf Porciles selbst holen wir José und seinen Freund ein, die Frau ist nicht zu sehen. Wir stolpern einen kotigen Hohlweg hinunter. Da ruft José hinter uns her, dass unsere Schuhe nichts taugen. Sie selbst haben hohe Bergstiefel an, wir nur feste Halbschuhe. Mir kommt wegen diesem Besserwisser die Galle hoch: "Darin sind wir schon über 350 km gelaufen, alles in Ordnung!" rufe ich abweisend zurück. Bloß Abstand gewinnen! Auf einer schönen Brücke muss meine Frau natürlich ein Foto machen. Da kommen sie schon wieder, Susanne und Christine sind dabei. Ich renne blind los. Der Weg wird immer matschiger, geht gleichzeitig immer steiler nach unten. Nach einigen hundert Metern schaue ich erst wieder auf meine Handbuchkopie, weil ich lange keinen gelben Pfeil mehr gesehen habe. Verd... Mist! Schon kurz hinter der Brücke war eine Abzweigung.
Knirschend hüpfe ich durch den Matsch bergauf zurück, meine Frau sagt lieber nichts. Ja, an der Abzweigung ist tatsächlich auch ein gelber Pfeil geradeaus, aber sein unteres Ende ist gelb durchgestrichen. Die beiden anderen gelben Pfeile, die nach rechts eine steile Böschung hochzeigen, habe ich übersehen. Na, jetzt brauchen wir nicht mehr zu hetzen, sind eh die Letzten. :-((
Halb die nächste Höhe hoch, sehe ich jemanden hinter uns herkommen. Es ist die Frau mit der tiefen Stimme. Eines muss man ihr lassen: Sie hat einen Schritt drauf, da kommen wir nicht mit. Oben auf der Höhe vor dem zweiten Pass, Alto de Labadoiro (815 m), hat sie uns eingeholt, fragt uns etwas aus. Sie heißt María Cruz. Sie ist in Galicien zu Hause, irgendwo vor uns unweit des Jakobsweges. Macht einfach ein paar Tage Urlaub und läuft nach Hause. Den Wegabschnitt hier kennt sie noch nicht. - Bald zieht sie weiter vor uns her. Wir tun uns an den Brombeeren gütlich.
Nun ist es nicht mehr weit bis Pola de Allande. Ca. 11h30 erreichen wir die Stadt und holen María Cruz ein, die gerade eine Frau fragt, wo das Refugio ist. Ich weiß es, habe ja mein Handbuch. Das braucht sie nicht, sagt sie, sie folgt einfach den Pfeilen. (Na, viel Spaß!) - Das Refugio liegt in Peñaseita, etwa 3 km außerhalb.
Der Spanier, Ladeninhaber, hat die drei aufgelesen, möchte gern helfen. Man hat sich aber nicht verständigen können. Jetzt kann ich das Wichtigste dolmetschen. Der Ladeninhaber will einen Freund mit einem Auto mobilisieren. Jürgen macht umgekehrt klar, dass sie bezahlen können und wollen. Und vorher noch ein Mittagessen einnehmen...
Wir schlagen vor, gemeinsam zum Abschied essen zu gehen. Es ist 11h45. Ich überschlage im Kopf: 3 km hin, und 3 km ohne Gepäck zurück, alles klar: spätestens 13 Uhr sind wir wieder hier. (Wie war noch die Geschichte mit Hans Großmaul?)
Wir tippeln los, ziemlich schnell über die Landstraße. Wo kann nur dieses Refugio liegen? An einer Bar, aber mitten im Gebirge, das sich vor uns nach allen Seiten auftürmt? Laut Handbuch werden wir gleich von der Straße abzweigen und mitten in der Wildnis bergauf gehen. Ich suche die Täler links vor uns ab, nichts zu sehen. Hinter einem Haus kommt die Abzweigung, deutlich gekennzeichnet. 300 m vor uns läuft María Cruz. Wir winken sie zurück. Leute haben ihr gesagt, immer die Straße entlang. Merkwürdig. Aber sie will ja den Pfeilen folgen und schließt sich uns an.
Jetzt kommt ein sehr mühsamer Weg, wenn auch landschaftlich sehr schön. Etwas bergab, dann wieder viel bergauf. Ein Bauernhof, noch einer. Ich habe keine Ahnung, wie weit wir sind. Keine Pfeile. Ganz, ganz selten ein Muschelstein, wenn wir gerade aufgeben wollen. Durch einen Hausanbau hindurch. Weit oben ist die Straße, man sieht mehrere Gebäude. Noch ein großer Bauernhof. Ja, immer weiter, sagen die Leute. Es gibt Kilometer, die nehmen kein Ende. María Cruz bleibt zurück, telefoniert mit ihrer Tochter. Mir langt's jetzt eigentlich. Ich mag gar nicht auf die Uhr schauen. Diesen Weg bis 13 Uhr zurück, das können wir uns abschminken. Vor uns versperrt eine Kuh den Weg. Na, mit Kühen kenne ich mich aus. Einfach weiter, sie trottet vor uns her, biegt um eine Ecke. Oh, rechts geht's steil hoch. Eine Muschelkachel mit "Refugio", eine weitere zeigt auf den Weg geradeaus, da geht's also morgen weiter. Endlich alles klar! Steil hoch. Links oberhalb Stimmen, da arbeiten Leute (in einem Garten). Vor einer Wiese mit Gatter nach links und noch weiter steil hoch. Ich pfeife aus dem letzten Loch. Oben erreichen wir die Straße. Wo ist das Refugio? Links weiter liegt ein Haus. Es ist eine große Bar an der Landstraße, wo man den Schlüssel bekommt. Wer also die Landstraße einfach weitergeht, kommt hier gemütlich hoch...! Ich fühle mich gefoppt. Noch mehr, als man uns in der Bar sagt, dass wir zum Refugio die Straße hinunter müssen. Am Ende stellt sich heraus: Wenn man schon den Pilgerweg von unten kommt, sollte man durch das erwähnte Gatter die Wiese hoch und ist gleich beim Refugio.
Trotz dieser Mühen: Der Pilgerweg unterhalb der Straße ist zwar mühsam, aber doch viel schöner als die gefährliche Straße. Ich würde ihn also trotzdem empfehlen. Aber man muss sich psychisch drauf einstellen können (da hat uns das Handbuch im Stich gelassen), muss wissen, dass man sich um fehlende Wegekennzeichen keine Sorgen machen soll, da die Abzweigung nicht zu übersehen ist, und man muss für diese 3 km von Pola de Allande nicht eine halbe Stunde ansetzen wie ich, sondern eine gute Stunde. 12h45 waren wir angekommen. (Enrique erzählt, dass Antonio, David und er auf dem halben Wege zwischen Pola und dem Refugio auch verzweifelt sind. Sie dachten, sie haben den Weg verfehlt und sind dann einfach steil nach oben zu einer Gaststätte an der Straße hochgeklettert. Wir waren also mit unserer Ungeduld und Unsicherheit nicht allein.)
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In der Herberge gleich wieder Ärger. Zwei Schlafräume (oben ist alles offen) mit je 6 Betten rechts und links. Auf den ersten Blick alles belegt. Auch Enrique und Co. haben für uns nichts freigehalten. Die vier liegen links, dazu der Kumpel von José. Rechts hat sich José selbst breitgemacht, für María Cruz was reserviert... ja, und die übrigen Betten? Da liegen Sachen drauf. Sind die nun frei oder nicht? José brummelt was. María Cruz gibt ein Bett in der Mitte frei und zieht in den linken Schlafraum. Mir langt's wieder. Ich knalle meinen Rucksack auf das mittlere Bett unten, meine Frau belegt das Bett oben. José zuckt mit den Schultern. |
Ich frage Enrique, ob Jesus zufällig mit dem Auto zum Einkaufen in die Stadt fährt, weil wir uns eigentlich jetzt (es ist 13 Uhr) von Jürgen und Co. in Pola verabschieden wollten. Hatte Jesus nicht vor, aber Enrique holt sich sofort den Autoschlüssel und bietet uns an, uns nach Pola zu fahren. Wegen unserer Freunde gebe ich gegen meine Gewohnheit nach, bin sonst nicht gern in anderer Leute Schuld.
Es kommt noch besser. Jürgen, Susanne und Christine warten brav im Laden. Ich erkläre Enrique das Problem mit dem Bus. Da sagt er doch glatt: "Kein Problem, ich fahre sie mit dem Auto nach Fonsagrada." (Immerhin mehr als 60 km entfernt!) Außerdem schlägt er vor, dass wir alle noch einmal oben in der Bar am Refugio essen gehen sollen. Wir sind ganz platt, stimmen aber begeistert und dankbar zu. Der Ladenbesitzer ist nicht froh, jetzt kann er nicht mehr den Retter spielen. - Wir kaufen noch blitzschnell Vorräte ein, dann fahren wir alle im Auto zurück.
Ein tolles Essen und ein schwerer AbschiedDas Mittagessen zu neun (Jesus, Antonio und David sind natürlich dabei) gehört zu meinen schönsten Erinnerungen. Was haben wir getafelt, geschwatzt und gelacht! Jesus erzählt, wie ihn ein brauner Stier, der sich losgerissen hatte unten an der Wiese übers Gatter gejagt hat. Himmel, das muss unsere braune "Kuh" gewesen sein! Oder hat Jesus sich vertan? Nein, später zeigt er uns den Stier, der wieder friedlich auf einer anderen Wiese bei seinen wiedergefundenen Kühen grast. |
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Später erkunden wir noch die Straße bergauf, aber wir kommen nicht an eine Stelle, von wo man aus gut die vor uns liegenden Berge sehen kann. - Spät am Nachmittag keuchen noch 3 junge Spanier zur Tür herein. Ob noch Betten frei sind; ich kann's nicht sagen. Sie belegen einfach unter José und das Doppelstockbett neben uns, legen die Sachen, die darauf lagen, einfach auf Josés Bett. Recht so. Sein Kumpel stürzt zu uns rüber und zählt und zählt. Er meint, da fehle ein Platz. Ich rechne ihm vor, dass es genau 12 Betten und 12 Leute sind. Er sieht's ein. - Der eine junge Spanier merkt, dass wir Deutsche sind, schüttelt mir freudig die Hand und schwatzt irgendeinen begeisterten Unsinn von seiner Liebe zur Natur und den Deutschen... Ich wehre ab, sage, dass die Spanier auch sehr sympathisch und tüchtig sind. Später kommt nach und nach heraus, dass sie ein Auto in Pola gelassen haben und sich die Liebe zur Natur in den 3 km hier hoch erschöpfte... Also keine echten Pilger.
Abends versorgte José seine schlimm verletzten Füße, während wir wie üblich keine Probleme hatten. Wahrscheinlich war seine Bemerkung über unsere unzureichenden Schuhe nur etwas ungläubiger Neid gewesen.
Das Refugio ist eigentlich sehr schön, allerdings ohne Küche (klar, bei der nahen Bar). Ein weiterer Nachteil ist, dass alle Räume nach oben offen sind, selbst die Toiletten, so dass man geräusch- und geruchsmäßig im ganzen Refugio alles mitbekommt. Nachts höre ich um 4h15 (mein Wecker lässt sich beleuchten) eine Dusche. Leute laufen rum, rascheln, flüstern, kichern. Ich sehe, dass der junge Spanier unter José mit Sachen unterm Arm abzieht. Morgens liegen er und María Cruz vor den Schlafräumen im Aufenthaltsraum auf dem Fußboden. Es soll so furchtbar geschnarcht worden sein... Nun ja, aber das war sicher 2 m weiter, hinter einer dünnen Wand, die oben offen ist, kaum leiser. Und deswegen mit Duschen alle wecken? Eine undurchsichtige Geschichte.
Auf einmal ein zertrampelter Platz, alles schwarz und voll langer Pferdehaare. Hier musste etwas passiert sein. Und da lag ja noch ein Pferdekadaver im Gebüsch! Jedenfalls sah ich ein Hinterteil und zwei Beine, aber sehr klein, wie von einem Fohlen. Meine Frau tippte auf Blitzschlag. Ich zweifelte. Das Schwarze konnte getrocknetes Blut sein, aber wer bringt hier ein Pferd um? Äh, Wildschweine nicht, aber (schluck) Bären! (Auf Fotos hatte ich gesehen, dass Asturien sich seiner Bären rühmt.) Es stank ganz schön. Daher machten wir, dass wir weiterkamen. Meinen Verdacht auf Bären behielt ich für mich. Als meine Frau etwas später meinte: "Da raschelt was im Gebüsch, muss ein Tier sein.", standen mir doch leicht die Haare zu Berge. Hoffentlich ließ ein Meister Petz sich von Waldschrat und Hexe ebenso erschrecken wie ein Hofhund... Aber Bären sollen ja sehr scheu sein und Menschen aus dem Wege gehen. Wenn man nicht gerade über sie stolpert, und unser Weg ging nun durch dichtes Wacholdergebüsch, das wir mit beiden Armen zerteilem mussten, ohne mehr viel zu sehen.
Ich ließ mich in der Richtung von meinem Gefühl leiten, wählte aber jede Alternative nach oben. Wir erreichten Bäume. Rechts erklang ein Sirren und Summen. "Die Strommasten, man kann sie hören!" rief meine Frau. Das war schon mal gut, wir hatten sie trotz des Nebels nicht verloren. Ein wenig später: Motorengeräusche schräg links über uns: die Passstraße!
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Jetzt durfte eigentlich nichts mehr passieren. Wir erreichten eine große Viehtränke. Die Sicht wurde etwas besser. Über uns geradeaus vermutete ich den Pass (das war richtig). Eine größere Piste ging aber vom Brunnen aus erst noch einmal in einem großen Rechtsbogen weg. Da uns dieser Weg sicherer erschien, folgten wir ihm, und zu unserer Erleichterung schwenkte er bald in die Richtung ein, in der wir den Pass vermuteten. Nur wenig später sahen wir vor uns Leitplanken. Wir hatten es geschafft! Vor Erleichterung schon wieder zu Späßen aufgelegt, spielte ich den halb Ohnmächtigen, der über das schiefe Schild "Camino de Santiago" hing, direkt unter dem Hinweis "Puerto de Palo, 1.146 m". |
Kurz darauf erreichten wir eine Ruine zur Linken. Wie wir wussten, kam hier der Pilgerweg von rechts herunter und führte an der Ruine vorbei steil nach unten weiter. Nun, wir machten erst einmal Pause und ließen uns einen Liter Milch schmecken. 10h46. Pause beendet. Wir wollen die Straße weiter, schauen aber noch einmal neben der Ruine hinunter auf die Pilgerwegfortsetzung. Zu unserer Verblüffung wird es auf einmal heller, und unten erscheinen niedrigere Höhen, ebenso unser nächstes Teilziel, das Bergdorf Montefurado. Wenn man den Weg also sehen kann... Ja, dann doch nichts wie hier hinunter! Zu unserer Freude wird es jetzt schnell heller. Der Nebel reißt immer mehr auf. Es ist nicht zu fassen, sogar die Sonne kommt ein wenig raus. Der Hang ist sehr steil, ein Pfad kaum zu sehen. Wir folgen wieder einmal Strommasten hinunter, haben aber vor allem das Dorf im Auge. Ein viel längerer Weg, als es von oben aussieht, dafür nicht so gefährlich, wie es von unten aussieht.
Vor der schönen Kapelle am Dorfeingang von Montefurado legen wir eine größere Pause ein. Wäsche trocknen, Sonne tanken. Etwas weiter schaut ein Bauer neugierig zu uns rüber, das Dorf ist zur Hälfte bewohnt. Wir genießen den Blick auf die fantastische Bergwelt ringsum. Inzwischen kann man bis auf den Pass oben sehen und alle Serpentinen der Straße verfolgen. Was für ein Glück, dass wir den Pass nicht früher überquert haben, wie die andern vor uns. So entging ihnen dieses herrliche Bild ringsum. Ich spreche an der Kapelle ein Dankgebet. | Kapelle in Montefurado |
Der weitere Weg bis zu unserem Tagesziel La Mesa war einfach und bot zunächst weiterhin schöne Fernblicke auf die Bergwelt hinter uns. Es ging langsam bergab, bis wir den größeren Ort Berducedo erreichten. Ein Mann kam auf uns zu: "Seid ihr die drei Pilger, die mein Taxi nach Pola de Allande bestellt haben?" - Nein, sicher nicht. (Durchzählen hätte genügt.) Soso, auch hier fuhren Pilger mit dem Taxi rum. Evtl. die drei jungen Leute von heute Nacht, die ihr Auto in Pola stehen hatten... Zwei Häuser weiter ein kleiner Laden mit integrierter Bar. Hier wurde Verpflegung gefasst, denn am heutigen Zielort La Mesa war mal wieder der Hund begraben. Durch den Ort, an einigen meist uninteressierten Hunden vorbei, durch einen Wald, dann eine riesige Schleife an einem Tal entlang. Links grasten halbwilde Pferde im Gebüsch. Der Zielort La Mesa war seit langem zu sehen. Er lag immer noch ziemlich hoch, schätzungsweise 800 m. Endlich hatten wir ihn erreicht.
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Gleich das erste große Haus links (mit dem Schild, dass es hier ein öffentliches Telefon gibt) gehört dem Bürgermeister, und da gibt's auch den Schlüssel. Wir gingen aber erst einmal zum 300 m entfernten Refugio, zumal beim Bürgermeister außer mehreren frechen kleinen Kläffern niemand zu sehen war. Refugio wie gehabt, eine ehemalige Dorfschule. Geschlossen, keiner da. Vor dem Haus zwei große Kartons mit Müll, die Vorgänger lassen grüßen... Bänke und Tische, meine Frau lässt sich nieder. |
Wir beziehen die Herberge. Erst mal den ganzen Müll zum Container oberhalb des Hauses bringen. Unsere Vorgänger, die Kerle, haben wohl auch wie die Wilden geduscht. Sogar im Schlafzimmer steht Wasser. Meine Frau wischt es auf. Wir belegen zwei Betten. Im Gästebuch lesen wir, dass alle unsere Pilgerfreunde (Enrique und Co., José, María Cruz, usw.) hiergewesen sind, Pause gemacht haben, aber weitergegangen sind. Schlappe 14 km bis Grandas de Salime, haben sie gedacht, die machen wir doch noch eben. Wie man im Weiteren lesen wird, ist davon dringend abzuraten. Alle, die wir später getroffen haben, haben diesen Entschluss bereut. Man sollte in La Mesa bleiben.
Auch wenn dort das Schlafzimmer immer wieder unter Wasser steht, wie wir im Gästebuch lesen. Wie bitte?! Wir schauen ins Schlafzimmer: Tatsächlich, da schwappt es schon wieder aus den lockeren Bodenfliesen hervor. Wir nehmen zwei andere Betten, in einer Ecke, wo der Boden trocken bleibt. Ein erheblicher Nachteil dieser sonst guten Herberge.
Es kommt niemand mehr. Woher auch? - Wir gehen noch einmal zum Haus des Bürgermeisters und lernen ihn und seine Frau kennen. Nette und freundliche Leute. Er hat auch die Aufsicht auf das örtliche Telefon (siehe das Schild), das natürlich unsere Telefonkarte nicht mag. Eben nach Hause angerufen, dass alles in Ordnung ist. 1,70 EUR, naja. Sonst haben wir noch einen schönen Nachmittag und Abend mit etwas Sonne vorm Haus. In dieser Einsamkeit schläft es sich auch gut. Den Schlummertrunk muss man sich aber mitbringen...
Ich habe mir den Abstieg für den interessierten Leser genau notiert, damit man an einigen Wegemerkmalen erkennen kann, wie weit man ist. (Achtung: die Aufzeichnungen habe ich abends aus dem Kopf gemacht. Irrtum vorbehalten.)
Während des Abstiegs machten wir eine kleine Pause und hörten auf einmal Stimmen über uns. Da kamen noch mehr herabgeklettert. Aber bevor die Wanderer (Pilger?) zu sehen waren, gingen wir weiter.
Die tiefere Piste geht nach einigen 100 m durch einen Einschnitt und steigt dann sogar noch einmal leicht an, um eine Hangnase herum. Dann fällt sie wieder. Es geht weiter in Richtung Staumauer. Dann folgt ein großer Einschnitt, durch den sich die Piste in einer Serpentine hindurchwindet. Hier sahen wir eine merkwürdige Turmruine, rund, aber in etwa 2m Höhe wie sauber abgeschnitten. Drinnen standen abgedeckte Steinkästen, in denen ich Bienenstöcke vermutete. (Das stimmte, wie wir später erfuhren.) Die Ruine eines alten Wachtturmes? Erst Wochen später zu Hause sah ich eine Reportage aus Nordspanien, die das Rätsel löste: Es war gar keine Turmruine. Die Mauer war ein Bärenschutz! (Also gab's tatsächlich Bären in dieser Gegend!) - Wie ich es schon vorausgesehen hatte, kamen unsere "Verfolger" in Sicht, als wir den zweiten Teil des Einschnitts zurückliefen, sie waren uns gerade gegenüber. Ein Mann und zwei Frauen, wohl keine Bekannten. Wir winkten hinüber, und sie winkten zurück.
Die Piste folgt dem Hang etwa 2 km, kaum fallend. Man erreicht wieder Baumwuchs, und etwas später zweigt plötzlich ein Pfad scharf links steil nach unten ab. Das war die Abzweigung, die Michael Kasper nennt. Inzwischen wähnten wir uns längst oberhalb der Staumauer, aber es ging noch in großen Serpentinen weiter in dieselbe Richtung. Erst ca. 700 m hinter der Staumauer kommt man endlich unten auf der Landstraße heraus.
Wir besichtigten alles in Ruhe und hofften dann auf einen Kaffee in einem Hotel am Stausee, aber es wurde gerade umgebaut und hatte geschlossen. Also versorgten wir uns aus den Rucksäcken, als die drei anderen Wanderer grüßend vorbeizogen. Es waren tatsächlich Pilger, eine Familie aus Oviedo. Wir sollten sie ein paar Tage lang dauernd wiedertreffen. - Nun folgte ein Stück Landstraße. In einer Kurve noch einmal ein Aussichtspunkt. Wir staunten über die aufragende Höhe vor uns, die wir heruntergekommen waren. Wo genau, konnte man nur raten. Ganz oben grüßten die Windräder. Das Wetter wurde besser. Etwas weiter war sogar Sonne.
Ich kämpfte mich durch Farnkraut hoch, fand oben eine Kurve nach rechts, und von da schien der Weg, wenn auch überwuchert, einfach parallel zur Straße nach Grandas de Salime zu gehen. Ich rief meine Frau, dass es machbar sei, und sie kam hinter mir her. Naja, es war doch ganz schön happig. Von wegen "Waldweg", wie Michael Kasper schreibt! Es ging immer in dichtem Bewuchs den Abhang entlang. Mit dem Stock tastete ich nach rechts, um nicht abzustürzen, und tatsächlich fuhr der Stock einige Male ins Leere. Der Pfad war zwischen sehr viel Farnkraut und manchen Dornen und Ranken kaum auszumachen. Zwischendurch wurde es auch mal vorübergehend besser. Von links kamen mehrere Fußpfade hinzu. Einmal lag rechts am Hang wieder eine Ruine mit Bienenstöcken darin.
Endlich stieß nach etwa 1 km von links ein etwas größerer Weg dazu, und danach wandelte sich der Pfad tatsächlich zu einem sehr schönen Wald- und Wanderweg. Aber nach weiteren 500 m war auch schon der Stadtrand erreicht. Der Leser möge selbst entscheiden, ob sich dieser Weg lohnt oder ob man besser die Straße läuft. Als offizieller Jakobsweg ist er eigentlich eine Zumutung.
Es war nach Tineo die schlechteste Herberge des Camino primitivo (wenn man Salas vermeidet), in vielem mit der von Tineo vergleichbar, z.B. 6 Dreistockbetten. Im Gästebuch stand viel Kritik. Ich schrieb daneben, dass sie wohl nicht im Refugio von Tineo gewesen seien. Denn immerhin waren hier in Grandas de Salime die Einrichtungen (Dusche und Toilette) intakt und sauber. Dann las ich noch im Gästebuch das Stoßgebet: "Herr, gib mir genügend Kraft, vor dem Pilger herzulaufen, der mir mit seinem Schnarchen die Nächte vermiest hat." War ich damit gemeint? Evtl. ja, und der Eintrag könnte von dem jungen Spanier gewesen sein, der in Peñaseita mit María Cruz in den Vorraum geflohen war. Dann war das ein bisschen ungerecht und unverständlich, denn Enrique und noch mehr Jesus, mit denen zusammen sie jetzt eine Etappe vor uns herliefen, schnarchten doch auch furchtbar. Na, ich schüttelte mir das aus dem Pelz.
Wieder hatten wir das Reich für uns allein. Zwischendurch erschien ein Pfarrer mit einer größeren Jugendgruppe, doch man kam gottseilob überein, dass hier wohl zu wenig Platz sei. Erst spät am Abend kam noch ein Radfahrer, der uns aber nicht störte. Eher wir ihn, denn wir hatten wie üblich einen anderen Rhythmus: abends früher rein und morgens früher raus. Er war auch bemerkenswert einsilbig und sprach außer einem Gruß kein einziges Wort...
Ich versuchte zweimal, im Pfarrzentrum von Fonsagrada anzurufen und uns anzukündigen. Beim ersten Mal sagte eine Stimme zur Antwort Unverständliches, irgendeine Floskel. Ich war verwirrt und frustriert. Wahrscheinlich hieß es "Falsch verbunden!" Ich nahm mir ein Herz und wählte noch einmal die Nummer. Diesmal wenigstens ein Anrufbeantworter. Ich kündigte an, dass am nächsten Tag zwei deutsche Pilger im Refugio nächtigen wollten. Das musste reichen...
Gemäß einer Empfehlung im Pilgerbuch besuchten wir ausführlich das Regionalmuseum. War wirklich sehenswert, vor allem, wenn man sonst nichts zu tun hat. Dann taten wir uns etwas schwer, einen Supermarkt zu finden. (An der Bar, wo man die Schlüssel bekommt, die Hauptstraße weiter hoch. Links folgt zunächst ein Restaurant, in dem wir zu Abend gegessen haben. Dann rechts der Supermarkt, ab 16 Uhr geöffnet.) Die Kirche hat einen Vorbau, der ganz um das Gebäude herumführt. Es muss wohl viel regnen hier, und da können sich die Kirchenbesucher unterstellen, bzw. man kann sogar einen kleinen Markt abhalten, wenn man will. 20 Uhr besuchten wir die Abendmesse. Das war fein, denn in früheren Orten hatten wir selbst am Sonntag nichts gefunden. Danach zum Essen. Das Restaurant neben der "Schlüssel"-Bar (gehörten die zusammen?) kam uns abweisend vor, wir gingen in ein anderes, weiter die Straße hoch. Mal wieder die einzigen Gäste im Speisesaal. Kein Menü, aber Speisekarte. Ich stellte fachmännisch etwas zusammen. Meine Frau und ich tauschten dann jeweils die Hälfte der Portionen und hatten damit quasi ein Mehr-Gänge-Menü. Die Wirtin war enttäuscht, dass wir auf Nachtisch und Kaffee verzichteten. "Deutsche Touristen" sagte ich zu ihr schulterzuckend. Sie nahm es hin, bekam auch ein angemessenes Trinkgeld, was sie endgültig versöhnte.
Die Pilgerfamilie aus Oviedo war nicht im Refugio. Wir stellten später fest, dass sie in (wohl vorgebuchten) Privatquartieren unterkamen. Ansonsten waren es aber echte Pilger.
Beim übernächsten Dorf, Malneira, mochte ich wegen eventueller Hunde gar nicht mitten über einen Bauernhof nach rechts abgehen, aber nur 20 m weiter gibt's eine weitere Abzweigung, die sofort auf den richtigen Weg führt. Nun kam ein landschaftlich schöner Weg, den wir sehr genossen. Lange ging es auf Weidewegen in einiger Entfernung an Dörfern vorbei. Eine Kapelle am Weg war ausnahmsweise mal geöffnet. Einige Zeit später, längst wieder auf der Landstraße, erreichten wir unser Teilziel Peñafuente. Hier machten wir oberhalb der Kirche eine etwas längere Pause und aßen. Von einem benachbarten Bauernhof, auf dessen Wiese sich zwei Strauße tummelten, kamen ein paar Hunde zu uns herüber, aber sie waren sehr lieb und wollten uns nur begrüßen und gestreichelt werden.
Dann kamen wir an der Passstraße raus. Rechts ein verblasster gelber Pfeil: Nein, da sollte man nicht weiter, sagte das Handbuch. Geradeaus einen Hohlweg hoch oder Linksbogen durch ein Dorf. Hm, der Hohlweg war etwas kürzer, das Dorf vielleicht voller Hunde... also den Hohlweg hinein. Zum Glück war er einigermaßen freigeschnitten... - Ja, ganze 400 m, genau so weit, dass man nicht mehr zurück wollte. Ab da schlug uns der Stechginster, über 2 m hoch, über dem Kopf zusammen. Ich musste mal wieder "Räumpanzer" spielen... Rechts von uns führte eine breite neue Piste die Höhe hoch zu den üblichen Windrädern. Evtl. ist das nicht der schönste, aber der einfachste Weg. Wir waren sehr erleichtert, als wir den zugewachsenen Hohlweg verlassen konnten. Oben auf der Höhe (kalt, windig, keine Sicht) ging's zwischen den Windrädern hindurch. (Hier kam auch von rechts die neue Piste hoch.) Damit überschritten wir die Grenze von Asturien nach Galicien. Die Passstraße wechselte dementsprechend ihre Nummerierung von AS-28 nach C-630. Dann wanderten wir auf der anderen Seite hinunter bis zu einer T-Kreuzung, von der es links ein Stück wieder steil hinaufging, bis man endlich eine Piste erreichte, die stetig bergab zur Landstraße führte. Es war bitterkalt, alles versank in Wolken. Wir flüchteten in das angekündigte Gasthaus, das wir schon von oben gesehen hatten. Drinnen war es warm. Wir tranken einen (recht teuren) Kaffee und sprachen etwas mit der älteren, freundlichen Wirtin. Nein, dieses extreme Wetter sei völlig unüblich. Ich brachte einen Witz an, mit dem ich die Spanier noch einige Male gefoppt habe: "Das soll Spanien im August sein? Das ist doch Deutschland im November!" - Jedenfalls hatten wir den Pass und damit die Hälfte der heutigen Strecke geschafft. Ich vergaß ganz, nach einer Unterkunftsmöglichkeit zu fragen. Nein, wir fühlten uns noch fit für den Rest bis Fonsagrada. Die Etappe aufzuteilen, kam mir gar nicht mehr in den Sinn.
Hinter einem Steinbruch folgt ein schnurgerades Stück auf der Straße. Man passiert einige Häuser links, dann kommt, ebenfalls links ein Bauernhof. Waren das nicht gelbe Pfeile? - Jawohl, eine Abzweigung, die nicht im Handbuch steht (das einen weiter auf der Straße laufen lässt). Zur Vorsicht fragte ich die Bäuerin: Ja, hier gehe der Pilgerweg ab, halb über den Hof. Dahinter folgt ein Wiesenweg mit schöner Aussicht nach links. Außerdem eine ganz neue Pilgerkapelle, für die alte Steine und Ornamente genutzt worden sind. Hier hat ein Pilgerfreund viel investiert. 50 m weiter ein Rastplatz mit Aussichtspunkt, aber ohne Wasser. Blick zurück auf die Höhe von Acebo. Einige 100 m weiter erreicht man wieder die Straße.
Etwa 1 km weiter links abermals wenige Quadratmeter Pilgerautobahn, diesmal aber zusätzlich mit einem dicken gelben Kreuz: "Hier nicht entlang!" Also auf der Straße bleiben. Man geht einen großen Linksbogen und erreicht das Dorf Paradanova, schon kurz vor Fonsagrada., unserem Tagesziel. Dieses liegt sehr hoch, an die 1.000 m, und von dort sieht man, dass der bisherige Pilgerweg völlig richtig geführt wird. Folgte man dem Abzweig mit der begonnenen Pilgerautobahn, müsste man in ein tiefes Tal hinab und dann sehr lange und steil nach Fonsagrada hoch. - So bleibt man durch den Linksbogen ziemlich auf der Höhe. Nichtsdestoweniger geht es hinter Paradanova rechts von der Straße noch einmal steil hoch. Nun, das Ziel ist greifbar nahe; da stapft man mit mobilisierten Reservekräften mutig hoch. Die Wegekennzeichen sind leider spärlich. Wir liefen richtungsmäßig immer geradeaus und ließen die Stadt zunächst oberhalb links liegen. Es ging über kleine Asphaltstraßen, an Industrie und einzelnen Häusern vorbei. Dann ist man oben und hat nach rechts eine schöne Aussicht auf die Landschaft. Die Straße verzweigt sich, links liegen Lagerhäuser. Man bleibt richtungsmäßig geradeaus (und macht dabei einen unmerklichen Bogen nach links), bis man die geschlossene Bebauung und eine gepflasterte Straße erreicht. Eines der ersten Häuser bot eine Unterkunft an. Hier standen schon Wanderschuhe im Fenster, wahrscheinlich die Familie, die uns vorher überholt hatte.
Es war wohl der Bewegungsdrang nach dieser langen Tour, der uns ungeduldig weiterziehen ließ. Die Straße, die wir gekommen waren, einfach geradeaus weiter bis zum Stadtrand, an einer großen Tankstelle vorbei auf die Fernstraße bis zum Vorort Padrón. Der Pilgerweg durchquert in einem Rechtsbogen das Dorf, das aber nichts bietet, um dann wieder links auf die Fernstraße zu kommen. Direkt an ihr, gegenüber dem Dorf, liegt das Refugio, mit einem schönen alten Holztor. Links in den Hof und zum Nebeneingang; nur durch ihn wird das Haus betreten. Leider natürlich geschlossen, keiner da. Da standen wir blöd. Wir ratschlagten, wo wir die Rucksäcke zurücklassen wollten. War da nicht im Haus ein Geräusch? Wir klopften nochmal und riefen leise. Keine Reaktion. - Nun gut, wir versteckten die Rucksäcke in der Nische der Wäschewaschanlage und machten uns ergeben auf den Weg in die Stadt zurück. Das ging schneller als gedacht. Es ist der alte Effekt: Einen Weg das erste Mal zu gehen, kommt einem immer länger vor als beim zweiten Mal... |
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Hätten wir nur gewusst, dass das Refugio von Fonsagrada ausnahmsweise mal eine richtige Küche mit allen Schikanen hat, dazu einiges an Vorräten (Kaffee, Nudeln, usw.), die man gar nicht kaufen muss.
So nahmen wir nur Vorräte mit, die man nicht kochen oder braten musste. - Vom nördlichen Stadtrand aus hatte man einen herrlichen Blick in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Hier konnte ich mich davon überzeugen, dass es besser gewesen war, über die Landstraße zu ziehen, als einer etwaigen künftigen Abkürzung durch das tief eingeschnittene Tal vor der Stadt zu folgen (s.o.).
17 Uhr waren wir am Refugio, der Pfarrhelfer fuhr Minuten später mit dem Auto vor. Zunächst zeigte er uns das Haus: vom Feinsten! Vierbettzimmer, alles gemütlich holzgetäfelt. Aufenthaltsraum, Küche, im 1. Stock ein verglastes Zimmer wie ein Wintergarten. Sicher das beste Refugio des Weges und eines der besten in ganz Spanien, aber auch etwas außer Konkurrenz: Es ist eben nicht nur eine Pilgerunterkunft, sondern vor allem ein Pfarrheim, mit dem andere Refugios natürlich nicht konkurrieren können. Die abgeschiedene Lage ist allerdings ein Nachteil, man ist ganz an das Haus gebunden.
Zu unserer völligen Verblüffung steht auf einmal José unten im Aufenthaltsraum. Ja, wo kam der denn her? Er erklärt etwas verlegen, er habe wegen seiner lädierten Füße nicht weitergekonnt und sei so zurückgeblieben. Sein Urlaub sei ohnehin beendet, und er fahre morgen mit dem Bus nach Hause. - Dieser Schlumpf! Er war im Refugio gewesen, als wir vor der Tür standen und klopften, hatte sich aber nicht bemerkbar gemacht, weil er wohl Anweisung hatte, niemanden einzulassen. Erst als wir mit dem Pfarrhelfer kamen, machte er auf. - So ein Blödsinn! Diese Kontrolle ist wieder zu streng. Wenigstens hätte er uns die Rucksäcke ins Haus tragen lassen sollen. Auch wäre ein Hinweis auf die Küche sehr hilfreich gewesen.
In Fonsagrada sich unbedingt zuerst in der Stadt im Pfarrbüro oder beim Pfarrer anmelden. Sonst wird man im Refugio nicht eingelassen.
José hatte sogar ein Einzelzimmer, neben dem wintergartenähnlichen Raum im 1. Stock. Wir richteten uns ein. In der Küche viele Fliegen, die ich mit der vorhandenen Fliegenpatsche erlegte. Ein ziemlich voller Abfallsack im Mülleimer, ein halbvoller auf dem Tisch. Ich brachte den vollen zum Container draußen und stellte dafür den halbvollen in den Eimer. Meine Frau machte eine Tütensuppe heiß. Ich schnitt Brot. Mittendrin erscheint der Pfarrhelfer wieder und holt José zur Vorabendmesse ab. Ob wir mitwollen? - Na, die sind gut! Ich lasse doch die halbfertige Suppe und alles andere nicht stehen. Wir wären gern in die Messe gegangen, hätten sogar den Transport akzeptiert, wenn sie nur ein Wörtchen gesagt hätten...
Auf einmal stehe ich blutrot im Gesicht da. Mensch, ich habe doch vor zwei Stunden den halbvollen blauen Müllbeutel vom Tisch in den Mülleimer gestopft... Das war gar kein Müllbeutel, das waren wieder mal Josés Vorräte, an denen ich mich vergriffen habe (siehe Borres). Jetzt reicht ein kurzes "Lo siento!" (Tut mir Leid) nicht. Ich gebe eine Reueszene nach Südländer Art zum besten. José glaubt mir, was bleibt ihm auch anderes übrig? Meine Frau steht fassungslos über meine Dämlichkeit dabei. Dabei hatte ich nur aufräumen wollen und war Opfer einer unwillkürlichen Fehldeutung geworden: Die Einkaufsbeutel hier hatten exakt dieselbe blaue Farbe wie bei uns zu Hause die Müllbeutel, sonst keinerlei Kennzeichen und passten auch natürlich wunderbar in den Mülleimer, in dem ja auch schon ein gleicher Beutel gewesen war... Trotzdem, sowas Peinliches! - José musste zum Schluss lachen. Wir saßen danach noch zu dritt zusammen im Wintergartenzimmer und unterhielten uns etwas. (Dabei muss ich endlich auch nach seinem wirklichen Namen gefragt haben, aber ich habe ihn wohl vergessen.) Leider verstand ich sein Spanisch kaum. Das Gespräch verebbte bald. Auf dem Tisch lag ein Pilgerwegführer. Die Seiten mit den weiteren Etappen waren grob herausgerissen...
Das Dorf Montouto kam in Sicht. Man durchquert es an seinem oberen Rand, mit Häusern links und rechts. Hunde? - Au wei, da liegt wieder mal ein Schäferhund mitten auf unserem Weg zu dösen. Es half nichts, wir mussten an ihm vorbei. Er tat uns auch nichts, schaute nur kurz auf und blieb liegen. - Ich habe doch den Eindruck, dass viele Hunde ab Oviedo Pilger gewöhnt sind. - Hinter dem Dorf gab es einige Wegeverzweigungen, und wir liefen am Ende auf eine Höhe zu, über der eine Hütte aufragte. Links unter uns eine riesige Straßenbaustelle, recht hässlich in dieser schönen Landschaft. Als wir die Höhe gewonnen hatten, stellte sich die "Hütte" als Kapelle heraus. Sie gehört schon zu einem Ruinenkomplex, der die Reste eines mittelalterlichen Hospitals darstellt.
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Diese Ruinen, zum Teil rekonstruiert, haben mich sehr beeindruckt. Selten habe ich am Pilgerweg wie hier das unmittelbare Gefühl gehabt, am früheren Pilgerleben noch teilzuhaben. Hier eine Steinleiste an einer Mauer vor einem Eingang: Da haben die erschöpften oder sogar kranken Pilger gesessen und auf Aufnahme gewartet. Dort ein großes Mauerviereck mit einer Feuerstelle. Hier haben sie zusammen gesessen und sich gewärmt. Der kalte Wind, der uns um die Ohren pfiff, zeugte davon, wie schwer das Leben hier früher gewesen ist. Die großen Steine der Bauwerke müssen ungeheure Kraftanstrengungen erfordert haben. - Das Ganze liegt auf einem Sattel, zwischen den eigentlichen Höhen. Sogar die Michelin-Karte vermerkt den Berg "Hospital" samt Höhenangabe. Wieder fragte ich mich, warum die Pilger hier wirklich über den Pass laufen mussten und nicht einem Weg wie die heutige Fernstraße um das Bergmassiv herum gefolgt sind... |
Zwei Kurven weiter erreichten wir geschlossene Bebauung, das Dorf Paradavella. Es war ja Sonntag, und eine Reihe von Leuten stand vor den Häusern und schwatzte, die Hunde, wie gewöhnlich, dabei. Kaum waren wir in Sicht, sprangen ein Schäferhund und zwei weitere, noch größere Ungetüme laut bellend auf uns zu. Wir gingen wie üblich hintereinander, meine Frau voran, unsere gewöhnliche Position bei Hundegefahr. Ich war nicht sehr nervös, denn solange die Besitzer in Sicht sind, kann einem doch nichts passieren, oder? Wir grüßten die Leute, aber diese glotzten nur, rührten keinen Finger, ihre Biester zurückzurufen, sondern setzten sogar noch ein hämisches Lächeln auf, als unser Vormarsch ins Stocken geriet, weil eine weitere Schäferhündin uns jetzt ernsthaft den Weg blockierte. Stehen bleiben heißt Angst zeigen. "Rechts rüber", sagte ich halblaut, und wir schwenkten vom linken Bürgersteig über die Straße nach rechts. (Warum kam jetzt bloß kein Auto, das die Hunde verscheucht hätte?) Von der anderen Straßenseite sahen wir, warum die Hündin nicht gewichen war: hinter ihr drängten sich zwei kleine Welpen. Das hätte gefährlich werden können. Endlich ließen die Hunde von uns ab, aber von vorn kam schon der nächste. Nie habe ich mir so sehnlich gewünscht, das Pfefferspray dabeigehabt zu haben. Dann hätten wir diesen miesen Dörflern mal gezeigt, was wir mit ihren Lieblingen auch anstellen können. Im Geiste sprach ich den großen Pilgerfluch über dieses feindselige Dorf aus. Mögen ihre Hunde nur noch Welpen mit Schlappohren bekommen! ;-) Noch heute kommt mir die Wut hoch, wenn ich an Paradavella denke.
Ohne zu zaudern also dort hoch bis zur nächsten Wegverzweigung. Hm, keinerlei Hinweis. Wir suchen vergeblich herum und wissen nicht weiter. Meine Frau sagt: "Einfach nach links", aber ich will nicht, da davon nichts im Handbuch steht. Übrigens von der ganzen Abzweigung nichts. Da kommt unten im Dorf die Pilgerfamilie in Sicht, die uns jeden Tag überholt. Mal sehen, was die machen. Erst werden sie wie wir von den Hunden angegangen, halten sich aber wacker, sprechen einfach die Leute an und bleiben stehen. Dann gehen sie weiter, werfen nur einen Blick auf den Wegestein - und bleiben auf der Straße. Das reicht mir. Wir gehen auch wieder zurück. Wir erreichen den Familienvater, der auf seine Damen wartet, die in den Büschen verschwunden sind. "Der Wegestein steht falsch", klärt er auf, "er ist um 90 Grad versetzt einbetoniert worden und sollte eigentlich anzeigen, dass es dort nicht hochgeht." Man habe ihn tags zuvor schon in Fonsagrada gewarnt. Also: Hinter Paradavella nicht abbiegen, auf der Straße bleiben!
Man wundert sich, wie schwierig diese Etappe noch ist. Die Tagesentfernung (24,5 km) ist normal, man wähnt sich weit vom Hochgebirge entfernt, hat den ersten Pass bei Hospital mit links bezwungen, aber hier verlangt man den Pilgern noch einmal alles ab. Klar, insofern hatte der "Dorfschulmeister" Recht: Auf der Straße kann man sich viele Höhenmeter ersparen. Andererseits war der Weg durch den grünen Dschungel sehr schön und einsam, und hatten wir sonst etwa vor anstrengenden Abschnitten gekniffen? - Vor diesem Pass hat man also buchstäblich die Qual der Wahl. Auch wenn wir von einigen gehört haben, die sich hinter Degolada auf dem Waldpfad verlaufen haben: Wir würden dort trotzdem noch einmal diese Route wählen.
Stolz griffen wir die letzte Stufe vor dem eigentlichen Pass an. Wieder hatten wir Glück: An einem Bauernhof wollten uns drei Hunde auf den Pelz rücken, aber diesmal rief ihre Besitzerin sie scharf zurück und hielt sie fest. Gut, dass sie da war. (Sie verluden gerade eine Kuh.) Dann kam das letzte steile Stück. Von oben bot sich ein schöner Blick zurück, bevor uns ein Wald aufnahm. Immer noch etwas höher, aber nicht so steil. Vergeblich warteten wir darauf, dass sich auf dem höchsten Punkt ein Rundumblick bot; das verhinderte der Wald. Bald senkte sich der Weg bereits wieder. Als wir den Wald verließen, hatten wir die (recht neue) Passstraße erreicht und gleichzeitig den Pass, die Alto de Fontaneira ebenfalls. Immer noch 930 m hoch!
Vor unserem Tagesziel Cádavo spricht Michael Kasper von einer "unwegsamen" Strecke und einem "schlechten Weg". Wir waren also auf der Hut, denn über die Mühen vor dem Pass hatte er kein Wort verloren. Um so erstaunter fanden wir recht breite Pisten, die leicht zu laufen waren. Im Tal vor uns ahnten wir schon die Stadt. Diese Pisten mussten neu sein, das ist die einzige Erklärung. Mitten in der Wildnis ein schönes Schild: "Pilgerherberge 1 km" O Freude! | Wegweiser vor Cádavo-Baleira |
Refugio von Cádavo-Baleira |
Cádavo-Baleira und seine Herberge16h00. Wir erreichten die ersten Häuser und liefen genau auf die sehr moderne und neue Herberge zu, ein etwas steriles, fast futuristisches Gebäude, bei dem, wie oft in Spanien, die Restarbeiten niemals erledigt worden waren (z.B. fehlende Außentreppen, Wäschewaschanlage ohne Einrichtungen). |
Der Hospitalero zeigt uns alles stolz. Alles super in Schuss. Zwei Schlafräume mit je 10 Betten, dazu ein Behindertenzimmer mit 2 Betten und eigener Dusche/Toilette. Dürfen wir nicht vielleicht...? Nein, ich frage denn doch nicht. Schließlich sind wir nicht behindert. (Nachher fragen wir uns: Ist ja sehr nett, dass man an Behinderte denkt. Aber Behinderte auf dem Camino mit seinen Strapazen? Wer so behindert ist, dass er nicht in einem normalen Schlafraum unterkommen kann, kann doch unmöglich... Naja, was ging's uns an.)
Wir blieben ohnehin wieder mal die einzigen Gäste. Die Pilgerfamilie aus Oviedo, die jeden Tag mit uns parallel lief, schaute herein: So sah also eine Pilgerherberge aus. Den Wunsch nach Stempeln konnten wir ihnen erfüllen: der Stempel und das Gästebuch liegen in der Küche in der Schublade. Die Küche war blitzblank und neu, wohl nie benutzt. Denn (man weiß es ja): in Galicien gibt's keinerlei Geschirr in den Herbergen. Die spinnen, die Galicier! Also machten wir uns an den Einkauf. Tatsächlich waren mehrere Geschäfte geöffnet. Der Hospitalero hatte uns ein Restaurant empfohlen, das etwas weit weg lag (jenseits der Fernstraße, die den Ort durchquert). Trotzdem brachten wir erst einmal die Einkäufe weg. Auch holten wir die Wäsche rein, da sich über den Höhen wieder Regenwolken zusammenbrauten. Auf dem Rückweg waren wir von Hunden belästigt worden, die das frische Brot gerochen hatten. Also nahmen wir, wieder in Richtung Restaurant, eine Parallelstraße. In einem kleinen Hof ließ die Bäuerin ein Schwein aus dem Stall. Ihr Schäferhund, der uns gerade noch über den Zaum angebellt hatte, schoss auf das Schwein zu - und fing an mit ihm rumzutollen. Beide waren offensichtlich dicke Freunde. Amüsiert gingen wir weiter. Das Wetter wurde wieder schlechter. Vor Regenwolken flüchteten wir gegen 20 Uhr zum Restaurant. Nein, vor 21 Uhr gäb's nichts, sagte der Wirt grämlich. Auch sonst keine Speisekarte, nichts. Wir hatten die Nase voll, gingen zur Herberge zurück und aßen aus unseren Vorräten. Die Empfehlung war witzlos gewesen, nur mit dem Mangel an Geschirr kann man die Pilger nicht in unfreundliche Restaurants locken.
Eine kleine Kirche war fast genau gegenüber der Herberge. Leider tat sich da nichts, trotz Sonntag. Auch keine Hinweise auf einen Gottesdienst. Schade!
Castroverde ist eine passable Kleinstadt, in der man alles bekommt. Der Pilgerweg ist links, parallel zur Hauptstraße, ausgewiesen. Aber hinter den Häusern und Gärten der Hauptstraße blafften wieder Hunde, ein wenig Industrie ist auch nicht schön anzusehen. Wir gingen zur Hauptstraße zurück, weil wir auch noch einkaufen wollten. An der Kirche war ein ruhiger Platz, wo wir essen und eine Milch trinken konnten. Da entdeckten wir, dass der Pilgerweg ohnehin hier vorbeiführt und folgten ihm wieder. Hinter dem Ort überquert man die Fernstraße, geht aber gleich wieder auf kleinen Landstraßen und Bauernwegen, wie den Rest des Tages auch. Zu meinem Amüsement kommt man zum Dorf San Miguel. Ich hielt eine Dose bereit. Sobald ein Dorfschild kam, wollten wir ein schönes Foto machen. Schade, es kam keines. (Den Namen wusste ich nur aus dem Handbuch.)
Es waren auch einige Hunde zu sehen, und an den Bauernhöfen wurde auf Schildern vor ihnen gewarnt, aber sie blieben außerhalb ihres Territoriums friedlich.
Abschied von der Pilgerfamilie aus OviedoHinter einem alten Hohlweg ging es vor einem Tor rechts ab, die Mauer eines größeren Anwesens entlang. Hier sollte der Weg laut Handbuch überschwemmt sein. Naja, wir haben schon Schlimmeres gesehen. Zur Not hätte man auf die angrenzende Wiese ausweichen müssen. Hinter uns kam mal wieder die Familie aus Oviedo in Sicht. Sie gingen morgens etwas später los als wir, holten uns aber in der Regel ein, da sie einfach etwas schneller liefen. Sie blieben aber noch in Sicht, obwohl wir zwischendurch mal wieder Brombeeren naschten, weil sie zum Ausgleich mit Einheimischen ein paar Worte wechselten. An einem Wegkreuz, das auch im Handbuch erwähnt wird, machten wir Fotos. Die Familie verabschiedete sich "bis zum nächsten Treffen"; ich erwiderte "Bis zum nächsten Hund", sie lachten. Dann blieben wir der Familie auf den Fersen, weil ein weiterer Bauernhof angekündigt wurde, durch dessen Anlagen man müsse. (Zu mehreren ist man vor Hunden besser geschützt.) Rechts standen urige alte Bäume. Von Hunden war nichts zu sehen. Langsam zog uns die Familie davon, und wir haben sie nicht wiedergesehen. |
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Am Ortsende fanden wir noch die erwähnte verwitterte Asphaltstraße, ein Bauernhof lag links am Weg. Wir folgten dieser Straße, gebremst durch eine Kuhherde, die vor uns hergetrieben wurde. Vergeblich suchten wir aber die Abzweigung, die nach 300 m rechtsab in den Wald gehen sollte. Wir blieben immer in Richtung geradeaus auf der Piste, kreuzten einmal eine andere, hielten aber die Richtung. Nach ca. 1,5 km bog die Piste scharf nach links. Einer der neuen Wegesteine wies aber nach rechts - genau auf ein riesiges Gestrüpp. Es war wieder mal ein zugewachsener Weg. Wir folgten einer Trampelspur rechts an dem Gebüsch vorbei über eine Wiese. Am Ende kam man in Sichtweite einer Schnellstraße in ein Industriegelände. Wir bogen vor einem Haus (gelbe Pfeile) nach rechts auf eine Piste und folgten ihr parallel zur Autobahn bis zur ersten Brücke. Hier kam von rechts eine andere Piste genau auf die Brücke zu, offenbar die aus der Beschreibung des Handbuches.
Evtl. ist durch die neuen Wegesteine, die hier auch schon Muschelkacheln hatten, inzwischen eine neue Strecke ausgezeichnet, oder Michael Kasper hat den richtigen Weg in diesem Abschnitt nicht gefunden.
Es blieb weiter alles etwas unklar. Hinter der Brücke kam ein merkwürdiges Dünen- und Heidegelände, durchsetzt mit Schutthaufen und Gebäuderesten. Evtl. war durch den Autobahnbau hier ein ehemaliges Erholungsgebiet ruiniert worden. Nach etwa 200 m führt ein gelber Pfeil nach links, aber man ignoriert ihn besser. (Wir folgten ihm, dann ging es nach rechts, und danach war ein einer T-Kreuzung Schluss. Links von uns einige Häuser, geradeaus Dünen mit einem merkwürdigen Miniturm aus Mauerbrocken auf der höchsten Stelle... Wir liefen nach rechts, bis von rechts wieder eine breite Piste kam, m.E. nach dieselbe, die wir hinter der Brücke verlassen hatten. Dort bogen wir nach links auf sie ein und waren - immer meiner Einschätzung nach - wieder in derselben Richtung wie von der Autobahnbrücke aus.)
Man hält sich also hinter der Autobahnbrücke besser immer geradeaus. In der Ferne vor einem ist Lugo zu erkennen, und an dieser Richtung orientiert sich man sich auf dem nächsten Kilometer. Man erreicht zunächst ein Gelände mit Ruinen, die man rechts herum umgeht. Zuletzt erhebt sich links eine große Gebäuderuine, laut Inschrift ein ehemaliges Erholungsheim (der Post?). Man verlässt das Gelände immer noch in der ursprünglichen Richtung und stößt auf ein langgestrecktes, wohl 100 m langes niedriges Gebäude rechts am Weg, rechtwinklig zu ihm. Ein gelber Pfeil auf der Wand zeigt nach rechts. Man geht also das Gebäude entlang, das sich als Ruine eines riesigen Stalles herausstellt, bis zu einer kleinen Asphaltstraße. Dort links und gleich wieder rechts abbiegen. Man gelangt auf einen wohl älteren schmalen Weg, der an Bauernhöfen vorbei in die erste Vorstadt von Lugo führt. Die gelben Pfeile führen hier zuverlässig, sodass man das Handbuch nicht braucht. Dieses beschreibt offensichtlich eine andere Route.
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Erst als sich nach einigen Abzweigungen, inzwischen innerhalb dichterer Bebauung, der Weg nach unten senkte, erkannte ich die Beschreibung des Handbuches wieder. Es folgte nämlich die unverkennbare Brücke über den Bach Chanca - ein idyllischer Fleck, kurz hinter dem Zusammenfluss der Bäche Rio Rato und Rio de Fervedoira - und dann ein gewundener Weg zur Fernstraße hoch, mitten durch das Problemviertel A Chanca, in dem wir neugierig angegafft wurden. Links erhebt sich die gigantische Eisenbahnbrücke, die man unterquert. Dann geht es zur Altstadt hinauf, man überquert die Fernstraße und einen Boulevard und erreicht über die Carril dos Flores erstaunlich schnell die Porta San Pedro. 34 km, geschafft! Hinter dem Tor folgt rechts die kleine Rúa das Norias, wo nach früheren Meldungen die Pilgerherberge vorgesehen war. Dort probierten wir's mal. 16h20 stießen wir nach wenigen Metern auf ein nicht gekennzeichnetes dreistöckiges Gebäude links. Das musste es meinem Gefühl nach sein. Wir schauten durch die Fensterscheiben hinein. Drinnen saßen einige Leute, eine junge Frau winkte uns gleich heftig zu, hereinzukommen. Es war wirklich die Herberge. |
Es gibt keine Lichtschalter für die Schlafsäle! Die hauptamtliche Kraft (Was für eine Geldverschwendung!) schaltet das Licht an zentralen Sicherungskästen zu festen Zeiten aus und ein. Das ist gut gemeint, denn sonst gibt es ja immer ein Problem, wer wann das Licht an- bzw. ausmachen darf. Aber wenn die Einigung leicht ist, weil z.B. - wie in unserem Fall - in beiden Schlafsälen ganze drei Pilger (außer uns noch ein Radfahrer) sind und sich leicht einigen können, wird das zur preußischen Regelwut. (Ich bekam bald heraus, wo die Kästen waren, und benutzte sie einfach von mir aus.)
Schlafsäle und Duschräume (!) haben Fenster, die vom Fußboden bis zur Decke reichen, und keinerlei Gardinen oder Vorhänge. Direkt gegenüber war ein Bürohaus, in dem man vis-a-vis Leute arbeiten sah; sie konnten umgekehrt das Treiben bei uns wie auf der Großleinwand im Kino genauestens verfolgen. Meine Frau erzählte, dass man in den Damenduschen von einer Ecke, wo man die letzten Hüllen ablegt, zur Dusche quer durch den Raum muss, der wie gesagt voll einsehbar ist. Da werden gegenüber wohl bald die Büromieten steigen... ;-) (Bei den Männerduschen war das nicht so.)
Wie in ganz Galicien ist die Übernachtung kostenlos. Das ist einfach ruinös. Man darf aber spenden, und wir spendeten anderntags sinnigerweise Teller und Besteck, nachdem wir abends zuvor unser Essen mit Taschenmesser und Teelöffel von unseren Plastiktellern eingenommen hatten. Die Helferin, die den halben Tag absolut untätig in der Herberge herumlungerte, freute sich darüber sehr. Mal zu putzen, kam ihr nicht in den Sinn. Ein Putzdienst ist auch sonst wohl nicht vorgesehen, denn die ganze Herberge, so neu sie war, war bemerkenswert dreckig. Wir haben erst einmal den Schlafsaal gesäubert. - Man durfte auf keinen Fall mehr als eine Nacht bleiben. Wir wollten ja einen Ruhetag einlegen, und wegen der gähnenden Leere in der Herberge baten wir um eine weitere Nacht (was in Oviedo ja kein Problem war), für die wir gern eine größere Spende abgedrückt hätten. Nichts zu machen! Ich war platt, glaubte, dass die Helferin vielleicht einen Vorwand brauchte. "Ich bin krank" erklärte ich und wies einen verbundenen Zeh vor. Nein, lehnte sie todernst ab. "Dann schreiben Sie doch: wegen Altersschwäche" witzelte ich und kniff ihr ein Auge zu. Sie lachte nicht und blieb hart. (War das wirklich eine Spanierin?) Dachte sie nicht wenigstens daran, ihren eigenen Arbeitsplatz abzusichern, indem sie für Einnahmen sorgte und die Übernachtungszahlen erhöhte?
So mussten wir tatsächlich zum Touristenbüro, besorgten uns einen Stadtplan und ein Unterkunftsverzeichnis und fanden ein billiges Hostal, gar nicht weit von der Herberge entfernt. ("Rio Neiro" in der gleichnamigen Straße, Nr. 29, winziges Doppelzimmer mit Dusche und Toilette, 26 EUR) - Ich habe über diesen ganzen Unsinn nur den Kopf geschüttelt. Bei diesem Geschäftsgebaren wird die Herberge aus Mangeln an Mitteln sehr schnell heruntergekommen sein, wenn da nicht jemand eingreift und einiges ändert. Dieses große Haus wird die Stadt ohne Einnahmen nicht lange unterhalten können.
Von der Puerta de San Pedro aus geht die große Ausfallstraße Rúa San Roque. Dort fanden wir - in einiger Entfernung - nicht nur einen Supermarkt, sondern auch ein China-Restaurant mit einem Menü für 5,10 EUR. Und das ohne Tricks! Wir haben uns dort toll und voll gegessen, ein konkurrenzloses Angebot, das auch viele Spanier nutzten. Draußen rauschte der Regen...
Abends schauten wir noch kurz in die Herberge rein. Wie erwartet, nur wenige Pilger, etwa sechs. Pech, dass wir Teresa nicht antrafen, die wir erst anderntags in Palas de Rei kennen lernen sollten. Evtl. hätte sie sich uns angeschlossen und sich dadurch eine unangenehme Überraschung unterwegs erspart...
Diesen Ruhetag hatten wir vorgesehen, um uns zwischen den beiden längsten Etappen unserer Tour erholen zu können. Wir waren aber so eingelaufen, dass wir das nicht gebraucht hätten. Da wir aber auch nicht vor dem 1. September in Santiago sein wollten, um dem letzten Ansturm auf dem Hauptweg zu entgehen, ließen wir es bei unserer Planung. Ohnehin wäre der Weg nach Palas de Rei bei diesem heftigen Regen kein Spaß gewesen. Und tags darauf war wieder schönes Wetter!
Überdies ist die Stadt Lugo es wert, sich einen Tag Zeit für sie zu nehmen, auch wenn wir nicht zum ersten Mal hier waren: Im Juli 1998 hatten wir Lugo schon mit Esperanto-Freund Augusto Casquero besucht, der von dort mit dem Zug nach Hause fuhr, nachdem er unsere Pilgergruppe eine Woche lang auf dem Camino Francés begleitet hatte.
Refugio vor Friol
Nach den Handbüchern gibt es eine Hilfsunterkunft vor Friol, aber ohne
jegliche Einrichtungen und keine Versorgungsmöglichkeiten in der Nähe.
Da sollte man lieber den kleinen Umweg über Friol auf sich nehmen.
In späteren Jahren (2006 und 2009) habe ich zwei Mal deshalb in Friol
die Etappe geteilt.
Nach gut einem Drittel des Weges Rast in Poutomillos auf einem Platz mit Bänken neben einer (ehemaligen?) Dorfschule. Auf diesem ersten Drittel trugen wir immer schwer an unseren Vorräten, u.a. an dem üblichen Liter Milch. Die Milch erfrischte und stärkte aber sehr. Nach der Pause lief man dann mit um gut 1,5 kg leichterem Gepäck weiter. Für Momente der Erschöpfung hielt ich immer noch eine "Geheimwaffe" bereit, 1 Dose San Miguel oder sonst ein Getränk.
Wir marschieren weiter. Urplötzlich zeigt einer der neuen Wegesteine an, dass man von der Straße rechts ab in ein nahes Dorf (Mera?) abzweigen soll. (Nichts davon im Handbuch.) Wir überlegten: Das konnte nur ein Umweg sein, denn die Straße, die verkehrsmäßig ruhig genug war, führte ja zu unserem Ziel Palas de Rei, und das lag weit genug entfernt. Diese Alternative musste also ohnehin auf die Landstraße zurückführen. Zudem war in den Dörfern das Hunderisiko höher. - Insgesamt: Nein, die Straße weiter. Wir achteten darauf, wo wohl der Jakobsweg wieder von rechts hinzukommen würde, sahen aber nichts.
Irgendwann um die Mittagszeit kommen wir an die Abzweigung zu dem im Handbuch erwähnten Restaurant Mesón de Crecente. Das Haus ist greifbar nahe, einige Autos stehen davor. Es hat also wohl geöffnet. Wir ziehen trotzdem weiter, weil wir nicht so hungrig sind und genügend viel an Vorräten mitgenommen haben.
Einige ereignislose Kilometer weiter (wir legen ein gutes Tempo vor) kommt Vilamaior de Negral (22,6 km), unser zweites Teilziel, in Sicht. Wieder verweist ein Wegestein auf eine einladende Piste nach rechts. Diesmal beschließe ich spontan, diese Alternative zu gehen, da sie meiner Einschätzung nach einen großen Rechtsbogen durch die Ortschaft abkürzen könnte. Natürlich ist das etwas riskant, da das Handbuch ja keine dieser (wohl neuen) Alternativen beschreibt. Zunächst lässt es sich auch gut an. Es geht durch Wald und Heide in einem Linksbogen auf den Ort zu, aber unmittelbar vor ihm, schon in der Nähe von Häusern, noch einmal nach rechts. Danach folgt eine sehr große Schleife durch eine Bauernschaft. Nach meinem Orientierungsgefühl laufen wir nach zwei Linkskurven parallel ein Stück wieder zurück, noch einmal auf den Ort zu. Ich bin etwas genervt. Im nächsten Garten tobt wieder ein Hund. Kurz vor dem Ort zweigt man dann doch noch rechts ab und stößt auf die Landstraße, die nach rechts in der gewünschten Richtung aus dem Ort herausführt. - Ich weiß nicht, ob sich diese Alternative zeit- und entfernungsmäßig lohnt; zumindest das letzte Stück ist doch arg im Zickzack. - Etwas weiter biegen wir nach rechts auf eine Wiese ab und machen nach ca. 24 km von 13h30 bis 14h00 ausgiebige Mittagspause mit allem, was der Rucksack bietet: Brot, Käse, Schinken, Früchte, Joghurt, Fischkonserven - und natürlich die "Geheimwaffe". ;-)
Ca. 1 km weiter macht die Straße eine Linkskurve, und es folgt eine Kreuzung, auf der es laut Straßenschildern nach Friol und Burgo geht, insgesamt also spitzwinklig zurück. Diese Kreuzung steht auch auf der Michelin-Karte. Sie passt aber gar nicht zu der, die das Handbuch ankündigt. Tatsächlich folgt letztere erst ca. 1 km weiter. Hier geht es dann links nach Palas de Rei, aber das wiederum steht so nicht auf der Karte. Etwas verwirrend. Links sehen wir schon lange einen höheren Berg aufragen, der von Antennen gekrönt wird. Ich meine, mich an ihn vom Hauptweg erinnern zu können. Dass er vorhin schon wesentlich näher war, jetzt aber wieder weiter weg und immer noch schräg links vor uns, trägt nicht zu unserer Beruhigung bei. Laufen wir einen Umweg? Tatsächlich hat die Landstraße, der wir an diesen Tag folgen, hier einen komplizierten, kurvigen Verlauf, der das Phänomen erklärt. Wir haben nicht etwa den Weg verloren.
Hinter Ribeira wieder eine abzweigende Alternative, diesmal nach links. Aber gelbe Pfeile weisen widersprüchlich sowohl in diese Richtung als auch die Straße weiter. Eine verblasste Inschrift auf der Straße besagt: "links gesperrt" (cortado), "provisorisch geradeaus". Was soll man da machen? Das kann stimmen oder inzwischen überholt sein. Siehe da: von María Cruz ein Zettel, der den Leuten Mut macht. - Na, auf ihren Orientierungssinn wollen wir uns nicht verlassen. - Zur Vorsicht weiter die Straße entlang.
1 km weiter, hinter Berbetoros, an einem großen Bauernhof: Von links ist die Alternative sichtbar hinzugekommen, jetzt soll es rechtsab, am Bauernhof entlang weitergehen. Wir beratschlagen. Man könnte mal wieder... Es scheint doch immer bald wieder auf die Straße zurückzugehen. Ein wenig schreckt der Hof ab (Hunde?). Wir sind ca. 10 km vor Palas de Rei. Ich denke daran, dass dort der Ansturm auf die Betten groß sein wird, sodass wir uns etwas sputen sollten, im Gegensatz zu der Etappe vor Lugo, zwei Tage vorher, wo wir wussten, dass wir auf eine neue, große und unbekannte Herberge zuliefen. (Außerdem auf eine Stadt, in der es zig billige sonstige Unterkünfte gab.)
Wieder ein Entschluss: Wir bleiben auf der Straße. - Wir ahnten ja nicht, wie goldrichtig diese Vorsicht war. Anderntags erzählte uns Teresa ausführlich, dass sie, immer einige Kilometer hinter uns, alle Alternativen gegangen ist, auch diese letzte - und diese Alternative führte überhaupt nicht nach Palas de Rei, sondern auf den Höhenrücken, der sich windrädergekrönt rechts von uns erhob. Ja, spinnen die Galicier denn völlig?
Nach meinen bisherigen Recherchen scheint diese Alternative nach Melide zu gehen. Sicher kann man so einen Tag rausholen, aber um den Preis einer Etappe von über 40 km. Kaum zu empfehlen.
Hinter Ribeira auf keinen Fall den Monolithen rechtsab folgen,
sondern auf der Landstraße bleiben. Die Alternative führt
nach Melide, aber nicht nach Palas de Rei!
Ein Weg von über 40 km, der von Lugo aus in 1 Etappe zu Fuß kaum zu bewältigen ist.
Nachtrag von 2006: Neuerdings kann man aber in San Román
übernachten (2 Betten 2 Matratzen).
Wieder mal ein kleiner Zwischenfall mit Hunden. Zwei mittelgroße verlassen ihren Hof links der Straße und rennen bellend hinter mir her. Ich nehme absichtlich destruktiv (im wahrsten Sinne des Wortes) einen Stein von der benachbarten Steinmauer und werfe ihn den Hunden um die Ohren. Wenn die Bauersleute ihre Köter nicht besser erziehen, dass sie auf der Landstraße nichts zu bellen haben, dann soll ihnen ruhig ihre Steinmauer nach und nach stückweise auf dem Hof liegen. Denke ich - und oh, da stehen die Bauersleute tatsächlich nebenan im Garten und haben alles gesehen. Ich nicke grimmig vor Genugtuung. Hoffentlich haben die jetzt was gelernt.
Eine Reihe kleinerer Dörfer folgte nun, sodass die letzten Kilometer bis zum Hauptweg auf einmal munter runterspulten. Ich witterte sozusagen bekannte Luft. Schon in Reichweite von Palas de Rei ging es über die Nationalstraße und dann durch eine Siedlung bis zu einem staubigen Weg vor einer großen Sportanlage. (Hier kamen später Pilger unter.) Diese Kreuzung kannten wir beide: Dort hatten wir 1998 unter dem Baum gesessen und waren von unseren Hilfsautos mit Eis verpflegt worden. O Nostalgie! Und natürlich waren links und rechts einige Pilger zu sehen: was will man auf der "Ameisenstraße" Camino Francés anders erwarten?
Ab jetzt kannte ich jede Kurve, und wir liefen zügig auf den Ort zu und hinein. Dabei überholten wir noch fünf Pilger, die es langsamer angehen ließen. An der Kirche vorbei, die Treppe hinunter, die Hauptstraße überquert und gleich wieder weiter hinunter. Dabei kamen wir an einer vielversprechenden Bar mit Menü auf der linken Seite vorbei, ca. 50 m oberhalb des Refugios. Hier sollten wir am frühen Abend sehr gut essen.
Hier schließe ich diesen Teil des Berichtes vom Camino primitivo, denn der Rest ist auch für diejenigen interessant, die den Hauptweg gehen. Der Bericht dazu findet sich deshalb im nächsten Kapitel.
Letzte Änderungen: 22.05.2022