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Wir flogen von Düsseldorf aus mit der Air France nach Paris
und dann mit einem anderen Flug nach Biarritz. Vor dem Flughafen in
Biarritz fuhr der Linienbus (Linie 6) zum Bahnhof nach Bayonne. Im
Flughafen gab es einen Informationsschalter, bei dem das Faltblatt
mit dem Fahrplan auslag. Trotzdem sollte man beim Fahrer zur Kontrolle
zurückfragen, ob er in die gewünschte Richtung fährt,
da beide Richtungen von derselben Haltestelle aus in derselben
Abfahrtrichtung bedient werden. Die Fahrt zum Bahnhof Bayonne dauerte
etwa eine halbe Stunde und kostete 7,50 fr pro Person. Der Bus fährt
leider nur stündlich, also zeitlich nicht zu knapp kalkulieren.
In Bayonne lösten wir Karten für den Zug nach
Saint-Jean-Pied-de-Port. Den Automaten bekamen wir nicht in den Griff,
dafür konnten wir zu wenig Französisch, kannten die Tarife
nicht, die gefragt wurden, und hatten zu wenige Münzen. Es gab aber
auch einen Schalter. Fahrpreis: 47 fr (eine Richtung, pro Person).
Der Zug fährt nachmittags gegen 15 Uhr und dann noch abends
zweimal (sonntags seltener). Fahrzeit 1 Stunde. Im Internetz ist
der Fahrplan der französischen Bahn
(einfach anklicken).
Man sollte nicht erst spät abends in St.-Jean ankommen, dann hat
man kaum eine Chance, noch eine Unterkunft zu bekommen.
Die Zugfahrt verlief durch eine schöne Gegend. Wir versuchten,
Pilger unter den Fahrgästen zu identifizieren. Bei einem waren
wir uns sicher: der hatte so einen Flackerblick... Treffer, stellte sich
später heraus. :-)
Die Rückfahrt begann am 7.9.
in Finisterre mit dem Bus um 13.45 Uhr
nach Santiago (87 km, 1.425 Peseten). Es gab noch einen späteren
Bus um 16 Uhr, bei dem man aber umsteigen musste. Den aktuellen Busfahrplan
erhält man in Santiago im Touristenbüro. In Santiago fuhren
wir am 8.9. mit einem Linienbus um 7.55 Uhr vom Busbahnhof zum Flughafen
(200 Peseten). Auch diesen Fahrplan gibt's im Touristenbüro.
Fahrzeit eine knappe halbe Stunde. Von Santiago aus flogen wir um
10 Uhr nach Bilbao. Den Flug haben wir schon zu Hause gebucht, da
der Esperantofreund, bei dem wir in Bilbao übernachteten, uns
das geraten hatte; er selbst habe schon einmal keinen Platz mehr
bekommen. (Nun, in der kleinen Fokker-Maschine blieben von den etwa
50 Plätzen doch noch ein paar frei. Die Ferien waren ja auch zu
Ende.) Angeblich gibt die Iberia 50% Ermäßigung für
Pilgerrückflüge, aber diesen Rabatt hätten wir
natürlich erst in Santiago mit Vorzeigen der Compostela bekommen.
Achtung: Im Erdgeschoss des Pilgerbüros bot ein
Reisebüro Flüge zu "Pilgertarifen" an. Die waren genauso
teuer wie von zu Hause. Außerdem Unterkünfte im
Studentenheim für 4.500 Peseten, was in Santiago unverschämt
teuer ist. (Wir hatten ein Quartier bei der Kathedrale gleich um die
Ecke: ein einfaches Doppelzimmer für 3.000 Peseten insgesamt,
also zu einem Drittel des Preises.)
In Bilbao holte uns der Esperantofreund vom Flughafen ab und brachte
uns gleich zum Busbahnhof, wo wir eine Fahrt Bilbao-Biarritz für
den anderen Tag buchten (145 km, 2 1/2 Stunden, 2.100 Peseten pro Person).
Tags darauf (9.9.) fuhren wir mit der U-Bahn zum Busbahnhof, kein Problem.
In Biarritz stellte ich fest, dass ich den Fahrplan der Linie 6
zum Flughafen verloren hatte. So mussten wir erst feststellen, wo wir
überhaupt waren (direkt vor dem Touristenbüro und hinter dem
Rathaus); im Touristenbüro lag der Fahrplan natürlich
auch aus. Die Linie
6 fuhr vor dem Rathaus 1 Stunde später ab. Auch hier musste also
genügend Pufferzeit sein.
Der Rückflug über Paris nach Düsseldorf wurde indirekt
von den Streiks der Speditionen behindert: unser Flugzeug in Paris kam
erst mit 1 1/2 Stunden Verspätung aus dem Süden. Von
Düsseldorf aus benutzten wir die S-Bahn und den Regionalexpress
nach Münster (2x umsteigen), wo wir 23.48 Uhr eintrafen. Danach
fuhr sofort ab 0.00 Uhr ein Überlandbus nach Nordwalde. Etwa 0.40 Uhr
waren wir zu Hause. Ein langer Rückreisetag mit vielen
verschiedenen Verkehrsmitteln (und 6 Stunden Warten in Paris).
In Saint-Jean-Pied-de-Port waren unglaublich hohe Preise: 0,25 l
Bier für 15 fr (etwa 5 DM). Es ist eben ein Touristenort.
Spanien ist wie bekannt relativ billig. Zur Grenze nach Frankreich
hin war es in Roncesvalles (ebenfalls Touristenort) noch teurer.
Achtung: Trick! ;-) Es gibt merkwürdigerweise fast immer
pro Tisch eine Flasche Rotwein (sofern man nicht ein anderes
Getränk wünscht), egal, ob man allein oder zu viert ist.
Will man also zu viert ein Pilgermenü essen und ist einem eine
viertel Flasche zu wenig: einfach zunächst getrennt an zwei
Tische setzen, bestellen, den Wein kommen lassen und sich dann als
Pilgerfreunde "kennen lernen" und am Ende zusammensetzen.
Nun waren wir immer zu zweit und sahen, wie an den Nachbartischen
halbe und viertel Flaschen stehen blieben. Die Versuchung war
groß, unsere leere Flasche blitzschnell auszutauschen, nachdem
der Gast weg war und der Wirt noch nicht abgeräumt hatte. Aber
erstens haben wir uns doch nicht getraut, das zu tun, und außerdem
war eine halbe Flasche pro Kopf für uns doch genug, wie sich
zeigte, als wir einmal mehr getrunken hatten. :-(
Nicht nur Bier, auch andere Lebensmittel :-) variierten ansonsten
landesweit nur gering im Preis.
Private Unterkünfte: Im August teils wegen
der Ferienzeit teuer, ansonsten Doppelzimmer (ohne Bad) 3.000-4.000,
mit Bad 4.000-5.000 Peseten. In den Städten wegen der Konkurrenz
eher billiger als auf dem Land. Unsere teuerste Unterkunft war in
Corcubión für 7.000 Peseten, aber einschließlich eines (kargen)
Frühstücks, das gewöhnlich nicht inbegriffen ist. Mit
der Mehrwertsteuer N.V.A. gab es keinen Ärger; sie wurde nur in einem
erkennbaren Ausnahmefall extra berechnet. Trinkgeld wird nicht
erwartet, aber gern genommen, wobei 100 Peseten schon was gelten.
(In der Kirche pflegt man 25 Peseten in den Klingelbeutel zu tun.)
1 Glas Wein 0,1 l ist das Standardgetränk der Spanier an der
Theke; es kostet etwa 100 - 150 Peseten und wird oft nicht leer
getrunken. (Auch beim Essen bleiben oft Reste liegen.)
1 Stangenbrot kostet um 100 Peseten, 1 l Milch ebenfalls, 1 l Fruchtsaft
(Standardgetränk unseres Frühstücks) 100-130 Peseten. Es
gibt im kleinsten Laden eine erstaunliche Auswahl von Aufschnitt. Fast
jeder Ort hat einen Lebensmittelladen ("Supermercado" oder
"Alimentación"), der normalerweise auch gut von außen
gekennzeichnet ist. Die Öffnungszeiten sind überall
verschieden
und werden in der Regel nicht angegeben.
Meist sind die Läden zwischen 14 und 18 Uhr geschlossen.
In einigen Städten gibt es sogar am Sonntag etwas zu kaufen,
insbesondere, wenn einmal im Monat "Markttag" (am Sonntag!) ist.
Postämter sind selten und haben nie ihre Öffnungszeiten
vermerkt. Briefmarken kauft man sowieso in "tabacos"-Läden.
(Porto für eine Ansichtskarte nach Hause: 75 Peseten)
Bankautomaten gibt es in den Städten haufenweise, nur in kleineren
Orten nicht. Nicht nur ich hatte großen Ärger mit den
Automaten. Der Dialog war manchmal nur auf Spanisch. Mal gab es dann
Geld, mal keins, mit wechselnden Fehlermeldungen: "zu viele Operationen" (?),
"Bankkarte für RD 300 nicht zugelassen" (??)
und ähnliche sphinxhafte Auskünfte. Meine Frau brachte zu Hause
in Erfahrung, dass man bei Postbankkarten "Kreditkarte"
(und nicht "Sparkonto" und nicht "Girokonto") drücken
muss (auch bei einer Karte für ein 3000-plus-Sparkonto), wenn
dieses in einem Dialog mit den Automaten gefragt wird (was nicht immer
der Fall war). Mal waren auch 50.000 Peseten kein Problem, dann waren wieder
30.000 Peseten die Obergrenze. Insgesamt verwirrend und schweißtreibend.
Bei den Restaurants gab es ebenfalls ärgerliche Tricks. In León
und Santiago signalisierte ein "Menú del día" (Tagesmenü), dass
es dieses nur mittags gab (trotzdem blieb es als Kundenfang draußen
hängen). In anderen Städten gab es das "Menú del día" auch
abends. Ein "Menú de la casa" (Menü des Hauses)
oder ein "Menú del peregrino" (Pilgermenü) gab es in
der Regel auch abends. Es war meist billiger
(aber ohne Preisvorteil für Pilger), als nach der Speisekarte
das Essen zusammenzustellen. Aber: Die draußen angeschlagenen
Alternativen für die verschiedenen Gänge gab es selten. Statt
dessen wurde das aktuelle Angebot so schnell runtergerasselt,
dass niemand etwas
verstand. Naja. Auf Nachfrage habe ich aber in Santiago das (nicht mehr
angeschlagene) "Menú del día" abends doch noch zum Mittagspreis
bekommen. Allgemein kann ich sagen, dass wir nie übers Ohr gehauen
worden sind. Alle Preise hängen im Gastraum aus. Manchmal muss man
draußen am Tisch mit Bedienung 25 Peseten mehr bezahlen als innen
an der Theke. Auch auch das ist dann auf der Preisliste vermerkt.
Private Refugios nehmen für eine Übernachtung 500-1.000
Peseten. (Ausnahme: 1.500 in Santa Irene) Das ist sehr angemessen, denn man bekommt
für 1.000 P. immerhin eigene Bettwäsche.
Der Segen des Camino sind die Bars. Sie nennen sich "Bar
Café" laut Schild, im Gegensatz zu den Restaurants. Man bekommt dort
Getränke aller Art, insbesondere den Café con leche, den Milchkaffee,
Hauptnahrungsmittel der Pilger :-), bei dem die Wirte längst
zurückfragen: "Grande?" ("Si, si!"), und dann gibt es wirklich
große Becher (125 - 200 P.). Über den "Café con leche"
sind schon Hymnen geschrieben worden. Ich kann es verstehen (siehe
"Pilgers Tagesablauf"), ich unterschreibe sie alle. Hinzu kommt: in jeder
Bar sind Pilger willkommen. Die Wirtsleute sind persönlich und
freundlich (auch wenn die Pilger dreckig reinkommen und alle gleich erst
einmal auf die Toilette rennen) und ganz entzückt, wenn sogar
Ausländer etwas Spanisch können (siehe "Sprache und
Verständigung").
Auch gibt es in den Bars das etwas festere
Grundnahrungsmittel "Bocadillo", ein großes belegtes Brötchen,
das den Pilgern als Mittagessen dient (200-450 Peseten, je nach
Belegung). Sonst gibt es noch "tostadas" (belegte Röstbrotschnitten),
"tortillas" (Pasteten), Croissants, "tapas" (Happen) und andere
Backwaren. Warmes Essen gibt es nur in Restaurants, die aber fast
ausnahmslos erst abends öffnen (meist ab 20 Uhr).
Manchmal ist eine Bar in ein Restaurant integriert. Das hilft einem
aber nichts, da warmes Essen trotzdem nur abends ausgegeben wird. Sehr
ärgerlich ist, dass die Abendessenszeiten nirgendwo angezeigt werden
(die Spanier wollen sich wohl die Freiheit lassen, wann sie die
Küche denn genau öffnen) und dass diese, dem Tagesablauf der
Spanier folgend, so spät liegen, 20 oder gar 21 Uhr, für
Pilger eigentlich fast untragbar.
Zur fehlenden Nachtruhe hat oft auch der volle Magen beigetragen...
Wenn ein Refugio zudem schon um 22 Uhr eisern geschlossen wurde,
war ein Abendessen auch zeitlich kaum zu schaffen.
Mit wenigen Ausnahmen gaben die Hospitaleros ihre Erläuterungen
nur in Spanisch (dazu noch sehr schnell) ab. Gleich in Roncesvalles
musste ich das, was ich verstanden hatte (etwa 3/4), auf Niederländisch
an ein Ehepaar weitergeben, das neben mir stand und gar nichts
mitbekommen hatte. Dabei brauchte man einige Informationen, z.B., wann das
Refugio abends schließt, wirklich dringend.
Ich hatte ein Spanisch-Wörterbuch dabei,
das praktisch pausenlos in Gebrauch war. So machte mein rudimentäres
Spanisch auch wortschatzmäßig gute Fortschritte, und ich
handelte mir sogar ein paar Mal ein Lob ein: "Ja, die Deutschen, die
können gut Fremdsprachen!" Einmal fragte man mich, ob ich denn Spanisch
in der Schule gelernt habe ("Nein, selbst beigebracht aus einem
Buch." "Unglaublich!") Nun ja, das Geheimnis jedes Erfolgs
ist oft einfach der gewitzte Einsatz sehr beschränkter Mittel,
wobei diese dann ein breites Wissen vortäuschen. Kennt man aus
jeder erfolgreichen Examensprüfung! :-)
Die Einheimischen atmeten immer sichtlich auf, wenn man sich für
sie verständlich äußerte. Es galt dabei die Regel: Je besser
einer Spanisch konnte, um so mehr erreichte er, vor allem in
Konfliktfällen. (Eine Pilgerfreundin schaffte es sogar, dass sie
privat bei einem Bauern unterkam, als das benachbarte Refugio wieder
hoffnungslos überfüllt war. Ein anderes Mal kutschierte man
sie im Privatauto zu einer 16 km entfernten Kirche; ebenso, als sie
einige Kilometer zurück ihren Fotoapparat hatte liegen lassen.)
In Einrichtungen des Tourismus versuchte man manchmal, uns gleich auf
Englisch anzusprechen. Nachdem ich dann auf Spanisch antwortete, schaltete
man sofort um. (Das Englisch war sowieso meistens von der Aussprache
her fast unverständlich.)
Unter den verschiedensprachigen Pilgern diente in der Regel Englisch
als Verständigungspidgin. Dabei merkte man dann, wie wenig man kann,
wenn man es nicht regelmäßig verwendet. Insgesamt blieb
die Sprachbarriere fühlbar: die Pilger tun sich in den Refugios meist nach
Sprachgruppen zusammen. Konflikte zwischen Verschiedensprachigen
können nicht geklärt werden; es fehlt ferner die
Möglichkeit, manches sprachlich diplomatisch abzufedern. Gesten
reichen dazu nicht aus. Man liest oft etwas anderes, aber das ist
Quatsch und resultiert aus Wunschdenken. Es gibt kein Verständnis,
ohne dass die Verständigung gewährleistet ist. Auf dem Camino
ist mir wieder einmal aufgegangen, wie ganz anders es unter
Esperantosprechenden zugeht und wie schwer Englisch gegenüber
Esperanto ist.
Die Spanier sind ein fröhliches und freundliches Volk. Den
Fremden betrachten sie mit Abstand, bis sie merken, der kann etwas
Spanisch. Dann fragen sie einen gleich aus, und der Bann ist gebrochen.
Hilfsbereitschaft wird groß geschrieben. Versteht man die
Ortsbeschreibung nicht, führt einen einer am Ärmel hin.
Fragen (und damit etwas Spanisch können) lohnt sehr, nirgends
wird man mürrisch abgewiesen.
Ausnahme: In einer (vollen) Fernfahrerbar
in Portela vor Ambasmestas sahen die Angestellten durch uns hindurch und
bedienten uns einfach nicht. In einem anderen Pilgerbericht las ich,
dass der Autor auch genau in dieser Gegend eine ausnahmsweise mangelnde
Freundlichkeit hervorhob. Er führte es darauf zurück, dass
die Menschen durch den Autobahnbau verstört sind, denn die
Autobahn wird ihnen die meiste Kundschaft wegnehmen. Ich halte das als
Erklärung für sehr glaubwürdig.
Pilger sind - zumindest auf dem Hauptweg (Camino Francés) -
bekannt und als solche ausgewiesen.
Viele schauten neugierig auf, wenn wir zwei abenteuerlichen Gestalten
uns näherten. Wir grüßten auf dem Land immer, in den
Städten oft. Dann ging ein Lächeln über die
Gesichter, und man wurde freundlich zurückgegrüßt.
Besonders bei alten Leuten, die vor dem Haus saßen, fiel mir
auf, wie sehr sie es brauchten, gesehen und beachtet zu werden.
Von ihnen wurde uns auch oft ein "gute Reise", "viel Glück auf
dem Camino", usw. nachgerufen. Einige saßen den ganzen Tag an
einer etwas unübersichtlichen Abzweigung und "lauerten" darauf,
dass man als Pilger Miene machte, den falschen Weg zu gehen. Dann
kam Leben in sie, dann hatten sie eine Aufgabe: Sie winkten und
riefen: "Nein, hier entlang!" Oft (aber nicht immer!) hatte ich es
selbst gerade schon bemerkt, aber wir bedankten uns immer sehr.
Das gab ein gutes Caminogefühl auf beiden Seiten!
Ein Phänomen unter den Wartenden am Camino ist Doña Elisa.
Inzwischen kennt man sie schon aus Fernseh- und Zeitungsberichten,
aber diesmal sollten wir sie persönlich kennen lernen. Ich hatte ganz
vergessen, vor welcher Stadt sie wartet: es war Logroño. Wir hatten
die Umgehungsstraßen schon hinter uns und stapften durch
ein ärmliches Hüttenviertel vor der Stadt. Ein kleiner
Hund, angebunden, kläffte und kläffte. Wir wussten
nicht, dass er ein Alarmsignal für eine kleine, sehr alte Frau
war, die eilig an zwei Tische vor ihrer Hütte humpelte. Da war sie:
Doña Elisa in Person und lachte uns herzlich mit zahnlosem Mund
entgegen. Ich grüßte höflich und fragte: "Sind Sie die
berühmte Doña Elisa, die wir in Deutschland im Fernsehen
gesehen haben und über die in deutschen Zeitungen berichtet
wurde?" "Ja, klar" lachte sie und fuchtelte mit den Armen, und dann
ergoss sich ein Redeschwall über uns, von dem ich nur
Bruchstücke verstand. 50 Jahre (so glaubte ich zu verstehen)
säße sie nun schon hier, hätte den Bau von manchen
Refugios in Gang gebracht, wo die zuständigen Priester
immer nur geredet hätten. Damit überreichte sie uns zwei
Faltblätter mit Informationen zu allen Refugios im Rioja,
der kleinen, berühmten Weinprovinz, wozu Logroño gehört.
Wir legten bewundernd zwei
100-Peseten-Stücke in die Sammelschale, die sie uns
unaufdringlich zuschob. Die Bewunderung war echt. Da hat ein
Mensch seinen Platz und seine Aufgabe gefunden, setzt sich für
andere ein und strahlt auch im hohen Alter trotz offensichtlicher
Armut Lebensfreude und Freundlichkeit aus. Wer von uns hat es weiter
gebracht? Ausnahmsweise ließen wir uns von ihr unseren
Pilgerausweis stempeln, was wir sonst oft verwehrt haben. Wir
wollten grundsätzlich nur Stempel von den Orten, an denen
wir übernachteten. Kurz darauf ärgerten wir uns sehr, dass
wir vor aller Rührung vergessen hatten, von ihr ein Foto
zu machen. Sie ist eine der Personen des Camino, die man nicht
vergisst.
Eine verbreitete "Unsitte" (aus unserer Sicht) ist die Neigung der
Spanier, "so laut" zu sein. Tatsächlich gibt es hier gewaltige
interkulturelle Unterschiede. In den Bars dröhnt pausenlos der
Fernseher, auch wenn keiner hinguckt. Eine normale Unterhaltung wird in
einer Lautstärke geführt, die bei uns nur ein Streit sein
könnte. Das nervt in den Refugios, in denen man Ruhe sucht, sehr.
In Pedrouzo wurde abends im dunklen Schlafsaal mehrmals um Ruhe
gebeten, da zwei Spanier sich in benachbarten Betten unterhielten,
als müssten sie eine Straße überschreien. Sie machten
weiter, flüstern kannten sie nicht. In Villadangos del Páramo
kam zur Pilgerschlafenszeit von 22 Uhr eine ganze Familie in den
Schlafraum und begrüßte lautstark eine andere, ihr bekannte Familie,
die auch schon im Bett lag. Das Licht wurde angeknipst, und dann nahm
ein Familientreffen seinen lautstarken Verlauf. Das war dann doch auch den
anwesenden Spaniern zu viel, und sie protestierten energisch gegen
diese Ruhestörung, bis sich die Besucherfamilie, keineswegs hastig,
zurückzog. Die Erklärung für diesen Vorfall liegt darin,
dass wir aus der Sicht der Besucherfamilie "am hellichten Tag" im Bett
lagen, nämlich um 22 Uhr, wenn die Spanier erst richtig munter
werden. In mancher Stadt habe ich es erlebt, dass es 9 Uhr zum Essen,
11 Uhr zum Trinken und 1 Uhr zum Feiern ging. In Mansilla de las
Mulas fuhr ich um
3 Uhr hoch und wollte gerade wütend nachsehen, wer denn da im
Erdgeschoss betrunken rumgrölte, bis ich merkte, dass der
Lärm von unten von der Straße her durch die geöffneten
Fenster kam. Zugespitzt gab es nachts deshalb oft die Alternative:
Ersticken oder Ertauben.
Wegen dieses Tagesablaufs auch unsere zeitlichen Schwierigkeiten
mit den Restaurants. Auch viele Bars machten zu unserem Leidwesen erst
um 8 Uhr oder noch später auf, wenn wir längst unterwegs
waren und nach einem Café con leche lechzten.
Weitere spanische Untugenden sind das starke Rauchen (zuweilen auch
verbotenerweise im Refugio) und die Mobiltelefonitis. Einmal konnte ich
an einer Aufschnitttheke nicht bedient werden, weil die
Verkäuferin sich nicht von ihrem Mobiltelefon lösen konnte.
Eine aufmerksame Kassiererin musste herüberkommen und aushelfen.
Nachts piepten manchmal nicht abgeschaltete Geräte; an frei
zugänglichen Steckdosen wurde Strom nachgetankt. Man muss allerdings
zugeben, dass ein Mobiltelefon gerade für einen Pilger, der auf
dem Marsch in Not gerät, sehr wichtig sein kann.
Die Spanier waren sehr kälteempfindlich. Sie trugen aber oft
auch nur hauchdünne T-Hemden und kurze Hosen und hatten zum Teil
nur Leinenschlafsäcke dabei. Ich hatte immer nur ein langärmeliges
Hemd (Sonnenschutz) auf dem Oberkörper; dazu eine lange Hose, die
mir bei zugewachsenen Pfaden sehr zustatten kam und auch verhinderte,
dass Steinchen in die Wanderstiefel gerieten.. Auch unsere
Schlafsäcke waren ziemlich dick und schwer. Da die Spanier im
Refugio darauf bestanden, sämtliche Fenster im Schlafsaal zu
schließen, wurde es nachts anfangs sehr heiß, und die
Luft war morgens zum Schneiden. Ich habe deshalb schlimme Nächte
gehabt; bin ich es doch gewohnt, in möglichst kaltem Schlafzimmer
zu schlafen. Daher lag ich (und anderen ging es genauso) fast immer,
nur mit Unterhose bekleidet, nachts auf dem Schlafsack. Nur wenn
es morgens manchmal abkühlte, kroch ich doch noch hinein. Zwei Mal
haben wir in Zelten geschlafen (Villafranca Montes de Oca, Molinaseca),
und das war herrlich. In kleineren Zimmern konnte man auch verabreden,
ein Fenster geöffnet zu lassen; zuweilen habe ich "vergessen",
die Tür zu schließen.
Fazit zum Wetter: In jeder Jahreszeit ist mit Regen zu rechnen.
Pullover, Regenmantel und wärmender Schlafsack sind notwendig.
Unsere großen Hüte waren oft hinderlich. Zumindest zum
Einkaufen usw. hätte ich mir eine einfache Sonnenschutzkappe
gewünscht. Anderereits schützten die Hüte das ganze
Gesicht, und bei Regen wären sie unentbehrlich gewesen.
Was uns schmerzhaft fehlte, war eine kleine Taschenlampe. Wer
hätte gedacht, dass sich das Refugioleben i.w. in der Dunkelheit
abspielt (weil man nie Licht machen darf, um Schläfer nicht
zu stören)? Einige Male habe ich so die Lichtschalter auf der
Toilette nicht gefunden und wäre fast einige Stufen hinuntergefallen.
Es war ein Segen, wenn Straßenlaternen durch die Fenster
wenigstens für etwas Licht sorgten oder wenn es eine
Notbeleuchtung gab.
Zum Thema "Taschenlampen" kann man köstliche Anekdoten
erzählen: Die morgendlichen Hektiker, die im Dunkeln packten,
benutzten kleine Punkttaschenlampen, um sich wenigstens etwas zu
helfen. Wie packt man aber mit einer Hand, während die andere
die Taschenlampe hält? Nun, man hatte Taschenlampen, die sich
aufhängen ließen, oder, noch besser, solche, die an einem
Kopfring getragen wurden, wie bei den Bergleuten am Helm! :-) Wenn
man dann anschließend, noch im Dunkeln, losrannte, musste einer
voran und mit der Taschenlampe die gelben Pfeile suchen, die den
Jakobsweg markieren. (Einmal kamen zwei kleinlaut zurück,
weil sie den Weg trotzdem nicht gefunden hatten.) Verrückt!
Unsere Teleskop-Wanderstöcke erwiesen sich als
Trumpf! Sobald es mal in dem einen oder anderen Knie- oder
Hüftgelenk zwickte, habe ich den Stock an die betreffende
Seite gewechselt. Minuten später waren die Beschwerden
verschwunden. Wir haben keine Kniebandagen, die man bei anderen
Wanderern, überwiegend solchen ohne Wanderstab, häufig
sah, gebraucht. Zudem waren die Stöcke immer das "dritte Bein", in
Felsgeröll und bei einer Flussdurchquerung unverzichtbar.
Ein einziges Mal bin ich trotzdem gestürzt, als gleichzeitig
Stock und ein Bein ausglitten. Die Teleskopstöcke ließen sich
mit einem Handgriff bei Runtersteigen verlängern; mit ihnen
fühlte ich dann vor; beim Raufsteigen wurden sie verkürzt.
Einfach praktisch!
Wir hatten ja dicke Bergschuhe mit, die die Knöchel bedeckten.
Andere, die den Jakobsweg nur ein Stück gingen, glaubten, mit
festen Sandalen, die die Ferse frei ließen, auskommen zu können.
Ergebnis: der hintere Riemen rieb den Fuß oberhalb der Ferse bis
aufs Fleisch durch. Wir haben entsetzliche Fälle gesehen. Unsere
Schuhe gaben auch festen Halt, was bei den überwiegenden
Schotter- und Geröllpisten einfach notwendig war. Wie oft bin ich
(aus Müdigkeit) über einen Stein gestolpert, einige Male
umgeknickt. Die robusten Schuhe fingen alles ab.
Mit den Isomatten ist es sicher so wie mit dem Regenschutz: Man
braucht sie nur dann dringend, wenn man sie nicht mitgenommen hat. Wir haben
unsere Isomatten tatsächlich nur ein Mal (in Larrasoaña)
zum Schlafen gebraucht; sie waren aber mehrfach sehr nützlich, um
sich in Parks, am Wegesrand oder am Strand auszuruhen.
Nachtrag: Hinter Santiago wurde es vollends lustig: Regelmäßig
sprangen die Angaben (wieder mit Meterangaben) um rund 2 km hin und
her. Das Rätsel lösten wir erst zwei Tage später an einer
Verzweigung: Es waren abwechselnd die Entfernungen zum Leuchtturm nach
Finsterre und nach Muxía, dem Wallfahrtsort "unserer lieben Frau vom
Schiff" wiedergegeben worden. Wir hatten uns vorher den Zusatz "Muxía" nicht
erklären können.
Unser Outdoor-Handbuch
"Kasper, Michael: Spanien: Jakobsweg" (1999),
im Folgenden kurz "Outdoor-Handbuch" genannt, war trotz der guten Wegauszeichnung
sehr nützlich. Es lieferte z.B.
zusammenfassende Beschreibungen von Wegalternativen, was eine gute
Vorabplanung ermöglichte; dann verstand man, an der Abzweigung
angekommen, auch die aufgemalten Hinweise besser.
Nachtrag 2007: Die Handbücher der "Outdoor-Serie" aus dem
Conrad-Stein-Verlag
sind weiter hin zu empfehlen. (Auf der Startseite den Menüpunkt "Programm"
anklicken und dann "Süd-, West- und Mitteleuropa" auswählen.)
Von dem o.e. Handbuch ist die 10. Auflage angekündigt.
Als immer aktuelles Nachschlagewerk für Unterkünfte
aller Art (einschließlich Pilgerberhergen) auf dem Camino Francés
sowie den Camino Aragonés (die Somport-Variante)
empfehle ich nachdrücklich den
Führer von Jochen Schmidtke. In diesem werden u.a. auch meine
Hinweise laufend verarbeitet.
Auch die Landkartenkopien
waren insgesamt sehr nützlich. Die Kopien stammten von den
Karten Michelin 441 mit Galicien, Asturien und León sowie
442 mit dem Baskenland, Navarra und Kastilien.
Ihr Maßstab ist 1:400.000, d.h. 1 cm Karte = 4 km Natur.
Als Handbücher hatten wir außer dem oben erwähnten
noch folgendes mit: Wegner, Ulrich: "Wandern auf dem Spanischen Jakobsweg", 1999,
Verlag DuMont. Es diente
mit seinen Karten und einigen Informationen als Ergänzung und
Kontrolle, ist aber nur für Orientierungsbedürftige
(wie mich) von unverzichtbarem Wert.
(Was bei ihm stört, ist, dass der Jakobsweg
auf den Karten von rechts nach links verläuft, auf den Abbildungen
der Höhenprofile aber von links nach rechts.) Die Karten mit
allen Erhebungen und Wasserläufen helfen sehr
bei der Orientierung, wie weit man ist. Leider ist manche neue
Autobahn nicht eingezeichnet, von Santiago nur ein Kern dargestellt: die
Bebauungsgrenze hat längst San Lazaro im Osten erreicht. Das
verwirrt.
Unsere Outdoor-Ausgabe war die von 1999, damit Sommer 2000 die neuste und
trotzdem in sehr vielen Angaben schon wieder überholt; einige neue Refugios
waren gar nicht vermerkt. Was aber äußerst hilfreich war,
waren die Angaben über die Bettenzahl der Refugios, ob es
Einkaufsmöglichkeiten am Ort gab oder wenigstens eine Bar. Bars
schießen immer noch wie Pilze aus dem Boden; die Angaben dazu
müssten dringend ergänzt werden. Leider bleibt das Risiko,
dass die Bar geschlossen ist, weil sich die Spanier nicht gern auf
feste Öffnungszeiten festlegen. Die Refugios in Galicien haben
neuerdings (fast) einheitlich ab 13 Uhr geöffnet und schließen
um 23 Uhr. (Nur Finisterre scherte aus.) Die Landkartenkopien halfen
bei der Planung der Etappen; hinter Santiago waren sie das einzige
Kartenmaterial, da die Strecke bis zum Kap nicht in den Handbüchern
abgebildet war. Sehr viele Pilger hatten das bekannte Handbuch
von Millán Bravo Lozano (mit Ringheftung)
dabei; vor dessen Karten ist zu warnen, da sie nicht maßstabsgerecht
sind und zu Fehlplanungen verleiten.
Alle Pilger waren untereinander trotz mancher Konflikte im Hintergrund
im allgemeinen sehr friedlich und hilfsbereit. Ich habe auch nie beobachtet, dass Frauen
"angemacht" wurden. Abgesehen von dem Wettrennen um die Betten konnte man
sehr zufrieden sein. Es wurde nur von einem Fall berichtet, dass sich zwei
Pilger um das letzte Bett in Puente la Reina geprügelt hätten.
Wie ich schon unter "Nordspanien: Land und Leute" berichtet habe, haben
Pilger auch nichts von Nichtpilgern zu befürchten, mit der genannten
Ausnahme auf der Strecke hinter Santiago. Etwas anders sieht es bei
Diebstählen aus: In Burgos wurde davor gewarnt, etwas unter
den Fenstern liegen zu lassen, und in Santiago kamen im Refugio (das
ohne Aufsicht allen offen stand) massive Diebstähle vor. Sonst konnte
man seine Sachen (natürlich nicht seine Wertsachen) überall
unbesorgt rumstehen lassen, auch auf der Straße vor dem Refugio.
Pilger bestehlen einander also wohl nicht. Im Gegenteil: ich verlor 50 DM
auf dem Marsch und erhielt sie Minuten später von einer nachfolgenden
französischen Pilgergruppe zurück. Eine Pilgerin, die ihren
Fotoapparat auf dem Platz vor einem Refugio hatte liegen lassen,
brauchte später nur die Hospitalera zu fragen: bei der
war er schon abgegeben worden.
Eine ganz andere Gefahr sind zuweilen die Stockbetten. Wenn die oberen
Betten kein seitliches Gitter haben, kann man rausfallen. Extrem: in
Viana gab es 3-Stock-Betten, mit glatten Matratzen und ohne Gitter
(siehe das Kapitel "Von Pamplona nach Burgos"). Man sollte es auf jeden
Fall ablehnen, auf dem obersten Bett zu schlafen. Statt dessen einfach
die Matratze nehmen und irgendwo auf den Boden legen. In Viana kam es
nämlich, wenige Tage nach unserem Aufenthalt dort, zu einem
hässlichen Unfall: Augenzeugen bestätigten uns, dass dort eine
Frau samt Schlafsack vom obersten Bett herabgefallen war und in ihrem
Blute lag. Es ist nicht klar, ob sie überlebt hat. Dreistockbetten
sollten grundsätzlich nicht zulässig sein!
Ähnliches muss man zu manchen Duschanlagen sagen, die der
reinste Mordanschlag sind: rutschige Kacheln, in Ordnung, das kennt man,
aber auch noch extrem abschüssig zur Duschwanne hin (damit das
Spritzwasser besser zurückfließt)?! Wenn man wie ich ohne
Brille keine Perspektivsicht mehr hat, sieht man weder Stufen noch
Gefälle, die gleichgekachelt sind wie ihre Umgebung
und nicht gekennzeichnet.
Trotz aller Vorsicht bin ich so in den Duschanlagen des Refugios
auf dem Cebreiropass in Rutschen gekommen und konnte mich nur noch dadurch
vor einem Sturz bewahren, indem ich die Wasserhähne umklammerte.
Eine ähnliche Gefahr gibt es häufig an Spaniens Straßen:
Stufen und senkrechte Abstürze, bis zu zwei Metern hoch, an
Straßenrändern und Bürgersteigen, ohne jegliches
Gitter oder Absperrung. Wer da nicht darauf achtet, wohin er seine
Füße setzt, kann böse abstürzen.
Eine andere, viel beschriebene Gefahr sind Hunde. Wir haben zwar
keine wirklich gefährliche Situation erlebt, aber oft Angst
geschwitzt, wenn nur einen Meter von uns entfernt, durch ein leicht
überspringbares Gitter von uns getrennt, ein Dobermann oder ein
Schäferhund tobten. Wie leicht konnte so ein Tier einmal aus
Versehen frei sein und Pilger anfallen! Die Hunde, die auf dem Weg
lagen, waren durchweg zu faul, um uns anzubellen. Bis Santiago waren
sie offensichtlich die unentwegt vorbeiziehenden Pilger gewohnt.
Hinter Santiago sah es wieder einmal anders aus. Hier musste ich
schon mal mit dem Stock drohen oder Kampfbereitschaft signalisieren.
Bei größeren Hunden sollte man auch das unterlassen,
um sie nicht noch mehr zu reizen: Ohne sie anzusehen, stur geradeausschauen
und mit festem Schritt weitergehen, evtl. sich dabei im Plauderton
unterhalten. Kamen Hirtenhunde in Sicht, haben wir immer den Schäfer
schon von weitem laut gegrüßt. Er grüßte dann
natürlich mit normaler Stimme zurück, was seinen Hunden
signaliserte, dass wir nicht potenzielle Angreifer waren. Das hat
immer gut funktioniert. Das einzige Mal, als uns zwei Hirtenhunde
graulend und knurrend den Weg verstellten, waren wir gerade drei
Zweiergruppen hintereinander, und vor dieser Übermacht wichen
auch die Hunde. Der Wanderstab hilft wohl eher symbolisch, als
Signal für den Hund, dass er einen "Hirten" vor sich hat,
und einem selbst als moralische Stütze, obwohl man sich vom
Verstand her sagt, dass so ein Stock in der Hand eines Ungeübten
keine wirksame Waffe ist.
Fazit zu der Gefahr, die von Hunden ausgeht: Es wurde kein
Fall bekannt, dass jemand von einem Hund gebissen wurde. Aber
oftmals musste man doch unangenehme Momente durchstehen.
Unterwegs wurden wir nur von wenigen Schnellläufern
überholt, weil wir selbst dazu gehörten. Ansonsten waren
wir Kurzläufer, denn die meisten unserer Etappen waren nicht
länger als 25 km, während Langläufer am Tag
bis zu 40 km und mehr liefen. (Einige hatten beide Füße bis
zur halben Unterschenkelhöhe verbunden.) Sie trafen dann als
Spätläufer mit anderen, die den ganzen Tag
rumgebummelt hatten, erst abends ab 18 Uhr im nächstbesten
Refugio ein, das in der Nähe lag und landeten dann
regelmäßig auf dem Fußboden. Die Spätläufer waren
oft die Verzweiflung der Hospitaleros: weiterschicken ging wegen der
fortgeschrittenen Zeit nicht mehr, auch wenn das Refugio schon bis zum
letzten Matratzenplatz voll war. Daher lagen sie dann im
Frühstücks- und im Aufenthaltsraum, in der Küche,
in sämtlichen Fluren und unter den Treppen, mit dem Resultat,
dass abends und morgens nichts mehr davon benutzt werden konnte,
ja nicht einmal Licht gemacht werden durfte. Es war schon nervig.
Manches Refugio, das um 16 Uhr noch eine Oase der Stille und des Platzes
war, verwandelte sich bis 22 Uhr in die übliche Sardinenbüchse.
Fußpilger sollten eigentlich spätestens um 16 Uhr im
Refugio eingetroffen sein; sonst sind ihre Etappen zu lang oder
sie haben zu sehr gebummelt.
Harald und ich waren meist zur Öffnungszeit oder kurz danach,
d.h. zwischen 12 und 14 Uhr an unserem Zielrefugio. Nach dem Belegen
der Betten gingen alle Pilger zum Duschen, danach wird die Wäsche
gewaschen (weil sie noch bis zum Abend trocken sein muss). Hat man
diese Pflichten erfüllt, ist Siesta angesagt. Ich ruhte (schlafen
konnte man in der Regel nicht) meist nur 1 Stunde, Harald länger.
Bis 18 Uhr war Zeit für evtl. Besichtigungen, dann wurde eingekauft
(für das Frühstück und das "Mittagessen" des kommenden
Marschtages). Danach stand eigentlich nur noch das warme Abendessen in
einem nahen Restaurant auf dem Plan. Bevor wir ins Bett gingen,
holten wir noch die Wäsche rein und bereiteten unsere
Frühstücksbeutel vor. Um 22 Uhr sollte Bettruhe sein,
aber nicht ausgelastete Pilger lärmten manchmal noch bis 24 Uhr.
Die übermäßige Nutzung führt bei den Refugios
natürlich zu einer schnellen und starken Abnutzung. Refugios, die
im Outdoor-Handbuch noch als "schön" beschrieben werden, sind
inzwischen nur noch als "heruntergekommen" zu bezeichnen. Sehr vieles
ist kaputt und wird nicht repariert. In Ribadiso war die
Herrenwaschanlage "vorübergehend" wegen Defekt gesperrt; vor zwei
Jahren war sie es auch schon. Bei jeder Toilette muss man zuerst ausprobieren,
ob sie funktioniert. Fenster und Türen sind verzogen und quietschen
bei jeder Bewegung laut (nachts!). An vielen Toilettenkabinen fehlt
das Schloss, oder es ist defekt (also pfeifen, solange man auf der Brille
sitzt, oder einen Schuh unter der Tür hervorstrecken). Jede
zweite Lampe funktioniert nicht usw. Das Chaos wird dadurch
vergrößert, dass die Pilger in jeder Dusche unglaubliche
Überschwemmungen verursachen (trotz zuweilen existierenden
Duschvorhangs), die auf die Toiletten und in einem Fall sogar auf den
Schlafsaal übergriffen. Mich fragte jemand kurz vor Santiago: "Na,
wo möchtest du denn einmal gern Freizeithospitalero sein?"
Spontan sagte ich: "Nirgends! Ich würde mich doch über die
allgemeine Disziplinslosigkeit und Gleichgültigkeit den
Einrichtungen gegenüber tot ärgern."
An dieser Misere ist m.E. nach das System der Refugios selbst mit schuld.
Gedacht als Unterschlupf für arme Pilger, sind die Refugios
so gut wie kostenlos (manchmal 3 EUR, meistens werden nur
Spenden erwartet). Das lockt zum einen alle an, denen es nur um einen
billigen Urlaub geht. Zum andern gilt etwas nichts, wenn es nichts kostet,
und dann wird es auch nicht aufgepasst. Verstärkt wird
dieser unselige Hang dadurch, dass einige Refugios praktisch ohne
Aufsicht sind, so dass man nicht einmal mehr das Feigenblatt "Pilgerausweis"
braucht, um sich dort einzuquartieren. (Der Stempel liegt irgendwo zur
Selbstbedienung.) Das hat zur Folge, dass kein Geld da ist, um Refugios
zu reparieren oder zu renovieren, und so geht es steil bergab. Das
einstmals schöne Refugio von Cebreiro hat jetzt überall
Wasserschäden und wird in absehbarer Zeit nicht mehr bewohnbar sein.
Was wäre zu tun? - Alle Refugios sollten von jedem 6 EUR
für eine Übernachtung verlangen. Dann bliebe der größte
Teil der Schmarotzer weg, und man hätte Geld in der Kasse. Die
privaten Refugios machen das auch so und können offenbar damit
wirtschaftlich über die Runden kommen. Wer nicht einmal 6 EUR
bezahlen kann, der sollte mir erklären, ob er auch im
Übrigen unterwegs von Wasser und Steinen lebt. Ganz ohne Geldmittel
geht das Pilgern nun mal nicht. Ferner sollten die Refugios Privatquartiere
für diejenigen vermitteln, die auf die Schlafsaalatmosphäre
gern verzichten und etwas mehr bezahlen wollen (wurde in León schon gemacht).
Auch das würde zu einer Entlastung führen. Endlich ist in jedem
Refugio eine straffe Kontrolle notwendig. Dass das nicht stören muss,
zeigen die guten Beispiele von Frómista, Mansilla de las Mulas und
Palas de Rey. (Ich rufe hier also nicht nach "deutscher" Zucht und
Ordnung: die spanischen Hospitaleros in den genannten Orten haben
das fröhlich, aber kompetent und konsequent gehandhabt; ich habe
mich dort wohlgefühlt.)
Es ist völlig überflüssig, neue Refugios zu bauen.
Mit den vorgeschlagenen Änderungen käme mindestens so viel
Geld in die Region, und die vorhandenen Refugios könnten saniert
werden.
Zurück zum Anfang des Berichtes von 2000
Letzte Änderung: 02.03.2017
An- und Rückreise
Wir haben das Flugzeug der Bahn und dem Fernbus vorgezogen. Die Bahn ist
praktisch genauso teuer, braucht aber einen halben Tag mehr. Der Fernbus ist
gut 50% billiger, braucht aber einen ganzen Tag mehr. Ein Pilger
klagte, dass er zweimal in der Nacht den Bus wechseln musste und
große Schwierigkeiten hatte.
Nachtrag von 2006:
Inzwischen ist das Fliegen sehr billig geworden, besonders nach Barcelona,
Bilbao und Madrid.
Nachtrag von Mai 2002:
Weitere Hinweise auf Internetzseiten mit Verkehrsverbindungen
und sonstigen Tipps: siehe Planung 2002
Geld, Preise, Läden
100 Peseten entsprechen 1,17 DM.
Ab 2002: 1.000 Peseten ziemlich genau 6
EUR, wenn man alte Preisangaben vergleichen will.
Das fast überall zu bekommende Touristenmenü (Vorspeise,
Hauptgang, Nachtisch, dazu Brot und Getränk) lag zwischen 900 Peseten
und 1.300 Peseten. Die Auswahl war nicht mehr so gut wie vor 2 Jahren.
Auch gab es den Rotwein zugeteilt.
Sprache und Verständigung
Nichts ist an Vorbereitung mehr zu empfehlen, als ein paar Brocken Spanisch
zu lernen. So schwer ist es ja nicht: man hat im wesentlichen nur einige
wenige Sprechsituationen: Anmeldung im Refugio, Mieten eines Privatzimmers,
Bestellen im Restaurant und in der Bar, nach dem Weg fragen und
Wegbeschreibungen verstehen.
Dazu noch ein kleiner Blitzschnellkurs ;-):
Wird man mit etwas angesprochen, was wie eine Frage klingt,
hilft meistens schon ein etwas zögerndes "si". Klingt's
nicht wie eine Frage, immer unbestimmt mit dem Kopf nicken und
"asi, asi" (so so) sagen. :-)
Von wegen "mit Englisch kommt man überall durch"! Der
Durchschnittsspanier spricht keine Fremdsprache. Jüngere können
etwas Englisch und/oder Französisch. Französisch ist
überhaupt noch die Fremdsprache, die am ehesten verstanden wird,
Deutsch fast nie. Unter den Pilgern gab es besonders Franzosen und
Engländer, die kein Wort Spanisch sprachen. Für sie mussten
gewöhnlich andere dolmetschen.
Nordspanien: Land und Leute
Nordspanien ist weitgehend bergig, mit viel Grün, Wasser, Wald oder
Feldern. Der Fortschritt hat gute Straßen und viel Zerstörung
gebracht. Erst in letzter Zeit merken die Spanier wieder, dass Betonbauten
unvergleichlich hässlicher sind als die schönen Steinbauten
mit ihrem unverfugten Mauerwerk. Trotz einem sichtbaren Aufschwung
sind doch noch allenthalben Ruinen (die in Deutschland zumindest
abgerissen würden) zu sehen, ist sehr viel kaputt, dreckig und vor
allem vermüllt. Wer da empfindlich ist, sollte nicht nach Spanien
reisen. Verkehrsmittel wie Bus und Bahn sind billig und
zuverlässig. Der Tourismus wird gut bedient, man vermisst nichts.
Auch Privatzimmer sind sauber und ordentlich. Das Wasser kam mir nicht
mehr an so vielen Orten im Freien trinkbar vor wie vor 2 Jahren. Die
chlorverseuchte Brühe aus den Kränen der Städte
sowieso nicht. Doch gibt es in jedem Kramladen 1,5 l Trinkwasser
für ein paar Pfennige. Das ist so billig, dass die Plastikflaschen
überall auf dem Camino herumlagen. Pilger trugen kräftig
zur Umweltverschmutzung bei: an manchem Pilgerrastplatz sah man
deutlich, dass dort eine Gruppe ihr Mittagessen eingenommen hatte.
Wohl gibt es inzwischen überall Abfalleimer. Sie werden bloß
zu selten geleert (manche dem Anschein nach überhaupt nicht,
so auf dem Aussichtsberg oberhalb von Cebreiro).
Wetter, Ausrüstung
Das Wetter kann in Nordspanien, besonders in den Bergen und in Galicien,
sehr feucht und kalt sein. Es war reine Glücksache, dass wir nicht
einen einzigen Regentag hatten (hinter Logroño habe ich das einzige
Mal etwa 10 Minuten die Regenjacke gebraucht,
drei Mal gab es abends einen Schauer,
nämlich in León, Molinaseca und Cebreiro; in Hontanas sogar einen
Gewitterplatzregen). Pilger, die vor und hinter uns gewesen waren,
berichteten aber von tagelangem Regen, hatten in den Pyrenäen nichts
gesehen und Kap Finisterre nur im Nebel erlebt. Tatsächlich war
die Wettervorhersage oft "bedeckt mit Schauern". Einmal sahen wir in
allen Richtungen Regen, nur über uns gaben die Wolken nichts her.
Der Morgen begann oft mit Nebel, durch den die Sonne zwischen 10 und 11 Uhr
durchdrang. Bis dahin war es kühl bis kalt. Oft zog ich erst meinen
Pullover an; aber nach den ersten Kilometern und der ersten Steigung
fing ich derart an zu schwitzen, dass ich ihn schon wieder auszog.
Zusätzlich hatten wir das Glück, dass bei
Sonnenschein oft ein frischer Wind durch die Berge strich oder dass es
zeitweilig Wolken oder Dunst gab, der die Sonnenstrahlung abmilderte.
Wohl deshalb haben wir über die angeblichen "Schrecken" der Meseta
nur gelacht. Der Sonnenhöchststand war gegen 14 Uhr. Ohne Wolken
war es zwischen 11.30 Uhr und 17 Uhr unerträglich heiß.
Wir sahen dann zu, schon zwischen 12 und 13 Uhr unser Ziel zu
erreichen. Das geht nur mit kurzen Etappen (20 - 22 km).
Die folgenden Bemerkungen, die zum Teil überholt sind,
beziehen sich auf die
damalige Packliste. Inzwischen gibt es eine
aktuelle Packliste, die sich aus den Erfahrungen
der Folgejahre entwickelt hat. Sehr viel hat sich aber nicht geändert.
Unsere Ausrüstung laut (damaliger) Packliste
erwies sich sich als sehr gut. Nicht gebraucht haben wir Teller und
Löffel. Die Wäscheleine brauchten wir ein Mal. Statt einem
Waschmittel in der Tube würde ich Kernseife mitnehmen, da die
Waschbecken in der Regel keinen Stopfen hatten. Klopapier war immens
wichtig, da es auch in den Bars zuweilen fehlte. 1 Rolle als Vorrat reichte.
Blasen, Blasen, Blasen...
Durch die tatkräftige Mithilfe meiner Apotheke zu Hause ist das
"Wunderpflaster" inzwischen identifiziert. Es ist eigentlich kein
Pflaster, sondern eine "elastische Klebebinde", die Fuß oder
Bein besseren Halt geben soll. Sie hieß bis 2007 "Elastoplast",
jetzt "Optiplaste-C".
2,50 m (die sich zu 4,00 m dehnen lassen) kosteten im Jahre 2013 14,95 €, nicht
eben wenig.
Nachtrag von 2013: Details und eine Abbildung sind im Netz beim
Hersteller Beiersdorf (BSNmedical) zu finden:
Optiplaste®-C
In Spanien habe ich sie früher in Blaugrün statt in Braun gesehen, aber in den
vergangenen Jahren habe ich in spanischen Apotheken vergebens danach gefragt.
Die Hauptstrecke des Jakobswegs in Nordspanien (Camino Francés)
Wir sind die Hauptstrecke des Jakobswegs in Nordspanien, auch "Camino
Francés" genannt, gegangen, und zwar bis Puente la Reina vom
Ibañeta-Pass aus (im Gegensatz zum Somportpass). Der eigentliche
mittelalterliche Weg besteht heute überwiegend aus mehr oder
minder großen Fernstraßen. Für die Pilger haben die
regionalen Jakobsbruderschaften Alternativrouten (kleine Feldwege
und Pisten) erkundet, die sich um die Straßen herumschlängeln
und diese immer wieder kreuzen. Das hat Vor- und Nachteile. Zu den
Nachteilen gehört: die Entfernung nach Santiago verlängert
sich dadurch um schätzungsweise 20-30 km. Oft wird ein 2 km
entferntes Dorf "mitgenommen" und dann zur Straße zurückgekehrt.
Viele Pilger sehen das voraus und laufen deshalb doch die Straße
entlang. Ferner geht es häufiger und heftiger auf und ab. Es ist
schon manchmal etwas nervig, wenn man wieder parallel zur Straße einen
steilen Hang hochzieht und schon die Fortsetzung übersehen kann,
die sich einige Kilometer voraus genauso steil wieder zur Straße
absenkt. Auch überquert man oft vorgeschobene Hügelzungen,
die die Fernstraße umgeht und so ohne Steigungen bleibt (dann
ist der Pilgerweg allerdings auch mal kürzer als die Straße).
Diesen Nachteilen stehen erhebliche Vorteile gegenüber: Besonders
wenn die Straße keinen Seitenstreifen hat, ist es ungemein
gefährlich, an ihr entlangzulaufen. In jeder Kurve, bei jeder
Bodenwelle muss man darauf gefasst sein, dass einen die entgegenkommenden
Autos (darunter schwere Lastwagen) zu spät sehen und nicht mehr
ausweichen können. Wer einmal mehrere Kilometer so gelaufen ist, immer
die Ohren gespitzt, ob zugleich von vorn und von hinten sich Fahrzeuge
nähern, und immer darauf gefasst, in den Graben zu springen, der
setzt alles daran, eine Alternative gehen zu können. Ferner nimmt
der ausgewiesene Pilgerweg manche Sehenswürdigkeit (z.B. jede
schöne Brücke) mit, die man nur ungern verpassen würde.
Schließlich führt der Weg oft durch die unverfälschte
Natur, abseits der Straße oder doch so von ihr getrennt, dass man
sie nur hört, aber nicht sieht. So hat man wenigstens die Illusion
der Einsamkeit und Naturverbundenheit. Wir haben klar die letztere
Alternative vorgezogen und sind keine Abkürzungen gegangen.
An dieser Stelle ein großes Dankeschön an die vielen
unbekannten Helfer, die den Weg ausgekundschaftet und ausgezeichnet
haben.
Wegekennzeichnungen, Handbücher
Die Wegekennzeichnungen mit gelben Pfeilen, Kilometersteinen,
Muschelkacheln in Hauswänden und Mauern sowie gelben
Plastikstreifen in den Büschen waren durchweg so gut, dass
man die Handbücher nicht konsultieren musste. Hinter Santiago war
es manchmal schwieriger.
Die Kilometersteine waren ebenfalls mit Muschelkacheln verziert,
aber o weh: Souvenirjäger haben einen Großteil der
Kacheln herausgeschlagen, wobei sehr viele zerbrochen sind.
Ab der Grenze von Galicien sind die Kilometersteine bekanntlich mit
Entfernungsangaben bis Santiago versehen, was ich mehr positiv als
negativ empfand. Es gab nur eine merkwürdige, feste Differenz von
etwa 2 Kilometern im Vergleich zum Outdoor-Handbuch, die am Flughafen vor
Labacolla wohl ihre Erklärung fand: Ab dort standen nämlich
neuere Steine mit Entfernungsangaben auf den Meter genau
- und mit einem Sprung von rund 2 km!
Hunde und andere Gefahren
Der Jakobsweg als solcher ist nicht gefährlich, er führt nicht
an Abgründen vorbei oder durch Schluchten. Natürlich kann man
sich überall ein Bein brechen oder einen Herzanfall haben. Der Pilger
ist selten wirklich allein. Da alle, die in einem Refugio übernachten,
innerhalb von etwa drei Stunden nach und nach aufbrechen, trifft man sich
unterwegs immer wieder, vor allem bei Pausen und in Bars. Lediglich auf der
Strecke hinter Santiago und bei der einen oder anderen wenig begangenen
Alternative muss man damit rechnen, im Notfall niemanden um Hilfe bitten
zu können.
Nachtrag von 2003:
Inzwischen hörte ich von zwei Fällen, in denen Pilger gebissen
wurden, in einem davon ernsthaft. Die Gefahr besteht also weiterhin.
Ich empfehle eine Pfefferspritze zur Abwehr (siehe meinen
Bericht von 2003).
Des Pilgers Tagesablauf: Von Läufern und Radfahrern
Sprachlich ist es interessant, wie eine bestimmte Umgebung gleich zu
speziellen Neubegriffen führt: So entwickelten Harald und ich
unter uns bald ein Klassifikationssystem für Pilger, je nach derem
Tagesablauf. Die Hektiker, die aus unerfindlichen Gründen in aller
Herrgottsfrühe packten, waren die Knistertüten. Wir selbst
verhielten uns nach ein paar Tagen wie folgt: Nachdem die
"Knistertüten" uns geweckt hatten (zwischen 4.30 Uhr und 5.30 Uhr)
blieben wir erst einmal bis gegen 6.30 Uhr liegen. Die Knistertüten
wuschen sich nicht oder kaum und ließen auch das Frühstück
ausfallen. Kaum hatte der Hospitalero schlaftrunken aufgeschlossen,
stürzten sie davon. Nach ihrem Wegzug war schon mehr Platz im
Schlafsaal. Harald und ich wuschen uns dann, zogen uns provisorisch
an (d.h. noch ohne Wanderstiefel), nahmen anschließend
unsere Frühstücksbeutel und gingen nach draußen zum
Frühstücken. "Draußen" konnte ein beliebiger Refugioraum
sein, in dem mal keine Pilger auf dem Boden lagen, oder auch eine Mauer oder
eine Bank vor dem Refugio im Lampenschein. Gegen 7 Uhr kamen wir dann
in den Schlafsaal zurück. Hier mussten nun eigentlich alle wach
sein, denn meistens schmiss das Refugio die Leute um 8 Uhr aus dem
Haus! Also durfte man das Licht anmachen, sich in Ruhe die Füße
einschmieren, packen und sich abmarschfertig machen. Inzwischen waren
die meisten Pilger (ohne Frühstück) abgerückt; nur einige
Langschläfer (meist Radfahrer) blieben einfach liegen, bis
sie durch die Hospitaleros oder das Putzkommando rausgeschmissen wurden.
Harald und ich verließen also die Refugios nach den meisten anderen,
holten diese aber unterwegs oder in der nächsten Bar wieder ein,
denn irgendwann muss jeder ja doch mal frühstücken.
Das Problem der Refugios
Das Problem der Refugios ging schon zum großen Teil aus der
Schilderung des Tagesablaufs hervor. Es war wie im Spiel "die Reise nach
Jerusalem" (das man vielleicht "die Pilgerfahrt nach Santiago" umtaufen
sollte :-)): morgens mussten alle das Refugio verlassen, denn mehr als
1 Tag durfte man nicht am gleichen Ort bleiben. Dann ging das Gerenne
um die Betten in den nächsten Refugios los. Mit wenigen Ausnahmen
haben wir die Refugios als völlig überbelegt erlebt. Außer
allen, die behaupteten, Fußpilger zu sein, wurden
regelmäßig auch noch Radfahrergruppen und manchmal sogar
motorisierte Reisende aufgenommen. (Einmal haben wir zwei Pilger auf
Pferden getroffen; sonst fiel uns noch ein einbeiniger Radfahrer auf, und
vor Melide kam uns sogar ein Rollstuhlfahrer entgegen.)
Die Überbelegung überlastete nicht nur
sämtliche Einrichtungen (einmal 33 Personen bei einem einzigen
Toilettenraum mit 1 Dusche und 1 Toilette), sie führte auch zu
chronischer Hektik bei allem, was man machte (immer warteten hinter
einem schon die nächsten und sei es nur darauf, sich vorbeiquetschen
zu können), und damit zu einem völligen Gegenteil der für
müde Pilger angestrebten Ruhe. Ein besonders krasser Fall geschah
in Triacastela: gerade hatten wir uns freudestrahlend in einem
4-Bett-Zimmer (welch Luxus!) eingerichtet, als direkt vor unserer
Tür eine Jugendgruppe auf dem Boden untergebracht wurde. Nun
bestand unsere "Tür" aus zwei Pendelhälften wie bei einer
Bar im Wilden Westen. Das heißt, wir hatten nicht nur den
Lärm praktisch im Zimmer selbst, sondern die neu Eingetroffenen
schauten auch noch über und unter unserer Tür her, unterhielten
sich kichernd über uns und bliesen Zigarettenrauch ins Zimmer.
Dort wollte ich keinen Moment länger bleiben! Harald ließ
sich von mir bewegen, zu packen und unter Protest bei der Herbergsleitung
auszuziehen. Wir sind dann in ein Privatquartier in die Stadt gezogen.
Die Jugendgruppe haben wir noch einige Male wiedergesehen; sie haben
sich dann besser benommen.
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