Im Jahre 2001 auf der Nordroute des Jakobswegs in Nordspanien
(Camino del Norte), von Irún nach Oviedo


25 Etappen, 510 km


Autor: Rudolf Fischer

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Pilger werfen ihre Schatten voraus

Inhalt


Einleitung und Resümee

Vom 19. Juli bis zum 12. August 2001 (25 Marschtage, 510 km) sind meine Frau Hedwig (links) und ich zu Fuß von Irún (an der französischen Grenze) nach Oviedo gepilgert. Hinzu kamen An- und Abreise. Der folgende Bericht soll vor allem künftigen Pilgern dieser Strecke viele Informationen und Tipps liefern, daneben aber auch möglichst amüsant von unseren Abenteuern berichten.

Diese Pilgertour war hart; 5 kg leichter kam ich nach Hause. Dass der Camino del Norte an der Nordküste entlang nicht mit dem Camino Francés, dem Hauptweg, zu vergleichen ist, wussten wir auch vorher. Er war wirklich ganz anders. Die wesentlichen Unterschiede sind:

Am Ende habe ich gesagt: "Gut, dass ich nicht vorher gewusst habe, was alles auf uns zukam. Aber jetzt bin ich froh, dass ich diesen Weg gegangen bin." - Ist es mit unserem Leben nicht genauso? Gerade auf dieser Pilgerfahrt ist mir aufgefallen, wie sehr das Pilgern ein kleines Abbild unseres Lebens ist. Man durchwandert es mit vielerlei Beschwerden, erlebt jeden Tag Tiefpunkte und Höhepunkte und sagt sich rückblickend doch: Ganz ohne Probleme und Anstrengungen wäre es auch nichts gewesen; gerade die schönen Momente kommen nur im Gegensatz plastischer heraus.

Für meine Frau und mich persönlich war diese Tour auch die Probe, ob wir es wochenlang auf engstem Raum miteinander aushalten, fast nur auf die gegenseitige Gesellschaft beschränkt. Das vor dem Hintergrund, dass ich ab dem 1. Juli nur noch teilzeitbeschäftigt bin und daher ab jetzt häufig zu Hause sein werde. - Nun, wir haben uns prima verstanden und sehen dem neuen Lebensabschnitt des gemeinsamen Altwerdens gefasst entgegen. Allein dafür hat es sich schon gelohnt.

Allgemeines

Finanzen: Wir haben wöchentlich zusammen etwa 50.000 P. (ca. 585 DM / 300 EUR), einschließlich Bahn- und Busfahrten bei An- und Abreise (außer Flugkosten), ausgegeben. Die Privatunterkünfte kosteten etwas mehr als auf dem Camino Francés: es ist uns aber immer gelungen, für ein Doppelzimmer nicht mehr als zwischen 4.000 und 5.900 P. (24 - 35,40 EUR) (einschließlich IVA, der span. Mehrwertsteuer) zu bezahlen. - Geldautomaten gab es in jeder Kleinstadt. Mit der Postbankkarte hatten wir diesmal keine Probleme. Ab 2002: Neue Umrechung: 1.000 Peseten sind ziemlich genau 6 Euro.

Mit Handbuch ist im Folgenden gemeint:
Michael Kasper: Nordspanien: Jakobsweg - Nebenrouten, Reihe Outdoor-Handbuch, Band 71, 2. Auflage 2001
Conrad-Stein-Verlag, ISBN 3-89392-371-3

Dieses Handbuch war unentbehrlich (bekomme keine Prozente). Bei der Fülle von Informationen ist es natürlich unvermeidlich, dass einiges nicht (mehr) aktuell war oder nicht (ganz) stimmte. Ich weise dann besonders darauf hin. Insgesamt war nicht immer klar, wo der Autor dem markierten Jakobsweg gefolgt ist und wo nicht. Wenn die Übereinstimmung klar war, ergänzten sich gelbe Pfeile und Handbuch in idealer Weise. An mehreren Stellen hätten wir uns ohne das Handbuch unweigerlich verlaufen (z.B. weil Baustellen die Wegezeichen eliminiert hatten). Zu vielen markierten Strecken bietet das Handbuch Alternativen, die alle nicht schwer zu finden waren und in der Regel langweilige oder zu lange, mit Pfeilen markierte Abschnitte durch landschaftlich reizvollere ersetzten. Aber: Meist wurde das dadurch erkauft, dass die alternative Strecke wesentlich mühsamer war (unwegsamer und/oder mit schlimmen Steigungen). Empfehlung: Sich mehr Zeit lassen, kürzere Etappen vorsehen (nur bis 20 km am Tag) und dafür die Landschaft genießen. Dann lohnt sich der Camino del Norte wirklich. Diejenigen, die über die "dauernden Landstraßenabschnitte" stöhnten, haben eben das Handbuch nicht gehabt.


Nachtrag vom 10.12.2003: Das obige Handbuch ist inzwischen nicht mehr lieferbar. Dafür ist im September 2003 ein neues erschienen, aber: Es beschreibt nur noch den Küstenweg ab Irún, und zwar mit dem Zweig über Ribadeo - Baamonde. Das heißt, dass u.a. der Camino primitivo über Oviedo nicht mehr enthalten ist. Um so wichtiger also zurzeit mein dementsprechender Bericht von 2002.

Auf der Suche nach Unterkünften hatte ich mir viel von den Touristenbüros (Oficina de Turismo) versprochen. Das war eine Enttäuschung! Bis auf zwei lobenswerte Ausnahmen (in Guernica und in Bermeo) gab es lediglich einen Stadtplan, mögliche Unterkünfte angekreuzt und ein "viel Spaß bei der Suche". Kein Mitleid mit armen Pilgern zu Fuß, die nicht so einfach eine Stadt abklappern können - und denen es zudem schwer fällt, auf Spanisch zu telefonieren. Denn gerade die Inhaber der billigeren Unterkünfte konnten keinerlei Fremdsprachen. Michael Kasper spricht von "langen Listen von Fremdenzimmern" (Handbuch, S. 86). Ja, wo waren die denn? Die meisten Städte hatten 2-3 Hostales, und das war's. Wir haben den Verdacht, dass es Privatzimmer nur "unter der Theke" gibt, denn einige unserer Gastgeber vermieteten offensichtlich an der Steuer vorbei. Wir haben nicht herausgefunden, wie man "normalerweise" an solche Zimmer kommt. Ich habe es in Bars versucht: Kein Augenzwinkern, kein An-die-Seite-Nehmen, kein diskretes Adresse-in-die-Hand-Drücken: Es gab angeblich nichts. Dazu möchte ich doch mal Spanienkenner hören. Uns hat es jedenfalls oft ins Schwitzen gebracht.

Erst spät fand ich heraus: Man sollte nach dem Guía oficial de alojamientos turísticos (Amtliches Unterkunftsverzeichnis) fragen. Den gab es in Kantabrien und in Asturien, sicher also auch im Baskenland. Hier findet man schon vorab sehr viele Unterkünfte verzeichnet, sogar mit (aktuellem!) Preis, an den sich die Gastgeber halten. Telefonisch lässt sich so das Unterkunftsproblem wesentlich mildern (wenn man genügend Spanisch kann). Klar, dass ein unbekannt großer Teil von Unterkunftsmöglichkeiten nicht in diesen Führern verzeichnet ist, aber man hat doch schon mal was in der Hand, bevor man das Touristenbüro in der jeweiligen Stadt gefunden hat. (Man braucht dort nur noch den Stadtplan und lässt sich die telefonisch gebuchte Unterkunft einzeichnen.) Wie gesagt, darauf bin ich nur durch Zufall und zu spät gekommen, als dass wir es noch nutzen konnten. Das einzige Mal, bei dem ich diese Methode anwandte, nämlich in Pola de Siero, war das Hostal bereits ausgebucht.



Unser blauer Winzling ganz links

Als Notnagel hatten wir ja ein Zelt dabei. Das hat sich doch sehr bewährt.

Insgesamt haben wir es acht Mal eingesetzt. Auf Campingplätzen waren wir (als zahlende Gäste mit wenig Platzbedarf) willkommen. Einige Campingplatzleitungen waren sogar ausgesprochen pilgerfreundlich (z.B. in Itxaspe vor Deba).

Auch konnte man ohne weiteres erst um 20 Uhr eintreffen und fand (für so ein kleines Zelt) immer Platz.


Einziger, aber schwerwiegender Nachteil: unser Billigzelt hat zwar Regen ausgehalten, aber bei schlechtem Wetter wurde doch alles kompliziert. Ein nass eingepacktes Zelt musste über Tag getrocknet werden; außerdem war es auch ohne Regen regelmäßig nass, von innen, vom Kondenswasser. (Das ließ sich nur in Ausnahmefällen vermeiden: die ganze Nacht keinerlei Niederschlag und ein frischer Wind). Insgesamt überwogen die Vorteile, denn "auf zum nächsten Campingplatz" war einige Male die letzte Rettung, eine Unterkunft zu finden bzw. allzu lange Etappen aufzuteilen.

Jugendherbergen sind in Spanien relativ teuer (ca. 2.500 P./15 EUR pro Person, das reicht an Pensionszimmer heran). In Bilbao und in Hondarribia (hinter Irún) gab es Pilgersonderpreise, in Orio nur eine Abfuhr. In San Sebastián haben wir es nicht probiert (s.u.), obwohl die offensichtlich neuere Herberge sehr nahe am Pilgerweg liegt (aber leider am Ende der Stadt).

Refugios: Wir haben nur das in Santander und die in Asturien zwischen Piñeres und Oviedo ausprobiert, weil wir auf die Angaben des Handbuchs fixiert waren. Von anderen Pilgern erfuhren wir, dass es noch weitere gibt, insbesondere in Kantabrien. Tipp: Im Refugio Santander hängen Bilder von weiteren Pilgerunterkünften in Kantabrien und Asturien. Leider reicht die blanke Ortsangabe in der Regel nicht, um herauszufinden, wo das nun ist. Denn viele Orte haben mehrere Namen und Ortsteile, und die Refugios werden mal hiernach, mal danach benannt. Dem könnten im Prinzip Karten abhelfen, auf denen auch kleine Dörfer eingezeichnet sind. Aber: Fehlanzeige!

Das war eine zweite herbe Enttäuschung: Ich hatte fest damit gerechnet, mir für die Feinplanung einiger Wegabschnitte Wanderkarten 1:50.000 oder 1:100.000 zu kaufen. Die gab es einfach nicht (außer für einen Teil Asturiens um die Picos de Europa)! Stolz reichte man uns Karten der Provinzen Baskenland, Kantabrien bzw. Asturien, aber auf denen waren gerade die wichtigsten Landstraßen vermerkt und nicht einmal alle größeren Dörfer. Leider sind auch auf den Übersichtskarten des Handbuchs sehr viele kleine Orte nicht eingezeichnet. Deshalb war es uns meist unmöglich, planend abzuschätzen, wie weit ein Umweg wirklich war und ob es nicht eine Abkürzung gab. Manchmal haben wir sie im Nachhinein gesehen und uns geärgert.

Dasselbe galt für die Lage der Campingplätze. Ich hatte drei Kartenwerke, aber es nutzte wenig: auf dem einen (in Spanien gekauft) standen überhaupt keine Campingplätze, auf dem zweiten (Michelin) nur ein allgemeiner Hinweis hinter dem Ortsnamen (also ohne Anzeige der wirklichen Lage), auf dem dritten (HB-Heft) waren sie lagegerecht eingezeichnet, aber das war völlig veraltet. Nur die Wanderkarte von den Picos (1:80.000, in Comillas gekauft), die auch den Küstenabschnitt von Unquera bis Ribadesella enthält, zeigt die Lage der Campingplätze zuverlässig an. - Speziell bekamen wir in Santander einen Prospekt mit allen kantabrischen Campingplätzen, immerhin mit einigen wissenswerten Angaben. Aber: Statt die Anfahrt zu beschreiben oder eine Skizze der Lage zu enthalten, gab es schöne Bilder und darunter nur Werbetexte mit den üblichen Anpreisungen: gut ausgestattet, herrliche Umgebung, usw.

Ein paar Mal half das Handbuch, wenn der dort beschriebene Weg einen Campingplatz erwähnte. Aber das war längst nicht immer der Fall. So passierte es immer wieder, dass wir zwar eine Stadt erreichten, die einen Campingplatz hatte; aber dann konnten wir noch rumsuchen und einige Kilometer zusätzlich laufen. Auch jubelten wir zwar, wenn ein Schild "Campingplatz" zur rechten Zeit an der Straße auftauchte. Aber das bedeutete nur, dass die Abzweigung zum Campingplatz angekündigt wurde. Insgesamt wären Kopien aus einem aktuellen Handbuch der spanischen Campingplätze nicht schlecht gewesen. Aber nachher ist man immer schlauer. Der absolute Reinfall: Nachdem wir unsere Tagesetappe entfernungsmäßig schon hinter uns hatten, stellten wir in Mogro fest, dass der dortige Campingplatz (auch in dem schönen Prospekt von Santander enthalten) nicht mehr existierte. Da hätte natürlich auch kein Handbuch genützt.

Ein weiterer Punkt, der uns belastete, waren die Hunde. Im Baskenland hielt es sich in Grenzen, denn da gab es in den Bergen nicht so viele kleine Orte und Bauernhöfe. In Kantabrien war es schon schlechter, und in Asturien, besonders die letzten 30 km vor Oviedo, wurde es ganz schlimm. Ich bin vielleicht ein nervenschwacher Typ, aber ich möchte doch den sehen, der nicht nervlich beeinträchtigt ist, wenn er an einem Zaun oder einer Hecke vorbei muss, hinter denen ein oder mehrere Ungeheuer (nicht angeleint!) toben, die die Abgrenzung offenbar mühelos überwinden könnten. Manchmal hingen die Hunde auch schon auf der Mauer, in zwei Fällen kam ein größerer (von den kleinen unter Schäferhundgröße spreche ich gar nicht) hinter uns her auf die Straße. Einmal hatte ich einen Giftzwerg hinten an der Hose. Die Besitzerin sagte nur uninteressiert etwas wie "Fifi, du sollst doch nicht immer Pilger beißen", ohne sich um uns zu kümmern, obwohl meine Frau angelegentlich die schimpfierte Hose auf Schäden untersuchte. Das war neben der Klostermauer von Valdediós. Ich muss gestehen, dass ich manchen Nebenweg zugunsten der Landstraße ausgelassen habe, weil mein Tagesbedarf an beinahe gefährlichen Situationen (das "beinahe" weiß man ja immer erst hinterher) gedeckt war. Insgesamt waren die Hunde eine wesentliche Beeinträchtigung der Freude am Pilgern, aber eine Lösung habe ich nicht dafür anzubieten.

Von Menschen hatten wir nichts zu befürchten, obwohl ich trotzdem Frauen abraten würde, allein die oft sehr einsamen Waldwege zu gehen. Man begegnet dort durchaus einzelnen wandernden Männern, und auf der Landstraße treiben sich ja auch viele Fremde herum. Aber zu zweit kam ich mir nicht gefährdet vor. Auf dem Campingplatz macht man sich kurz mit seinen Zeltnachbarn bekannt, und dann ist auch das Eigentum sicher. - Ein Lob den Autofahrern: Obwohl wir auch sehr viele Kilometer Land- und Fernstraße gegangen sind, gab es keine einzige kitzlige Situation. Bis auf einige jugendliche Sonntagsfahrer fuhren alle vorsichtig, denn es waren immer auch Fußgänger und Sportradfahrer hinter jeder Biegung und jedem Huckel zu erwarten. Da wir mit aufpassten und manchmal einem Lastwagen zugunsten auch in den Graben auswichen, winkte uns mancher dankend zu. Die moderneren Straßen hatten einen Seitenstreifen, und da war sowieso keine Gefahr. Umgekehrt haben uns Pilgern Autofahrer positive Signale zukommen lassen: fröhliches Hupen, anfeuerndes Geschrei, Applaus zum Fenster raus: offensichtlich fanden es viele toll, wie wir unterwegs waren. Sicher waren manche selbst einmal gepilgert. Selbst Radfahrer riefen "Ánimo" (Mut) und grüßten als Kumpel der Landstraße. (Ein Hupsignal mag gelegentlich auch mal Zorn über die Verkehrsbehinderung bedeutet haben, aber in diesem Fall war ich entschlossen, positiv zu denken.)

Als Pilger wurde man oft nicht erkannt. Je weiter wir nach Westen kamen, desto besser wurde das aber. Besonders die Landbevölkerung an dem markierten Pilgerweg war an abenteuerliche Gestalten gewöhnt und rief uns manchen Gruß und manche Aufmunterung zu. Das war schön! Kam man in eine Bar, schaute alles prüfend. Ein lautes "buenos dias" bzw. "buenas tardes" und ein freundliches Nicken in die Runde brachen dann sofort den Bann. Der eine oder andere fragte dann auch nach dem Woher und Wohin. Respekt vor der sportlichen Leistung war dann die übliche Reaktion.

In den Städten hingegen (sogar in Oviedo), besonders an den Strandpromenaden oder gar Stränden, erregten wir (ein für uns unliebsames) Aufsehen. Da gab es erstaunte, amüsierte und sogar verächtliche Blicke: Gesindel, Masochisten, verrückte Spinner, las man in manchen Augen. Der Empfehlung von Frau de Castro von der Pilgerbruderschaft Paderborn folgend trugen wir kleine Streifen mit den deutschen Farben an Hut und Rucksack. Auch wiesen wir uns für den Kenner durch Muscheln als Pilger aus. Das half aber nicht immer, für manche blieben wir "verdächtige Landstreicher".

Sogar bei einigen empfohlenen Pilgeranlaufstellen galt offenbar: Pilger sind unangenehme Bittsteller und Schnorrer. Fast wären wir bei der Franziskanergemeinschaft in der "Herberge zum Guten Hirten" (ausgerechnet!) in Laredo nicht untergekommen, hätten wir uns nicht beeilt zu versichern, dass wir "natürlich wie normale Touristen" unsere Unterkunft bezahlen wollten; erst da öffnete sich die Tür weit... Nach dieser und ähnlichen Erfahrungen haben wir es so gehalten: Meine Frau hat das Gepäck aufgepasst; ich habe alle Pilgerkennzeichnungen abgelegt (und sah dann nur noch wie ein Tourist mit schmalem Geldbeutel aus) und mich zu Fuß auf die Suche nach einem Zimmer gemacht. Erst wenn ich den Schlüssel in der Tasche (und natürlich auch bezahlt) hatte, holte ich "Frau und Gepäck nach", und wir "demaskierten" uns als Pilger. Ist das nicht eine Schande, dass man das so machen muss?

Ähnlich bei den Touristenbüros: Fing ich an mit "Wir sind Pilger und...", dann gingen die Augenbrauen schon hoch, und mancher Dame entfuhr ein gequältes Seufzen. "Dafür haben wir leider nichts." unterbrach man mich dann gleich. "Nichts Kostenloses" sollte das heißen. Sind Pilger denn so als Schnorrer und (unverschämte?) Bittsteller berüchtigt? "Es geht nicht um Herbergen", konterte ich später immer sofort, "normale billige Unterkünfte für Touristen, das Doppelzimmer so bis 6.000 P. (36 EUR) herum." Erst nach diesen Klarstellungen kam es zu "normalen Geschäftsbeziehungen".

Hier muss gründlich nachgeforscht werden, warum die Pilger so ungern gesehen sind. Haben schlechte Beispiele die guten Sitten verdorben? Das kann natürlich sein. Wir atmeten jedenfalls auf, als wenigstens der Empfang an den Refugios (und im Kloster Valdediós) freundlich bis herzlich war.

Der Gipfel der Abweisung war ein Anschlag an der Kirchentür von Cóbreces: Dort stand sehr barsch:
1. Hier gibt es im Ort keinerlei Pilgerherberge. 2. Für anderslautende Informationen, irreführende gelbe Pfeile u. dgl. sind wir nicht verantwortlich. 3. Wir werden gegen jeden vorgehen, der anderes verbreitet. 4. Einen Stempel gibt's auch nur bei Nachweis einer vorherigen religiösen Übung. (Prust!) - Wie begossene Pudel schlichen wir davon, bildeten uns ein, dass die Passanten schon mit dem Finger auf uns zeigten. Dabei hatten wir gar nichts Böses getan. - Meine Vermutung: Im Ort gab es ein Restaurant "El Refugio", und das könnte den Wirbel durch ein Missverständnis ausgelöst haben. Im Handbuch von Michael Kasper stand natürlich auch nichts Falsches, und wir selbst wollten in Cóbreces auch gar nicht unterkommen, nur in die Kirche gehen... Tatsächlich sahen wir anschließend zwei irreführende Pfeile, an denen uns das Handbuch aber sicher vorbeiführte...


Nachtrag vom 10.12.2003: Inzwischen habe ich mehrere Meldungen bekommen, dass man in Cóbreces doch unterkommen kann, und zwar in einem Kloster. Es sollen aber nur 2 Plätze sein.

Anreise über Bilbao

18. Juli 2001, Montag: Wir flogen vom Flughafen Münster-Osnabrück mit der Lufthansa nach Frankfurt und von dort nach Bilbao. Das Flugzeug flog bei bester Sicht vom Meer an und drehte eine Riesenschleife über dem Festland, um Bilbao von Süden zu erreichen. So konnten wir die Küste, die wir bald entlangpilgern sollten, gut in Augenschein nehmen. Strände und Inseln lockten und versetzten uns in große Vorfreude.

11:45 Uhr landeten wir pünktlich. Unser Plan war, uns in die Stadt zum Busbahnhof durchzuschlagen und dort um 14:00 Uhr einen Bus nach Irún (ca. 120 km) zu besteigen. Von Irún aus sollte die erste kurze Etappe nach Hondarribia gehen. Dort wollte ich eine Wanderkarte kaufen und uns beim Touristenbüro eine Unterkunft besorgen, notfalls in der Jugendherberge. Dieser schöne Plan wurde durch die Lufthansa zunichte gemacht, denn diese hatte den Rucksack meiner Frau verschlampt. So mussten wir gleich zu Anfang unseren einzigen Reservetag verplempern. Ich war wirklich sauer.

Tipp: In Bilbao befindet sich gleich in der Halle, wo die Gepäckbänder sind, ein Stand des Touristenbüros, bei dem man einen Stadtplan und Unterkunftstipps bekommt.

Am Reklamationsschalter durfte ich gleich mein Spanisch testen. Nein, wir hatten keine Adresse in der Stadt, wir wollten nach Irún. Nein, auch dort hatten wir keine Adresse, an die man den Rucksack weiterschicken konnte. Wir sollten trotzdem ruhig fahren, sagte die Dame. Ich dachte ja nicht daran zu riskieren, in Irún oder Hondarribia abends noch ohne Rucksack dazusitzen. Also, in die Stadt und eine Unterkunft besorgen. Die Dame gab uns die Telefonnummer ihres Schalters. Das war's. - Wie noch oft hatten wir Glück im Unglück: Ich besaß die Adresse der Jugendherberge und einen Stadtplan. Auch wusste ich von einer neuen Busverbindung in die Stadt: Aus der Ankunftshalle raus, stand tatsächlich gleich rechts ein Bus. Linie 3247 (manchmal nur mit "47" gekennzeichnet), Endstation: Plaza Federico Moyua. Der Flughafen liegt jenseits einer Hügelkette ca. 7 km vom Stadtzentrum Bilbao entfernt. Eine Fahrt 145 P. (4 Wochen später 155 P.). Achtung: An der Plaza de Moyua gibt es keinerlei Hinweis auf eine Bushaltestelle. Der Bus fährt vor einem Gebäude mit der Inschrift Delegación de Hacienda (mit Stufen davor) vor bzw. ab. Der Bus ist deutlich mit "Aeropuerto" beschriftet.

Von der Plaza Moyua fuhren wir mit der Metro 2 Stationen nach San Mames (150 P.) und liefen von dort aus am Busbahnhof vorbei zur Jugendherberge. Diese sollte man besser Jugendgästehaus nennen, denn es handelt sich um ein riesiges, mehrstöckiges Gebäude, das im Süden, leider direkt an der Autobahn liegt (ohne die Fenster zu schließen, kann man kaum schlafen).

Tipp: Eine bessere Verbindung ist folgende: Von der Plaza Moyua die Prachtstraße (Allee) Lopez de Haro entlang (schräg gegenüber der Bushaltestelle, zwischen den beiden Metrostationen; nicht in die entgegengesetzte Richtung laufen!) bis zur Plaza Circular. Dort fährt die Buslinie 58, direkt gegenüber dem Ausgang des Hauptbahnhofs Bilbao-Abando nach Süden bis fast zur Jugendherberge (Fahrpreis: 130 P.); die Zielhaltestelle ist leicht zu finden: es ist die erste nach der Brücke über die Autobahn, von wo man den Riesenbau (142 Betten, mit Nebengebäuden für Seminare, usw.) schon sieht. An der Haltestelle am Bahnhof ist die 58 angegeben, aber leider (wie überall) ohne Fahrplan. Der Bus fährt bis abends in Abständen von etwa einer halben Stunde. Einen Fahrplan gibt's in der Herberge.


Albergue Bilbao aterpetxea, Carretera Basurto-Kastrexana, 70, ES-48002 Bilbao, Tel. 0034 944 270 054, Fax 0034 944 275 479,
Netzpost: aterpe@albergue.bilbao.net
Voranmeldungen/Buchungen erwünscht!


In der Jugendherberge zeigten wir unsere Pilgerausweise vor und bekamen den Super-Pilgersonderpreis von 700 P./4,20 EUR (normalerweise über 2.000 P./12 EUR) einschließlich sehr gutem Frühstück. Leider wurden wir aber getrennt untergebracht. Auf dem Zimmer meiner Frau lernten wir Rosemarie, eine andere Pilgerin kennen, die von Santander aus loslaufen wollte. - Die Jugendlichen auf meinem 6-Bett-Zimmer kamen erst gegen 4 Uhr ins Bett, ziemlich kichernd. Sie hatten wohl mein Schnarchen von draußen gehört. Am andern Morgen entschuldigten sie sich für den Lärm. Ich fand's aber nicht schlimm; sie hätten sich schließlich genauso gut über mein Schnarchen beschweren können. Am Morgen hatte man Toiletten und Duschen für sich. Wer kein Pilger ist, der schläft nach spanischem Rhythmus, und das heißt: irgendwann spät nachts rein und bis mindestens um 10 Uhr schlafen (wenn man nicht arbeiten muss).

Doch zuvor lernten wir noch Bilbao und besonders die Strecke zum Flughafen kennen. Mehrfache Anrufe am Reklamationsschalter waren ergebnislos, es nahm niemand ab (wohl Siesta). Gegen 18 Uhr fuhren wir also auf Verdacht wieder zum Flughafen (diesmal erst mit der Linie 58, wie oben beschrieben).

Am Schalter war eine andere Dame, die gleich den vermissten Rucksack rausrückte. Er war mit der nächsten Lufthansa-Maschine 4,5 Stunden später gekommen. Die Isomatte wies Beschädigungen auf. (Deshalb vermuten wir, dass der Rucksack von der Transportkarre gefallen ist.) Es ist anzuraten, die Isomatten besser zum Handgepäck zu nehmen, was wir auf dem Rückflug auch taten.


Am Ende wir froh, den Rucksack überhaupt bekommen zu haben. Bei der bloßen Vorstellung, er wäre verschwunden geblieben, brach mir der kalte Schweiß aus. Dann hätten wir gleich alles über den Haufen werfen können...

Nachdem wir also den Rucksack hatten, konnten wir getrost einen gemütlichen Stadtbummel machen.


Ein "bunter Hund" vor dem Guggenheim-Museum in Bilbao


19. Juli 2001, Donnerstag:

Mit einem guten Frühstück im Magen zogen wir am andern Morgen mit Rosemarie zusammen fröhlich zum Herbergstor hinaus.
Doch o Schreck: es regnete in Strömen. Also – weniger fröhlich – gleich wieder rein! ;-)


Zwei "verdächtige Gestalten" abmarschbereit im Regen vor dem Jugendgästehaus Bilbao.


Als es nur noch nieselte, gingen wir aber entschlossen los. Ich sang sogar das Pilgerlied. Zunächst zum Busbahnhof Termibus und Fahrkarten gekauft. (Bilbao-Irún 1.110 P./6,66 EUR, wie immer sehr billig). Dann Abschied von Rosemarie, die nach Santander fuhr. Sie hat meine Netzpostadresse, und wir hoffen, von ihr zu hören. Wir fanden es sehr mutig, dass sie als Frau allein zu Fuß unterwegs war. - Der Bus kam mit ziemlicher Verspätung, aber er kam. Irún war weit weg, und dort war das Wetter sicher besser, dachten wir. Denkste! Als wir um 12:40 Uhr in Irún aus dem Bus kletterten, goss es erst richtig. Das fing ja toll an. Wir machten es wie Hägar: einfach erst mal in die nächste Bar flüchten. (Weiter im Kapitel 1)


Kapitel 1: Von Irún nach Bilbao (9 Etappen, 186 km)


19.07.2001, Donnerstag: Von Irún nach Hondarribia (7 km)

Bevor wir in Irún aus dem Bus kletterten, hatte ich schon eine Kreuzung mit Wegweisern ausgemacht. Nachdem der Regen also schwächer wurde, verließen wir die Bar, in der wir uns gleichzeitig gestärkt hatten, und liefen zu dieser Kreuzung. Jawohl, da war die Brücke über die Bahnanlagen, ein Schild "Hondarribia", und auch eine gleichnamige Straße, die schnurgerade in die richtige Richtung ging. Bald trafen wir auf den Weg, der auch im Handbuch beschrieben war, und folgten ihm bis Hondarribia. Freilich mussten wir uns einige Male unterstellen, weil ein böiger Wind immer wieder heftigen Regen mitbrachte. Doch das ließ zum Glück nach, als wir die Stadt erreichten. Vom zentralen Platz neben der Kirche ein herrlicher Blick auf den Hafen und den Sund. Dann ging's weiter laut Handbuch zum Touristenbüro. Hier gab's gleich eine mehrfache Enttäuschung: Die Dame dort sah keinerlei Anlass, uns besonders behilflich zu sein. Hondarribia hatte nur 3 Hostales, die bezahlbar waren. Sie gab uns lediglich einen Stadtplan, wusste nicht, ob was frei war, interessierte sie auch nicht. Auch gab es keinerlei Wanderkarten zu kaufen, wie ich das sonst in Deutschland gewohnt bin. Nachdem wir beim ersten Hostal nicht unterkamen (voll) und die Stadt sichtlich von Touristen wimmelte (Wo wohnten die alle nur? Meine Frau meinte, in Ferienwohnungen), steuerten wir die Jugendherberge an. Campingplatz kam wegen des Wetters nicht in Frage, lag auch weit außerhalb.

Hondarribia zieht sich weit den Hafen und den Sund entlang. Es ist viel zu sehen, aber auch zu laufen. Nach einigen Kilometern ging es bei einem Kreisverkehr links ab, beim nächsten geradeaus, die Herberge war schon ausgeschildert. Zum Schluss noch ganz steil 500 m einen Park hoch, und da lag sie: ein großes rot-weißes Haus, sah aus wie eine ehemalige Klinik. Zwei Fahrräder vor dem Eingang und drinnen ein Chaos von einigen Dutzend tobender und brüllender Kinder, deren Betreuer sich (ungelogen!) mit einem Megaphon akustisch durchsetzten. In der Anmeldung standen zwei, wohl die Radfahrer; wir warteten draußen. Bald kamen sie raus, mit langen Gesichtern: Completo! Das durfte ja wohl nicht wahr sein! Nun erschien auch der Herbergsvater, sah uns und zog die Augenbrauen hoch. Wir machten liebe Gesichter und sagten unseren Spruch auf: "Wir sind zwei deutsche Pilger, zu Fuß unterwegs in Richtung Santiago." Dabei hielten wir ihm unsere Pilgerausweise unter die Nase. Ob wir reserviert hätten? - Nein. - Ja, warum wir denn um Himmels willen nicht wenigstens angerufen hätten? - Wir ließen schuldbewusst die Ohren hängen. (Dabei gab's dafür zwei gute Gründe: 1. die Sprachbarriere, 2. am Telefon kann man mir ja gleich "completo" sagen; so übten wir durch unser Da-Sein wenigstens moralischen Druck aus.) Ein Platz auf dem Boden wenigstens? - "Na, kommt mal rein." Er setzte sich hinter den Schreibtisch, trug die Angaben unserer Pilgerpässe ein (die Mitgliedsausweise des Jugendherbergsverbandes, die wir mitgenommen hatten, brauchten wir weder hier noch anderswo) und gab uns einen Zimmerschlüssel. Also doch noch Betten, oh, wie freuten wir uns! Wann wir denn morgens aufbrechen wollten? Hm, hatten wir noch nicht überlegt. Aber "Knistertüten", die um 5 Uhr früh davonpreschen, wollten wir nicht sein. "Nicht vor 8 Uhr" Da freute er sich: "Dann gibt's kein Problem. Frühstück stellen wir euch hin." Außerdem erklärte er uns, als Pilgersonderpreis nur den Tarif für Jugendliche zu berechnen (1.385 P. anstatt über 2.000 P., einschließlich Frühstück). Der Wunder war noch kein Ende. Unser Zimmer, in einem ruhigeren Trakt, in dem die Kinder kaum zu hören waren, stellte sich als 4-Bett-Zimmer mit eigener Dusche und Toilette heraus. Wir hätten nichts dagegen gehabt, wenn hier noch zwei Pilger untergekommen wären, aber es kamen keine mehr. So ein Luxus! Wir waren platt!

Jetzt stellt sich doch die Frage, wie der Herbergsvater das handhabte. Die Radfahrer wurden nicht aufgenommen, obwohl keineswegs alles "completo" war. Nur für Pilger hatte er ein großes Herz. Also das alte Phänomen, das ich schon aus den 60er Jahren von deutschen Jugendherbergen kannte: Einzelwanderer (gerade die, für die die Herbergen ursprünglich gedacht waren) sind unerwünscht. Man haut sich das Haus mit Gruppen voll, hat so seine gesicherten Einkünfte und weniger Arbeit, als wenn Tag für Tag die Belegung wechselt. Hier hatte es unser Pilgerstatus rausgerissen, aber ein paar Tage später half auch das nicht... Ich finde diese Haltung mancher Jugendherbergsleitungen unerhört.

Aus dem Fenster heraus sah man auf den steilen Hang des Berges Jaizkibel (445 m), den wir am andern Tag erklimmen wollten. Auch sah man schon eine kleine Straße und einige Häuser, hörte allerdings auch schon Hunde toben. - Wir gingen zurück in die Stadt zum Besichtigen und Essen. Unterwegs, gleich an einem der Kreisel, sahen wir eine Straße, die laut Schild zum Jaizkibel führte, ferner eine Übersicht über einen Wanderweg. Perfekt! Ich zeichnete mir zur Vorsicht die Karte als Skizze in mein Notizbuch ab.

So wollten wir folgendes Problem lösen: Laut Handbuch muss man durch die ganze Stadt zurück, mehrere Kilometer, bevor es an den beschriebenen Aufstieg geht. Das war uns ein zu großer Umweg. Ganz in der Nähe der Herberge (die Übersicht bestätigte diese Vermutung) konnte man sicher direkt zur Kirche von Guadelupe, unserem ersten Teilziel, hoch. Von dort konnten wir dann laut Handbuch weitergehen.

In der Stadt war lebhaftes Touristentreiben. Sehr viele Restaurants, aber relativ teuer (das macht die Nähe des gegenüberliegenden Frankreichs). Schließlich lockte uns ein geschäftstüchtiger Wirt zu einer bezahlbaren Paella rein, stellte dann aber nicht "Vino de la casa", sondern einen Rioja für 1.600 P. dazu. Wir nahmen dieses kleine Attentat auf unser Portemonnaie mit Humor und genossen Paella und Wein.

In Spanien gibt es ferner die unschöne Angewohnheit, ungebeten Brot auf den Tisch zu stellen, nachher aber 100-150 P. dafür extra zu berechnen (auch, wenn man es gar nicht angerührt hat), im Extremfall sogar pro Person. Wir "rächten" uns in diesen Fällen dadurch, dass wir kein Trinkgeld gaben. Trinkgeld ist wohl ziemlich unüblich, besonders bei Leuten, die nur das "Menü des Tages" verlangen. Jedes Mal, wenn ich 100-200 P. dazulegte, war man sichtlich erstaunt und erfreut.


20.07.2001, Freitag: Nach San Sebastián, 28 km (35 km)

Eine Reliefkarte hatte mir gezeigt, dass der Jaizkibel, über den die heutige Etappe gehen sollte, die höchste Erhebung an der Küste ist, zumindest im Baskenland. Also stellten wir uns an diesem Tag auf heftiges Bergsteigen ein. Wie die Pyrenäenüberquerung auf dem Camino Francés beginnt der Camino del Norte (abgesehen von dem "Einlaufen" von Irún nach Hondarribia) also mit einer der härtesten Etappen. Wie hart, sollten wir noch merken.

Zunächst waren wir pünktlich um 8 Uhr am Empfang der Jugendherberge. Ein Angestellter zeigte auf zwei Tüten, unser Frühstück: 1 Apfel, 1 Joghurt, 2 Minitafeln Schokolade, 2 Bocadillos. Beeindruckend! Dazu Kaffee aus dem Automaten (nur 35 P.). Auch bekam ich die Bestätigung, dass es in San Sebastián eine Jugendherberge gibt.

Kurz drauf ging es los, zuerst zum Kreisel runter, obwohl der Weg wahrscheinlich wieder an der Jugendherberge vorbei hochführte. Dann die Straße rein und nach einer markierten Abzweigung nach rechts gesucht. Es kam keine! Nach 2 km stellten wir fest: Die Straße führte parallel zur Hauptstraße und zum Hafen/Sund an der Stadt vorbei zurück, um auf die übliche Landstraße, die in weiten Serpentinen zur Kirche hochführt, zu treffen. Ein langer Umweg also, wenn auch nicht so lang, als wenn wir dem Handbuch gefolgt wären. Und was war mit der nicht gefundenen Abzweigung? Meine Frau kapierte es schneller: Ich war gleich zu Anfang falsch gelaufen, weil ich die Darstellung auf der Übersicht falsch interpretiert hatte. Wir hätten gleich rechts hochgehen müssen, irgendwo an der Jugendherberge vorbei, wie vermutet. Meine schöne Skizze war also von Anfang an nutzlos. Aber: Das wäre nicht passiert, wenn der Wanderweg gekennzeichnet gewesen wäre, und das war er nicht. Man stelle sich vor: Es gibt keine Wanderkarten und keine Kennzeichnungen, nur zu Anfang eine Übersicht an der Straße; das kann doch gar nicht funktionieren! Wer behält denn so eine Übersicht im Kopf, wenn man Dutzende von Abzweigungen vor sich hat?

Nun, wer sich über solche Pannen maßlos ärgert, braucht gar nicht erst loszupilgern. Wir nahmen die Landstraße unter die Füße und schritten kräftig aus. Unsere Route hatte den Vorteil (auch gegenüber der im Handbuch geschilderten Strecke), dass es nur maßvoll bergauf ging, dafür eben länger. Der Autoverkehr hielt sich in Grenzen. Auch ohne Seitenstreifen war die Straße nicht gefährlich. 2 km vor der Kirche mündete der Wanderweg aus Richtung Jugendherberge von rechts ein. Bellende Hunde aus dieser Richtung gaben einen Hinweis auf einen weiteren Vorteil der Straße. Direkt vor der Kapelle links kam auch der im Handbuch beschriebene Weg von unten hinzu. Er ist sicher viel schöner, mit mehr Sicht als auf der Straße, wo die Bäume keine Aussicht zulassen.

Die Kapelle war offen. Hier sangen wir zum ersten Mal aus den mitgebrachten Liederbüchern. Nach einer kurzen Pause sollte es weitergehen. Dazu gab es folgende Möglichkeiten: auf der Landstraße bleiben (das empfiehlt das Handbuch zu Recht bei schlechtem Wetter), oder einen schöneren, gleich langen Weg links um den Bergkamm herum (wie im Handbuch beschrieben). Zwei Wanderer (oder Forstwarte, wie meine Frau meinte) empfahlen uns aber gestenreich eine dritte Möglichkeit: direkt über den Kamm, von einem Wachtturm zum andern.


Das ist mühsam, aber von der Aussicht her, die man in beide Richtungen gleichzeitig hat, unvergleichbar schöner als alle anderen Varianten: Rechts immer die Küste und das Meer, links ganz unten das Tal von Irún, hinter einem die Küstenlinie bis Biarritz und ein Blick auf die Wälle einer alten Festung östlich der Kapelle.

Da wir sogar Sonnenschein hatten, gingen wir auf diesen Vorschlag ein. Die Route ist mit rot-weißen Balken ausgezeichnet. Auch ein gelber Pfeil (auf diesem Teil des Camino del Norte selten!) wies von der im Handbuch beschriebenen Strecke abknickend nach rechts, über einen baumlosen Hang steil den Kamm hoch. Wir wagten es.


Der Blick vom Jaizkibel
zurück auf die Küste


Blick von der Abbruchkante des Jaizkibels ins Tal von Irún und Hondarribia

Das haben wir nicht bereut. Dieser Weg ist wirklich einmalig, allerdings nur bei schönem Wetter. Bei schlechtem Wetter bietet auch die Landstraße an einigen Stellen schöne Ausblicke; sie berührt dann den Kamm an einigen ausgebauten Aussichtspunkten.

Diese tolle Aussicht hatten wir aber die ganze Zeit. Man konnte es eigentlich gar nicht gebührend würdigen, es war einfach unglaublich. Wir juchzten und jauchzten vor Freude, war die Anstrengung auch groß.


Es ging über Kuh- und Pferdeweiden, aber alle Tiere gingen uns friedlich aus dem Weg. Kilometer später erreichten wir die Sendeanlagen auf der Bergspitze. Hier trafen wir einen Wanderer, der am Wegesrand Gänseblümchen sammelte und genussvoll aß. Mahlzeit! Ein Pilger war er nicht, sehr zurückhaltend, begrüßte uns aber freundlich und lobte uns für unsere Pilgerschaft. - Vor uns sahen wir in einiger Entfernung niedrigere Hänge und - noch weit weg - die Häuser von San Sebastián. Ich wusste aber, dass wir noch einmal ganz auf 0 Meter hinunter und die niedrigeren Höhen vor uns wieder hinauf mussten, bevor wir die Stadt erreichten. Wie weit es noch wirklich war und welche Anstrengungen wir noch vor uns hatten, habe ich trotzdem total unterschätzt.

Der Weg ist dann immer links herum, an den Sendeanlagen vorbei, markiert. Eine sehr, sehr mühsame Strecke durch Felsen und über Steine. Im Nachhinein haben wir folgenden Tipp: Vor dem Zaun der ersten Anlage (es gibt mehrere umzäunte Komplexe) besser rechts auf die Anfahrt zur letzten Anlage herunter, dieser bis zur letzten Sendeanlage folgen und sie rechts umgehen. Dann trifft man wieder auf den markierten Weg, der ab da einfacher zu begehen ist. An Aussicht hat man dabei nichts Besonderes verpasst.

Am Ende mündet der Wanderpfad auf einen größeren Weg, der von links kommt. (Wir dachten, es sei der im Handbuch beschriebene, aber er war es nicht.) Zugleich kommt man wieder in Reichweite der Landstraße, die hier eine große Rechtskurve macht. Unter Sträuchern im Schatten machten wir Mittag, der Gänseblümchensammler "graste" unweit und winkte uns zu. Ein breiter Feldweg lud zum Weitergehen ein, 100 m davor zeigte ein gelber Pfeil auf einen Pfad, der in dieselbe Richtung ging. Diese Fortsetzung ist nicht zu empfehlen! Der breite Weg wird kurz darauf zu einem Pfad, der völlig zugewachsen ist und unterhalb von Klippen, nicht ungefährlich am Steilabhang entlang zu einem weiteren Turm führt. Dann geht es steil bergab in einen Einschnitt, von dem aus man eine Landstraße links erreichen kann. (Von dort kam man laut Handbuch wirklich hoch.) Die rot-weiße Kennzeichnung führt aber im Einschnitt gleich wieder steil rechts hoch bis zur Kammstraße, der man dann sowieso ein Stück folgen muss. Man sollte sie also besser gleich von dem Ort unserer Mittagspause aus gehen, um sich ein sehr mühsames Stück zu ersparen. Eine Bar an der Straße bot uns eine Erfrischung.


Dann war die Frage, wie wir den im Handbuch beschriebenen Weg wiedertrafen. Nun, es kam eine scharfe Linkskurve, von der aus eine Piste in die richtige Richtung ging. Im Handbuch stand "scharfe Rechtskurve". Das interpretierte ich richtig: das passte, wenn man von unten hochkam. Der weitere Verlauf der Piste wies sofort die im Handbuch beschriebenen Merkmale auf: schöne Aussicht nach rechts auf die Pasajes, einen sehr schmalen Meeresarm, den man nach einem steilen Abstieg erreicht. An seinen Ufern liegen die Hafenstädtchen Pasaia-Donibane (span.: Pasajes de San Juan) und Pasaia-San Pedro. Leider sind die Mauern dort mit ETA-Parolen beschmiert, was einen abstößt.
Pasajes de San Juan

Mit einer Personenfähre (75 P.) ging's in wenigen Minuten ans andere Ufer. Oben neben einer Kapelle spendet ein Brunnen Wasser. - Eigentlich hat man seinen Tagesbedarf an Schönem und Anstrengendem (immerhin 890 m Höhenunterschied) hier schon hinter sich. Das Handbuch lässt die Etappe bis San Sebastián weitergehen. Im Nachhinein müssen wir beide sagen: Das ist zu viel. Man sollte entweder in einem der Städtchen übernachten oder die Landstraße links um den Höhenzug herum nach San Sebastián gehen. Freilich, dann verpasst man eine weitere, sehr schöne Strecke, mit einigen Ausblicken zurück auf eine bizarre Küste.

Wir trauten uns jedoch an diesem Tag noch einiges zu. Im Ort ging es rechts ab, am Friedhof entlang, durch Dornen und Brennnesseln steil hoch bis zu einem Sträßchen, das zum Leuchtturm führt. Die Kilometer dorthin empfand ich schon als spürbar weit. Vor dem Zaun des Leuchtturmgeländes folgten wir dann mehrere Kilometer einem kleinen Pfad, der sich in vielen, vielen Windungen direkt die Steilküste entlangschlängelt. Gleich zu Anfang eine erfrischende Quelle, an der wir unser lauwarmes Wasser in den Trinkflaschen austauschten. Lange ging alles gut, jeden Moment wähnten wir, oberhalb von San Sebastián herauszukommen. Dann verzweigte sich der Pfad, kein gelber Pfeil zu sehen und im Handbuch nur "Nach 2,4 km geht es scharf links bergauf..." Keine Ahnung, wie weit wir waren. Nach rechts führten rot-weiße Markierungen wiedermal bergab, nach links gelb-weiße hinauf. Fatalerweise bildete ich mir ein, die gelben Pfeile würden hier durch gelb-weiße Markierungen fortgeführt, eine Selbsttäuschung!

Fazit: Die Beschreibung des Handbuchs ist kurz vor San Sebastián unzureichend, da es nicht mehr nur einen, sondern viele, sich verzweigende (neue?) Pfade gibt. Es müsste unbedingt angegeben werden, welcher Markierung man folgen soll.

Nach vielem Suchen, Befragen anderer Wanderer (was nicht viel brachte; man kann ja nicht fragen: Geht hier der Weg laut Handbuch von Michael Kasper weiter?) und weiter aufs Geratewohl immer höher kamen wir an einem großen Funkturm heraus. Hier begann ein Stadtpark, in dem es von Leuten wimmelte. Dummerweise folgten wir weiter den gelb-weißen Markierungen, die sich aber in einem Labyrinth von kleinen Fußpfaden verloren. Zwei Mal kamen wir an einem älteren Spanier vorbei, der splitternackt im Heidekraut stand und telefonierte. Es war brüllheiß, gegen 16 Uhr, von San Sebastián nichts zu sehen. Einmal sah ich oben links eine Serpentine der Straße, die zum Funkturm hinaufführte. Als die rot-weißen Markierungen (Die müssen doch irgendwohin führen!) abermals in eine Schlucht hinabtauchten, jenseits der die nächste bewaldete Höhe (und keineswegs San Sebastián) lag, hatte ich endgültig die Nase voll. Zurück und sich zu der gesichteten Serpentine hoch durchgeschlagen. Oben der engen Straße gefolgt. Weit, weit unten endlich der Strand von San Sebastián. - Nach 1 km führte rechts eine Treppe hinab. Unten erwartete uns eine glühend heiße Stadt, voll von Touristen und Sonnenanbetern, die uns irritiert anglotzten. Wir kamen uns wie in Feindesland vor. Ein Stadtplan zeigte uns die Lage der Jugendherberge, die im Handbuch nicht erwähnt ist. Leider lag sie am entgegengesetzten Ende der Stadt.


Jugendherberge San Sebastián: Albergue "La Sirena" aterpetxea, Ortsteil Ondarreta (unweit des gleichnamigen Strandes und nur 300 m vom markierten Jakobsweg entfernt), Igeldo pasealekua, 25, E-20008 Donostia-San Sebastián, Tel. 0034 943 310 268, Fax 0034 943 214 090
Netzost: udala_youthhostel@donostia.org, Netzseite: www.paisvasco.com/albergues


Ausnahmsweise (danach kein einziges Mal wieder) war meine Frau am Rande ihrer Kräfte und wollte mit dem Bus dorthin. (Ich kam nicht auf die Idee, dass man ja auch wieder mit einem Bus zurückfahren konnte.) Ich bewog sie, wenigstens noch bis zum Touristenbüro durchzuhalten. Dieses liegt nicht mehr im Theater Victoria Eugenia, wie im Handbuch angegeben, aber noch am selben Platz, direkt gegenüber. Meine Frau versuchte, einen Stadtplan zu besorgen. Mich fing unterdessen draußen eine Frau ab, die uns ein Appartment für 8.000 P. anbot. Ich wollte was Billigeres. Eine Bekannte von ihr habe noch was für 5.000 P., ohne eigenes Bad. Das wäre angemessen, sagte ich. Meine Frau kam inzwischen wieder aus dem Gebäude, hatte keinen Stadtplan bekommen, da eine sehr lange Schlange Zimmersuchender alles blockierte. Nun lief alles etwas unglücklich: Wir folgten der Frau ca. 1 1/2 Kilometer (!) weit in eine südliche Vorstadt. Dann war es auf einmal doch wieder das Appartment für 8.000 P. Ein Missverständnis oder der Versuch, uns zu überrumpeln? Wir nahmen beide letzteres an, bekamen aber einen Stadtplan, um das Zimmer für 5.000 P. bei der Bekannten zu finden (1 km entfernt). Eigentlich waren wir so sauer, dass wir überlegten, vielleicht doch noch mit dem Bus zur Jugendherberge zu fahren und die Frau und ihre Bekannte hängen zu lassen. Na, erst einmal einen café con leche, um wieder zu Atem (und Nerven) zu kommen.

Es folgte eine komische Situation, wie man sie in Spanien erleben kann. Auf der Straße schauten wir nach einer Bar umher. Sofort sprach uns ein älterer Mann hilfsbereit an: Er sei auch schon gepilgert, wie er uns helfen könne? "Wir suchen eine Bar, um etwas zu trinken." "Nur zu trinken?! Sie sollten aber auch eine Kleinigkeit essen." "Nein, nein, nur zu trinken." Da gebe es eine tolle Bar mit schmackhaften Happen ("Nein, nein, wir wollen nur was trinken."), allerdings müssten wir um die Baustelle da vorn herum... Mit dem kommt unsere verhinderte Vermieterin angesaust. Sie hat misstrauisch aus der Ferne verfolgt, dass wir nicht schnurstracks die Adresse ihrer Bekannten ansteuern. Eigentlich will sie ganz schnell zum Touristenbüro zurück, um ihr Appartment wieder anzupreisen. Aber sie hat inzwischen mit ihrer Bekannten telefoniert, dass wir das Zimmer nehmen... Also sie zu uns: "Nein, nicht dort entlang, hier entlang!" "Wir wollen nur noch was trinken." "Nein," mischt sich der Spanier ein, "... und noch was essen!" Jetzt kriegen sich die beiden an die Köpfe: "Sie sollen zu meiner Bekannten gehen." "Aber erst essen sie was." Wir im Hintergrund ganz leise: "Aber wir wollen doch nur noch was trinken." Es war der reinste Loriot-Film. Wir flohen um den Häuserblock und die Baustelle herum zu der empfohlenen Bar und tranken nur etwas. Als wir zurückgingen, merkten wir, dass sich direkt gegenüber der Straßenkreuzung, an der der Loriot-Film abgegangen war, eine andere Bar befand. Ohne die Hilfsbereitschaft des Spaniers wäre es so einfach gewesen... :-)

Nachdem wir aus einer Übersicht ersahen, dass das Bussystem kompliziert war, verwarfen wir die Jugendherberge endgültig und gingen doch noch zu der erhaltenen Adresse. Es war relativ die schlechteste Unterkunft, die wir erleben sollten: die Vermieterin, eine alte Dame, hauste in ihrer Küche. Das Wohnzimmer war an drei Kanadier vermietet, das Schlafzimmer an uns - und die Etagendusche war defekt! - Nun waren wir so erschöpft, dass uns alles egal war. Bei den Kilometern, die wir für diese Unterkunft gelaufen waren, hätten wir auch zu Fuß die Jugendherberge erreichen können.

Kurz darauf gegen 21 Uhr zum Einkaufen: Zu spät, alles schon geschlossen. Dafür die rechte Zeit zu essen. In einem einfachen Restaurant gab es das "Menú del día" "selbstverständlich" auch abends (andernorts nämlich gewöhnlich nur mittags). Für die Qualität sprach die Tatsache, dass viele Einheimische auch schon dort saßen. Da es weit vom Stadtzentrum entfernt war (Nähe Hauptbahnhof), war es auch preislich günstig. Die Adresse unserer Vermieterin gebe ich nicht preis: versprochen! Sie vermietete natürlich am Fiskus vorbei. Auf unsere Bitte hin hatte sie vorschnell ihren Namen in unsere Pilgerausweise geschrieben. Danach kam sie einige Male wieder an und fragte immer: "Da kann mir doch nichts passieren, oder?" - Todmüde sanken wir in die Betten und schliefen, Dusche hin oder her.


21.07.2001, Samstag: Zum Campingplatz Zarautz, 21,5 km (56,5 km)

Auch unser dritter Marschtag wurde unglaublich vollgepfropft mit Eindrücken. Am Morgen ging es erst in die Altstadt, die man doch gesehen haben musste. Dann zu einer Buchhandlung, die Karten im Schaufenster hatte. Bis zur Öffnungszeit (erst 10 Uhr!) frühstückten wir in einem schönen Park. - Es gab keine Wanderkarten! Nur Messtischblätter, die etwa 10 km wiedergaben, für weiterziehende Wanderer unbrauchbar. Ich erstand eine weitere Karte vom Baskenland, auf der aber nur die wichtigsten Straßen standen (Campingplätze ebenfalls nicht eingezeichnet). Als Kontrast zu meinen sonstigen Karten lieferte sie die eine oder andere Information mehr, das war schon alles.



Am Strand von Ondarreta
Spät begann also der eigentliche Marsch, zunächst an den Stränden entlang. Am Ende des letzten Strandes, Ondarreta, laut Handbuch weiter. Eine Markierung auf der Straße zeigt an, dass die Jugendherberge ganz in der Nähe ist. Dann geht es mäßig bis steil den Berg Igueldo hinauf, mit einmaligen Rückblicken auf die Stadt, im Hintergrund die Berge mit dem Stadtpark, in dem wir so umhergeirrt waren, und - uns den ganzen Tag begleitend - noch weiter weg: der Jaizkibel mit seinen Antennen. Die Sonne brennt.

Oben, an einer Asphaltstraße ein Hinweis auf einen Campingplatz. Später, auf der Höhe, geht es viele Kilometer die Kammstraße entlang. Schmal, ohne Seitenstreifen, leider viel Ausflugsverkehr. Im Städtchen Igueldo selbst brauche ich schon wieder eine Coca Cola (sogar zwei); wir flüchten aus der Sonne in eine kleine Bar abseits. Am Ortsrand rechts versorgen wir uns in einem kleinen Laden mit Lebensmitteln, vor allem Früchte, Joghurt und Milch.


Dann geht es die Kammstraße weiter. Keine Brunnen. Im Straßengraben, im Schatten von einem der wenigen Bäume Mittag. Wie hier haben wir häufig Aussicht auf das Meer (Steilküste). An einem weiteren Campingplatz und an Antennenanlage (Bergspitze) vorbei...

Lange Zeit bleiben wir auf dem Kamm des langgestreckten Höhenzuges, ohne viel auf und ab. Rechts auf einmal ein großes Schild: "Camino de Santiago". (Die Übersicht ist wenig hilfreich, zum Teil durch Schmierereien unleserlich.) Zwei Mädchen fragen, ob wir Pilger sind und freuen sich, "echte" getroffen zu haben.

Pilger vor einem der im Baskenland seltenen Hinweisschilder auf den Camino del Norte


Als die Kammstraße sich in einer Serpentine nach links steil nach unten ins Tal krümmt, geht es in der Kurve geradeaus, einen Hohlweg hinunter. Offensichtlich ein sehr alter Fußweg, mit unbequemer Pflasterung. Trotzdem gefällt uns diese Strecke viel besser als der asphaltierte Kammweg. Einmal scheint ein Camino-Schild nach rechts einen Waldweg hinauf zu weisen, es geht aber weiter nach unten. Die angekündigte richtige Abzweigung ist gar nicht zu übersehen; es gibt gelbe Pfeile, und außerdem verzweigt sich auch die alte Pflasterung. - Im Tal wird die Autobahn unterquert, und dann geht es steil hinauf zu einer Kapelle San Martín. Brunnen! Schöne Aussicht auf einen Meereseinschnitt mit Stränden.

Wie bei dieser Kapelle sagen wir noch öfter: "Wäre doch eine gute Notunterkunft für Pilger." Wasser ist vorhanden, das große Vordach bietet Schutz vor Regen. Steinernde Bänke laden zum Sitzen ein. 100 m weiter unterhalb der Kapelle liegt eine Bar mit Toiletten. Auch könnte man bei gutem Wetter auf dem umgebenden Rasen zelten... - Hinter der Kapelle geht's gleich wieder steil runter. So ist es oft: Der Pilgerweg macht Umwege zu Pilgerzielen (hier die Kapelle), ohne Rücksicht auf zusätzliche Höhendifferenzen, die es zu überwinden gilt. Die nächste Stadt Orio hätte man bequemer auf der Straße erreicht, die den Kapellenhügel umgeht. Nun ja, wenn man's hinter sich hat, freut man sich über den Gewinn an zusätzlichen Eindrücken.

Nach einer Pause an der Kirche von Orio, die wie eine Festung noch hoch am Hang über dem Meereseinschnitt liegt, geht es über die viel befahrene Nationalstraße 634 (die uns lange erhalten bleiben soll) zum anderen Seite des Wasserarmes, dann einige Zeit an dessen Ufer mit öden Industriegebieten entlang. Zum Schluss - wieder unter der Autobahn her - ein Strand (laut tönt der Lärm badender Jugendlicher), doch davor links die Jugendherberge Orio, die laut Handbuch Pilger aufnimmt. Neue Gebäude, dahinter Rasen und Schwimmbecken; hinter diesem der Strand. Wir lechzen nach Abkühlung und wollen bleiben, obwohl das Ziel Zarautz noch einige Kilometer weiter ist. Der Empfang der Herberge ist geschlossen. Wir setzen uns und warten, holen uns aus Automaten zu trinken, laufen um die Gebäude herum. Endlich wird eine Frau (die Herbergsmutter?) auf uns aufmerksam. "Completo" winkt sie gleich ab, als ich meinen Pilgerspruch aufsage.

Aus der Traum vom Baden! Ich bin geknickt, vergesse mein Spanisch, stottere herum. Wo wir denn herkämen? Aus Deutschland. - Nein, nein... - Ach so, von San Sebastián. - Und wo wir hinwollten? (Ich ergänzte im Geiste "heute") Nach Zarautz! - So, dann sollten wir mal nach Orio zurück und mit dem Zug fahren. "Pilger fahren nicht mit dem Zug, Pilger laufen zu Fuß!" knirsche ich erbittert. Sie wedelt uns energisch mit den Händen vom Gelände. War das Ganze vielleicht nur ein Missverständnis? Hielt sie uns für "Wochenendpilger", von San Sebastián nach Zarautz? Immerhin hatten wir ihr weder unsere Pilgerausweise noch unsere Mitgliedsausweise des internationalen Jugendherbergswerkes gezeigt. Wir waren es aber leid, wie aufdringliche Bittsteller da zu stehen. Ohne Abschiedsgruß wandten wir uns ab.

Laut Handbuch war der (große) Campingplatz von Zarautz nur noch 1,5 km entfernt. Skeptisch kämpften wir uns in brütender Hitze die nächste Höhe hoch. Es war inzwischen bereits nach 17 Uhr. Oben angekommen, ein Rundblick, und - o Freude! - da lag der Campingplatz tatsächlich zum Greifen nahe, oberhalb der Steilküste vor Zarautz.

Bald hatten wir die Anmeldung erreicht. Wie würden hier Pilger empfangen werden? "Zwei Pilger mit kleinem Zelt, aber ohne Auto" sage ich zögernd. "Das kennen wir schon!" lacht der hinterm Empfangstisch - es war der Chef, "Willkommen, Pilger! Seid zu Fuß, was? Tüchtig, tüchtig." Ich atme ganz erleichtert auf. Auch seine Helfer grinsen uns abenteuerliche Figuren freundlich an, weisen uns einen Platz zu, im Schatten, ganz in der Nähe der Versorgungseinrichtungen. (Preis: 575 P. pro Person und Zelt) Wir sind mächtig zufrieden. Zum Campingplatz gehören auch ein kleiner Laden, ein Restaurant und eine Bar. Es gibt Automaten und Übersichtskarten über die Umgebung. Ich notierte mir einige Einzelheiten zum nächsten Campingplatz vor Deba, den wir vielleicht ansteuern wollen.

Vom Campingplatz aus konnte man unten die Küste und zur anderen Seite Zarautz und seinen Strand sehen. Wir hatten aber nicht mehr die Kraft, hinunterzulaufen. Dieser Tag hatte uns körperlich und geistig bereits bis an die Grenze beansprucht. Ein einfaches Abendessen und kühle Getränke machten uns zufrieden und schläfrig. Nachts kamen sehr laut Jugendliche aus den Nachbarzelten vom Strand zurück, natürlich beschwipst und kichernd über ihre amourösen Abenteuer. Dafür störten wir morgens, als wir um 7:30 Uhr aufstanden und - auch nicht besonders leise - frühstückten und das Zelt einpackten. Aber das ist eben der verschiedene Rhythmus von Pilgern und Nichtpilgern. Ansonsten waren wir vom Zelten sehr angetan - solange das Wetter gut ist.


22.07.2001, Sonntag: Zum Campingplatz von Itxaspe (vor Deba), 22,5 km (79 km)

20 km laufe ich zu Hause wie nichts, auch mit Gepäck. Aber auf der Nordroute des Jakobsweges geht es rauf und runter, oft auf beschwerlichen Wegen, und das möglichst noch mehrmals am Tag. Wer schneller weiterkommen will, muss die große Nationalstraße laufen, aber dann verpasst man das Schönste.

Am Morgen kamen wir nicht vor 9 Uhr los, da ich noch am Empfang bezahlen und damit meinen hinterlegten Personalausweis auslösen musste. Wieder behandelte man uns als Pilger sehr freundlich und beschrieb uns noch den Weg zum Strand von Zarautz. In der Zwischenzeit konnte unser Zelt trocknen, denn von unserem Schwitzen war es innen klitschnass von Kondenswasser.

Aus der Platzeinfahrt heraus ging es gleich eine Mauer entlang rechts herum. Merkwürdig, vor der Einfahrt standen noch sehr viele Zelte, etwas ungeordnet. Ein weiterer Campingplatz? (Es gibt laut Listen im Internet mindestens zwei in Zarautz.) Wir haben es nicht überprüft. Dann einen Wiesenabhang, später eine Treppe zum Strand von Zarautz hinunter; endlich die Strandpromenade entlang. In Reichweite der Stadt war alles mit Flaschen und Scherben übersäht. Wie wir noch an anderen Orten feststellen sollten, ist es Sitte bei den Jugendlichen, zum Wochenende die große Sause zu machen und in vorgerückter Morgenstunde nicht nur weiter überall Müll hinzuwerfen, sondern vor allem Gläser und Flaschen auf der Straße (und am Strand!) zu zerschmeißen. (In Deutschland ist Ähnliches in Anfängen zu beobachten.) Mürrisch kehrten Angestellte vor den Bares alles zusammen. Nein, es war noch nicht geöffnet, keinen café con leche für die armen Pilger :-(

Die Kirche von Zarautz war noch geschlossen. Wir hatten auch nicht die Zeit, noch eine Stunde bis zu einem Sonntagsgottesdienst zu warten. - Steil, sehr steil ging es aus der Altstadt hoch, an neuen Hochhäusern vorbei den üblichen Berg am Ende der Bucht hoch, durch Weinberge und Felder. Man traf erstaunlich viele Spaziergänger. Rechts voraus die Hafenstadt Getaria mit einer malerisch vorgelagerten Halbinsel. (Einmal verweist ein Pilgerwegzeichen nach links oben, irreführend. Man geht weiter geradeaus auf der Asphaltstraße und erreicht ein großes Camino-Schild mit Übersicht.)

Wir folgen stur dem Handbuch, durch lockere Besiedlung, über Bauernwege, teils mit alter Pflasterung. Das malerische Getaria bleibt rechts unten liegen. Im Restaurant Kanpaia endlich unseren café con leche auf der Terrasse. (Links von uns wird ein großer Hund gebadet. Nach überstandener Prozedur - ich habe es geahnt - kommt er gelaufen und schüttelt sich direkt neben mir das Wasser aus dem Fell. Danke, aber ich hatte heute eigentlich schon geduscht!)

Von einer kleinen Landstraße geht es links ein Sträßchen steil hoch in das kleine Dorf Askizu. (Achtung: nicht zu früh in eine besser zu sehende Stichstraße zu einer Villa abbiegen!) Brunnen an der Kirche! Eine Frau teilt uns mit, dass in einer halben Stunde (13:30 Uhr) eine Sonntagsmesse beginnt. Das passt ja zu unserer Pause. Einige Gottesdienstbesucher, darunter eine Nonne, freuen sich, Pilger zu treffen. Man zeigt uns, dass man von der Kirche aus schon Zumaia, unser nächstes Zwischenziel, sehen kann. Touristen aus den benachbarten Badeorten schlendern leicht bekleidet umher. Ein junger Mann will von einem Grundstück aus das Meer sehen. Entsetzt springt er zurück, als der bisher im Schatten dösende Kettenhund bellend auf ihn zu saust. Er hatte ihn glatt übersehen, kann aber knapp entkommen.

Zur Messe packen wir unsere mitgenommenen spanischen Liturgietexte aus. Ich suche und suche, wo die Leute mit ihren (auswendig aufgesagten) Gebeten sind, bis ich merke: Da kann ich lange suchen, die Messe ist nicht auf Spanisch (Kastilisch), sondern auf Baskisch. Ansonsten haben wir uns sehr gefreut, dass wir uns um den Besuch der Sonntagsmesse gar nicht kümmern mussten; sie wurde uns zur rechten Zeit von selbst am Pilgerweg angeboten. Diese Fügung wiederholte sich an den kommenden Sonntagen so zuverlässig, dass ich mich einfach darauf verließ.

Nach einem steilen Abstieg erreichten wir Zumaia. (Zu Hause hatte ich damit geliebäugelt, Zumaia in einer Etappe von San Sebastián aus zu erreichen, "schlappe" 34 km. Ha, ha!) - Wir laufen in Richtung Stadtzentrum, einem Strom von Sonnenhungrigen entgegegn, die zum Strand hin unterwegs sind. Rechts die Santiagokapelle, aber - pfui! - am Sonntag nicht zugänglich, sonst nur gegen klingende Münze. Ich schmolle im Schatten, während meine Frau das Problemchen auf Spanisch löst: Einfach nicht um blöde Verbote kümmern. Sie überwindet die Absperrung, geht durch den Park zur Kapelle und macht ihr Foto; in die Kapelle hinein gelangt sie allerdings nicht.

Es hat unterwegs manche Verzögerung und manchen Aufenthalt gegeben, weil meine Frau ein Foto schießen wollte. Da sie es immer gut machen will, geht sie dann hin und her, probiert quer und im Hochformat, läuft auch mal ein Stück wieder zurück - und sagt 3 Minuten später: Nein, von hier wär's ja noch viel besser gewesen! Oder: Nein, so ein Pech! Die ganze Zeit habe ich auf eine noch schönere Sicht gewartet, und jetzt gibt's gar keine mehr. - Ich reiße mich immer zusammen, ich will ja auch schöne Fotos als Erinnerung haben. Also schweigend im Schatten dulden... (Inzwischen wieder zu Hause, habe ich mir die gut 200 Dias angeschaut. Meine Frau hatte völlig Recht, für gute Fotos etwas Aufwand zu investieren. Ich wäre ein Idiot gewesen, hätte ich deshalb herumgemault.)

Durch die hässliche Stadt Zumaia endlos hindurch und ebenso endlos eine Ausfallstraße (unsere geliebte N-634) entlang, bis man laut Handbuch nach 3,3 km den "letzten Ortsteil" erreicht und bei einer Tischlerei, deren Namen angegeben ist, abbiegen soll. Was im Handbuch fehlt, sind einige wichtige Wegekennzeichen unterwegs, denn 3,3 km können einem "endlos" vorkommen, und immer hat man schwitzend den Verdacht, die Tischlerei übersehen zu haben oder dass die Tischlerei nicht mehr existiert oder einen anderen Namen hat. Man sollte also wissen, dass man mehrere Straßenabzweigungen passiert, sogar (nach 3 km) eine riesige Verzweigung, bei der es links auf die Autobahn geht. Nicht zweifeln, immer auf der N-634 bleiben, denn die Tischlerei existiert weiter, und sie ist nicht zu übersehen. (Es bleibt nur schleierhaft, warum gerade diese zwei Häuser der letzte Ortsteil sein sollen.)

Nun kommt eine typische Alternative a la Michael Kasper: Markiert ist der Jakobsweg ab der Tischlerei weiter auf der N-634 (und wegen des lebhaften Verkehrs, den vielen Kurven und dem fehlenden Seitenstreifen macht das Laufen auf ihr wirklich keinen Spaß). Der Autor des Handbuchs empfiehlt aber eine Alternative, die etwas vor der Tischlerei abgeht und die "angenehmer" zu gehen und "sogar 700 kürzer" ist. Stimmt sogar, und ist auch ohne Schwierigkeiten zu finden. Was er aber verschweigt: Auf den folgenden knapp 4 km geht es die erste Hälfte ebenso steil hoch wie die zweite wieder hinunter. Geschätzter Höhenunterschied: 500 m. Freilich: Die Wege sind zum Großteil wunderschön, Waldwege in völliger Einsamkeit. Oben lädt eine Lichtung zum naturverbundenen Mittagsschlaf (war für uns zu spät, und es regnete auch ein paar Tropfen). - Eine schwere Entscheidung. Wer die Kraft hat, sollte die Alternative gehen. Wer vor der Tischlerei schon ziemlich fertig ist, gehe lieber die N-634 weiter.

Was mich bei der Tagesplanung noch mehr interessiert hatte: der von uns ins Auge gefasste Campingplatz des winzigen Dörfchens Itxaspe zweigte laut meinen Unterlagen am Kilometer 37,5 von der N-634 ab. Das war knapp hinter dem Punkt, an dem die Alternativroute des Handbuchs wieder auf die Nationalstraße führte, hatte ich ausgerechnet. Das stimmte; die Abzweigung war außerdem in Wirklichkeit erst bei Kilometer 38,5. Dort schwenkten wir also rechts von der N-634 und damit auch vom Jakobsweg ab, der links auf der gleichen Kreuzung nach Itziar führte und freuten uns auf das nahe Ziel. So nah war das leider nicht. Nach 1 km hielt ein Auto, und eine junge Dame fragte uns, ob sie uns zum Campingplatz mitnehmen solle. Das war nett! Wir lehnten mit dem Hinweis auf die Pilgergepflogenheiten höflich ab, bedankten uns aber. Es sei noch 1-2 km zum Campingplatz. Au weia! Kurz darauf kamen uns Jugendliche in einem Auto entgegen und fuhren absichtlich gefährlich auf uns zu. Eine Disziplinierungsmaßnahme, weil wir aus ihrer Sicht eine Behinderung darstellten? Oder einfach jugendlicher Übermut? Außer einem ähnlichen Zwischenfall mit Jugendlichen haben wir sonst keine Schwierigkeiten mit Autofahrern gehabt, eher im Gegenteil. Alle, ob Spanier oder Touristen, ob Auto-, Bus- oder LKW-Fahrer: Man fuhr vorsichtig und gefährdete uns nicht.

Einmal ging's links ab, wobei das Hinweisschild in einem Maisfeld stand und praktisch nicht zu sehen war. Dann war der Campingplatz, wieder auf der Höhe einer Steilküste gelegen und wieder durch einen Berg von der nächsten Stadt (diesmal Deba) getrennt, erreicht, kurz nach 19 Uhr.

Es ist fürs Unterkommen unproblematisch, so spät den angestrebten Campingplatz zu erreichen. Denn erst um diese Zeit fahren auch die meisten Touristen ihr Tagesziel an. Für unser Minizelt war obendrein sowieso immer noch Platz. Problematischer ist, dass man keine Ruhestunden mehr hat: Zelt aufbauen, duschen, Kleider waschen, einkaufen, zu Abend essen: schon ist es 22 Uhr, und dann gehören Pilger schon schleunigst ins Bett, um Kräfte für den folgenden Tag zu sammeln. Der Ausfall der vom Camino Francés gewohnten Siesta am Nachmittag hat sich bei mir kräftemäßig doch sehr bemerkbar gemacht.

Wie in Zarautz war der Empfang am Campingplatz herzlich; Pilger waren bekannt ("Viele Deutsche"; das hörten wir noch oft). (Preis: 600 P. pro Person und Zelt, IVA inbegriffen) In der Anmeldung lieferte ein Kramladen alles zum Essen. Dafür war das zugehörige Restaurant wegen Umbau geschlossen. Schade! - Wie auf jedem Campingplatz brachten wir auch vorbeugend heraus, wo wir am andern Morgen regengeschützt frühstücken und notfalls unsere Sachen hinschleppen und einpacken konnten. Das war hier nur auf der Veranda der Waschanlagen (ca. 150 m entfernt) möglich. - Am Abend folgten wir einem Schild "Meer", stiegen die Steilküste hinab, immer weiter, bis zu einem Weg, von dem man aus sah, dass man noch nicht einmal an der Abbruchkante war und das Wasser überhaupt nicht erreichen konnte... Dieses Beispiel führt zu folgenden allgemeinen Ausführungen.


Schilder in Spanien und wie man sie lesen sollte

Schilder weisen auf etwas hin: Entfernungen, Orte, Leistungen. Als Deutscher nimmt man alles für bare Münze. In Spanien ist das eher nur ein zarter Hinweis auf eine Möglichkeit. Konkret:

Spanisches Schild - Deutung


Man gewann einen tollen Blick auf die Steilküste, den man allerdings einfacher haben kann, wenn man der Piste oberhalb des Campingplatzes ein wenig (bis zu einem Aussichtsmast) folgt. - Nachts tat ich mich noch etwas schwer mit dem harten Lager. Ich passte der Länge nach gerade ins Zelt (obwohl ich nur 1,68 m groß bin). Mein Kopf ruhte auf dem Rucksack, die Schuhe standen in einer Plastiktüte regensicher vor dem Zelt; so kam auch kein Dreck rein. Unsere sonstigen Habseligkeiten hatten wir griffbereit rechts bzw. links von uns an der Zeltwand liegen, insbesondere die Regenhaube für die Zeltspitze.


23.07.2001, Montag: Zum Campingplatz von Mendexa (vor Lekeitio), 22 km (101 km)

Auch an diesem Tag kamen wir nicht ganz bis zu unserem geplanten Etappenziel, sondern nur bis zu dem entsprechenden Campingplatz kurz davor. Das hieß immer, den anderen Tag morgens erst einmal eine Stadt zu durchwandern.

Doch zunächst mussten wir eine weitere Feuertaufe durchstehen. Es fing so gut an: Das Zelt war sogar innen trocken, da wir bei frischem Wind vorne die Regenabdeckung offen gelassen und oben die Regenhaube nicht montiert hatten. Als ich deshalb frohgemut anfing, meine Sachen zu packen, und meine Frau vom Duschen noch nicht wieder zurück war, fing es an zu regnen. Regen am Morgen, wenn man frühstücken und packen muss, ist das letzte, das man sich wünscht. Ich unterdrückte die aufkommende Panik, packte, wie im Geiste schon geübt, die Rucksäcke nur provisorisch (in meinen musste ja noch das Zelt), Frühstückssachen obenauf. Dann schleppten meine Frau, die schon angerannt kam, und ich alles, wie für diesen Notfall vorgesehen, auf die Terrasse vor den Waschräumen. Dort wurde erst einmal in Ruhe gefrühstückt. (Die wenigen Campingfreunde, die bei diesem Wetter und so früh - gegen 8 Uhr - aus dem Zelt zum Waschen gingen, schauten ganz verblüfft.) Dann hieß es, ein klatschnasses Zelt einzupacken. Wir bekamen nur die Zeltbahnen in die Hülle, Stangen und Häringe mussten getrennt verpackt werden.

Von Itxaspe aus wollten wir nicht zum markierten Pilgerweg zurück, um nach Deba zu kommen. Der freundliche Leiter des Campingplatzes wehrte auch lebhaft ab, das brauche man auch nicht; und er beschrieb uns den Weg. Wir verstanden nicht alles, nur dass es einmal unvermutet vom Weg abging. Gegen 9:10 Uhr ging's bei Fisselregen los. Zuerst die beschriebene Betonpiste parallel zum Meer entlang nach Westen. Dann machte die Piste eine scharfe Linkskurve und senkte sich steil ins Tal. Unten waren Eisenbahnschienen, rechts eine Kläranlage, aber vor allem ein breiter Bach ohne Übergangsmöglichkeit. Also zurück wieder nach oben. Auf halbem Weg, noch vor der Kurve, entdeckt meine Frau einen Stein am Pistenrand, mit rot-weißem Wanderzeichen.


Hier ging ein verborgener Pfad - die unvermutete Abzweigung - den bewaldeten Abhang entlang in Richtung Klärwerk, erreichte dieses nach kurzem steilen Abstieg und umging es rechts. Einen Moment verhielten wir vor dem gegenüberliegenden Hang, da hing schon ein hilfsbereiter Spanier in einem Fenster des Klärwerks und rief: Geradeaus hoch! Tatsächlich, auch hier ein steiler, verborgener Pfad, den zudem gerade ein älterer Mann herunterkam.

Rechts fiel der Einschnitt ins Meer ab, rings blühten wunderschöne Blumen.

Malerische Gesteinsschichten an der Steilküste bei Deba


Also den Pfad steil hoch bis zur N-634. Dort wies der Wanderweg nach links, wollte offenbar noch die Höhe ganz überwinden. Dazu hatten wir keine Lust, sondern wir folgten der N-634 um die Höhe herum nach Deba. Zu unserer Freude hatte der Fisselregen inzwischen aufgehört. Deba hat einen breiten Strand zwischen zwei Felsketten, aber zum Baden war es an diesem Morgen noch viel zu frisch. Surfer tollten in der hohen Brandung.

Hinter Deba folgten wir den gelben Pfeilen und dem Handbuch zunächst ohne Schwierigkeiten. Wieder ein landschaftlich sehr schöner Weg über die üblichen Höhen oberhalb der Landstraße. Aber ganz oben, wenn man aus dem Wald herausgekommen ist und eine kleine Asphaltstraße erreicht hat, muss man aufpassen. (Die Asphaltstraße führt wohl auch in die nächste Stadt Mutriku; man kann ihr wahrscheinlich einfacher weiter folgen.)

Laut Handbuch ging es vor dem Restaurant San Juan von der Straße ab nach rechts auf einen Bauernhof zu. An diesem geht es links vorbei, auch noch kein Problem. Dann kamen aber nach 150 m ein paar villenartige Häuser, eins davon links, und um alle herum tobten große Hunde, die uns nervös machten. Geradeaus folgte ein Neubau. Der Weg führt nach rechts weiter, genau in die falsche Richtung. Es gab keine Alternative nach links; die Beschreibung im Handbuch war nicht mehr nachzuvollziehen. (Ich vermute, dass hier die neue Bebauung einiges sehr verändert hat.) Auf gut Glück gingen wir rechts um den Neubau herum nach links, fanden einen Waldweg in die richtige Richtung nach unten, aber er endete in einer Wiese. Rechts unten am Ende der Wiese konnten wir den Zaun überklettern und eine kleine Asphaltstraße erreichen (gleich tobte der nächste Hund auf dem gegenüberliegenden Grundstück), die mit der, die wir oben verlassen hatten, wahrscheinlich identisch ist. Wir folgten ihr bergab bis zur Landstraße Deba-Mutriku; hinter der nächsten Kurve lag Mutriku vor uns. In Mutriku gibt es nur einen kleinen Strand mit einer großartigen Felsenlandschaft dahinter.

In Mutriku war gerade ein Volksfest auf dem Dorfplatz, wo wir an einem Brunnen auch die Feldflaschen wieder auffüllten. Dennoch trank ich außerdem noch schnell eine Cola. Auf diesem ersten Abschnitt des Camino del Norte habe ich unglaublich viel getrunken und oft unterwegs von einem kalten Erfrischungsgetränk geträumt. Eine Woche später ließ das nach, und ich hatte auch kaum mehr Appetit auf Automatengetränke. Merkwürdig, wie unmissverständlich der Körper das fordert, was er gerade dringend braucht.

In Mutriku verließen wir den von Michael Kasper beschriebenen Weg, der über die Berge ins Inland nach Guernica führt, und folgten weiter der Küste, wie wir uns das vorgenommen hatten, zunächst noch den markierten Jakobsweg entlang auf der Landstraße in Richtung Ondarroa. Da die Straße hier im Tal verläuft und gut ausgebaut ist, mit Randstreifen, konnten wir endlich einmal im von zu Hause gewohnten Tempo die Hufe schwingen und kamen sehr schnell vorwärts. Kurz vor Ondarroa kommt der Strand von Saturrarán. Bald sahen wir die entsprechende Abzweigung; viele, die offenbar gebadet hatten, kamen uns entgegen. Etwas später erreichten wir ein kleines Restaurant und beschlossen, zu Mittag zu essen. Hähnchen mit Salat, dazu ein "großes" Bier: da bringt der Mensch mir glatt einen Literkrug. ("Großes" Bier bedeutete in Spanien in der Regel eine Flasche mit 0,33 l. gegenüber einem Glas mit 0,2 l.) Wir verputzten alles vergnügt. Weniger als 2 km weiter der Strand von Saturrarán, mit bizarren Felsen, über die eine von der Sturmflut fast zerstörte Treppe zu einem noch einsameren Strand führt. Fast niemand da. Zwischen den Felsen machen einige FKK. Ein Spanier warnt uns vor der Flut: sie schneidet diesen Strand ab. Nun, wir gingen aus Zeitgründen (und weil es längst wieder bedeckt war) ohnehin gleich wieder. Nach einer kurzen Verschnaufpause erreichen wir über die Promenade auch Ondarroa. Hier schwenkt auch der markierte Jakobsweg ins Landesinnere auf Guernica zu.

Warum eigentlich? Warum nicht früher, wenn Kilometer gespart werden sollen? Ich weiß es nicht. Wir jedenfalls wollen möglichst nahe an der Küste entlang und in Bilbao, genauer in dem Ort Getxo von Norden her die Brücke über den Sund erreichen, und nicht von Süden, von Zentrum Bilbaos her. So ist unser heutiges Etappenziel die Hafenstadt Lekeitio. Die Unterkunft ist ungewiss, eine neue Herausforderung. Einen Campingplatz gibt es bloß in Mendexa, einem Ort, der aber in den Bergen, 3 km von Lekeitio zurück, liegt. Eigentlich zu weit. Ich hoffe aber darauf, dass es vorher eine abkürzende Querverbindung gibt, die auf meinen Karten nicht verzeichnet ist.

Es ist 15:30 Uhr, als wir hinter Ondorroa die Landstraße nach Lekeitio erreichen. Sie geht hoch über dem Meer als Bergstraße die Küste entlang, mehr befahren, als uns lieb ist. Die Hauptverbindung ist allerdings inzwischen nach Guernica abgezweigt, weil ein sehr großer Meereseinschnitt, der ursprünglich bis Guernica reichte, noch heute von keiner Brücke überquert wird. So werden auch wir unweigerlich, der Küste und dann dem Meeresarm landeinwärts folgend, im Bogen nach Guernica kommen.

Die Straße nach Lekeitio zieht sich durch dichte Bewaldung hin. Wir achten auf den Verkehr. Hin und wieder tut sich ein Blick auf das Meer weit unter uns auf. Manchmal begegnen wir Radfahrern, gelegentlich sogar Fußgängern. Wo kommen die nur her (ohne Gepäck)? Es gibt einzelne Häuser versteckt am Steilhang. Wir sehen Fahrspuren, die steil hinunterführen.

Links einer der seltenen Brunnen, aber das Wasser braun von Eisen. Ein Sträßchen führt nach Mendexa hoch. Habe ich mir es doch gedacht! Sollen wir ihm blind folgen? Wir beratschlagen. Meine Frau weist darauf hin, dass es keinen Hinweis auf einem Campingplatz gibt. Wie gewöhnlich, kann ein Schild nach Mendexa auch bedeuten: zu einem der weit gestreuten Ortsteile, irgendwo auf Gemeindegebiet, aber nicht zum Ortszentrum. Ich schließe mich den weisen Ausführungen meiner Frau an. Wir marschieren weiter. Viel später: Noch ein Abzweig nach Mendexa, aber ein Schild mit einem Hinweis auf einen Campingplatz zeigt geradeaus. Sollte es etwa einen weiteren, ganz neuen Campingplatz in Richtung Lekeitio geben, gar an der Straße? Wir wagen es nicht zu glauben. 3 km weiter wird es Wirklichkeit.


Camping Endai, relativ kleiner Platz, ebenfalls auf dem Gebiet der Streusiedlung Mendexa (aber eben nicht deren Zentrum). Preis: 490 P. pro Person + 505 P. für das Zelt, inklusive IVA.


Sehr billig. Dabei reichen die vorhandenen Einrichtungen durchaus. Es gibt aber sonst keine Attraktivität wie "naher Strand" o.ä., einzig Lekeitio zum Angeln, 2,5 km entfernt. - (Den auf meiner Karte verzeichneten Campingplatz von Mendexa gibt es außerdem; wir sahen anderntags am Ortseingang von Lekeitio dahin ein Schild spitzwinklig zurückweisen.)

Die Familie, die den Campingplatz betreibt, bietet im Haupthaus auch Zimmer an. Auch gibt es eine Bar und einen Kramladen, allerdings keine Mahlzeiten. - Eine alte Frau, wohl die Oma der Familie, sitzt vor dem Haupthaus und fragt, ob wir Pilger sind. Ab und zu wird man doch erkannt, auch abseits der eigentlichen Route. Das Wetter ist bedeckt, die Bergspitzen im Inland sind wie gewohnt in Wolken gehüllt, aber es ist ausreichend warm, und es regnet nicht. Zelt und Wäsche trocknen bei der feuchtheißen Luft nicht besonders gut. Es müsste mehr Wind sein. Wir ruhen uns aus, essen Früchte und Brot, trinken Milch (wegen des guten Mittagessens reicht das) und gehen bald schlafen.


24.07.2001, Dienstag: Nach Guernica, 25 km (126 km)

Leidlich geschlafen. 7 Uhr auf, 8:50 Uhr los. Das Zelteinpacken braucht einfach seine Zeit, zumal wenn, wie auch an diesem Morgen, das Zelt innen und unten noch feucht ist. Zuerst bis zur Hafenstadt Lekeitio mit zwei langen Stränden. Die landschaftliche Kulisse wird durch eine große Insel bereichert. Kurz die Kirche besucht (Morgengebet) und sich den üblichen café con leche genehmigt. Wir sind nun ganz auf unsere Landkarten und damit auf die großen Verbindungsstraßen angewiesen. Es gibt nur eine, die oben durch Berge, im Bogen in etwa der Küste folgend, den Meeresarm erreicht und sich von ihm südwärts auf Guernica, unser Tagesziel, hin ablenken lässt.

Ich muss Einheimische fragen, welche Ausfallstraße die richtige ist. Zwar sind alle Straßen nummeriert, aber die Karten und Kilometersteine geben veraltete Bezeichnungen wieder, Wegweiser, Schilder und das Handbuch die neuen. Das war oft ein Problem. Aus Lekeitio heraus führt die Straße in einem riesigen Bogen in die Berge hinauf. Sicher gab es Feldwege und Pisten, die hier einiges an Strecke gespart hätten. Dann folgen monotone Wälder, meist Eukalyptus. Rechts eine Abzweigung: Hier ginge es noch näher an der Küste entlang. Ich bin schon so fertig, relativ früh am Tag (11 Uhr), dass ich abwinke. Kräfte sparen, wo es geht. Schon sehr hoch, suche ich nach einem Rastplatz. Ich brauche dringend eine längere Pause. Alles ist der reinste Urwald. Bei diesem Wetter, Wolken, aber schwülwarm, wächst alles Grün im Rekordtempo. Endlich ein Waldweg links. Wir breiten - außer Sicht der Straße - darauf einfach unsere Isomatten aus. Bumms, bin ich eingeschlafen. Gut eine halbe Stunde später rappele ich mich wieder auf. Das hat gut getan, ich fühle mich wie neugeboren.

Weiter geht es durch die Berge. Der Wald lichtet sich. Streusiedlungen und Wiesen. Im Hintergrund links höhere Berge, aber die Spitzen immer in Regenwolken. Man könnte auch im Schwarzwald sein. Ein Bäckerwagen fährt rum, legt das Stangenbrot in offene Behälter, die wie Briefkästen aussehen, aber das Brot ist ohne jede Umhüllung, nicht einmal in Papier. (Und das vor den Augen hungriger Pilger!) Wir staunen ob der unhygienischen Verhältnisse. In den Kästen sitzt sicher Ungeziefer, modern Brotkrümel der Vorwoche. Man muss auch davon ausgehen, dass Vögel und anderes hungrige Getier (Pilger!) schon mal dran knabbern. Igittigitt! In anderen Landesteilen Spaniens habe ich so etwas nicht gesehen.

Eine Kapelle Santa Cruz ist auf meiner Karte eingezeichnet. Eine unkenntliche Ruine! Rechts geht es unglaublich steil in ein enges Tal hinunter. Die Straße senkt sich nun auch endlich. Urplötzlich taucht eine Bar auf. Es ist ein ausgebautes Bauernhaus, mit Gästezimmern, die Bar ein Kiosk mit Bänken draußen. Man fragt uns Pilger aus, ist freundlich interessiert. - Ich ziehe Tagesbilanz: wir haben angeblich erst ganze 11 km ab Lekeitio geschafft, die Hälfte der Entfernung bis Guernica. Das kann doch nicht wahr sein. Ich fühle mich, als ob ich mindestens schon das Doppelte gelaufen sei. Es hilft nichts, weiter! Endlich die Abzweigung einer Abkürzung nach links, in Serpentinen in das breite Tal des ehemaligen Meereseinschnitts (er heißt Ria de Mundaka) hinab. Überall stehen stolz Tafeln herum, die die ganze Gegend als Naturschutzgebiet ausweisen. Der Fluss, der sich durch den Meereseinschnitt zieht, bietet durch Sandbänke und Überschwemmungsgebiete vielen Tieren eine Rückzugsmöglichkeit. Einen Tag später sehen wir vom gegenüberliegenden Ufer, welche tollen Strände sich im Nordosten, also von Lekeitio her, befinden.

Tipp: Man sollte doch unbedingt dem Sträßchen folgen, das etwa 2 km hinter Lekeitio rechts nach Ispaster abzweigt, weiter den folgenden Sträßchen nach Bedaro, Ea, Natxitua, Ibarrangelua (Elantxobe rechts lassen); von dort kurz in Richtung Akorda, aber dann rechts abzweigend in einem riesigen Bogen direkt an der Küste entlang Richtung Arteaga. Im äußersten Nordosten des Meeresarmes gibt es bei Ebbe traumhafte Sandstrände und -bänke, die nicht nur Kilometer lang, sondern auch viele hundert Meter breit sind. Es gibt dort auch Hotels, wie wir von ferne gesehen haben. Insgesamt macht man einen Umweg von etwa 6-8 Kilometern, so dass die Etappe Lekeitio-Guernica endgültig zu lang wird, zumal, wenn man noch etwas vom Strand haben will. Also mehr Tage einplanen.

Die Abkürzung nach Arteaga war anstrengend, weil hier die Autos ausnahmsweise wenig rücksichtsvoll fuhren. Auch die Strecke Arteaga-Guernica enttäuschte: Schnurgerade, aber keinerlei Seitenstreifen, nicht einmal in den Bebauungsbereichen. Einzig der Dorfplatz in Arteaga (mit Brunnen) ließ uns wieder zu Kräften kommen. Rechts der Straße war ein alter Festungsturm eingezeichnet. Wir sahen ihn von fern, aber er war eingerüstet. Wir verzichteten auf den Abstecher.

Endlich Guernica. Zum Touristenbüro folge man nicht den Schildern (die für Autofahrer gedacht sind), sondern gehe geradeaus auf der San Juan Kalea, bis man die querende Hauptstraße Artekale erreicht. Dann folgt das Touristenbüro links. - Ausnahmsweise hatte die Dame hier die Freundlichkeit, für uns bei einem Hostal um die Ecke anzurufen und uns dort für 5.500 P. (+ 7% IVA allerdings) unterzubringen. Etagenbad. Zentral gelegen. Wir waren zufrieden. - Da sie so freundlich ist, mache ich ihr noch mehr Arbeit und bitte sie, uns schon ein Quartier für morgen in Bakio (hinter Bermeo) zu besorgen. So hoffe ich, aus einer kurzen und einer überlangen Etappe zwei normale machen zu können. Es klappt nicht; alle bekannten Quartiere für morgen schon ausgebucht. Pech!

Im Quartier packen wir das Zelt aus, das immer noch nicht ganz trocken ist, schieben die Betten auseinander und breiten es darauf zum Trocknen aus. Auch die Wäsche muss nachgetrocknet werden. Der mitgenommene kleine Föhn war auf der ganzen Pilgerfahrt im Einsatz.


Wegen der Zeitersparnis beim Suchen einer Unterkunft können wir noch die Stadt besichtigen. Die Museen sind zwar schon geschlossen, aber ein freundlicher Parkwärter lässt uns noch die letzten Minuten in den Park mit der "Versammlungseiche". Guernica gefällt uns. Auf dem Fluss hängt ein älterer Mann mit seinem Boot fest. Die Motorschraube hat sich in den vielen Leinen und Schnüren, die kreuz und quer im Fluss liegen, verheddert. Auf der Brücke und am Ufer geben zahlreiche Schaulustige (mit einem Quäntchen Schadenfreude) "hilfreiche" Kommentare. Szenen aus Spanien...

Ein touristisches "Muss": Die Versammlungseiche, Nationalreliquie der Basken.


Abends hatten wir Schwierigkeiten mit dem Abendessen. Man starrte mich ungläubig an, als ich um 20 Uhr in zwei Restaurants danach fragte. Viel zu früh! Die Rettung war eine Pizzeria. Dazu zwei Tipps: 1) Gemeinsam nur 1 Pizza bestellen, es waren Riesendinger, von denen ich nicht glaubte, dass wir sie schaffen würden. Wir schafften beide. :-) 2) Ich fasste mich an den Kopf, als der Junge, der uns bediente (sein größerer Bruder machte die Pizzas), das Essbesteck vergaß. Ich machte etwas spöttisch Schaufelbewegungen mit den Händen. Die Pantomime kam nicht an. Bierernst bekamen wir unser Besteck. Etwas später bemerkte ich, dass zwei Mädchen am Nebentisch die gleichen Probleme hatten. Beim Anblick der Rechnung fiel der Groschen: das Besteck war extra mit 150 P. pro Person berechnet. Sie lieferten die Pizza, sauber in große Stücke zerschnitten, immer ohne Besteck. Man sollte tatsächlich mit den Fingern essen. Wer's vornehmer wollte und Besteck anforderte, zahlte zu. Oh, diese kleinen Gaunereien mit Aufpreisen! Da hatte ich wieder etwas gelernt. Tipp: Zum Besuch einer Pizzeria unbedingt das Campingbesteck mitnehmen ;-)


25.07.2001, Mittwoch: Nach Bermeo, 14 km (140 km)

In Guernica haben wir den Jakobsweg und die von Michael Kasper geschilderte Strecke wieder erreicht. Wir verlassen sie aber sofort wieder: beide winden sich im Inland auf den Süden von Bilbao zu, während wir weiter die Küste entlang von Norden kommen wollen. Im Zentrum meiner Sehnsüchte liegt San Juan de Gaztelugatxe, eine Kapelle auf einer vorgelagerten Insel im Meer. Ich hatte sie auf Bildern bewundert, und wir glaubten sogar, sie vom Flugzeug aus gesehen zu haben. (Das entsprechende Dia beweist inzwischen: es stimmte, wenn auch keine Einzelheiten auszumachen waren bzw. sind.) Auf dieses Pilgerziel wollte ich nicht verzichten, koste es, was es wolle.

Doch zunächst war noch Bermeo anzusteuern. In Guernica hatten wir gut geruht, gut und lange geschlafen. Schließlich wartete nur eine Kurzetappe auf uns, da es ja mit einer Unterkunft hinter Bermeo nicht geklappt hatte. Erst kurz vor 10 Uhr los. Die Straße am linken Ufer der Ria de Mundaka - jetzt wieder stramm nach Norden - ist ungleich besser als ihr Gegenstück, das wir gestern am andern Ufer entlang nach Süden gewandert sind: durchgehend ein plattierter Bürgersteig, auch zwischen den Dörfern. Einmal am Wege sogar ein schöner Brunnen.

In einem der Orte knallen Böller. Wieder ein Fest. Von weitem sehen wir Mädchen in Tracht. Es scheint heute ein Feiertag zu sein, aber welcher? Oh, es ist sogar Jakobstag, aber die Menschen scheinen das Fest eines anderen Lokalheiligen zu begehen. Später rechts vom Weg eine Kirche, einige Autos steuern dorthin. Wird dort St. Jakob gefeiert? Wir gehen zur Kirchentür. Männer gehen an uns vorbei, sehen uns, laden uns Jakobspilger (als die wir doch klar erkennbar sind) aber nicht mit Handbewegungen freudig ein, am Gottesdienst teilzunehmen. Wir wollen nicht stören und gehen also weiter. Die Sonne kommt raus. Es wird sehr heiß.



Der Flusseinschnitt
Ría de Mundaka
Der gepflasterte Bürgersteig endet in Sukarrieta. In diesem Ort gehen uns die Augen über. In der Ria ist Ebbe. Weite, endlose Sandbänke hat das Wasser freigegeben. Eine baumbestandene Insel dazwischen (Schatten!), Ufer mit üppiger Vegetation. In Scharen laufen Sonnen- und Wasserhungrige über eine weiße Brücke in dieses Paradies. Uff, da wird es schwer zu entscheiden, was wir machen. Meine Frau möchte so gern ins Wasser. Ich ja auch, aber: Unsere Unterkunft ist nicht klar, die nächste Etappe auch nicht (Ich will doch nicht mein San Juan de Gaztelugatxe gefährden!). Wir brauchen auch dringend Lebensmittel, und da Feiertag zu sein scheint, kann das schwierig werden. Ich verspreche meiner Frau noch heute ein Stranderlebnis. Sie lenkt ein, und wir gehen weiter.

Hinter Sukarrieta (ich merke mir für alle Fälle den Namen einer Bushaltestelle) kommt noch ein Stück enge Straße und dann - ein Campingplatz (der schon zu Mundaka gehört).


Camping Portuondo, E-48360 Mundaka, Tel. 0034 946 877 701
Netzpostadresse: recepcion@campingportuondo.com, Netzseite: http://www.campingportuondo.com
Preis: 678 P. pro Person und Zelt + IVA extra: 2.176 P. Nicht besonders billig, aber mit erstklassigen Einrichtungen. Der beste Campingplatz unserer Pilgerfahrt. Einkaufen konnte man in einem Gebäude mit Automaten; damit war eine Sorge erledigt.


Es ist gegen 14 Uhr, und schon hängt eine Tafel aus: voll für Campingwagen. In der Anmeldung höre ich: Auch keine großen Zelte mehr. Wir beraten uns. Lieber doch gleich hier buchen. Wegen des Feiertags wimmelt es ja in der ganzen Gegend von Touristen und Badelustigen. Also: "Zwei deutsche Pilger mit ganz kleinem Zelt..." Man schmunzelt, nimmt uns an und weist uns einen nicht so tollen Platz (steinig, kein Schatten) auf einer der Campingplatzterrassen zu. Nebenan bauen gerade zwei Mädchen ab. Wir übernehmen ihre Stelle, die etwas besser ist. Kaum steht das Zelt, machen wir uns wieder auf den Weg, nach Bermeo. Wir durchqueren Mundaka auf der Fernstraße und merken uns den Stadtstrand. Dann erreichen wir die Hafenstadt Bermeo.

Bermeo ist gar nicht so klein, wie ich erwartet hatte. Das Touristenbüro ist sogar besetzt. Die Dame ist freundlich und hilfsbereit, hat auch nichts zu tun und telefoniert deshalb bereitwillig für uns rum. Es geht um mögliche Busverbindungen. Von Bakio nach Górliz, dem nächstgelegenen Campingplatz, fährt jedenfalls nichts. Das generelle Problem ist: Wie können wir eine Mammutetappe dahin von gut 30 km durch die Berge schaffen und San Juan de Gaztelugatxe besichtigen? Inzwischen hatte das vergleichende Studium aller Unterlagen nämlich ergeben: Natürlich verläuft die Fernstraße an San Juan vorbei oben auf halber Höhe des Bergmassivs. Das hieß: Einen Abstecher von dieser Höhe hinunter ans Meer, dann die Verbindung zur Insel hinüber und zum Schluss gut 200 Stufen steil zur Kapelle hinauf (und natürlich das Ganze nochmal zurück). Das alles war an einem Tag kräftemäßig nach unseren bisherigen Erfahrungen nicht zu schaffen. Meine Frau atmete erleichtert auf, als ich das im Park von Bermeo, wohin wir uns zur Beratung zurückgezogen hatten, ehrlich feststellte. Also lautete die Alternative: Entweder auf San Juan verzichten oder ein Stück mit dem Bus. Ersteres wollte ich bekanntlich nicht, "koste es, was es wolle". Es kostete eine Verletzung unseres eisernen Festhaltens an der Pilgergepflogenheit, wirklich alles zu Fuß zu gehen. Wir beschlossen daher einvernehmlich: Wir fahren von Bermeo aus mit dem Bus bis zur Haltestelle "San Juan". Wenn man rechnen will, kann man den Abstecher zur Kapelle entfernungs- und kräftemäßig mit der Busstrecke gleichsetzen. Aber was soll's!

Laut unserer Pilgerstreckenbuchführung hatten wir Bermeo pilgernd (zu Fuß) erreicht, obwohl wir auf dem Campingplatz vor Mundaka übernachteten. Nach Mundaka zurück fuhren wir mit dem Zug (130 P.). So hatten wir noch Zeit, nach Bermeo uns auch noch Mundaka anzusehen.

Mundaka ist hässlich, wenn man es nur von der Umgehungsstraße oder von der parallelen Hauptstraße kennenlernt: mehrstöckige, geschwärzte Häuser, ohne ein Fleckchen Grün. Man wandere aber am Ria-Ufer entlang: da jagt ein herrlicher Blick den andern. Eine Kapelle mit Mauerruinen, eine Kirche, ein Hafen, von dessen Kaimauern Kinder und Jugendliche ins Wasser sprangen. Dazwischen tuckerten vorsichtig Boote, wäre in Deutschland verboten. Freizeitangler lieferten stolz riesige Fische bei einer Waage (und Einkauf?) ab. Am Ende, in Richtung Campingplatz, der aber noch gut 1 km entfernt ist, der Stadtstrand; inzwischen sehr breit, da Ebbe gewesen war. Die Flut rückte aber schnell nach. So konnte ich aber mein Versprechen einlösen, meiner Frau noch ein Stranderlebnis zu bieten, was sie auch weidlich auskostete. (Mich zog es nicht ins Wasser.) Die Flut gab mir Gelegenheit zu einigen amüsanten Beobachtungen: Einmal retteten die Strandnachbarn die Kleidung zweier Badenden, kurz bevor die Sachen im Wasser verschwunden wären. Dann umspülte die Flut schon die Sonnencremeflasche eines eng umschlungenen Liebespaares, das buchstäblich in letzter Minute - natürlich etwas "derangiert" - aus der einhüllenden Decke hochschreckte. Der Strand gefiel mir: es gab keinen Lärm und ging sehr familiär zu. Erst spät brachen wir zum Campingplatz auf.

Hier gab es ein kleines Restaurant, oben neben der Straße ein weiteres großes Schnellrestaurant. Da ersteres keine Angebote aushängen hatte (ein häufiger taktischer Fehler spanischer Restaurants), gingen wir in das Schnellrestaurant. Hier schufteten einige junge Leute, denn es war sehr viel los. Wir nahmen das Standardgericht: Hähnchen mit Pommes und Salat, dazu eine Flasche Wein, zus. 1.950 P., also für zwei Personen. Satt und vom Wein etwas angeheitert kehrten wir dann zu unserem Minizelt zurück. Es fing schon an zu dunkeln.

Der Abend schloss wieder mit einer Szene, die absolut loriotreif war, einschließlich der Dialoge. Eine deutsche Familie mit zwei kleinen Jungs packte neben uns in einer Lücke zwischen kleinen Zelten etwas aus, das mir wie eine Umhüllung des Kölner Doms vorkam: riesige Zeltbahnen, daumendicke Stangen, es nahm kein Ende. Die Familie war aus blanker Not hier untergekommen. Jeder sah eigentlich, dass unsere Kleinzelte-Terrasse keinen Platz für dieses Monstrum bot. Zudem bauten sie ihr Zelt offensichtlich zum ersten Mal auf.

Hier eine Kostprobe der Dialoge:
Vater: Hast du eine Ahnung, was die braunen Stangen sollen?
1. Sohn: Hier sind auch noch gelbe.
2. Sohn: Wir sollten aber doch drinnen ein Zelt für uns haben.
Mutter: Also, die Kinder müssen jetzt wirklich ins Bett.
(Ein junger Spanier klettert über die ausgepackten Berge und stolpert)
Mutter: Sorry, tomorrow we'll change. (Sie meint: Morgen bringen wir das alles hier in Ordnung.)
Spanier (ruft seinen Kameraden halblaut die Übersetzung zu): Morgen werden sie sich verwandeln.
(mehrstimmiges Gekicher, einschließlich meines)

Eins muss man der Familie lassen: Niemand von ihnen rastete aus (was mir totensicher passiert wäre) und schimpfte los; die Jungs quengelten nicht, sondern fanden alles spannend. (Wir auch.) Am Ende stand das Zelt diagonal (für längs reichte der Platz einfach nicht) und versperrte die ganze Terrasse, mit krumm gebogenen Stangen, damit die noch Grund hatten. Wer von uns übrigen nachts zur Toilette musste, kroch irgendwie hinter dem Zelt her und fiel über Absperrleinen. Die Innenzelte waren wohl nicht montiert. Alle schliefen offenbar nebeneinander auf dem Boden, ein Fuß guckte unter der Außenhülle her. Ich habe selten so gelacht. Ausgerechnet dieses Monstrum musste neben unserem Minizelt stehen. Sicher haben viele an diesem Anblick ihren Spaß gehabt. - Die Nacht war bemerkenswert ruhig.


26.07.2001, Donnerstag: Nach Górliz, 28 km (168 km)

6:30 Uhr schmeißt uns unser kleiner Reisewecker raus. Wir wollen mit dem Bus nach Bermeo, das wir pilgermäßig ja schon erreicht haben. Wir frühstücken in einer der vorbildlichen Einrichtungen dieses Campingplatzes: ein großer überdachter hölzerner Pavillon mit mehreren Tischen und Bänken. (Bei Regen wäre das auch ein erstklassiger Zufluchtsort geworden.) - Frühzeitig sind wir an der Bushaltestelle, deren Position wir auch nur unklar in Erinnerung hatten. Da kommt der Bus doch glatt 10 Minuten zu früh und fährt auch gleich weiter, als wir eingestiegen sind. Wenige Minuten später hätten wir ihn verpasst, und unser ganzer Tagesplan wäre undurchführbar gewesen. (Die Abfahrtszeiten waren am Campingplatz angegeben.) - In Bermeo steigen wir in den Bus nach Bakio um. Die Fahrpläne haben wir aus dem Touristenbüro. Der Bus windet sich eine sehr schmale Straße das Gebirge hinauf. Uff, das wäre anstrengend gewesen. Auf der Straße sind einzelne Radfahrer und Fußgänger unterwegs. Der Fahrer scheint es gewohnt zu sein, steuert gleichmütig um sie herum. Dann kommt unsere Haltestelle. Unsere Rucksäcke werden immer unten im Bus in Gepäckräumen verstaut. Das bin ich schon aus früheren Jahren gewohnt. Zur Vorsicht sage ich immer noch beim Aussteigen, dass wir noch an unser Gepäck müssen; nicht, dass ein Fahrer gleich losbraust.

Da liegt es unten vor mir, eines meiner ersehnten Pilgerziele: die Kapelle San Juan de Gaztelugatxe. Der Tag ist trüb, die Bergspitzen hinter uns liegen wie immer in den Wolken, vom Meer steigt Dunst auf. Der Himmel ist bedeckt, aber kein Regen. Also nicht die beste Sicht (meine Frau hält sich mit einem Foto noch zurück), aber gutes Wanderwetter. Der Abstieg auf einer Asphaltstraße ist steil, am Ende sehr steil. Wir wagen es nicht, das Gepäck oben an der Straße zurückzulassen. (Man hätte es evtl. im Gebüsch verstecken können.) Auf halbem Weg ein erfrischender Brunnen.


Dann stehen wir vor der Brücke. Einige Felszacken führen noch zur Insel. Sie sind durch Mauerwerk verbunden worden. Oben drauf wurde ein winkliger Übergang mit hohen Seitenmauern errichtet. Rechts liegt eine Nachbarinsel. Beide Eilande haben malerische Durchbrüche. Doch vor uns schwingt sich eine Treppe, unterbrochen von stufenlosen Abschnitten, steil nach oben. Alle 50 Stufen wird angegeben, wie viele man schon bewältigt hat. Ich laufe sehr langsam, stütze mich schwer auf den Wanderstab. Endlich oben.

Wie vermutet ist die Kapelle geschlossen. Ein Guckloch ermöglicht einen Durchblick ins Innere.


San Juan de Gaztelugatxe

Unten fahren mehrere Autos vor. Schade, bis jetzt waren wir allein. - Auf dem Plateau gibt es noch einen großen, zur Kapelle hin (seitlich zum Meer) offenen, gemauerten Schutzraum, sogar mit Fenstern. Steinerne Tische und Bänke. Spuren zeigen, dass hier auch Leute schon übernachtet haben. Sicher, man muss Lebensmittel mitbringen; frisches Wasser gibt's ja unten. Es wird kalt sein, aber romantisch. Abfallkörbe sind auch da. Bleibt ein Problem: Toiletten. Diskret schaue ich in die Ecken, nichts Verdächtiges. Meine Frau ruft mich nach draußen: Da ist sogar ein Abtritt, zum Meer hin, in der Form wie die Pechnase einer Burg - und benutzt! Wasser zum Nachspülen sollte man lieber auch einsetzen; so ist der Anblick nichts für Zartbesaitete.

Wir bleiben eine Weile und schauen uns die Gegend gründlich an. Nicht weit weg liegt Bakio, unser nächstes Zwischenziel. Man kann sogar den Strand ausmachen. Natürlich spreche ich ein Morgengebet, bevor die ersten Touristen bei uns oben angelangt sind. - Auch der Weg nach unten ist anstrengend, noch anstrengender die Straße zurück nach oben. Kommt denn der Brunnen niemals? Der war doch so nah. Ein alter Mann schlurft vor uns ganz langsam her. Er muss hier irgendwo wohnen. Wir überholen ihn zwei Mal. Dann zieht er wieder ganz ruhig an uns vorbei, während wir uns ausjapsen. Rechts ahnt man eine Abkürzung, an drei Höfen vorbei zur Fernstraße hoch. Ist mir ohne Karte und Hinweise zu unsicher. Außerdem: wie steil muss dieser Pfad sein, wenn wir schon diese Asphaltstraße kaum schaffen? - Wie weit es von der Fernstraße wirklich bis unten ist, wage ich nur zu schätzen. Ich dachte, mindestens 2 km, meine Frau meint, weniger. Ich weiß es nicht. Oben angelangt, war ich jedenfalls so fertig wie sonst nach einer Tagesetappe im Flachland.

Hat sich dieses Pilgerziel also für mich "gelohnt"? - O ja! Ich halte San Juan weiterhin für die größte Sehenswürdigkeit im Baskenland, und das in mehrerer Hinsicht, auch aus der Sicht des "echten" Pilgers. Alle Beschwerlichkeiten, die ich hier schildere (und das gilt für den gesamten Bericht) sollen ja keine "Beschwerden" sein, sondern nachfolgenden Interessenten ein zutreffendes Bild vermitteln, auf was sie sich körperlich und nervlich einstellen müssen. Dabei kommen die erlebten Freuden oft zu kurz, während die Schilderung von Problemen breiten Raum einnimmt. Dieses sollte man sich immer bei meinen Zeilen vor Augen halten. Ich bereue nichts an dieser Pilgerfahrt, bei der es aber durchaus eine Grenze gab, ab der ich aufgegeben hätte, und das haben wir uns auch einige Male gesagt. Etwa: das Zelt zerrissen oder tagelang heftiger Regen, entzündete Blasen, ernsthafte Krankheit, Unfall, usw. Dann hätten wir das Handtuch geworfen. Dass es nicht dazu kam (obwohl es in der 3. Woche fast soweit war, s.u.) und dass wir sogar Oviedo erreicht haben, erfüllt mich mit Dankbarkeit zu Gott, dessen führende Hand ich in vielen Kleinigkeiten deutlich gespürt habe (Stichwort: "Glück im Unglück").

Wieder oben auf der Fernstraße erblicken wir nur wenige hundert Meter hinter der Bushaltestelle - ein Hostal! Gaztelu Begi, eine Pension mit 2 Sternen. Es steht nicht in meiner Panoramakarte, die ich noch vom Vorjahr habe. Der Wirt zuckt mit den Schultern, interessiert ihn nicht. Wir trinken den unvermeidlichen café con leche und genießen den Blick zurück nach San Juan, das noch zum Greifen nahe daliegt. Einige Kilometer weiter einige Häuser und die vorbildlich renovierte Kirche San Pelayo. Brunnen. Wieder ein breites Vordach rings herum. Ich umrunde die Kirche. Oha, Müll, hier haben welche pausiert oder gar übernachtet. Der Verdacht wird zur Gewissheit, als ich in einer Nische Plastiksäcke und sogar Kleidungsstücke auf dem Boden entdecke. Pilger? Andere Rucksackreisende? Oder gar Landstreicher? Es bleibt offen.

Dann kommen wir nach Bakio. Wir gönnen dem Strand keinen Blick, eilen weiter, denn wir haben noch viel Weg vor uns. Zur Stadt hinaus 2 km in Richtung Hinterland, dann eine abzweigende Straße nach rechts in einer riesigen Kurve hoch. Von einem Bauernhof rennt mir ein kläffender Köter bis auf die Landstraße nach und kommt uns hinterher. Das ist neu. Ich drohe ihm mit dem Stock. - Dann nur noch wenige Häuser, Wald nimmt uns auf. Alles nur langweiliger Eukalyptus. Es geht weiter hoch, wir erreichen einen ausgebauten Aussichtspunkt (Mirador): Direkt vor uns liegt unten Bakio, zum Greifen nahe, und in der Ferne: "Mensch, immer noch San Juan de Gaztelugatxe!" Eine breite Piste kommt von rechts hoch. Sie gehört zu einer markierten Fahrradrundstrecke, wie wir sie schon hinter Lekeitio gesehen haben. Uns ist klar, dass hier eine steile Abkürzung von Bakio hochkommt, die uns wohl einige Kilometer erspart hätte. Wieder schimpfe ich über den Mangel an Wanderkarten.

Endlos geht es weiter, die Straße durch Eukalyptuswald entlang. Nach meinen Berechnungen kann Armintza, unser nächstes Teilziel, schon am Rande des Meeresarmes von Bilbao, nicht mehr weit sein, allenfalls 4 km. Da, Wegweiser: Armintza 7 km vor uns, Bakio 10 km hinter uns. Moment mal, Moment mal. Die Teilstrecke soll doch nur 15 km lang sein, nicht 17 km. Ich blättere in meinen Karten. Die vom Baskenland gibt gar keine Entfernungen an. Die HB-Karte hat irgendetwas von 10 km von Bakio nach Armintza (das 5 km vor Górliz liegt) da stehen, das kann sowieso nicht stimmen. Die Michelin-Karte sagt: 34 km von Bermeo nach Plentzia (2 km hinter Górliz) an, also 32 km bis Górliz. Auch das sind offensichtlich (mindestens) 2 km zu wenig. Spätestens hier lobe ich mich selbst, diese Mammutetappe nicht stur (samt San Juan) ganz zu Fuß angegangen zu sein. Der weitere Weg unterstrich dieses Lob eindrucksvoll.

Wir latschen ergeben weiter. Da geht die Straße runter auf Meeresniveau. Vor uns ein Wasserarm und oben Häuser: Armintza! Erleichtert machen wir im Straßengraben Pause.

Nichts entnervt mehr, als sich zu früh gefreut zu haben. Die nächsten Kilometer machen uns nervlich fertig. Der "Meeresarm" entpuppt sich als ein Stausee mit Naturidylle. Die Straße windet sich weit um ihn herum und geht, immer breiter werdend, steil unter den gesichteten Häusern hoch. Jeden Moment muss doch das Ortsschild von Armintza kommen. Oben schauen wir verblüfft: weit und breit keine Ortschaft (nur die paar Häuser oben). Statt dessen ein riesiges Elektrizitätswerk. Wohin man schaut, bis zur letzten Klippe: Zäune und Stacheldraht. "Wie bei einer militärischen Einrichtung" murmele ich. Wo sind wir hier gelandet? Unsere Straße wird noch breiter, mit beschädigten Fahrspuren. Zuweilen kommt ein Auto und kurvt im Zickzack um Löcher herum. Rechts und links in den Büschen Rechtecke überwucherter Fundamente, wohl von Bauarbeiterbaracken. "Na, die haben hier aber gewühlt." sage ich. Geradeaus ist der nächste Höhenzug. Die Straße hat weitere Riesenserpentinen, als hätte man hier ein Stück Autobahn auf Halde gelegt. Das eingezäunte eigentliche Industriegelände liegt ebenfalls fast verlassen. Zwei Arbeiter springen bei unserem Kommen hinter den Drahtverhauen auf und schützen emsige Tätigkeit vor. Endlich eine Art Hochfläche, die Industrie hinter uns. Wir sind schon wieder mindestens 2 km gelaufen, aber von diesem verd... Armintza ist immer noch nichts zu sehen. Mit einem Mal durchfährt es mich, ich hole nochmal die Baskenlandkarte heraus und lese, noch ein Stück vor Armintza: Central Nuclear de Lemóniz. Wir sind an einem (verlassenen?) Atomkraftwerk vorbeispaziert! Wirklich, sehr eindrucksvoll dieser Gegensatz von (fast) unberührter Natur und albtraumhafter Industriewüste. - Dieser Tag hatte seine Lehren für uns. Nachdenklich und müde stapfen wir weiter.

Es ist nicht mehr weit bis Armintza. Wir kommen an einem Strand vorbei. Kein Sand, nur zerklüftetes Gestein, in dem Leute nach irgendwelchen Tieren (Muscheln? Krebse?) suchen, da Ebbe ist. Den nächsten café con leche. Nebenan am Tisch sitzt ein fein gekleidetes Touristenehepaar und weiß nicht, ob es uns bemitleiden oder verachten soll. Die Gefühle sind deutlich den Gesichtern abzulesen. Ich grüße ganz höflich beim Weggehen. Sie grüßen etwas irritiert zurück.

Bis hier konnte ich schwören, dass die auf den Karten und Wegweisern angegebenen Entfernungen nicht stimmten. Jetzt sollten es noch 5 km bis Górliz, unserem Etappenziel, sein, und die waren es auch exakt. Ich finde das jetzt beim Schreiben noch merkwürdig. Auch die Michelin-Karte gibt mindestens 2 km zu wenig an. Für Bermeo-Górliz muss man also wenigstens 34 km ansetzen, zu viel für einen Tag, auch ohne San Juan de Gaztelugatxe. - Von einer Höhe herab sahen wir Górliz vor uns liegen. "Der Campingplatz könnte rechts unter den Bäumen sein." prophezeite meine Frau. Ich stimmte ihr zu. Wir erreichten den Stadtrand, aber kein Hinweis. Durch die Stadt hindurch; mühsam, man feierte auch hier, Menschenmassen wälzten sich uns entgegen. Wir mussten auf die Fahrbahn ausweichen. Ende der zusammenhängenden Bebauung und ein Hinweisschild: Nach rechts. Nächste Kreuzung (vor einem Park, im Hintergrund die Küste): keinerlei Hinweis. Zwei liebe Damen weisen auf Befragen nach rechts. Jetzt laufen wir parallel zu der Straße, die wir gekommen sind, schon wieder zurück und landen bei dem Grundstück mit den Bäumen, das wir schon von weitem gesehen hatten. Wieder waren wir ca. 1,5 km im Halbkreis gelaufen. Konnte denn nicht am Ortsrand ein Schild nach rechts auf den Campingplatz verweisen?

Inzwischen habe ich meinen Spruch für die Anmeldung verlängert und sprachlich verfeinert: "Wir sind zwei deutsche Pilger, ohne Auto, mit kleinem Zelt, und möchten hier eine Nacht unterkommen." "Oho," ruft der Chef hinter der Anmeldetheke, "da kann aber jemand gut Spanisch!" (Die alte Fehleinschätzung) Er müsse zwar jetzt gerade weg und werde uns später einschreiben. "Sucht euch einfach einen guten Platz. Duschen und Toiletten rechts, Bar und Laden ganz hinten."

Auch hier waren wir ganz zufrieden, obwohl einiges an den Einrichtungen kaputt war. Camping Arrien S.A., Barrio Uresaranse, 9, E-48630 Górliz. Tel. 946 771 911. 600 P. pro Person und Zelt + IVA = 1.926 P.

Dann die übliche Routine, Wäschetrocknen am Zaun. Laden und Bar wurden wie oft von derselben Familie betrieben. Es ging sehr freundlich und persönlich zu, und wir fühlten uns wohl. Nachts kam die kalte Dusche: Es regnete erstmalig länger. Erstaunlicherweise ließ mich das kalt, ich schlief trotzdem.


27.07.2001, Freitag: Nach Portugalete, 18 km (186 km)

Als wir morgens wach werden, fällt weiter Regen. Irgendwann müssen wir doch raus. Ich bin relativ ruhig, obwohl diese Situation morgens die denkbar schlechteste ist. An Unterstand haben wir nur einen kleinen Informationskiosk unweit des Zeltes, mit einer Bank davor. Wichtigste Regel: Erst einmal frühstücken! Das tun wir auch, sogar mit café con leche aus der bereits geöffneten Bar. Der Regen wird mal schwächer, dann wieder heftiger. An der Anmeldung steht eine Frau und spricht mit einem Kind deutsch. Dann steht sie auf einmal hinter der Theke. "Die arbeitet hier" sagt meine Frau. Mir kommt eine Idee, wie wir unsere Situation verbessern können, und gehe zu der Frau hinüber. Endlich gibt es keine Sprachbarriere, die mich bei höflichen Bitten behindert. Andrea (so heißt die junge Frau) schaltet gleich und ruft in Portugalete (jenseits der Gondelbrücke von Getxo) das Hostal Santa María laut meinem Handbuch an. Ruckzuck, ist für uns ein Zimmer reserviert. Keine Sorgen mit der Unterkunft heute! (Ich habe mir sogar gemerkt, wie man "Fischer"auf Spanisch buchstabiert. Das hatte mir zum Selber-Telefonieren noch gefehlt.) Ich freue mich riesig, bedanke mich herzlich, fühle mich dem Regen auf einmal gewappnet. Bis Portugalete sind es schlappe 18 km. Die machen wir nach der Mördertour von gestern mit links. Diesmal behielt ich Recht.

Bis 12 Uhr muss der Platz geräumt sein. 11:59 Uhr ziehen wir los :-) (Das war aber mehr Zufall, uns hätte keiner nachzahlen lassen. Alle waren wegen des Regens in etwas gedrückter Stimmung und bedauerten uns nur.) "Morgens Nieselregen, das haben wir fast den ganzen Sommer", sagte Andrea. "Aber keine Angst, es ändert sich auch schnell." Wir kommen nach Plentzia. Tatsächlich lässt das Nieseln nach. Kurz vor dem Hafen scharf nach links und eine Serpentine steil hoch, dann im Riesenbogen auf einer Autostraße wieder zurück auf eine Autobrücke zu - und rechts wieder der Hafen -- mit einer Fußgängerbrücke! Wer konnte das ahnen? Wir hätten nur 100 m weiter bis zum Hafen selbst gehen müssen. Jenseits der Brücke ist gleich die Metrostation nach Bilbao. Hierher fahren Bilbaos Einwohner bequem zum 20 km vom Stadtzentrum entfernten Strand. Wir sagen zu dieser Versuchung "Satanas, weiche!" und nehmen brav die Straße nach Getxo unter die Füße. Um es gleich zu sagen: diese Etappe ist mies. Wenig Natur, überall erst lockere, dann dichtere Bebauung. Ab Sopelana geht es schon durch Vorstädte, und es ist sehr schwierig, überhaupt nach Getxo zu finden, das selten ausgezeichnet ist. Ohne meine Karten von Bilbao und Umgebung hätten wir sehr alt ausgesehen. Einmal knickte die Hauptrichtung nach rechts unter einer Eisenbahnlinie her ab; das stand auf meiner Karte nur andeutungsweise als projektiert. Wir gingen geradeaus weiter (und damit waren wir die meisten Autos los); das war richtig.



Die Gondelbrücke von Portugalete

In Getxo wäre ohne Stadtplan nichts zu machen gewesen. Wir wollten den Teil mit Steilküste vermeiden, um nicht unnötige Steigungen bewältigen zu müssen. Das klappte. Genau, als meine Frau sagte: "Ich bin unheimlich kaffeedurstig.", tauchte unvermittelt eine Bar in dem Wohnviertel auf, durch das wir gerade gingen. Dann kamen wir wie gewünscht, am Hafen heraus. Ab hier kannte ich alles vom letzten Jahr.

Pause im Park. Das Zelt ausgepackt und im Wind getrocknet. Weiter durch Las Arenas gleich zur Gondelbrücke. Man weiß nicht recht, wie man dieses technische Wunder aus dem 19. Jahrhundert bezeichnen soll. Ein riesiges Gerüst trägt eine große Gondel, in der 8 Autos, einige Motorräder und ein paar Dutzend Fußgänger Platz finden. Diese Gondel wird pausenlos hin- und hergezogen. Deshalb rede ich von "Gondelbrücke", Michael Kasper schreibt "Hängebrücke". An der Brücke treffen wir wieder auf eine im Handbuch beschriebene Alternative des Jakobswegs. Wir fahren gleich über den Sund (35 P., es gibt auch eine kleine Personenfähre für 40 P.).


Das Hostal Santa María liegt laut Handbuch "neben der Hängebrücke". Das stimmt nur bei sehr weit gespannter Auslegung von "neben". Ich entdecke aber eine Übersichtskarte auf dem kleinen Platz an der Anlegestelle. Danach finden wir das Hostal ohne Mühe: 200 nach links zur El Solar Plaza mit Denkmal. Man macht uns sofort auf.

Das Zimmer (Etagenbad, 4.500 P.) liegt in einem Jugendstil-Erker, hat herrliche alte Möbel. Wir sind ganz glücklich. Und so viel Platz! Abends durchstreifen wir die Stadt, werden aus der Kirche vertrieben, weil man schließen will. Es geht (etwas zu meinem Leidwesen, ich bin so müde) noch rauf und runter. Endlich landen wir zum Abendessen wieder am Anlegeplatz der Brückengondel; es ist das Restaurant, das ich gleich als erstes gesehen hatte. :-/ - Nachts ahnen wir, warum so ein schönes Zimmer noch frei war: Es ist Freitag! Da machen doch überall die Jugendlichen ihre Sause. Ausgerechnet in der Gasse neben unserem Hostal ist eine Gaststätte, in der ein Rockkonzert angeboten wird. Den Rest kann man sich denken: die ganze Nacht Musik, Lärm und Gläserklirren. Morgens liegen Gasse und Platz voller Scherben. - Wir haben trotzdem ganz gut geschlafen. Ein echter Pilger ist immer hinreichend müde. :-)


Kapitel 2: Von Bilbao nach Llanes (9 Etappen, 202,5 km)


28.07.2001, Samstag: Von Portugalete nach Castro Urdiales, 29,5 km (215,5 km)

An diesem Tag verließen wir das Baskenland. Zugleich überschritten wir die 200-km-Grenze. Doch vorher gab es noch viel zu sehen - und zu "leiden".

Der Wecker reißt uns um 6:30 Uhr aus den Träumen. Nur zögernd verlassen wir dieses schöne Quartier, aber wir haben wieder eine längere Etappe vor uns. Schon 7:50 Uhr treten wir aus der Tür des Hostales - und gleich wieder zurück: wie üblich fisselt es draußen, also die Regenkleidung über. Dann mache ich (als Verantwortlicher für Planung und Wegefinden) gleich mehrere ganz dumme Fehler, wie ein Anfänger. Ein wenig ist Michael Kasper mit Schuld: "Von der Hängebrücke geht es im rechten Winkel vom Fluss weg", schreibt er. Wir also zur Anlegestelle zurück, suchen die im Handbuch angegebene Straße "im rechten Winkel". Die heißt aber anders. Bevor mir Idiot (ich muss wohl noch sehr müde sein) die Übersichtskarte einfällt, lenken uns zwei alkoholisierte Jugendliche mit Hunden ab, sprechen uns an, lallen uns voll. Um ihnen zu entfliehen, entscheide ich, dass wir die Straße vor uns hochgehen; vielleicht heißt sie im weiteren Verlauf wie im Handbuch angegeben (das kommt schon mal vor). Sie knickt aber bald nach Norden ab, stößt auf eine größere Straße, die in die allgemein richtige Richtung führt, die Küste entlang. Etwa 2 km später kommen wir durch Santurce, das ist von der allgemeinen Richtung her (immer parallel die Küste entlang) nicht grundsätzlich falsch. Plötzlich überrragt aber ein hoher Berg die Häuser vor uns. Ich erschrecke. Wenn wir nun falsch herum laufen...? Ich bleibe stehen und gebe zu, dass ich völlig blind vorangestürmt bin. Ich ärgere mich furchtbar. Meine Frau behauptet, die richtige Straße in Portugalete gestern Abend gesehen zu haben (sie hat Recht, wie sich herausstellen wird). Ein Blick auf den Stadtplan von Getxo (!): Er zeigt doch glatt noch den benachbarten Teil von Portugalete und gibt ausgerechnet die beiden richtigen, im Handbuch genannten Straßen mit Namen an. Warum konnte ich das nicht eher herausfinden? Die richtige Straße geht zwar nicht, wie man das Handbuch verstehen muss, direkt von der Pendelbrücke ab, sondern 100 m versetzt links: Wir sind am Morgen als erstes daran vorbeigelaufen. Also (mit heftigen Selbstvorwürfen meinerseits) fast den ganzen Weg zurück, eine Stunde im Regen vergeudet, wie meine Frau richtig bemerkt, und keinen café con leche.


Die Stimmung hebt sich bald, als wir Wegekennzeichen des Handbuchs wiedererkennen. In einem Kreisverkehr kommt von links auch der Jakobsweg wieder hinzu. Gelbe Pfeile verweisen auf einen bequemen, mit großem Aufwand gebauten Fuß- und Radweg (mit getrennten Spuren!), der uns schnell aus Portugalete herausführt und schöne Rastplätze bietet. Er hat sogar einen Namen: Bidegorri. Bald lässt auch, immer "wie üblich", der Nieselregen nach. Rechts liegt der Berg, der mich so erschreckt hat. Wir laufen in einem weiten Linksbogen ins Inland um ihn herum.
Auf dem Fuß- und Radweg Bidegorri

Hinter einer Ortschaft (keine Bar) steht eine sehr alte Frau am Weg und schaut uns entgegen. Wie immer grüßen wir höflich. Da sagt sie zu mir: "Bete für mich!" Ich bin überrascht, gerührt: Sie hat uns als Pilger erkannt und gibt uns nach alter Tradition einen Betauftrag mit auf den Weg. "Seguramente, señora", ich mache fast eine Verbeugung vor ihr. Sie freut sich. (Diesen Auftrag habe ich nicht vergessen und treulich erfüllt.) - Kurz darauf kurvt der Sportweg unter einem riesigen Autobahnkreuz her. Einige Kilometer weiter erreichen wir bei La Arena wieder die Küste.

La Arena besteht fast nur aus Hochhäusern (mit Ferienwohnungen?). Endlich bekommen wir unseren morgendlichen café con leche. Danach geht es an den Strand. Wie fast jeden Tag, kommt gegen 11 Uhr die Sonne raus. 1 Stunde Strandpause auf unseren Isomatten. Wir sind zwar nicht im Badeurlaub, aber das muss drinsitzen! - Wie gewohnt, müssen wir am Ende der Bucht die angrenzende Höhe gewinnen, diesmal aber nur halbhoch, und wir gelangen auf einen herrlichen Panoramaweg, der weite Blicke in beide Richtungen die Küste entlang erlaubt. Das genießen wir so richtig. In der Ferne liegt schon Castro Urdiales, unser heutiges Etappenziel; aber es ist noch weit bis dahin. - Am Weg stehen auch einige Ruinen mit Hinweistafeln. Hier gab es mal eine Algengewinnungsanlage. Voraus sogar ein Brunnen, und - wir lachen laut - eine kluge Kuh betätigt mit dem Kopf den Druckknopf und besorgt sich Wasser; das wird gleich als Foto festgehalten.

Am letzten Dorf des Baskenlandes vorbei geht es wieder auf eine Piste, die Küste entlang, einmal durch einen malerischen Tunnel. Voraus liegt eine hässliche Fabrik (für Fluorprodukte): ungeniert ergießt sich ein Strom Abwasser von der Höhe ins Meer. Dann schwenkt die Piste ins Inland auf Ontón, die erste Ortschaft von Kantabrien, zu. Recht abenteuerlich muss man unter einer Autobahnbrücke steil hinabklettern, bis man einen Weg erreicht, der direkt in den Ort führt. Hier soll eine Pilgerunterkunft sein, wie man im Internet liest. Das Handbuch enthält aber keinen Hinweis dazu. Wir machen Essenspause direkt neben der Kirche. Es kommen einige Einheimische vorbei, sehen uns, aber niemand weist uns auf ein Refugio hin. Nun, wir wollen da ja auch nicht bleiben.

In Ontón wendet sich der Jakobsweg ins Landesinnere. Das bringt nichts. Ich empfehle, weiter dem Handbuch zu folgen, wie wir es auch taten. Danach müssen wir zunächst ein langes Stück die N-634 entlang. In einer Bucht liegt weit unten der traumhafte kleine Strand von Mioño: grünblaues Wasser, herrlicher Sand, kaum Leute, weit abseits der Fernstraße. Wegen unserer Pause in La Arena verzichten wir schweren Herzens. Das Handbuch empfiehlt einen Abstieg am Strand vorbei und einen Aufstieg gegenüber. Wir meinen, uns das schlimmste Auf und Ab sparen zu können, indem wir auf der Straße bleiben und den "kleinen" Bogen durch Mioño machen. Das war falsch, der Empfehlung von Michael Kasper sollte man unbedingt folgen. Denn erstens senkte sich auch die Straße viel mehr, als wir dachten; zweitens war der Bogen viel größer als angenommen, und drittens gab es in dem ziemlich vergammelten Ort nichts zu sehen. (Ich schaute nach einer Unterkunft aus, mich lockte immer noch der Strand, aber kein einziger Hinweis.)

Meine Frau geht vor mir wie meistens; wir laufen auf dem Begrenzungsstreifen der Nationalstraße. Urplötzlich, viel schneller, als ich reagieren kann, schießt ein Kettenhund auf meine Frau zu, die Kiefer schnappen knapp vor ihrem Bein zusammen, dann reißt ihn die Kette zurück. Ohrenbetäubendes Gebell, auch von einem zweiten Hund. Hier wollte ein Bauer wohl demonstrieren, wie weit sein Eigentum genau reicht. Wenn meine Frau nur 20-30 cm weiter rechts gegangen wäre, hätte sie der Hund erwischt. Diese und ähnliche Erlebnisse mit Hunden zerrten immer wieder an unseren Nerven. Schuld sind natürlich die Besitzer, nicht die Tiere... Dann ist die Höhe zu überwinden, wo von rechts der Pfad hochkommt, der im Handbuch beschrieben ist. Kurz darauf ist endlich der Stadtrand von Castro Urdiales erreicht.

Was jetzt folgt, ist die häufige "Last der letzten Kilometer": Man denkt, man hat es geschafft und lässt sich etwas hängen, und dann muss man doch noch einen Kilometer weiter, und noch einen, und noch einen... Zur Begrüßung ein Schild: "Information 500 m" samt Jakobsmuschel. Oha, Kantabrien begrüßt seine Pilger. - 500 m weiter: Absolut nichts zu sehen, wo man sich informieren könnte. Wir brauchen dringend eine Stadtplanübersicht, um das Touristenbüro zu finden. Vielleicht ist ja gleich um die Ecke der städtische Campingplatz, und wir laufen dran vorbei... Nichts. Rechts ab 1 km zum Anfang des langen Stadtstrandes. Die Promenade endlos entlang, wieder werden wir angegafft und sind jedem mit unseren sperrigen Rucksäcken im Wege. Kurz vor der Altstadt endlich das Touristenbüro. Naja, Dienstleistungen wie üblich: Stadtplan, etwas genervt-hilflos "Nein, nichts Geeignetes für Pilger", einige Hostales angekreuzt, am besten zum Campingplatz, "nur" noch 2 km geradeaus... Es waren natürlich noch gut 3 km, aber so sind sie uns los. Meine Frau schleppt mich etwas durch Altstadt (sie hat ja Recht, dass wir sicher nicht nochmal hierhin zurückkommen); da, eine Pension - und umherirrende Touristen (Wo ist der Eingang?) davor. Ich will doch auch lieber zum Campingplatz. Also bis an den Stadtrand, dann links bis zur Autobahn. Immer noch kein Ende. Ein schmaler Weg (Autos bedrängen uns) schlängelt sich endlos (habe ich den Eindruck) hoch. Schließlich sind wir weit über der Stadt - und der Autobahn (Lärm). Ich bin mit meinen Kräften am Ende.

Der Campingplatzleiter nimmt uns freundlich auf.
Camping de Castro, E-39700 Castro Urdiales, Tel. 942 867 432 . Preis: 600 P. pro Person, 700 P. Zelt + IVA. Es gibt, wie bei anderen Campingplätzen auch, Hütten zu mieten, aber die sind überall teurer als Pensionen.

Unser Standplatz ist nicht schlecht, nahe dem Empfangskiosk (Überdachung und - halb kaputte - Bank => Zufluchtsort!) und den zentralen Einrichtungen. Nachts stellt sich das als Nachteil heraus, da der Nachtwächter am Tor laut mit anderen Nachtwandlern schwatzt. - Es gibt sogar ein Schwimmbad, aber bis wir die üblichen Aufgaben hinter uns haben, schließt es. - Fürs Abendessen suche ich das auf dem Schild vor dem Gelände genannte Restaurant. Der Campingplatzleiter gibt auf direkte Nachfrage zu: Das gibt es gar nicht (s. meinen Exkurs über Hinweise auf Schildern in Spanien). :-( Meine Frau schlägt ganz kühn vor: Dann gehen wir noch einmal in die Stadt zu dem schönen Fischrestaurant, das wir unterwegs gesehen haben. Ich meine, das sind wenigstens je 2 km hin und her; sie behauptet noch heute, dass es weniger waren. Wir sind jedenfalls losgezogen und haben sehr gut gegessen. Erst im Dunkeln waren wir zurück.


29.07.2001, Sonntag: Von Castro Urdiales nach Laredo, 26,5 km (242 km)

Der Morgen ist trübe, unsere Stimmung auch. Zwar hat es nachts nicht geregnet, aber pünktlich zum Aufstehen setzt Nieselregen (oder ist es Tau?) ein. Wir beziehen unseren schon gestern ausgeguckten "Zufluchtsort", die halb kaputte Bank vor dem Empfangskiosk, wo wir ein karges Frühstück auf den Knien zubereiten. Nebenan in der Bar gibt's Kaffee, aber nur für Angestellte. Auf einmal kommt der Campingplatzleiter heraus und schenkt uns zwei in Alufolie eingewickelte Croissants. Auf seinem Gesicht lese ich (freundliches) Mitleid. (Zwickt ihn auch noch sein Gewissen wegen dem fehlenden Restaurant?) Auf seine Frage hin antworten wir, dass wir die Croissants sehr gern mögen. Da rennt er zurück und kommt noch mit sechs kleinen süßen Teilchen wieder, die die Spanier zum Frühstück essen. Also, das ist ja wirklich rührend!

Mit hastig eingepacktem Zelt und noch nasser Wäsche ziehen wir los, dicken Regenwolken entgegen. Und sowas nennt sich "Sonn"tag! Pfiffig (wie wir manchmal sind) haben wir am Vortag irgendwo gelbe Pfeile ausgemacht und finden diese auch gleich unterhalb des Campingplatzes wieder. Wir brauchen also nicht in die Stadt zurück, von wo aus das Handbuch einen anderen Weg beschreibt. In Kantabrien ist der Jakobsweg doch schon durchgehend ganz gut markiert. Kurz darauf kommen wir an einer Hecke vorbei. Dahinter liegt eine Wiese, von der aus uns 5 Huskies wütend anbellen. Die Wiese liegt höher als unser Weg. Ein kleiner Satz des Leithundes, und wir hätten die Meute am Hals. Ich habe Angst. Aber es geht wieder einmal gut. Im nächsten Dorf wieder Hunde-Spektakel. Voraus die Autobahn mit einem Straßentunnel: Ich erkenne ihn laut Handbuch; hier kommt der Weg von Michael Kasper wieder herein. Etwas weiter das Dorf Cérdigo. Meine Frau ist hinter Büschen verschwunden; ich sitze neben der Kirche und kontrolliere meinen rechten Fußballen.

Schon lange habe ich links einen Zeh, der mir immer Ärger macht, und den Ballen mit dem "Wunderpflaster" verklebt; den Ballen aber nur vorbeugend, sobald er anfing zu brennen. Jetzt ist es auch rechts soweit. Noch keine Blase, aber bald, wenn ich nichts darüberklebe. - Dieser Schutz hat sehr gut geholfen. Einmal nach ein paar Tagen erneuert, und gut anderthalb Wochen später brauchte ich den Schutz nicht mehr. Auch der lädierte Zeh heilte am Ende gut ab. - Nein, mit Blasen hatten wir in diesem Jahr keine Probleme.

Hinter Cérdigo erreicht man wieder die N-634. Jetzt folgt nach dem Handbuch ein Wegestück parallel zur Straße, in Tuchfühlung mit der Küste, das zunächst über schöne Pfade geht, dann aber immer wirrer durch Felsgeröll und Heidekraut. Viele gelbe Pfeile wiesen den Weg, der aus Ziegenpfaden besteht, bis zu einem "seltsamen Turm aus Stahl und Beton" (Handbuch). Den haben wir noch gefunden, aber den Rest laut Handbuchbeschreibung nicht mehr. - Nun liegt aber der Ort Islares schon sichtbar geradeaus vor einem. Wir durchquerten ein halbes Dutzend Gatter, mit Stricken verschlossen, die meine Frau auffummelte; manchmal mussten wir auch die Rucksäcke absetzen. Hinter einem Gatter ein Hund, angebunden, vor zwei leeren Schüsseln: er freute sich wie närrisch, uns zu sehen. Schade, ich hatte doch Bedenken, mich in seine Reichweite zu wagen. Wenigstens hätten wir ihm den Inhalt einer unserer Feldflaschen dalassen sollen. Wer bindet nur seinen Hund so in der Einsamkeit an? Zu bewachen gab es doch nichts. Der Hund bellte uns Fremde nicht einmal an. - Am Ende gelangten wir, immer schnurgeradeaus, auf eine Wiesenzufahrt, eine Piste usw. direkt nach Islares herein.

Es ist zu überlegen, ob sich dieses mühsame Stück hinter Cérdigo lohnt. Tolle Ausblicke auf die Küste bietet es nicht und kostet viel Kraft und Zeit. Die Alternative ist, bis Islares auf der N-634 zu bleiben, dann aber in Richtung Kirche im Ort rechts abzubiegen. Vor der Kirche links sieht man dann wieder gelbe Pfeile.

Die Route laut Handbuch berührt vor Islares auch noch einmal die N-634, schwenkt aber gleich wieder rechts ab direkt auf den Ort zu. Das ist sicher die beste Möglichkeit, wenn man diese Abzweigung findet. Die einzige(?) Bar liegt auf jeden Fall an der Hauptstraße. -

Es war 11 Uhr, als wir in Islares die Kirche erreichten, 11:30 Uhr sollte eine Messe sein. Das passte doch wieder wie bestellt. Schnell noch eben zur Hauptstraße und der einzigen Bar für einen café con leche. Inzwischen läuteten die Glocken. Danach setzte zu unserem ungläubigen Staunen dröhnende Lautsprechermusik mit frommen Gesängen ein. Da musste auch ein tauber Heide aus dem Bett fallen. Wir fanden diese akustische Umweltbeeinträchtigung nicht gut. - In der Kirche gab es noch einen heiteren Zwischenfall: ein französischer Tourist neben mir reichte einen 2000-P-Schein in Richtung Klingelkörbchen. Ich half ihm flink, nahm den Schein und warf ihn in den Korb, der gleich weiterging. Einige Minuten später fiel mir ein, dass er wohl wesentlich weniger (100 P. gelten schon als gut) geben wollte und erwartet hatte, dass ich ihm den Korb zum Wechseln gab. Tja, diese interkulturellen Missverständnisse. Jedenfalls machte er gute Miene zum bösen Spiel; auch als der Korb links von ihm wieder in Reichweite kam, ergriff er nicht die Chance, sein Wechselgeld doch noch zu bekommen.

Nach der Messe wünschten uns einige Leute, darunter der Pfarrer und der Küster "Buen camino". Der Küster interessierte sich auch noch für das Woher und Wohin. Dann zogen wir wieder weiter, erreichten einen Campingplatz am Strand von Las Arenillas und wieder die N-634.

Der markierte Jakobsweg weicht ein wenig weiter wieder umständlich ins Inland aus. Wir folgten deshalb dem Handbuch, d.h. blieben auf der N-634. Man überquert den Fluss Agüera und sieht erfreut Biotope und weiter hinten den verlockenden Strand von Oriñón. Dann kommt eine Wahnsinnssteigung auf der Straße. Ich sorge wieder für ein "Belohnungsversprechen" in Form von eisgekühlten Getränken aus einem Automaten. Im Rucksack bleiben sie erstaunlich lange kalt. Wir stapfen hoch. Radfahrer überholen uns und feuern uns an. "Ánimo! Ánimo!" (Mut! Mut!) Das finde ich nett. Oben auf der Höhe wähnt man sich in den Alpen: rings gigantische Bergmassive, die von der Nationalstraße und der Autobahn leider zerschnitten werden. Im Straßengraben, im Schatten, machen wir Pause, trinken unsere "Belohnung" und essen was. Mancher Autofahrer winkt uns zu. Wir schwitzen, aber wir sind gut zufrieden. Dann folgen wir der N-634 durch die Bergwelt, überqueren die Autobahn auf einer hohen Brücke. Kurz vor Liendo ist ein Aussichtspunkt ausgeschildert. Wir machen den kleinen Abstecher (dessen Aussicht sich eigentlich nicht lohnt) und treffen auf ein junges Paar aus Parchim. Sie fragen uns interessiert aus und spendieren Coca Cola. Hmm! - Dann neigt sich die Straße dem Tal und der Ortschaft Liendo entgegen.

Hier hat ein Pilgerfreund, den wir zwei Wochen später treffen, in einer Herberge im Pfarrzentrum übernachtet, wie er berichtet. Wie immer gab es aber an der Straße keinerlei Hinweis. Auch das Handbuch schweigt sich aus. - Gleich hinter Liendo führt einen das Handbuch wieder eine Alternative über Stock und Stein über die Berge. Diesmal lohnt es sich aber wirklich. Diese nahezu alpine Landschaft muss man genießen. Es ist außerdem das letzte Mal, dass man (vor Oviedo) durch eine solche Bergwelt direkt an Meer entlangpilgert. Hinter Laredo ist es an der Küste flacher, und höhere Berge gibt es allenfalls als Kulisse links von einem im Inland...

Dieser Tag hat es in sich. Die wievielte Kraxeltour einen Berg hinauf ist das bereits? Von der kleinen Asphaltstraße, der wir folgen, kann man noch zusätzlich einen Abstecher zu einer Kapellenruine machen. Klar, auch das schaffen wir noch. - Die Ruine besteht nur aus überwucherten Resten, beeindruckt mich nicht sehr. Die Sonne brennt. Es geht noch ein Stückchen hoch auf eine Wiese. - Diese Wiese ist auch von der kleinen Asphaltstraße aus zu erreichen, indem man zunächst auf ihr bleibt, dann aber an der Stelle, wo es steil rechts runter zum Strand von San Julián geht, scharf rechts 200 m einen Feldweg läuft.



Im Bergland bei Liendo
Wir kommen hingegen von der Kapellenruine her und laufen am Rand der Wiese, zum Meer hin entlang. Denn dort hat man eine sagenhafte Sicht auf das Meer und den Strand unter sich, mit Bergen links und rechts als wieder mal unglaublich schöne Kulisse. Ich kann den Abstecher zu dieser Wiese nur empfehlen.

Von der genannten Wegkreuzung aus, wo die kleine Asphaltstraße hochkommt und wo es zum Strand hinuntergeht (was wir uns verkneifen), geht es geradeaus in Richtung zweier verlassener Häuser. Dann links hoch, denn noch weiter kommt schon die Abbruchkante.


Der Weg biegt nach einer Weile mit roten Pfeilen nach links, aber der Handbuchautor hat eine stressige Abkürzung ausfindig gemacht. Ein Zaun muss überwunden werden (gut, dass wir zu zweit sind und uns gegenseitig helfen können); dann folgt man undeutlichen rot-weißen Markierungen auf Ziegenpfaden durch ein Heidegebiet, parallel zur Abbruchkante nach Westen. Hier soll man sich an einer Hausruine orientieren, die laut Handbuch (S. 101) "schon von weitem erkennbar ist". - Denkste! Die Markierungen sind weg, und keine Ruine zu sehen. Meine Frau deutet nach links (Nein, das ist keine Ruine, sondern ein neuer Rohbau, weit weg), etwas näher (Nein, das ist kein Haus, eher ein Brunnen). Wir suchen herum, finden rechts zur Abbruchkante hin einen Pfad, der durch ein Gebüsch führt, und folgen ihm aufs Geratewohl. Immer noch nichts zu sehen. Meine Frau geht links den nächsten grasbewachsenen Huckel hinauf und ruft: "Ich sehe die Ruine!" Gottseilob! Also doch weiter links. Die Ruine ist groß und unverkennbar - und bietet einen tollen Blick auf Laredo unter uns. (Klar, dass sie von Laredo aus deshalb ein "Orientierungspunkt" ist, wie das Handbuch schreibt, aber nicht vom Osten her.) Von der Ruine aus war der weitere Weg ohne Schwierigkeiten zu finden. Allerdings ging es noch etliche Kilometer steil bergab, teils einen alten Hohlweg, danach an Klostermauern entlang. Vorher kamen wieder rote Pfeile von links: Ob es nicht doch eine einfachere Verbindung, den roten Pfeilen nach, gibt, die etwas weiter sein mag? (Sicher, die Aussicht von der Ruine aus hat man dann nicht.)

Laredo begrüßt einen mit seiner sehenswerten Altstadt. Das Handbuch nennt eine Herberge zum Guten Hirten für 1.500 P. (und noch eine weitere); für Santoña, am Sund gegenüber gelegen, ist nichts vermerkt. Also beschließen wir zu versuchen, in Laredo unterzukommen. Nach einer kurzen Pause bleibt meine Frau mit dem Gepäck zurück. Ich mache mich auf die Suche nach dem Touristenbüro; im Handbuch ist der Weg beschrieben, kein Problem. Mit einem Stadtplan komme ich zurück. Die Herbergen sind nicht weit. Oha, Gemeinschaft der Franziskaner! Klingt ja alles sehr kirchlich, da müssten wir willkommen sein. Wiedermal denkste! In der Tür erscheint eine resolute Frau (eine Nonne?), die auf unseren Spruch "Wir sind Pilger und möchten hier unterkommen" gleich einen Wortschwall loslässt, dem ich nur entnehme, dass das hier eine "Privatunterkunft" ist und wir uns nach Santoña trollen sollen. Ich protestiere: Wieso privat? Habe doch die Adresse vom Touristenbüro (vom Handbuch abgesehen)? Wieder schwallt sie, und dann fällt ein Wort, das uns aufhorchen lässt: "gratuito" Ach so, sie glaubt, dass wir hier kostenlos nächtigen wollen. Und zum ersten Mal sage ich den Zaubersatz: "Pagamos como turistas normales!" (Wir zahlen wie normale Touristen) Hui, da kommt auf ihrem Gesicht die Sonne raus, und die Tür geht ganz weit auf. Na, so eine Freude, Pilger (die zahlen)! Ein Zimmer mit Bad gefällig zu 6.000 P.? - Hupps, geht's nicht etwas billiger? - Na gut, ohne Bad, 5.000 P. Wir akzeptieren. Sie gibt uns dann ein Zimmer, bei dem das Etagenbad direkt nebenan ist. Da wir kaum andere Gäste sehen (und es noch weitere Duschen und Toiletten zum Treppenhaus hin gibt), haben wir es praktisch für uns allein. - Sie fragt noch etwas verlegen, ob wir verheiratet seien (wegen dem Doppelzimmer). Da können wir beruhigen: Mehr als 30 Jahre. - Und dazu noch Nichtraucher! Na, so eine Freude!


Ergänzung von Sept. 2002: Gewarnt durch die obigen Zeilen, probierten es einige Pilger mit der zweiten Unterkunft "Trinidad", um ähnlich enttäuscht zu werden. Sie war mit einer (deutschen) Jugendgruppe voll belegt, deshalb wollte man die Pilger gar nicht aufnehmen. Am Ende dann doch noch für 10 EUR pro Kopf. Ein fragwürdiges Vergnügen bei dem Krach, siehe unsere Erlebnisse in Llanes. Fazit: Unterkunft in Laredo bleibt problematisch.


Wir entwischen bald ihrer Neugier, besichtigen die Stadt, suchen ein Geschäft, das auch am Sonntag geöffnet hat - und finden das einzige der Stadt. Der Ladeninhaber spricht stolz gutes Deutsch; besonders deutsche Camper scheuen keinen Weg, um bei ihm zu kaufen, sagt er. Im Hafen suchen wir nach der Abfahrtsstelle der Fähre. Wir sehen zwar Reklameschilder eines Ausflugsbootes, das ohnehin vom Handbuch empfohlen wird, aber sonst nichts Genaues. Nun, morgen wird man sehen. Wir feuchten noch den Magen an, essen auf dem Zimmer und schlafen. Es war ein langer, anstrengender, aber sehr erlebnisreicher Tag.


30.07.2001, Montag: Von Laredo nach Isla, 15 km (257 km)

Erst am andern Morgen bemerke ich meinen Planungsfehler: Wir sind zwar um 9 Uhr am Hafen, aber es gibt gar keine Fähre. Nur das Ausflugsboot, und das fährt erst um 11 Uhr. Steht auch dick und fett im Handbuch. Wir hätten auf jeden Fall schon tags zuvor nach Santoña übersetzen müssen, Übernachtungsmöglichkeit hin oder her. Da ausnahmsweise schon morgens die Sonne lacht, lache ich etwas gequält mit. Also haben wir den Strand besucht und auf einer Bank der Promenade ein Sonnenbad genommen. Kurz vor 11 Uhr dann zum Hafen, kein Ausflugsboot zu sehen. Fischkutter fahren an der Kaimauer vor, rüsten sich für die nächste Ausfahrt. Ich suche nach einem Fallreep, einer Brücke, die von der Kaimauer aus zu einem Boot runtergelassen werden könnte: nichts. Meine Frau deutet auf zwei Schiffe ganz am Ende der Hafenausfahrt. Das eine davon müsste nach den Abbildungen das Ausflugsboot sein. Ich bin skeptisch. Was macht es dann soweit weg? Laufen irgendwo hastig Touristen rum (es ist jetzt 11 Uhr)? Nein, auch das nicht. Fahren die etwa montags nicht? Steht nirgendwo. Ich fluche in mich hinein; das kann uns den ganzen Tag kosten.

Da es nichts schadet, gehen wir die ganze Kaimauer entlang bis zu dem "verdächtigen" Schiff. Das spritzt ein Mann gerade gemütlich ab. Eine Touristenfamilie schaut zu. "Ist das das Boot nach Santoña?" Sie nicken. Richtig, wir sind ja in Spanien! Da gibt's keine Hetze. 11:10 Uhr dürfen wir aufs Boot (es geht einfach die Kaimauerstufen runter). Wir sind nur 5 Passagiere. Die Fahrt lohnt doch gar nicht. Es fährt auch tatsächlich nicht los. Ein älterer Mann der dreiköpfigen Besatzung schimpft etwas rum. Also, ich hatte mir die Überfahrtsmöglichkeit ganz anders vorgestellt. Endlich, um 11:20 Uhr legen wir ab. Da wir nur bis Santoña wollen, zahlen wir nur pro Person 500 P. (anstatt 800 P.). Überraschend wenig. Die Fahrt macht einen großen Bogen an dem Felsmassiv vorbei, das nördlich von Santoña liegt. Wir genießen den herrlichen Anblick. An der Anlegestelle in Santoña warten sehr viele Passagiere (und wir haben ja 20 Minuten Verspätung); wenigstens ist also die Rückfahrt für das Boot profitabel. -

Das Handbuch empfiehlt einen Umweg von 5 km durch das Felsmassiv des Buciero (über 300 m hoch!), den wir vom Boot aus gesehen haben. Zu Hause dachte ich: Klar, zu den 18 km nach Isla dazu ist das kein Problem. - Inzwischen sind wir schlauer; wir wissen, was 5 km Felsmassiv an Anstrengung bedeuten (und der halbe Tag ist wegen meines Planungsfehlers auch schon rum), und haben den Berg gesehen; vergiss es! - Lieber also direkt zum Strand von Berria. Nach dem üblichen café con leche in der Innenstadt tippeln wir los und nehmen die rechte der beiden parallelen Ausfallstraßen nach Berria. Unterwegs gibt es Biotope - und den ausgedehnten Gefängniskomplex El Dueso. (Auf einigen Karten ist nur dieser verzeichnet, Berria aber nicht.)

Wir versuchen, am Strand von Berria einen parallelen Weg durch die Dünen zu finden, geben aber nach einigem Rumgestolpere auf und ziehen hinter den Häusern her. Am Ende der Bucht ein Berg, wie immer. Er trennt laut Handbuch Berria von weiteren Stränden, darunter den von Noja, wo wir 1998 gewesen sind. Also, diesen Berg wollen wir nicht auslassen. Gelbe Pfeile weisen hoch. Ich besorge wieder "Belohnungen" (kalte Getränke).


Der Weg ist steil, mühsam, aber gut mit gelben Pfeilen markiert. Sie führen einen über die Spitze, während andere Leute einen Pfad um sie herum laufen. Aber oben ist die Aussicht in beide Richtungen zugleich mal wieder so toll, dass man es nicht gebührend zu würdigen weiß. Das hat sich gelohnt! - Es wird noch besser. Nach steilem Abstieg kommen wir zum Strand von Trengandín, das reinste Paradies.
Oberhalb des Strandes
von Trengandín

Da er so weit von Noja entfernt liegt und nur schwer erreichbar ist, sind hier nur wenige Sonnenhungrige. Ich liege bald im Schatten unter Tamariskenzweigen und gebe mich der Illusion hin, wir seien hier ganz allein, weil die Nachbarn rechts und links von dem Grün verdeckt werden. (Obwohl es Jugendliche sind, hält sich der Lärm in Grenzen.) Ich gehe sogar kurz ins Wasser, die ideale Temperatur: erfrischend, aber nicht kalt und auch nicht zu warm. Meine Frau versucht auch zu schwimmen, was bei der Brandung nicht so leicht ist. Hiermit erkläre ich Trengandín für den schönsten Strand der Nordküste!

Um 16 Uhr, nach gut anderthalb Stunden, heißt es leider wieder "weiter". Den Strand entlang, auf Noja zu. Wir erkennen ihn nur zum Teil wieder. Dort habe ich mich damals nach Campingplätzen erkundigt. Die liegen aber am Nachbarstrand von Ris, und der war es, den wir in Erinnerung haben. Im Zentrum von Noja suchen wir vergeblich nach Läden, die sind erst an der Ausfallstraße. Wegen des fortgeschrittenen Nachmittags kürzen wir abermals die Route des Handbuchs (um etwa 3 km) und marschieren laut unserer Karte die kleinen Landstraßen direkt auf Isla, unser Tagesziel, zu. Auf einmal ragt vor uns wieder ein Berg auf, aber die Sträßchen kurven um ihn herum. Einige, im schnellen Tempo zurückgelegte Kilometer weiter, geht es geradeaus zu den Stränden von Isla; wir müssen aber links ab in den Ort.



Mit Manuel und Esther
Das Handbuch führt drei Unterkunftsmöglichkeiten auf. Wir wollen sie einfach der Reihe nach ansteuern. (Strand und Campingplatz, weiter weg, nur im Notfall.) Als erstes kommt das Hostal Casa Manuel, ich schelle forsch. Es stehen schon ziemlich viele Autos auf dem Parkplatz. Ein Mädchen holt eine zierliche junge Frau, die sich als Esther vorstellt. Pilger? Und wollen ein Zimmer? Moment, dann (strahlend): Ja, da haben wir noch genau eins frei, wie schön! - Manuel, der dazukommt, und Esther sind selbst Pilger gewesen; sofort sind wir dicke Freunde. Wir bekommen ein luxuriöses Zimmer mit eigenem Bad, für den Pilgersonderpreis von 5.000 P., statt 7.000 P., einschließlich Frühstück. Da strahlen alle.

Später besuchen wir den Ortskern, noch 500 m entfernt, hauptsächlich die Kirche. In der Bar La Chata lauern wir, bis der Speisesaal geöffnet wird. Ich bekomme ein Tellergericht: Pommes, Fischfilet und merkwürdige überbackene Stangen, meine Frau hat eine Portion Sardinen bestellt. Als alles auf dem Tisch steht, lachen wir los: Bei mir ist alles bestens, aber ihre Sardinen sind ein halbes Dutzend winziger Fische auf einem kleinen Tellerchen, genug für einen hohlen Zahn. Wieder was gelernt; Sardinen sind sehr teuer. Kein Problem, wir teilen alles geschwisterlich. Was sind bloß diese Stangen? Schmecken gut, etwa wie Tintenfisch. Aber in Stangenform? - Es war tatsächlich Tintenfisch, wie wir später klären können. - Im "Casa Manuel" warteten noch Esther und Manuel auf uns, weil wir gesagt hatten, wir wollten vor dem Schlafengehen noch etwas trinken. So plaudern wir noch etwas. Leider ist die Verständigung mühsam: Esther spricht etwas Englisch, aber kaum verständlich; aber auch das Spanisch der beiden macht mir große Mühe. Schade! Esther ist Reiki-Meisterin (was auch immer das genau ist); deshalb ihre Körperhaltung, kerzengerade wie die einer Balletttänzerin.


31.07.2001, Dienstag: Von Isla nach Santander, 23 km (280 km)

Nach dem Frühstück machten wir noch ein Erinnerungsfoto mit unseren neugewonnenen Freunden Manuel und Esther. Dann zogen wir auf der im Handbuch beschriebenen Route los, bis wir die Landstraße SP-4141 erreicht hatten. Unterwegs hatten uns wieder Hunde an Bauernhöfen genervt, mein Bedarf war für heute gedeckt. Also blieben wir auf der Straße, die zum Teil wieder von einem ausgebauten Radweg (wie hinter Portugalete) begleitet wurde. Das hatte den Vorteil, dass wir auch in den Genuss einiger Rastplätze mit Brunnen kamen. Einmal gab es eine unglaublich langgestreckte Steigung, die uns in der Sonne sehr zu schaffen machte. In Galizano war auch unseren Karten nach eine Abzweigung nach Loredo, die wir aber aus einem Grunde, den ich nicht mehr weiß, unbeachtet ließen. Dabei war diese, sowie auch die im Handbuch beschriebene Alternative, heute nur unwesentlich länger als die Straße.

Vor uns tauchten drei Personen mit Rucksack, aber ohne Muscheln, auf. Ob es Pilger waren, konnten wir also nicht erkennen. - Bislang hatten wir auf dem Marsch seit Irún nicht einen einzigen Mitpilger getroffen.

Am Abzweig nach Loredo verließen wir dann doch die Straße, weil wir wenigstens die letzten Strände noch "mitnehmen" wollten. An der Kirche (geschlossen) vorbei erreichten wir eine Dünenkette; dahinter in beiden Richtungen endloser Strand. Felsen gaben mir Schatten; ich döste gleich ein. Meine Frau trieb es wieder ins Wasser.- Kurz darauf weiter den Strand entlang bis Somo. Der kleine Hafen, von dem die Fähre ausgeht, ist leicht zu übersehen. Zum Glück laufen dort die wenigen parallelen Straßen alle, vor der Brücke nach Pedreña, zusammen. Nach meiner schlechten Erfahrung mit dem Ausflugsboot in Santoña war ich diesmal überrascht, dass es sogar einen Kiosk gab, in dem man Karten für die Fähre kaufen konnte (225 P.). Diese fuhr dauernd hin und her, legte unterwegs noch in Pedreña an; alles kein Problem.

Da waren wir also in Santander. Die ganze Stadt war eine Baustelle. Überhaupt wurde in den Städten und Ferienzentren in Spanien wie wahnsinnig gebaut. Ich frage mich nur, wer da alles wohnen soll. Schließlich kann nur ein Teil der Wohnungen als Feriendomizil dienen. - Dagegen fand man im Inland auf dem Land sehr viele Ruinen.

Unweit der Anlegestelle ist auch das Touristenbüro, wo wir uns einen Stadtplan holen. Die Campingplätze sind sehr weit weg, leider auch vom Jakobsweg.


Nun, wir wollen sowieso in das private Refugio, das es hier laut Handbuch gibt. Die Beschreibung ist gut, bald sind wir, an der Kathedrale vorbei, angekommen. Zwei Pilger sitzen auf der Treppe, Engländer. Sie sind auf der Rückreise, vorher den Camino Francés gegangen und jetzt von León hierher, um eine Fähre nach Hause zu nehmen.

Den Mann kann ich sehr schlecht verstehen, er nuschelt so. Es ist mir furchtbar peinlich ("Alle Deutschen können doch so gut Englisch"). Sein Spanisch ist aber besser als meines. Er ruft eine aushängende Kontaktadresse an. Inzwischen melde ich mich bei unserem Esperanto-Freund Miguel, den wir 1999 beim Spanischen Esperanto-Kongress in Castellón de la Plana kennen gelernt haben. Es ist etwa 17:30 Uhr, gegen 19 Uhr wären wir wohl soweit, sage ich. Er lacht, warum es nicht früher ginge. Nun, noch weiß ich es nicht, es ist einfach eine unbestimmte Erfahrung auf dem Camino, dass alles etwas länger dauert, als man gemeinhin denkt.


Pilger mit vollem Marschgepäck vor dem Refugio von Santander

Ich behalte Recht. Gegen 18 Uhr kommt jemand und schließt die Herberge auf, geht aber gleich wieder. Die drei Spanier, die wir unterwegs gesehen haben, sind auch da und organisieren das Eintragen. Es gibt einen großen Schlafraum mit einem kleinen Vorraum (2 Betten). Die Frauentoiletten und -duschen sind durch einen zweiten Ausgang aus dem Schlafraum zu erreichen. Alles soweit prima. Es kommen noch: ein schwedisch-englisches Paar und eine junge blonde bildhübsche Österreicherin, das Rosenresli aus dem Bilderbuch. Diese letzteren drei Pilger gehen den Camino del Norte von Westen nach Osten, also im Vergleich zu uns in entgegengesetzter Richtung. Die Österreicherin hat aber die Nase voll, will hier das Pilgern beenden, da hier an der Küste alles anders ist als auf dem Camino Francés, insbesondere keine Refugios mehr (von Westen gesehen) und keine Pilgerfreunde (können wir bestätigen), und überall wird sie von Machos angemacht (kann ich verstehen, äh, ich meine, dass sie darüber sauer ist ;-). - Ob die drei Spanier "echte" Pilger sind, finden wir nicht heraus. Sie gehen ja wie wir nach Westen, aber wir haben sie nicht wiedergesehen.

Kurz vor 19 Uhr kommt der "Refugioleiter": es ist der Anwalt, dem die ganze Herberge gehört, ein alter, jovialer, aber ganz freundlicher Mann. Er kassiert von jedem 500 P., das ist bestimmt nicht zu viel, und stempelt unsere Ausweise. Problem: 3 Schlüssel, aber 5 verschiedene Gruppen, die im Prinzip alle in die Stadt wollen, und um 22 Uhr schließt er ab (länger kann man von ihm nicht verlangen, ist ja noch alles ehrenamtlich dazu). - Als Miguel kommt, kläre ich ihn schnell auf, und er schmeichelt ihm einen Schlüssel ab. Dann fahren wir drei Stunden lang durch die Stadt und besichtigen diese am Abend. Santander ist keine sehr schöne Stadt, aber sie hat doch auch reizvolle Ecken, z.B. am Leuchtturm, an einem kleinen Stadtstrand, in einem Park mit einigen Tieren. Wir nutzen die Zeit auch, um Esperanto-Informationen auszutauschen, denn Miguel ist sozusagen mein spanischer "Kollege": er ist wie ich der Redakteur der Mitgliederzeitung des nationalen Esperanto-Verbandes. Ich seufze einige Male innerlich, weil mir bewusst ist, wie zwischen uns der Gedankenaustausch nur so sprudelt, während ich mich in allen anderen Fremdsprachen mehr oder minder behindert erlebe, so sehr ich Sprachen liebe. Auch kann endlich meine Frau als Gleichberechtigte an der Konversation teilnehmen, während sie beim Spanischen fast ganz passiv bleiben muss...

Gegen 23 Uhr sind wir zurück und haben uns von Miguel verabschiedet. Wir essen noch leise etwas in der Küche. Dann kommt mir eine blendende Idee: Ich ziehe über Nacht in den bislang leeren Vorraum. Da störe ich die anderen nicht so mit meinem Schnarchen. (Auch gehen nur wenige hier durch, da die Frauen ja ihren zweiten Ausgang hinten im Schlafsaal haben.) So schlafe ich allein, gut und zufrieden. -

Das Refugio in Santander ist uneingeschränkt zu empfehlen.


01.08.2001, Mittwoch: Von Santander nach Santillana del Mar, 31 km (311 km)

Ich sag's lieber gleich, damit sich niemand vertut: Die vorstehende Kilometerangabe ist das, was wir gelaufen sind, aber nicht die wirkliche Entfernung, weil wir ca. 10 km mit dem Zug gefahren sind. (Das Handbuch gibt 37 km für die gesamte Strecke an.) Doch alles der Reihe nach.

Aus einer großen Stadt herauszupilgern, ist nie toll, ebenso wie hinein, was wir uns ja durch die Fähre erspart haben. Der im Handbuch beschriebene Weg ist aber erträglich und gut zu finden. In Bezana gibt es inzwischen eine große Neubausiedlung und deshalb auch einen neuen Supermarkt (Im Handbuch fehlt noch ein entsprechender Hinweis bei diesem Ort.).

Hinter Mompía sind meine Frau und ich beide auf einmal erschöpft. Die Sonne brennt wie oft, aber dazu geht nicht das kleinste Lüftchen. Der Schweiß läuft uns in Strömen herunter. Wir legen uns auf eine Wiese, leider kein Schatten. Dann kommt zaghaft eine Brise auf, und wir ziehen weiter. Als der Wind auffrischt, sind die alten Kräfte wieder da. (Abends hören wir im Fernsehen, dass der Tag der Region eine Rekordhitze von ca. 40° beschert hat. Wir glauben es!) -

Hinter Poo de Piélagos kam eine Stelle, die uns verwirrte. Man geht direkt hinter dem Ort über eine Eisenbahnbrücke, dann eine Piste rechts ab, ca. 300 m abwärts, parallel zur Bahnstrecke. Dann weist ein gelber Pfeil geradeaus, während das Handbuch die Pilger nach rechts durch einen Tunnel unter der Eisenbahnstrecke her leitet. Dieses Abweichen der Route vom markierten Jakobsweg ist im Handbuch nicht erwähnt. Uns machte das unsicher. Wir suchten herum, entschieden uns dann aber für den Tunnel. Das war richtig. Die nächsten Abzweigungen entsprachen genau der Beschreibung im Handbuch. Etwas sorglos überquerten wir wieder die Gleise. Unmittelbar danach rauschte ein Zug heran (Richtung Santander); oh, oh, wenn der etwas früher gekommen wäre... Ich winke fröhlich dem Lokomotivführer zu, er reagiert gar nicht, guckt nur. 200 m weiter an den Gleisen entlang folgt eine Eisenbahnbrücke über den Fluss Pas. Ich erstarre: Da müssen wir rüber, obwohl es keine abgetrennte Fußgängerspur gibt wie bei Straßenbrücken. Stattdessen dicke Verbotsschilder! - Ein Blick umher zeigt, dass der markierte Jakobsweg offensichtlich in sehr weitem Bogen um die Flussniederung herumführt. Die Brücke kürzt erheblich ab. Und sind wir nicht in Spanien? ;-) Also geht's im Pilgertrab (denn ich soeben erfunden habe) über die Brücke. Es ist wirklich gefährlich. Ein Zug würde uns zwar nicht direkt erfassen, aber mit seinem Sog vielleicht umherschleudern. Doch es geht natürlich gut. -

So erreichen wir illegal den Bahnhof Mogro. Unser Etappenziel ist der Campingplatz. In glühender Sonne stolpern wir durch Baustellen zum Ort hoch bis zur Kirche. Hier geht der markierte Jakobsweg, der irgendwo am Bahnhof von links wieder auf unsere Route stieß, links ab; rechts soll der Campingplatz liegen. Kein Hinweis darauf, aber, wegen der Baustellen nur provisorisch, ein Pappschild "Zum Strand". Mit meinem gewohnten Pessimismus schwant mir Übles. Um es kurz zu machen: Nachdem wir fast 2 km später den Strand erreichen, sehen wir den Platz, wo nach unserem Prospekt der Campingplatz ist, nein: war, denn er ist leer, ein geschlossenes Restaurant ("Zu vermieten") daneben. Die Enttäuschung ist groß. Wer kommt denn auf die Idee, dass man morgens bei seinem Etappenziel anrufen muss, ob es noch existiert? - Hier hat sich mit dem Bau eines großen Neubaugebietes wohl alles geändert. Statt einem popligen Campingplatz gibt es jetzt ein Vier-Sterne-Hotel. - Die Wasserspender am Strand, die uns erfrischen könnten, sind allerdings defekt...

Meine Frau erkundet das Gelände näher. Ich lege mich zu einem Schläfchen an den Strand, damit sich die Nerven regenerieren. Es ist schon ca. 16 Uhr. Meine Frau, ohne neue Erkenntnisse zurück, befürchtet, dass ich jetzt trotzig das Kinn nach vorne schiebe und sage: "Gut, dann geht es eben nach Santillana del Mar weiter." Laut Handbuch gibt es nämlich auf den 17 km bis dahin keinerlei (bezahlbare) Unterkünfte.

Ich schiebe trotzig das Kinn nach vorne und sage: "Gut, dann geht es eben nach Santillana del Mar weiter - aber erst, nachdem wir hier alles versucht haben. Und wenn das nichts bringt, fahren wir ein Stück mit dem Zug!" Ich kann meiner Frau die Erleichterung am Gesicht ablesen. - Also versuchen wir erst "alles": Ich frage an der Strandbar: Nichts! Evtl. einfach wild campen auf dem leeren Platz? Wir gehen nochmal hin. Unvermutet schießt um die Ecke ein Hund auf meine Frau zu, ist aber doch angekettet. Eine Frau erscheint mit zwei weiteren wild bellenden Hunden und ruft "No Camping!" Der Platz muss erst ein paar Wochen oder weniger geschlossen sein. Die letzten Infoplakate am Empfang wirken noch ziemlich neu. - Wir laufen die 2 km zum Ort zurück.

Ein Bauer ruft uns zu "Berri ott". Ich verstehe nichts. Er gestikuliert, wischt sich den Schweiß vom Gesicht. Ach so: "Si, si, mucho calor!" rufe ich zurück. (Ja, ja, sehr heiß!) Immer diese Ausländer! :-) Er meinte "Very hot" ("Alle Ausländer können Englisch"). Ich probiere noch: "Gibt's hier irgendwo Betten?" Leider nein.

Zur Kirche: Da ist gerade eine noble Feier. Ein Türsteher im Anzug wehrt uns schon mit Blicken ab. In die größte Bar am Ort: Dort ist man freundlich, aber: Keine Privatzimmer bekannt. Ja, das gibt es doch nicht! (Ich meine sogar, dass gerade zwei Spanier gekommen sind und wegen Zimmern nach hinten zum Hof hin verwiesen wurden. Aber vielleicht habe ich mich getäuscht.) Wieder zum Bahnhof. Davor das kleine Hotel "El Desierto". Doppelzimmer 8.800 P. Geht's für Pilger nicht billiger? - Nein. - Na, dann nicht. Es ist 17:55 Uhr. Wir haben Stunden wegen dem nicht existenten Campingplatz vergeudet. Santillana del Mar ist zeit- und kräftemäßig heute nicht mehr zu erreichen, jedenfalls nicht zu Fuß.

"Wir fahren mit dem Zug bis Barreda", schlage ich vor, "von dort tippeln wir bis Santillana." Meine Frau ist sehr einverstanden, ausnahmsweise bin ich mal vernünftig. :-) -

Glück im Unglück: 4 Stunden ist kein Zug mehr nach Westen gefahren, jetzt kommt sofort einer, um 18:04 Uhr, und sogar pünktlich. Barreda ist knapp 10 km entfernt, liegt ziemlich weit im Inland, trotzdem aber am markierten Jakobsweg wegen eines der häufigen Meeresarme und wegen der sperrigen Rohrleitung eines Chemiekonzerns. Wir finden gleich die richtige Straße, berühren noch den Südteil des Industriegebietes und sind schon in der nächsten Ortschaft Viveda. Da, ein großes Schild: "Campingplätze: Altamira 2,5 km, Santillana del Mar 5 km". Da kommt Freude auf, das machen wir ja mit links. - Nun, die Angaben stimmten nicht, es war jeweils 3 km weiter. :-(

Hinter uns zieht ein Unwetter mit tintenschwarzen Wolken auf, kommt aber nur sehr langsam näher. Der auffrischende Wind treibt uns zusätzlich. Wenigstens ist die Schwüle weg. Ich schaue nur nach vorn, wo es hell ist, verdränge, dass nun auch links Wolken sind. Am Anfang von Quevada platscht was auf die Straße. Autsch, es knallt wie ein Steinchen auf meinen Hut bis auf den Kopf: murmelgroße Hagelkörner buchstäblich aus heiterem Himmel! Glück im Unglück: Ein Haus ist nahe - und ist sogar eine Bar! Die Leute treten unter die Tür und sehen staunend zu, wie der Hagel auf die Autos trommelt. Es gibt aber keinen Schaden. Minuten später ist es vorbei.

Nach einem café con leche also weiter. Nach 3 km der Campingplatz "Altamira", aber wir wollen nach dem von Santillana del Mar, weil dieser laut Handbuch Pilger aufnimmt. Endlich ist der Ort erreicht, mit malerischen alten Bauten, weshalb er auch "das Rothenburg Spaniens" genannt wird. Natürlich wimmelt es von Touristen. "Zum Campingplatz?" "Immer geradeaus." Na, wenigstens gibt es ihn! Er liegt aber noch 800 m hinter der jenseitigen Ortsgrenze. Damit haben wir an diesem Tag (die Bahnfahrt natürlich nicht gerechnet) über 30 km zurückgelegt.

Ich will ausprobieren, was auf dem Campingplatz für Pilger getan wird, erwähne also nicht gleich unser Zelt. "Wir sind Pilger und möchten gern für eine Nacht hier unterkommen." Die junge Dame hinter ihrem schicken Computer am Empfang zieht genervt die Augenbrauen hoch. Wir haben ihr gerade noch gefehlt. "Da müsst ihr warten." Sie wendet sich dem nächsten Kunden zu. "Äh, wir haben ein kleines Zelt dabei." "So?" sie schaut mich prüfend an. "Kostet aber 2.365 P. plus IVA!" So viel traut sie uns Bettelleuten nicht zu. Ich zucke mit den Schultern und sage (wie üblich): "In Ordnung. Und wir möchten sofort zahlen." (Weil wir dann morgens unabhängig sind und den Personalausweis gar nicht abzugeben brauchen.) Das geht nun aber wirklich nicht, sie sind ein ordentlicher Campingplatz.


Camping Santillana del Mar (800 m vom Ort entfernt, an der Straße Richtung Comillas), E-39330 Santillana del Mar, Tel. 942 818 250, Fax 942 840 183
Netzpostadresse: campingsantillana@ceoecant.es
Preis: 795 P. pro Person + 775 P. fürs Zelt + IVA = 2.531 P.


Dieser Campingplatz war der teuerste unserer Pilgerfahrt, eingestuft in die höchste Gütekategorie. Das konnten wir nicht nachvollziehen. Die allgemeinen Einrichtungen waren für die meisten Zeltler weit weg. Das Restaurant und der Laden zeichneten sich auch nur durch ihre hohen Preise aus. - Dazu der einzige Campingplatz, auf dem man uns nicht freundlich empfing, auch nicht, nachdem wir normal gezahlt hatten. Wir können diesen Platz nicht empfehlen.

Im Nachbarzelt hauste ein nettes junges englisches Ehepaar. Die Frau konnte sehr gut Spanisch (hatte mehrere Jahre in Südamerika verbracht). Sie waren mit dem Fahrrad unterwegs, wollten als nächstes in die Berge. - Abends in dem teuren Restaurant ergab ein Blick nach draußen, dass das Unwetter weiter drohte. In der Ferne blitzte und donnerte es, und der Wind war wieder stärker geworden. Wir ließen es uns erst einmal schmecken. Als es kurz darauf dunkelte, hatte sich das Unwetter verzogen, ohne Santillana erreicht zu haben. Erleichtert machten wir uns für die Nacht fertig.


02.08.2001, Donnerstag: Von Santillana del Mar nach Comillas, 24 km (335 km)

Wegen der Pleite in Mogro hatten wir am Vortag gleich zwei geplante Etappen geschafft und waren nun wieder in unserem alten Zeitplan, d.h. wir hatten einen Tag in Reserve, den wir nach Gutdünken verwenden konnten. Heute waren es laut Wegweiser zwar nur 17 km nach Comillas, unserem Etappenziel, aber das Handbuch gibt wegen Umwegen 25 km an. Einen Kilometer davon konnten wir abziehen, denn der Pilgerweg ging hinter unserem Campingplatz her.

Nichtsdestoweniger liefen wir diesen Kilometer (ohne das in der Statistik zu berechnen) sogar noch zwei Mal zusätzlich, weil wir am Morgen erst einmal nach Santillana zurückgingen, um noch ein wenig von der Stadt zu sehen. Dort wurde auch gefrühstückt; wir wären gar nicht auf den teuren Laden am Campingplatz angewiesen gewesen. Erst gegen 10 Uhr liefen wir wieder an der Mauer des Campingplatzes entlang.



Die Kirche San Martín
mitten im grünen Land
Die Umwege haben sich gelohnt. Hinter Oreña bot die renovierte Kirche San Pedro eine schöne Aussicht und Tisch und Bänke zum Rasten. Über Cigüenza kommt man zur Kirche San Martín. Diese war geöffnet und konnte für eine Spende von 200 P. besichtigt werden. Der Tag war sonnig, uns ging es gut. Dankbar sangen wir aus unseren Texten deutsche und spanische Pilgerlieder. Als wir uns umdrehten, stand hinter uns ein Wachhabender und begrüßte uns freundlich als Pilger. In einfachem und klarem Spanisch erzählte er uns einiges zu der Kirche. Als wir uns bedankten und die Geldbörse zückten, hielt er uns zurück: Pilger brauchten nichts zu spenden! - Es war mir nicht um den bescheidenen Betrag zu tun, aber ich genoss es dankbar, hier als Pilger willkommen und anerkannt zu sein. - Also, diesen Umweg nicht versäumen! Hier spürt man mal die erhoffte Atmosphäre der Pilgerschaft.

Dann folgte als weitere Sehenswürdigkeit Novales, das Dorf der Zitronenbäume. Wir haben häufiger an der Nordküste Palmen, Feigen-, Orangen- und Zitronenbäume bewundert, aber in Novales sind sie dorftypisch. In der Bar bestellte ich statt café con leche oder Coca Cola zweimal Zitrone natur mit Wasser. Schmeckte prima, war aber auch nicht billig: 500 P. - Dann wandte sich die Route wieder in Richtung Comillas. Im nächsten Dörfchen tobte wieder direkt neben dem Weg ein gefährlich aussehender Hund und riss an seiner Kette. Ich musste wieder die albtraumhafte Vorstellung unterdrücken, dass auch jede Kette einmal reißt...

Später kam die rot-weiße Kirche von Cobréces in Sicht. Über die Route durch dieses Städtchen ist einiges zu sagen. Sie führt zunächst von der Straße ab weit hinunter, nur um einen alten Pilgerbrunnen zu erreichen, der in einem recht armseligen Zustand ist. Dann wieder steil hoch zur Kirche (Kläffer verfolgen mich). - Man sollte lieber versuchen, auf der Höhe zu bleiben und die Kirche direkt zu erreichen.

Dunkle Regenwolken ziehen wieder auf, aber noch regnet es nicht. An der Kirchentür entdecken wir einen Anschlag (s. Näheres im Abschnitt "Allgemeines" auf der Hauptseite). Danach gibt es keinerlei Pilgerunterkunft im Ort, obwohl das in einigen Informationen über die Nordroute im Internet (nicht im Handbuch) vermerkt ist. Trotz dieser negativen Atmosphäre machen wir neben der Kirche auf den Stufen vor einer Marienstatue Mittag. (Das wird man doch noch dürfen!) Immer noch fällt kein Regen, es bleibt nur bedeckt.

Hinter der Kirche geht der markierte Jakobsweg weiter. Aber Vorsicht: ein gelber Pfeil mit ein paar Zusatzhaken weist kurz darauf einen Pfad hoch, das ist Unsinn. Man bleibt auf der Asphaltstraße, folgt dieser, auch an einer größeren Abzweigung nach rechts vorbei, geradeaus zwischen Häusern hindurch. - Evtl. sollte man aber doch der Abzweigung zur Hauptstraße (? Das vermute ich nur) und später zur Fernstraße folgen. Denn jetzt folgt ein Stück, bei dem man sich mindestens 3 km Umweg einhandelt. Erst einen kotigen Weg steil hinunter, dann sehr lange zwischen Hecken wieder hinauf (rechts grüßt in der Ferne immer die Fernstraße), endlich auf einer kleinen Landstraße in einem Riesenhalbkreis, bis man in etwa 2 km Entfernung Cóbreces wieder vor sich sieht! 500 m vor dieser Stelle zeigt ein verblasster Pfeil in die richtige Richtung links von der Landstraße ab in einen kleinen Eukalyptuswald: Tja, die Richtung stimmt, aber da geht's nicht weiter, laut Handbuch! - Rechts hat man nun einen weiten Blick auf das Gebüsch- und Heckengelände, durch das sich der - zugegeben landschaftlich sehr schöne - Weg geschlängelt hat. Erst jetzt - an einem Pferdehof - wendet sich die Landstraße nach links, immer mehr in die richtige Richtung, von Cóbreces weg, und erreicht nach einigen ermüdenden Kilometern endlich die Fernstraße. Hier geht der markierte Jakobsweg links, die Route des Handbuchs rechts von der Straße ab. Wir verzichteten auf beides und blieben auf der Fernstraße.

Der Campingplatz in Comillas lag gleich am Stadtrand, nachdem wir eine gefährlich schmale Brücke überquert hatten. Nun war das Wetter immer noch zweifelhaft. Also suchten wir lieber ein festes Quartier. Die Pension "Tuco" lag laut Handbuch am Wege, äußerlich nur nach der Hausnummer zu finden: es gab sie gar nicht mehr, wie man mir an der Tür sagte. Also blieb meine Frau wieder beim Gepäck, und ich zog - ohne Pilgerinsignien - zur Quartiermache los. Das Touristenbüro liegt auch nicht mehr in der Calle La Aldea, sondern in der Calle de Maria de Pielago. Nun ist die Altstadt klein, und daher gibt es keine weiten Wege. Mit dem Unterkunftsverzeichnis zum ersten Hostal: Belegt! (Man empfiehlt mir etwas anderes, aber ich verstehe die Beschreibung nicht.) Zur zweiten: Belegt! Die Dame kennt aber eine Zimmerwirtin (schwarz natürlich) in der Nachbarschaft. Dort kommen wir für 5.000 P. unter, ähnlich wie in San Sebastián, nur dass die Etagendusche hier funktioniert. Kaum sind wir "unter Dach und Fach", fängt es an zu regnen; das hält aber nicht an. - Die Wirtin ist sehr freundlich. Wir dürfen unsere Wäsche auf dem Balkon zum Trocknen aufhängen.


Comillas ist ein Touristenort, was ich nicht wusste. Deshalb ist bei den Billigunterkünften großer Andrang. Zum Glück haben wir die Stadt relativ früh am Tag erreicht. Unser Zimmer liegt in einem Wohnblock hinter der Calle Marqués de Comillas, einige 100 m vor der Altstadt. Gegenüber ragen Schloss und Sobrellano-Palast auf. Ein Supermarkt und ein Restaurant, beide ganz in der Nähe unseres Quartiers an der o.g. Straße, machen uns "wunschlos glücklich".

Nach einem weiteren Rundgang durch die Altstadt landen wir in dem schon vorher ausgemachten Restaurant und sind (so früh?) die einzigen Gäste. Der junge Kellner serviert zwei ausgezeichnete Menüs und schwatzt interessiert mit uns Pilgern. Wir fühlen uns mal wieder sehr wohl. Es war ein weiterer erlebnisreicher und angenehmer Tag.


Schlemmender Pilger in einem Restaurant von Comillas.

Mein zweiter linker Zeh sieht übel aus. Ich probiere es jetzt mit normalem Heftpflaster, damit an ihn mehr Luft kommt. (Das wirkte sich sehr gut aus.) Unter meinem rechten Fuß hat sich das "Wunderpflaster" leider verschoben und durch die entstandene Falte den Ansatz einer Blase verursacht. Ich verpflastere den Fuß sorgfältig neu. (Danach gab's keine Probleme mehr.)


03.08.2001, Freitag: Von Comillas zur Playa de Oyambre, 7 km (342 km)

Heute ist quasi ein Ruhetag. Schon zu Hause bei der Planung hatten mir Beschreibung und Bilder der Playa de Oyambre derart ins Auge gestochen, dass ich hier eine Strandpause vorsah. Damit war noch nicht einmal der Reservetag verbraucht.

Morgens wollten wir uns aber erst noch einmal die berühmte ehemalige päpstliche Universität von Comillas ansehen. Trotz der wenigen Straßen finden wir nicht gleich den Zugang, zumal wir sie anfangs mit dem Schloss verwechseln. Die Universität liegt aber zum Meer hin. Es gelingt mir aber nebenbei, eine Wanderkarte vom Gebiet der Picos de Europa zu bekommen, die auch den Küstenabschnitt von Unquera bis Ribadesella wiedergibt. 1:80.000, 625 P. -

Das Handbuch führt uns richtig, die Universität ist aber nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Dann geht es einen wunderbaren Weg an der Küste entlang. In dem Dorf Trasvía gibt es abseits ein kleines Hotel mit Bar, oberhalb des Meeresarmes, mit schöner Aussicht. Wegen Ebbe sehen wir aber nur schlammige Flussbänke. Der Weg geht weiter an der Kirche vorbei zur Fernstraße. Dann folgt ein gefährlicher Abschnitt auf dieser, bis man die Brücke über den Meeresarm ein Stück hinter sich gelassen hat. Hier zweigt der markierte Jakobsweg nach links ab; wir folgten wieder dem Handbuch und liefen eine ungleich schönere Route nach rechts über einen Damm entlang, durch ein Naturschutzgebiet (Moor) zum Dünenkamm vor der Playa de Oyambre. Nach links über einen Moorweg, am Eingang des Golfplatzes vorbei, und schon sahen wir zwei Campingplätze vor uns: einer mehr oben und vom Strand entfernt; einen direkt oberhalb des Strandes, zu beiden Seiten einer kleinen Küstenstraße. Wir nahmen natürlich letzteren und erreichten die Anmeldung bereits um 12:15 Uhr. Es war übrigens das letzte Mal, dass wir unser Zelt einsetzten, aber das wussten wir da noch nicht.

Der Empfang war wieder herzlich und persönlich. (Preis: nur 500 P. pro Person, 600 P. fürs Zelt) Wir konnten uns einen Platz aussuchen und wählten einen Standplatz ganz oben an der Kante, direkt oberhalb des Strandes.



Spätnachmittag in den
Dünen von Oyambre

Etwas später kam eine Aufsicht und wollte uns da vertreiben, weil das Auto des Nachbarzeltes dann nicht mehr neben, sondern nur hinter dem Zelt Platz fand (die Besitzer, ein junges spanisches Paar war gerade nicht anwesend). Ich sah das nicht ein. Warum sollte der beste Platz mit einem Auto besetzt werden, und außerdem war auch auf der anderen Zeltseite reichlich Platz (wenn auch mit allen möglichen Badeutensilien belegt). Wie viel Platz wollten die denn in Anspruch nehmen? - Der Kontrolleur sah das auch ein und ließ uns gewähren, zumal es nur für eine Nacht war. - Am andern Morgen kam er gleich wieder, fragte noch einmal, ob wir wirklich abrückten und sperrte dann gleich unseren Platz ab. -

In schönem Sonnenschein genossen wir einen der herrlichsten Strände der Nordküste (nur den von Trengandín bei Noja fand ich wegen der Tamarisken noch schöner), wobei wir auch eine Wanderung zum Meeresarm und in die Dünen unternahmen, bis es dunkelte.


Dann besuchten wir das Restaurant des Campingplatzes - und erlebten wieder Loriotreifes! - Draußen zwei Schilder: "Wir haben eine Speisekarte" und "Tagesmenü". Wir also hinein, sind die einzigen Gäste. "Zweimal das Tagesmenü, bitte" - "Haben wir nicht" (Holt das Schild herein) - "Dann bitte die Speisekarte" - "Haben wir auch nicht" (Holt das zweite Schild herein) "Wir haben..." und dann rasselt der junge Mann einiges runter. - Nein, so geht's nicht. "Wir hätten auch gern einige Preisangaben." - Da geht er weg, diskutiert in der Küche rum und kommt mit einem handgeschriebenen Zettel wieder. Na also, zweimal gemischten Salat, zweimal Forelle, bitte, und ein Glas Wein und ein großes Bier." - "Eine Flasche Wein sicher doch?" - "Nein, ein Glas." Er rümpft etwas die Nase, zeigt dann auf einen Riesenkrug (etwa 1 Liter): Ob das als "großes" Bier reiche? Ich winke ab, bekomme 0,33 l wie üblich. Dann bringt er den Salat und die Getränke, stellt die Forellen im Hintergrund ab - und wird draußen von Bekannten mit dem Auto abgeholt.

Nun erscheint ein älterer Mann, der Chef. Er brummelt (aber eher gutmütig), dass wir ungünstig säßen, im Dunkeln. Auch weiß er nicht, wie weit wir sind, was wir als nächstes bekommen. Nach einer Weile deute ich auf die Forellen, die im Hintergrund erkalten. Da bringt er sie, klappert mit Besteck, deckt dann aber ein Messer und ein Fischmesser, legt den Kopf schief, bis er herausfindet, was nicht stimmt und tauscht die Messer brummelnd gegen Gabeln aus. :-) Es schmeckt sehr gut, wir sind zufrieden.

Nach dem Dessert greift die etwa 18-jährige Enkelin, die selbst schon wieder ein Baby hat, wie wir am Nachmittag gesehen haben, in die Kämpfe ein. (Immerhin sind drei weitere Gäste erschienen.) Nein, wir möchten keinen Kaffee, sondern die Rechnung. (Diese Ausländer!) Ich bin gespannt. Der Zettel, den der Kellner uns gezeigt hat, ist weg. Auch in der Küche nicht mehr zu finden, wie das aufkommende Gemurmel von dort zeigt. Die junge Frau kommt endlich mit dem Tellerchen, auf dem immer die Rechnung gebracht wird, und dreht gleich wieder ab. Ein Blick: die Forellen sind 50% teurer geworden! "Señora!" Ich erkläre die Sachlage. "Oh, perdón" Ratsch, ist die Rechnung weg und bald wieder da: der Einzelpreis ist korrigiert, die Endsumme nicht. :-) - Innerlich kopfschüttelnd, es aber von der heiteren Seite nehmend, lasse ich die korrekte Summe samt einem kleinen Trinkgeld zurück. Draußen regnet es heftig. Ach du Sch...!

Die ersten Stunden können wir im Zelt kein Auge zutun. Es ist nicht nur der Regen, es pfeift auch ein Wind, dass unsere Zeltbahnen heftig flappen. Ich bilde mir ein, jeden Moment nackt und bloß in Regen und Wind draußen zu liegen. Innerlich fluche ich, dass wir das Zelt auf einer so exponierten Stelle aufbauen mussten. Gegen 2:30 Uhr mache ich einen entschlossenen Ausfall zur Toilette, es regnet gerade weniger heftig. Und siehe da: Der "Sturm" erweist sich zum großen Teil als Einbildung! Es windet zwar, recht frisch sogar, aber draußen merkt man, dass dem das Zelt mit seinen Abspannungen ohne weiteres gewachsen ist. Auch ringsum keine Aufregung, obwohl manches Vorzelt den Wind dazu einlädt, richtig darunterzupacken. Wir hatten einfach nachts noch keinen richtigen Wind gehabt und deshalb die Geräusche von drinnen ganz falsch eingeschätzt. - Erleichtert krabbele ich wieder in unsere "Höhle" und falle bald in späten Schlaf.


04.08.2001, Samstag: Von der Playa de Oyambre nach Unquera, 23 km (365 km)

Gegen Morgen regnet es noch immer, aber das Zelt ist dicht geblieben. Wir bleiben einfach bis 9 Uhr liegen, dann wird es besser. Als ich vom Waschen zurückkomme, werfe ich gekonnt meinen Hut ins Zelt und lasse mich dann hintenüber hineinfallen, damit die nassen Schuhe draußen bleiben. Au, mein Po, und außerdem ist etwas knirschend zerbrochen. Meine schöne kleine Jakobsmuschel vorn am Hut hat es erwischt! Ein großes Stück ist rausgebrochen. Ich bin richtig geknickt. Wäre ich abergläubisch, hätte ich das als ein Signal angesehen, die Pilgertour abzubrechen. Aber das kommt ja gar nicht in Frage. Leichte Verluste müssen hingenommen werden.

Als wir um 10 Uhr aufbrechen, klart es schon wieder auf. Ein niederländisches Mädchen rennt auf uns zu. Ich habe der Familie gestern zwei Mal einen Gruß auf Niederländisch zugerufen. Jetzt glaubt sie, wir sind auch Niederländer, fragt uns über das Pilgern aus. Ich antworte in einfachen Sätzen. Sie findet so zu pilgern toll.

Später erreichen wir Gerra. Hier könnte man laut Handbuch schon zum Strand runter. Ich verzichte, da ich die Hunde des erwähnten Bauernhofes fürchte. Zwei Kilometer weiter senkt sich die Straße, so dass man zum Strand hinunter kann. Er ist ein Zwilling der Playa de Oyambre, nur an der anderen Seite einer ins Meer vorspringenden Felsnase.

Zwei junge Leute winken, kommen dann gezielt auf uns zu. Es sind zwei deutsche Touristen, die sich schon öfter gefragt haben, was das für merkwürdige Gestalten sind, die man manchmal sieht. Wegen unserer Abzeichen mit den deutschen Farben wissen sie, dass das nun geklärt werden kann, ohne die übliche Sprachbarriere. So, so, Pilger, das sei ja interessant. -

Kurz vor San Vicente de la Barquera verlassen wir den Strand und gehen an einem Campingplatz entlang. Beides, Stadt und Campingplatz machen einen hervorragenden Eindruck. Restaurant, Läden, alles vorhanden. In der zugehörigen Bar gibt's den morgendlichen café con leche, alles empfehlenswert. Man sollte diese Stadt bei seiner Planung doch als Etappe vorsehen, zumal uns später ein Pilgerfreund erzählte, er sei auch im casa parroquial (Pfarrhaus) als Pilger gut untergekommen.

Diesmal sind es sogar zwei Meeresarme, die einen zwingen, einen weiten Bogen ins Inland zu gehen, aber das lohnt sich auch. Blendet man optisch-selektiv die Autobahnbaustellen aus, hat man herrliche Rückblicke von den Höhen, auf die Stadt und auf die Meeresarme. Die Inlandberge rücken ebenfalls näher und zeigen zum Teil schroffe Klippen. Der Weg geht natürlich auch einiges rauf und runter, ist aber landschaftlich ebenfalls hervorragend.

Auf einer Kuhweide fallen uns 15 weiße Reiher mit kurzen Hälsen auf, die ich bislang nur in einem Biotop hinter Santoña gesehen hatte. Das macht mir bewusst, wie wenige Wildtiere man - außer Vögeln und Eidechsen - in Nordspanien sieht. Auf dem Camino Francés war mir das auch schon aufgefallen. Kein einziger Hase, kein Kaninchen, geschweige denn ein Reh oder ein Fuchs. Zwei Mal im Baskenland eine totgefahrene Schlange auf der Straße. Ein Mal glaube ich, aufgewühlte Erde auf einer Lichtung in den Bergen als von Wildschweinen verursacht deuten zu dürfen. Aber kein Schwanz zu sehen, die ganze Pilgerfahrt hindurch. Schade! -

Die Route geht über kleine Sträßchen und Dörfer, sehr beschaulich. Hinter einer Burgruine kommt eine Pension, und hier ist es, wo ein größerer Hund die Grundstückseinfriedung überwindet und uns auf der Straße anbellt. Zum Glück nur kurz; da wir einfach weitergehen, wendet er sich wieder ab. - Als die Sonne durchkommt, rasten wir an einer Wiese und trocknen das klatschnass eingepackte Zelt, außerdem den Rest der Wäsche. (Das Zelt werden wir nicht mehr benötigen.) Noch einmal treffen wir auf einen Meeresarm, dann liegt Unquera, die letzte Stadt Kantabriens vor uns.

Schon vor den Toren liegt das Touristenbüro. Es ist fast lächerlich: Erst hier bekomme ich das offizielle Unterkunftsverzeichnis für ganz Kantabrien. Das hätten wir schon eher gut gebrauchen können. Das im Handbuch aufgeführte Hostal Ríomar gibt es nicht mehr. Wir finden aber an der (nahezu einzigen) Straße die Pension La Granja, sie gehört nämlich zur gleichnamigen Bar (und offiziellen Haltestelle für den Überlandbus). Im Hinterhaus gibt es drei gut eingerichtete neue Doppelzimmer mit eigenem Bad für ganze 4.000 P. Das beste Preis-Leistungs-Verhältnis unserer Fahrt! - Abends finden wir in einer Seitenstraße das Restaurant Casa Samuel. Sehr gute Tellergerichte und Menüs. (Der Kellner ist computerbegeistert, hat alle Tische mit ihren Bestellungen gespeichert und serviert die Rechnung ausgedruckt. Das macht ihm sichtlich Spaß. Ich lobe ihn, wie modern und korrekt es zugeht, damit er auch eine positive Rückmeldung hat.) - In Unquera gibt es überall Corbatas. (Zufällig heißt das auf Esperanto: "Herz schlägt".) Erst wissen wir nicht, was das ist, bis wir diese Kuchen, deren Form an Krawatten erinnert (daher der Name), in den Auslagen entdecken. Unquera ist wohl für sie berühmt. Die Stadt hat sonst nichts zu bieten, außer dem Flussufer. Der Fluss ist zugleich die Grenze nach Asturien.

Inzwischen war die Entscheidung, ob wir den großen Abstecher in die Berge, parallel zur Küste, machen oder weiter an der Küste entlangziehen (34 km kürzer), längst gefallen: Immer hatten wir die Inlandberge fast den ganzen Tag über in Regenwolken gesehen. Das junge englische Radfahrerpaar hatte uns zwar erzählt, dass es hinter der ersten Bergkette viel Sonnenschein gebe, aber da blieb ich skeptisch. Als Fußgänger kann man nicht riskieren, dass sich das als Tourismusparole herausstellt. Ich war zwar etwas enttäuscht, Covadonga, das Nationalheiligtum Spaniens nicht zu sehen, aber dafür werden wir die asturischen Refugios inspizieren können; für die Leser dieses Berichtes sicher die interessantere Alternative. - Ich sollte noch erfahren, dass es auch für mich das reinste Glück war, diese Entscheidung so getroffen zu haben.


05.08.2001, Sonntag: Von Unquera nach Llanes, 23,5 km (388,5 km)

Bei so einem schönen Quartier schläft man gern noch länger. Ich habe aber zusätzlich einen Trumpf im Ärmel: Um 10 Uhr führe ich mein erstes Telefongespräch auf Spanisch und lasse in der privaten Herberge von Llanes für uns zwei Betten reservieren. Dabei hoffe ich, dass wir evtl. zu dieser frühen Stunde noch ein Zwei-Bett-Zimmer abbekommen. Wie dem auch sei, die Reservierung klappt, und wir sehen dem Tag deshalb heiter entgegen.

Fast hätten wir direkt hinter der Brücke die Muschelkachel übersehen, die einen Pfad von der Straße ab steil hoch hinaufweist. - In Asturien ist die Markierung des Pilgerweges sehr gut, mit Pfeilen und mit Muschelkacheln, letztere häufig in separaten, gesetzten Wegesteinen (Michael Kasper spricht von "Monolithen"), wie man das vom Camino Francés auch streckenweise gewohnt ist. - Der Pfad bietet wieder herrliche Ausblicke nach beiden Seiten. Bald erreicht man Colombres, ein Schickimicki-Dorf, in dem sich viele Spanier, die in Amerika ihr Glück gemacht haben, eine repräsentative Villa, unverzichtbar mit Palmen davor, hingesetzt haben.

Später ragt vor einem ein in Marschrichtung langgestreckter Bergzug auf. Die Route führt rechts um ihn herum und leider auch viele Kilometer auf der N-634 an ihm entlang. Aber die existierenden Wanderwege wären ohnehin zu stressig. Hinter Buelna war ein neuer Küstenweg angelegt, der sich sicher gelohnt hätte. Er war (dafür ist er zu neu) nicht im Handbuch verzeichnet, und wir erfuhren von ihm leider erst, als wir an seinem Ende auf einem Dorfplatz mit Brunnen Mittag machten und eine Übersichtstafel entdeckten. Wegen des Sonntags kontrollierten wir die Kirchen am Wege, aber alle waren geschlossen, keine Messe.

In San Roque de Acebal verlässt man die N-634, überquert sie und geht an einem Bauernhaus vorbei. Hinter diesem gabelte sich der Weg: schräg rechts geradeaus weiter an Apfelbäumen vorbei, links hingegen eine fast zugewachsene Fahrspur. Letztere, ich konnte es fast nicht glauben, war die richtige Alternative. Dann kam ein schöner Hohlweg und an dessem Ende oben die Kapelle zum Cristo del Camino. Nach einer Gebetspause ging's zur anderen Seite wieder hinunter, und dann kam auch schon Llanes, unser Ziel, in Sicht. An die "Last der letzten Kilometer", mit gaffenden Touristen usw., waren wir schon gewöhnt. Heute waren wir etwas sicherer, da das Quartier ja schon bestellt war. Am Ortseingang passierten wir zwei große Campingplätze. In der Nähe des Hafens wurde ich unsicher; die Beschreibung des Handbuchs war mir zu allgemein. Was die "Hauptstraße" war, schien mir nicht eindeutig. (Es ist doch die Straße, die man kommt, einfach geradeaus, den Hafen rechts lassend und die Altstadt hindurch.) Wir durchstreiften rechts der Hauptstraße die Altstadt, um das Touristenbüro zu finden, fanden die Kirche und einen Käsemarkt und ließen uns von einer deutsch-spanischen Touristengruppe noch einmal den Weg zeigen.

Zum Touristenbüro und zur Playa del Sablón: an der Hauptstraße fällt am Ende der Altstadt auf der rechten Straßenseite ein großes, prächtiges Gebäude auf; es ist das Casino. Man geht dann rechts eine Gasse, links am Casino vorbei, auf die alte Stadtmauer und einen Turm zu. Im Turm ist das Touristenbüro, das aber am Sonntagnachmittag geschlossen hatte. Weiter an der Mauer entlang stößt man links auf den Strand. Es ist nur einer von mehreren, die es in Llanes gibt.

Hinter Hafen und Altstadt erreichten wir rechts einen Park. Hier sollte "auf der linken Straßenseite" laut Handbuch die Herberge sein. Das stimmte nun wirklich nicht. Man muss am Ende des Parks links gegenüber in eine Seitenstraße hinein und dem Schild "RENFE stación" folgen. 150 m geradeaus liegt dann der Bahnhof; das rechts angrenzende Gebäude ist die Herberge, das ehemalige Bahnhofsgebäude.

Diese Unterkunft hat uns überhaupt nicht gefallen. Erst war ein Vier-Bett-Zimmer vorgesehen, man fand aber den Schlüssel nicht. Dann landeten wir in einem sehr engen Acht-Bett-Zimmer. Die Tür hatte ein kaputtes Schloss und quietschte nachts vom Wind so entsetzlich, dass das einzige Fenster geschlossen werden musste. "Alles zusammen" sollte 1.900 P. kosten, sagte die junge Angestellte. Beim Bezahlen stellte sich heraus, dass sie doch "pro Person" meinte. Ich war sauer. Tja, Llanes sei voll mit Touristen, was anderes bekämen wir sowieso nicht mehr. Ich wäre in meiner Wut am liebsten zu einem der Campingplätze zurückgegangen, aber meine Frau bremste mich. Also blieben wir. Ein Frühstück bestellten wir nicht, lohnte auch nicht. In unserem Zimmer schliefen Rucksackwanderer, aber wir waren doch die ersten im Bett und die ersten auf. An Schlafen war kaum zu denken, denn um 22 Uhr zogen Jugendliche, die die übrigen Zimmer bevölkerten, in die Disco und kamen gegen 1:30 Uhr zurück. Bis 4 Uhr wurde dann noch rumgelärmt. Erst um 5 Uhr legten sich die letzten unserer Zimmergenossen schlafen. -

Diese Unterkunft ist für Pilger absolut ungeeignet (und auch relativ teuer). Es soll folgende Alternative geben: "La Sirena", Guillermo (Herbergsleiter?), Plaza Parres Sobrino. - Nicht auf die Idee kommen, weiter nach Poo zu gehen: die dortige Herberge ist geschlossen!

Abends gelang es uns, auf die Schnelle noch Tortillas zu essen und dann noch die Messe um 21 Uhr zu besuchen. Das tat gut!


Kapitel 3: Von Llanes nach Oviedo (7 Etappen, 121,5 km)

Es ist sinnvoll, hier ein neues Kapitel beginnen zu lassen, denn jetzt kam der letzte, wesentlich andersartige Teil unserer Pilgerfahrt, nämlich durch Asturien mit seinen Refugios. Das bedeutete:

Dass gleichzeitig noch ein für mich besonderer Teil der Reise begann, nämlich eine Darmgrippe, die mich 5 Tage lang plagte, sei am Rande vermerkt. Glück im Unglück: Die obigen Vorteile verhinderten, dass ich aufgeben musste. Auch waren die Etappen wesentlich kürzer, da sie den Abständen der Refugios entsprachen. 17 km schaffte ich nach dem vorherigen Training, in wesentlich einfacherem Gelände als im Baskenland und im ersten Teil Kantabriens, auch noch als Kranker.


06.08.2001, Montag: Von Llanes nach Piñeres, 21 km (409,5 km)

Morgens hatten wir Toiletten und Waschräume für uns. Im Zimmer nebenan, wo ein Teil der Jugendlichen schlief, lag man sogar dicht an dicht auf dem Boden... Rücksichtsvoll schleppten wir alle unsere Sachen aus dem Schlafraum in den Frühstückssaal. Ich schaute in die Eingangshalle: Dort schlief die Nacht über ein Wächter, der bei meinem Erscheinen (um 8 Uhr) sofort aufsprang. Freundlich stempelte er unsere Pilgerpässe, was wir tags zuvor bei dem Ärger vergessen hatten.

8:30 Uhr geht es etwas in die Stadt zurück; dann folgen wir der Beschreibung des Handbuchs, vom Strand Sablón aus links die befestigten Uferfelsen hoch. Oben entdecken wir, dass es mehr als 1 km lang hoch über dem Meer entlanggeht, ein erfreulicher Tagesbeginn. Unten ist die Küste zerklüftet. Eine Gedenktafel trauert um zwei Jugendliche, die hier abgestürzt sind (Unfall? Selbstmord?). Kurz vor dem Ende der mit Mauern verstärkten Promenade muss man sich einen steilen Fußpfad nach unten suchen; zwischen Häusern hindurch gelangt man an die Ausfallstraße nach Westen.

Auf ihr erreichen wir Poo. Wir schauen nach der angekündigten Herberge aus, die ja vielleicht eine gute Alternative für die in Llanes gewesen wäre. Rechts ein "verdächtiges" Gebäude: Neue Schilder "Jugendherberge", "Einlass ab 19 Uhr" und neue Ketten mit Schloss um die Gittertore. Hm, irgendwas irritiert mich. Dann weiß ich, was: Auf den Treppenstufen des Haupteingangs wächst Unkraut... Etwas weiter links ist der Bahnhof mit einer Bar. Ich erkundige mich an der Theke: Ja, die Herberge ist seit diesem Jahr geschlossen. Man stelle sich vor, wir hätten da bis 19 Uhr gewartet... Ob die neuen Schilder "Jugendherberge" bedeuten, dass sie aus Privatbesitz übernommen wurde und renoviert wird? Möglich... Die Herrentoilette in der Bar ist ein grauenhaft verschmutzter Abtritt (Stehklo), so dass ich einfach in die Damentoilette gehe (wesentlich besser).


Die Strecke heute ist weiter landschaftlich schön. Zwischen Unquera und Llanes waren nur wenige kleine Strände, dazu weitab vom Pilgerweg. Heute schwelgen wir wieder in Stränden. Bei Celorio erreichen wir zunächst ein Kloster. Auf Ansichtskarten haben wir gesehen, dass es hier einen Felsen an der Steilküste gibt, der aus einer bestimmten Perspektive deutlich wie der Kopf des dornengekrönten Christus aussieht... Passt ja. Zum Kloster gehört ein weites Gelände die Küste entlang, darunter ein feiner Strand.
Der Klosterstrand
von Celorio

Ich halte halbherzig nach Unterkünften Ausschau, aber hier gibt es sogar Schilder "completo". Mittags folgen zwei weitere Strände mit zugehörigen Campingplätzen. Am Strand von Borizu machen wir eine längere Pause. Wunderbare Felsformationen bilden eine herrliche Naturkulisse. Meine Frau erfrischt sich wieder im Wasser; ich laufe etwas herum, schaue den Krabbensammlern zu und ruhe mich aus.

Als wir später direkt an einem Campingplatz vorbeigehen, entdecken wir ein Auto mit einer Nummer aus unserer Heimatgegend, sogar (laut Zusatzbeschriftung) aus unserer Nachbarstadt. Meine Frau braucht mal Kontakt zu anderen, geht zu dem Zelt hinüber. Es ist niemand da, aber die aufmerksame spanische Nachbarin holt eine Deutsche herbei. "Euch kenn ich doch!" sagt diese, "Wir haben doch zusammen in Ahaus demonstriert." (Gegen das atomare "Zwischen"lager) Stimmt, auch wir erinnern uns. Einer dieser Zufälle, von denen man oft erzählen kann...

Weiter geht es über teils zugewachsene Waldwege, bis wir die Fernstraße AS-263 und die Autobahn erreichen. Rechts liegt die Klosterruine San Antolín de Beón. Unterhalb der Straße wieder ein Strand, voll von Ausflüglern. Wir biegen links nach Naves ab, wo wir in einer Bar zu Mittag essen. Der Tagesrhythmus ist nun verändert. Die Refugios liegen weitab von allem auf dem Land, und man kann nicht damit rechnen, abends essen zu gehen oder einkaufen zu können.

Es ist die letzte warme Mahlzeit für mehrere Tage, weil meine Darmgrippe beginnt. Gut, dass man nicht weiß, was man vor sich hat... In Nueva, der letzten Stadt vor dem Refugio, wird eingekauft. Leider muss man ab jetzt die Vorräte für abends und morgens eine Zeitlang tragen...

Hinter Nueva geht man nach rechts über Bahngleise und durch einen Autobahntunnel. Dann sieht man schon links das rosafarbene Haus der Betreuerin des Refugios, während das Refugio selbst noch näher, aber etwas versteckt unter Bäumen, neben einer Ruine liegt.


Achtung: Seit Dezember 2001 ist das Refugio geschlossen. Unterkunft ist (gegen normales Entgelt) auch ohne Zelt auf dem nahen Campingplatz möglich.



Refugio Piñeres
Fehlt der Strom, wird eben draußen abgekocht.

Von fern sehen wir auch, dass zwei Pilger vor dem rosa Haus stehen und offensichtlich den Schlüssel holen. Wir lassen unser Gepäck am Refugio und gehen zu ihnen hinüber. Es ist ein spanisch-französisches Paar. Die Betreuerin empfängt uns freundlich. Wir tragen uns ins Gästebuch ein und bekommen unseren Stempel. Dann hören wir, dass es im Refugio zurzeit keinen elektrischen Strom gibt. (Es ist auch kein Geld da, um die Stromversorgung zu reparieren. Ein typisches Beispiel für "das Problem der Refugios", über das ich mich in meinem Bericht über den Camino Francés ausgelassen habe.) Ich sage etwas forsch "Macht nichts" (weil ich froh bin, überhaupt eine Unterkunft zu haben) und spende 1.000 P.

Das Refugio, das nach dem Namen der nächsten Ortschaft auch manchmal als Pría bezeichnet wird, ist relativ neu, evtl. ein ausgebauter Schuppen. 10 Liegen in einem Schlafraum, aber es ist noch Platz im Aufenthaltsraum nebenan. Kochplatten, die uns jetzt aber nichts nützen. Das junge Paar macht draußen Feuer. Dann trifft noch ein weiteres Paar ein, beide Franzosen. Außer uns laufen alle von Westen nach Osten.


Ich dusche eiskalt, fühle mich stark, lege mich dann etwas hin. Endlich kann man mal etwas Siesta machen. Meine Frau schreibt in ihrem Tagebuch. Auf einmal fühle ich mich schlecht. Vielleicht hilft frische Luft.

Meine Frau ist unruhig, weil sie nicht nach Hause telefonieren kann. (Schwiegermutter ist sehr krank.) Ein Mobiltelefon wäre in dieser Einsamkeit doch nicht schlecht. Wir erkunden die Gegend, weil wir den Hinweis auf ein Restaurant gesehen haben. Aber das scheint sehr weit weg zu sein. Auf einmal kommt das englische Paar, das wir in Santillana kennen gelernt haben, auf seinen Fahrrädern angefahren. Das gibt ein Hallo! Sie wollen immer noch in die Berge... Nachdem sie wieder davongefahren sind, fühle ich mich so schlecht, dass ich sofort ins Bett muss. Eine der Französinnen erzählt, dass ihr Gefährte auch drei Tage lang Darmgrippe hatte. Sie geben uns gute Ratschläge. Ich bleibe bis zum andern Morgen liegen. Wenigstens muss ich nachts nicht dauernd raus...


07.08.2001, Dienstag: Von Piñeres nach Leces (San Esteban), 17 km (426,5 km)

Unseren 31. Hochzeitstag hatten wir eigentlich etwas anders begehen wollen. Nun wird alles durch meine Krankheit überschattet. Meine Frau erweist sich aber als wahrer Schatz. Sie trägt den Großteil der Vorräte, geht einkaufen, während ich mich ausruhen kann, lässt mich vorangehen, damit ich das Tempo und die Pausen bestimme. Ich bin ihr äußerst dankbar. In den nächsten Tagen fragt sie einige Male, ob wir nicht abbrechen sollen. Aber dank ihrer Hilfe schaffe ich die nun folgenden kurzen Etappen durchaus. Auch ist der restliche Weg bis Oviedo leichter zu gehen als die Bergetappen im Baskenland und in Kantabrien.

Morgens sind wir als erste aus dem Bett und rücken auch als erste ab, obwohl erst gegen 10 Uhr. Auf dem Camino del Norte gibt es wohl keine "Knistertüten". Der Weg geht heute durch einige kleine Dörfer. Entgegen dem Handbuch zweigt der Jakobsweg aber nicht schon an der Kirche von Pría von der im Handbuch beschriebenen Route ab, sondern erst später, vor einer Brücke über die Bahngeleise. Warum - im Gegensatz zur Route des Handbuchs - der Jakobsweg nicht dahinter durch das Dorf Cuerres führt, ist mir schleierhaft. Dort gibt es nämlich neben der Kirche einen wirklich sehenswerten historischen Pilgerbrunnen.

Nach mancher unfreiwilligen Rast erreichen wir Ribadesella. Hier soll ein großes Kanufestwochenende gewesen sein. Wir nehmen es als Erklärung für die unglaublichen Müllmengen, die uns schon am Ortsrand auffallen. Ein Schulgelände (!) ist buchstäblich mit teils halbvollen Flaschen, Papier- und Plastikresten übersät. Noch schlimmer: die Strandpromenade, die wir nach einem großen Linksbogen um den Hafen herum, erreichen, samt den Grünflächen daneben, sieht genauso aus, dazu noch voller Scherben. Trotzdem machen wir dort Mittagspause. In der anschließenden Vorstadt findet meine Frau auch noch einen geöffneten Laden für den notwendigen Einkauf.


Wieder in der Natur, kraxeln wir hinter einem Eukalyptuswäldchen eine kleine Asphaltstraße hoch, als links San Esteban, Orstteil von Leces, auftaucht, mit der Kirche und daneben ein großes rotes Gebäude: das Refugio. Es ist eine alte Schule mit sehr viel Platz. In den ehemaligen Klassenräumen stehen jeweils nur zwei Betten, es wäre Platz für mehrere weitere. Aber eine Küche fehlt; auch gibt es weder ein Restaurant in der Nähe, noch einen Laden. Gut, dass wir alles mitgebracht haben.
Refugio San Esteban (Leces)

Auf unser Schellen hin macht eine ältere Frau auf, die im 1. Stock wohnt und die Herberge im Erdgeschoss betreut. Sie trägt uns ein und stempelt unsere Pässe. Unaufgefordert spende ich 1.000 P. (Später lese ich ein Regularium an der Wand, dass 300 P. pro Person sogar obligatorisch sind.) - Die Sauberkeit lässt etwas zu wünschen übrig. Wie in Piñeres gibt es offenbar keinen Putzdienst hier, und deshalb haben unsere Vorgänger einiges an Müll und Schmutz hinterlassen. Also fegen und wischen wir zunächst einmal. Dann genießen wir die himmlische Ruhe. Im Garten kann man die Wäsche aufhängen. Der Blick auf blühende Blumen und Büsche ist Labsal für Seele und Gemüt. Ich fühle mich gleich besser. Dieses Refugio ist das reinste Sanatorium.

Abends fängt es doch glatt an zu regnen, ab 22 Uhr sogar heftig. Wir hören, dass gegen 23 Uhr noch jemand um Einlass bittet. Ein Flüchtling vor dem Regen, der eigentlich draußen übernachten wollte? - Die Nacht über hält die himmlische Ruhe an. Ein wahres "Refugio", ein Zufluchtsort. Insgesamt war dieser Hochzeitstag also doch gar nicht so schlecht.


08.08.2001, Mittwoch: Von Leces (San Esteban) nach La Isla, 12,5 km (439 km)

An diesem Tag folgte eine besonders kurze Etappe, gut, um sich zu schonen. - Morgens traf ich im Herren-Waschraum eine junge Französin. Sie musste es sein, die noch spät in der Nacht angekommen war. Offenbar wusste sie nicht, dass es draußen vor der Hintertür noch eigene Wasch- und Toilettenanlagen für Frauen gab. Machte ja nichts. Wir sahen sie nachher nicht mehr, sie musste gleich aufgebrochen sein. - Das Refugio liegt etwa 300 m abseits des Jakobsweges. Nach dem Morgengebet vor der Kirche ging es zu der entsprechenden Abzweigung zurück und zum Strand von La Vega. Hier hatte schon eine Bar geöffnet, um den morgendlichen café con leche einzunehmen, auf den auch ich nicht verzichtete. Oberhalb des Dorfes trafen wir auf eine der vielen wilden Müllkippen, die es überall in geeigneten Einschnitten der Küste und der Berge gibt. :-(



Ein herrlich überwucherter Hohlweg direkt hinter Berbes

Hinter Berbes rettete uns wieder das Handbuch. 1,3 km auf der Fernstraße, hinter einer kleinen Brücke, zweigt eine Baustellenpiste rechts steil von der Straße ab, wobei es schon nach 20 m wieder nach links und weiter steil bergauf geht. Diese Abzweigung von der Fernstraße ist nicht markiert; sicher ist hier ein Stein mit Kachel durch die Baustelle entfernt worden, wie es anderswo auch vorkam.

Leider findet sich auf dem Weg nach links zu Anfang nur ein kleiner Stein mit einem gelben Pfeil mitten auf dem Weg; das ist sehr leicht zu übersehen. Ein dünner Baum hat einen gelben Ring; aber ohne den Pfeil auf dem Stein hätte ich das nicht als Jakobsweg-Zeichen gedeutet. Durch die Beschreibung im Handbuch waren wir gewarnt worden und hatten deshalb die in Frage kommende Abzweigung und ihren weiteren Verlauf sorgfältig abgesucht. Nur deshalb fanden wir den kleinen Stein mit dem Pfeil.


Oben auf der Höhe mit schönem Blick auf die nächste Meeresbucht kam meiner Frau die Idee, mir die Haare zu schneiden. Die waren ziemlich zerzaust, und mein Rauschebart konnte es auch gebrauchen. Kaum hatte sie die Schere angesetzt, kam eine ganze Wandergruppe von der anderen Seite hoch und umringte uns. Wir waren ganz verlegen. Die Wanderer erkannten uns als Pilger und bewunderten uns, fragten wie üblich nach dem Woher und Wohin. - Als sie weg waren, kamen die Haare doch noch zu ihrem Recht. Meine Frau leistete gute Arbeit: Ich sah danach wirklich manierlicher aus.

Nach dem Abstieg trafen wir auf den großen Campingplatz (rechts lag ein Strand) von Caravia. Wir brauchten Lebensmittel. Ein "hilfreicher Spanier" schickte uns 2 km die Straße hoch, vom Jakobsweg weg. Das angebliche Dorf fanden wir aber nicht. Statt dessen gab es auf dem Campingplatz selbst einen gut bestückten Laden, wo wir uns versorgten und anschließend Mittag machten. Jenseits der nächsten Höhe kam schon La Isla in Sicht.

Zu diesem Ort ist einiges zu sagen. Der Strand ist sehr lang und von Osten her auch schön, aber durch Felsen geteilt, die bei Flut von Wasser umspült werden. Deshalb gingen wir den ersten Teil nicht laut Handbuchempfehlung unten am Strand entlang, sondern den gelben Pfeilen nach, die hinter einer Häuserzeile, parallel zum Strand, eigentlich recht stumpfsinnig (da hat der Handbuchautor Recht) schnurgeradeaus zum Ortskern führen. Auf halber Strecke zweigten wir auf einer asphaltierten Zufahrtsstraße nach rechts zur zweiten Strandhälfte ab.

Es ist dies der letzte Strand vor Oviedo. Deshalb hatte ich im Hinterkopf, hier evtl. den Reservetag zu verbringen. Das Refugio liegt laut Handbuch "direkt am Meer". In meiner Einbildung machte ich daraus "direkt am Strand" und hielt schon eifrig Ausschau. Eine Gruppe von jugendlichen Rucksacktouristen, die wir unterwegs einige Male gesehen hatten, rastete auf einer Bank. Sie tauchten aber nicht im Refugio auf. Letzeres liegt natürlich nicht am Strand und auch keineswegs "direkt am Meer": Zum Meer sind es Luftlinie gut 300 m, die letzten 30 m davon vertikal! ;-)

Am Ende des Strandes folgte rechts die Altstadt. Sie ist zum Teil von einer Stadtmauer umgeben, klein und übersichtlich. Alle Straßen laufen am Anfang über die Plaza del Horrón und treffen sich am Ende der Altstadt wieder. Von dem genannten Platz aus erreicht man über die erste Straße links das Refugio (hinter der Altstadt); die zweite Straße links führt in die Subida al Castro, wo im Haus Nr. 85 (auf das man direkt zuläuft) Angelita, die (schon etwas ältere) Betreuerin wohnt. (Die im Handbuch angegebene Adresse einer anderen Refugiobetreuerin ist nicht mehr aktuell!)

Wir fanden das alles nach und nach heraus, nachdem wir uns klugerweise entschlossen hatten, erst zum Refugio zu gehen und danach erst zu dem Haus, wo es (angeblich) den Schlüssel gab.


Das Refugio ist die renovierte Hälfte einer Schule (die andere Hälfte ist Ruine). Es hat einen überdachten Vorbau, der vor Regen schützt, und - wer das Geheimnis kennt - rechts vom Eingang ein Fenster, das gewöhnlich offen gelassen wird, damit eintreffende Pilger schon mal Quartier beziehen können. Angelita kam nämlich erst laut Auskunft einer Nachbarin "nicht vor 18 Uhr", dann - laut Auskunft von Mitpilgern - gegen 19 Uhr, dann gar nicht, so dass wir uns den Stempel bei ihr zu Hause holen mussten. Naja, bei unbezahlten Freiwilligen kann man schlecht meckern. Das Refugio hat einen Schlafraum sowie einen Essraum mit Kochgelegenheit.
Refugio von La Isla,
dem letzten Strand vor Oviedo

Solange wir nicht ins Refugio konnten, ließen wir unser Gepäck vor der Tür und gingen zum Strand zurück. Betritt man ihn von Westen, von der Altstadt her, ist das nicht gerade die Schokoladenseite: zuerst kommt eine stinkende Kloake, die sich vor einem ins Meer ergießt, dann die Ruine eines Umkleide- und Toilettengebäudes: Ich suchte längst wieder dringend nach einer Bedürfnisanstalt, aber sooo verzweifelt, dass ich einen dieser verdreckten Freiluftkübel benutzt hätte, war ich nun doch noch nicht. Also ein Stück den Strand zurück, bis das Wasser offensichtlich sauberer war. Meine Frau sonnte sich, und ich klapperte La Isla auf der Suche nach einer Toilette ab. Hier zur Information:

In der Altstadt gibt es nichts (außer schönen alten Häusern). Man muss vor ihr (von Osten gesehen) links eine Straße hoch, in Richtung Fernstraße. Dann findet man: nach 200 m links einen kleinen Laden; nach weiteren 200 m in einem Häuserblock links eine Cafeteria (und eine Toilette); auf der dann folgenden Fernstraße links nach weiteren 500 m ein Hotel mit Restaurant. Diese Route entspricht auch der des Handbuchs; an dem Hotel trifft man auch den markierten Jakobsweg wieder. - Sonst gibt es nur Straßencafés, wo man etwas trinken kann, aber alles nur Buden.

Eine dieser Buden (mit Stühlen und Tischen davor) hatte eine große Tafel mit Reklame für Paellas. (Diese Tafel findet man in vielen Städten, meist ohne Preisangabe.) Ich fragte gegen 17:30 Uhr, ab wann es denn Paellas gebe. Man fragte erschrocken in der Küche zurück; offensichtlich war lange nicht mehr jemand auf die Reklametafel eingegangen. Die Antwort war: "Entweder jetzt sofort oder erst ab 22 Uhr." Hä? Was sollte das denn? - Dazwischen gab's nur Churros, ein süßes Gebäck, das man neben mir auch noch in Schokolade tauchte, als wir abends wenigstens den Magen anfeuchteten... - Wir verzichteten auf die Paellas.

Bei meinem Rundgang traf ich drei Pilgerinnen und zeigte ihnen den Weg zur Herberge. Es stellte sich heraus, dass sie als "Schnellläufer" einer Gruppe von insgesamt 3 Männern und 6 Frauen zum Quartiermachen vorausgeschickt worden waren. Als wir später wieder am Refugio eintrafen, waren schon alle da, hatten sich den Schlüssel besorgt - und uns ein Zweistockbett in einer Ecke reserviert. Das war aber nett! Später traf noch ein Radfahrer ein, ein Brasilianer, der nach Osten fuhr. Die Gruppe lief mit uns nach Westen, wollte aber den ganz großen Bogen an der Küste entlang machen und nicht über Oviedo gehen. Das bedeutete, dass sie nur noch bis zum nächsten Refugio (Sebrayo) mit uns parallel liefen, dann verzweigen sich die Pilgerwege. Eine so große Gruppe füllt natürlich die kleinen Refugios allein schon zum großen Teil. Aber, da die Gruppe so nett und rücksichtsvoll war, spielte das keine Rolle.

Weil das Wetter nicht so toll war und wir auch keine geeignete Unterkunft für die zweite Nacht gesehen hatten, ferner, weil ich wegen meiner Beschwerden froh war, überhaupt Oviedo zu erreichen, sahen wir davon ab, in La Isla unseren Reservetag zu verbrauchen.


09.08.2001, Donnerstag: Von La Isla nach Sebrayo, 16,5 km (455,5 km)

Die Nacht war ruhig. Alle waren "echte" Pilger, die müde genug sind, um früh im Bett zu liegen und zeitig aufzustehen. Als wir frühstückten, waren die ersten Schnellläufer der Gruppe schon wieder unterwegs. Gegen 9 Uhr rückten wir ab; nur der Brasilianer, der an seinem Fahrrad herumreparierte, war noch da. Wir liefen zunächst die oben beschriebene Straße: durch die Altstadt zurück, an Laden und Cafeteria vorbei zur Fernstraße; dort bis zum Hotel und dann rechts in einen Grasweg. Dieser knickt nach einiger Zeit urplötzlich nach links auf eine Wiese ab. Nanu? Wo war der Jakobsweg? Da kommt vor uns gerade der Haupttrupp der spanischen Pilgergruppe zurück, ratlos, kann den Weg nicht finden. Ich schaue in mein Handbuch.

Die folgende Szene erinnert mich an den Film "Die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten". Ich komme mir vor wie Gerd Fröbe, als deutscher Offizier, der seinen Doppeldecker nach schriftlicher Anleitung fliegt. Ich halte mein Handbuch hoch, die Spanier lachen belustigt. Ja, das wird auch gerade helfen können! "Also," sage ich, "nach meinem Handbuch geht es dort" - dabei drehe ich mich zu dem Wegeknick herum - "über zwei kleine Brücken weiter." Ich werd' verrückt, mir klappt der Unterkiefer herunter, die Spanier verstummen einen Moment verblüfft: da sind wirklich zwei kleine Brücken, so überwuchert, dass man sie von vorn nicht sah, erst jetzt von der Seite. Die Spanier applaudieren: Diese Deutschen und ihre Handbücher - einfach sagenhaft! :-))

Heute fällt mir der Weg besonders schwer. Dauernd plagen mich Koliken. In Colunga, noch weit vor dem Etappenziel, kaufen wir ein, da danach keine größere Stadt mehr folgt. Ich ringe mich dazu durch, in eine Apotheke zu gehen und mir ein Mittel gegen den Durchfall zu besorgen. (Wieder ein Wortfeld mehr auf Spanisch.) Da ich selten Medikamente nehme, wirken die Tabletten bald. Die Infektion und die damit verbundenen Koliken bleiben aber vorerst.

Unterwegs ein Straußenpaar auf der Wiese. - Lange Mittagspause unter Apfelbäumen. Dort holen uns die Spanier, die wir in Colunga in einer Bar zurückgelassen hatten, wieder ein. Ich habe nicht das Bedürfnis, mit ihnen um die Wette zu rennen.

In Priesca steht eine alte sehenswerte Kirche. Den Schlüssel gibt es in dem Haus davor, und vor dem tobten zwei widerliche Kläffer. Ich bin sowieso zu schlapp und setze mich auf eine Bank vor der Kirche. Ein Touristenpaar fährt vor, will den Schlüssel und mag dann nicht an den Kläffern vorbei. Aber deren Besitzerin kommt raus und macht eine Kirchenführung. Meine Frau schließt sich schnell an. - Ich sitze weiter im Schatten und sammele Kräfte. Auf einmal höre ich nur noch einen der Hunde, und der jault. "Hat den zweiten eine Schlange gebissen?" denke ich hoffnungsvoll. Nein, der hat es geschafft, seine Kette freizubekommen und steht jetzt verdattert - ob der ungewohnten Freiheit - auf dem Dorfplatz. Sein Bellpartner jault aus Trennungsschmerz. (Da kann man mal sehen, dass eine Kette nicht sicher ist.) Der unverhofft Freie schnüffelt ein wenig verlegen herum. Ich habe keine Angst vor ihm, dazu ist er zu klein, und er ist nicht mehr auf seinem Terrain, auf dem er sich stark fühlte.

Nun kommen alle wieder aus der Kirche. Ich beobachte den Hund. Der überlegt sichtlich: Äh, Terz machen oder nicht? - Er entschließt sich und schießt bellend wie eine Furie auf die Fremden zu. Aber seine Besitzerin schnappt ihn sich rechtzeitig. Sie hätte beide Hunde mal erziehen sollen...



Vor dem Refugio von Sebrayo
Dann sind es nur noch 2 km bis zum Refugio von Sebrayo. Es liegt wieder abseits von allem, in Reichweite einer Autobahnbaustelle. Eine junge Familie wohnt als Betreuer im ersten Stock und mischt sich gern unter die Pilger. Die Spanier sind natürlich schon da, räumen für uns zwei nebeneinander liegende untere Betten frei, da sonst nur noch oben Plätze gewesen wären, was sie uns Älteren nicht zumuten wollen. Sowas habe ich auf dem Camino Francés nicht erlebt. Als sie erfahren, dass ich eine Darmgrippe habe, bringen sie von einer Tienda, einem kleinen Kramladen, Zitronen mit. Außer Zitronenwasser dürfe ich nichts zu mir nehmen. Ich mag Zitronenwasser gern, trinke es aber aus Dankbarkeit mit den entsprechenden Grimassen, so dass alle lachen.

Später kommt ein älteres, französisches Paar, das mit Fahrrädern unterwegs ist, dazu. Sie sind Aussteiger, haben zu Hause alles verkauft und bummeln nun schon seit Jahren durch die Welt, waren schon überall. In diesem Jahr geht's halt den berühmten Jakobsweg auf der Nordroute entlang! - Dann deutsche Laute: Uwe aus Berlin mit Sohn Jupp (12 Jahre, in Pfadfinderkluft). Die beiden gehen wie wir in Richtung Oviedo, haben die 1. Auflage des Handbuchs mit. Einige Male haben sie sich fürchterlich verlaufen und sind zum Teil einfach auf der neuen Autobahn (die noch nicht freigegeben ist) weitergegangen. Uwe ist ein Praktiker. Zuerst schmiert er die kreischende Schlafsaaltür mit Olivenöl. Sogar die Franzosen klatschen Beifall; sie liegen seit 21 Uhr im Bett und schimpfen über den Lärm, den wir übrigen - einschließlich der Betreuerfamilie - draußen machen. - Bei einer nicht funktionierenden Lampe muss lediglich die Birne nachgedreht werden. Nur die Spülung in der Herrentoilette bringt auch Uwe nicht wieder in Gang. Wir haben ein Bett zu wenig, aber Jupp legt sich einfach mit seiner Isomatte in eine Nische auf den Boden. Meine Frau und ich fühlen uns unter diesen Mitpilgern sehr wohl.

Nachts achte ich darauf, möglichst auf der Seite zu liegen, um wenig zu schnarchen. Es gelingt nicht ganz. Zwei der Spanier versuchen, mit Schnalzen den Schnarcher halb zu wecken, damit er sich umdreht. (Das haben sie auch schon vorige Nacht gemacht.) Ich stelle fest, dass Uwe auch ganz schön sägt, wie Jupp schon angekündigt hatte... Aber niemand beschwert sich, auch nicht am Morgen. Also, mit solch netten Leuten lässt es sich wirklich gut aushalten.

Der Kramladen ist übrigens schwer zu finden. Er ist in einem der Bauernhäuser, links hinter dem Refugio. Die alte Frau dort wusste nicht einmal die Preise. Erst abends gab's Zettel mit den ausgerechneten Summen. - Oberhalb des Refugios verläuft die Fernstraße. Das dort deutlich sichtbare weiße Haus ist ein Restaurant (aber eben ziemlich weit weg).


10.08.2001, Freitag: Von Sebrayo nach Valdediós, 16 km (471,5 km)

Auf dieser Etappe muss man wirklich aufpassen, da der Autobahnbau alles durcheinander bringt. Schon 1 km hinter dem Refugio darf man nicht mehr den gelben Pfeilen folgen (die sich vor der neuen Trasse totlaufen), sondern muss nach links unter der neuen Autobahnbrücke durch zu einem kleinen Dorf nach rechts hoch. Von der Brücke waren allerdings erst die Pfeiler fertiggestellt.

Später sieht man in der Ferne noch einige Male abschiednehmend das Meer, besonders vor dem Meeresarm, der sich nach Villaviciosa hineinzieht. - Dann kommt eine Stelle links der Autobahntrasse, wo es geradeaus nur noch wenige Hundert Meter weitergeht, wie man schon sieht. Hier muss man (in Abweichung von der Beschreibung des Handbuches) einer Piste scharf links steil nach oben folgen und erreicht die kleine Landstraße, die im Handbuch erwähnt ist, nur etwas früher.


In Villaviciosa verproviantieren wir uns, noch weit vor dem Etappenziel. (Vor Valdediós gab es 2001 einen kleinen Laden in einer Bar, aber 2009 war alles geschlossen.) Es ist eine schöne Stadt, mit einem sehenswerten Stadtpark. Dort fanden wir auch das Touristenbüro. Hier bekam ich sofort das offizielle Unterkunftsverzeichnis für Asturien, das ich anderntags verwenden wollte.

In der Altstadt trafen wir auf Uwe und Jupp, später auf einen der Spanier. Er erzählte uns, dass die Gruppe schon zusammenschmelze, weil einige nur wenige Tage Zeit gehabt hätten. Ich bedankte mich nochmal bei ihm; er war es, der uns sein Bett geräumt und mir die Zitronen besorgt hatte. (Entgegen seinem Rat esse und trinke ich aber alles, was drinbleibt, um bei Kräften zu bleiben. Das mache ich immer so, hat sich auch immer bewährt.)


Begegnung in Villaviciosa:
Uwe und Jupp aus Berlin

Eine aktuellere Beschreibung des nun folgenden Weges von Villaviciosa bis Oviedo findet sich in meinem Pilgerbericht von 2009.



Renovierte Kirche San Juan
in Amandi

Hinter Villaviciosa führt der Weg durch einen Park, einen Fluss entlang. Jenseits der folgenden Fernstraße liegt oben im Örtchen Amandi die vorbildlich renovierte Kirche San Juan, die man nicht verpassen sollte.

Nun ziehen wir nach Süden. In einem kleinen Dorf verzweigt sich der Weg: Geradeaus nach Santiago de Compostela, weiter die Küste entlang; hier wird der Rest der spanischen Gruppe weiterziehen. Links ab geht's nach Oviedo. Eine hilfsbereite Frau ruft gleich, wohin wir wollen, als wir nur einen Moment das Bild der beiden Kacheln auf uns wirken lassen. Ich schwenke den Stock und wende mich nach links: "A Oviedo!" Sie ist zufrieden.


Mittags die übliche Rast auf einer Apfelbaumwiese. - Später, wir sind schon wieder unterwegs, kommen wir zu einem älteren Spanier, der sein Auto vor einem Ferienhaus, an dem er wohl an den Wochenenden herumbastelt, wäscht. Unseren Gruß erwidert er herzlich und lädt uns zu einem Schluck Wasser ein. Als wir das annehmen und gern auf seine Fragen antworten (ich verstehe ihn aber sehr schlecht), holt er sogar eine Flasche Cidra und zeigt uns, wie man den fachmännisch eingießt.

Ich habe sonst immer gedacht: "Na, der hat wohl kein Zielwasser! Da geht ja jede Menge daneben, ehe was im Glas landet." Inzwischen weiß ich, dass das so sein muss. Warum, weiß ich allerdings jetzt noch nicht. - Cidra schmeckt mir nur mäßig, aber wir freuen uns sehr über die Freundlichkeit des alten Mannes. Für ihn und für die alte Frau, die mir den Auftrag gegeben hat, habe ich auf dem restlichen Weg besonders gebetet.


Cidra für die durstigen Pilger

Hinter Ambás zweigt eine breite Asphaltstraße ins Tal zum Kloster Valdediós ab, der wir folgten. Der Jakobsweg geht hingegen geradeaus weiter, weil er das Kloster im Tal liegen lässt. Dabei sollte man es nicht verpassen. Das Kloster liegt fast am Ende eines Tals; danach hat man endgültig die Kette des Kantabrischen Gebirges nach Süden hin wieder erreicht und muss über einen Pass. Bis Ambás ist schon wieder eine ziemliche Höhe gewonnen. Die verliert man wieder, wenn man zum Kloster hinabsteigt. Trotzdem ist dieser (entfernungsmäßig geringe) Umweg unbedingt zu empfehlen. Denn sowohl das Kloster selbst als auch der Weg von ihm bis zum Pass hoch sind ein Erlebnis (das nur wieder von besonders vielen bellenden Hunden beeinträchtigt wurde).

Erst nach einiger Zeit wurde die Asphaltstraße nach Valdediós, auf der fast kein Verkehr war, schmaler. Kurz vor dem Kloster liegt rechts eine Bar mit einem kleinen Laden (tienda).


2009 fanden wir die Tienda verschlossen vor, aber es gab Anzeichen, dass sie zeitweise geöffnet war. Man muss außerdem beachten, dass das Handbuch von Raimund Joos einen wahrscheinlich schöneren Weg zum Kloster empfiehlt, der aber nicht an dieser Tienda vorbeiführt.


Die Wirtin saß davor und wartete auf Kunden, fragte uns freundlich aus. Dann direkt vor dem Kloster ein Restaurant, was wir uns vormerkten. (Das war 2009 auf Dauer geschlossen.) Nun waren wir gespannt. Die asturischen Refugios waren in Ordnung, das wussten wir schon. Aber nahm dieses Kloster wirklich Pilger auf? Oder war das wieder eine Caminoparole wie über Cóbreces?

Wir betreten den Klosterhof. Rechts ein Souvenirladen "Tienda". Links eine sehenswerte Kirche im asturischen Stil. Geradeaus der Haupteingang zur Klosterkirche und zum Kloster selbst. Touristen warten in Gruppen auf geführten Einlass. Ein Mann schellt an der Klosterpforte, fragt nach Pater Máximo. Hm, nach ihm schelle ich auch. Diese Sprechanlage finde ich unsympathisch. Warum kommt niemand persönlich? - Man fragt nach meinem Begehr. Ich sage meinen Spruch von den Pilgern, nicht allzu laut, da einige Touristen alles verfolgen und uns angaffen. Die Antwort ist nur: "Was ist?" Oje, der Mönch ist wohl schwerhörig. Also lauter: "Wir sind Pilger und..." Weiter komme ich nicht, denn er unterbricht mich mit einem "Ach so" und schaltet ab. Das war's. Wir stehen blöd rum. Nochmal schellen? Ich traue mich nicht. - Ein Fremdenführer kommt, gibt uns den Tipp, sich in der Tienda zu melden. Wir also hin. Die Dame sagt: "Das macht Pater Máximo, da kommt er ja gerade." Richtig, mit dem Besucher, der nach ihm gefragt hat.

Ich trete auf ihn zu und sage meinen Pilgerspruch, halte ihm meinen Pilgerausweis und sogar die Aussende-Urkunde unserer Gemeinde unter die Nase. Er schaut sich den Text, der in vier Sprachen verfasst ist, an und kommentiert dann mit einem Wort, das ich nicht verstehe, aber vom Tonfall her (etwas belustigt) "beeindruckend" bedeuten könnte. Wahrscheinlich war es Englisch. "Gut," sagt er dann, "wartet hier." Er muss sich natürlich erst um seinen Besucher kümmern, das ist ja klar. - Wir machen es uns zufrieden auf Bänken im Klosterhof bequem und schreiben etwas. Nach etwa einer halben Stunde ist Pater Máximo wieder da und schließt uns eine Tür gleich neben dem Klostereingang auf. Dahinter liegt eine ausgezeichnete Pilgerherberge: ein großer Schlafssaal mit viel Platz (14 einstöckige Betten!), ein Aufenthaltsraum (mit Reservematratzen), zwei Duschen- und Toilettenanlagen (vom feinsten, sogar mit Duschvorhang), eine kleine Küche. Ich formuliere im Kopf gerade einen Satz wegen dem Schlüssel, da fragt er etwas ungeduldig: Ob wir zufrieden seien? - Wir nicken und rufen ein paarmal "Si, si!" Dann: Wie kommen wir raus (keine Klinke) und rein? Er gibt uns einfach den Schlüssel. Wann wir morgen weiter wollen? 9 Uhr? Kein Problem, dann können wir ihm den Schlüssel in der Tienda abliefern.

Wir haben das Reich für uns. Wieder himmlische Ruhe! 19 Uhr besuchen wir einen der fünf täglichen Gottesdienste, zu denen die Mönche sich versammeln. Oh, oh, es sind noch ganze sechs, und Pater Máximo (ich schätze ihn auf 45) ist der jüngste - und eitelste: Wie an diesem Abend kommt er auch am anderen Morgen zu spät, singt demonstrativ alles auswendig usw. Uns gegenüber streut er englische Sätze zwischen sein Spanisch. - Außerdem gibt es noch zwei junge Männer in Zivil, die vor den Mönchen in der Bank ihren Platz haben. Novizen? - Ansonsten scheinen im Kloster einige Leute zeitweilig zu wohnen. Wahrscheinlich bietet man Exerzitien und Ruhezeiten ("Kloster auf Zeit") an. Vernünftig. Wir fragen uns, wie diese riesige Anlage unterhalten wird. (Erst am anderen Tag sehen wir von oben, wie riesig sie wirklich ist.) Das kann bei 6 Mönchen und 2 Novizen nicht lange gut gehen, da ist der reichste Orden am Ende...

Vor dem Gottesdienst habe ich das Restaurant ausgespäht. Im Obergeschoss ein großer Speisesaal. Ab wann gibt's denn was zu essen? Der Wirt brummelt Unverständliches. "Ab wann?" hake ich nochmal nach. "Um 9 rum!" Er ist sichtlich genervt. - Punkt 9 Uhr lugen wir um die Ecke. Ich habe zum ersten Mal seit Tagen wieder etwas Hunger. Bis dahin hatte ich einen Widerwillen gegen jegliches Essen, habe mit Müh und Not etwas hineingezwängt. Wir sind natürlich die einzigen Gäste, dürfen aber vor der Theke Platz nehmen. Speisekarte? Au wei, wieder ins Fettnäpfchen! Ich sehe es an seinem Gesichtsausdruck. "Also, was haben Sie denn?" Das ist der richtige Ansatz. Er zählt einiges auf. Wunderbar, also Salat, Pommes, Fisch, das nehmen wir doch. Er ist schon wesentlich zufriedener, bringt für mich ein großes Bier und für meine Frau eine Flasche Wein. "Moment", sage ich, "ich hatte nur ein Glas bestellt." Er winkt ab: "Bedienen Sie sich einfach!" - Da hat er Recht. Er muss nämlich in die Küche und für uns brutzeln. Mir geht auf: Das ist ein Ein-Mann-Unternehmen hier!

Leider schmeckt es mir noch nicht so gut wie ich dachte. Meine Frau isst den Löwenanteil, hat in den letzten Tagen ja auch nicht viel auf den Teller bekommen. Dann brütet der Wirt über der Rechnung. (Es war schon klug von mir, nicht nach dem Preis zu fragen. Inzwischen habe ich einiges gelernt.) Dann schreibt er einfach: "2 Menüs 3.000 P.", inklusive Wein, dem meine Frau recht tapfer zugesprochen hat. Das ist völlig in Ordnung. Ich lege noch 100 P. Trinkgeld dazu. Da strahlt er, dass er seine "schwierigen" Gäste zufrieden gestellt hat, und wir machen uns auch satt und fröhlich auf den Heimweg.

Das Kloster Valdediós hat uns positiv überrascht. Alles so still und friedlich. Dazu die Gesänge in der Kirche, die wirklich zum Meditieren einluden. Was ich mir - auch letztes Jahr - von einer Pilgerfahrt erträumt habe: Hier wurde es einmal Wirklichkeit. "Der geistige Höhepunkt unserer Pilgerfahrt" sagte ich am andern Morgen zu Pater Máximo. War keine Schleimerei, ich meinte es ehrlich.


11.08.2001, Samstag: Von Valdediós nach Pola de Siero, 21 km (492,5 km)

Morgens klingelte der Wecker um 7 Uhr, um 7:45 Uhr waren wir in der Kirche zu den "Laudes". Dann haben wir den Schlüssel abgegeben und uns nochmal bedankt. - Der Weg führt rechts an der Klostermauer vorbei hoch. Am nächsten Haus versperrt uns ein Giftzwerg von Köter den Weg. Ich lasse meine Frau vorgehen, damit ich die gefährdete Nachhut bilde (weiß man seit der Geschichte mit Roland ;-) Der Hund geht nicht wie üblich zur Seite, zum Haus hin, sondern sperrt weiter, schäumt. Spinnt der? Wir gehen, wie man es soll, stur weiter, ohne ihn besonders zu fixieren. Im letzten Moment weicht er zur Seite; dann spüre ich, wie er mir hinten an der Hose hängt. Da hört der Spaß aber auf! Ich fahre mit dem Stock herum, brülle und renne hinter ihm her. Er weicht den Schlägen geschickt aus. Fast hätte ich meinen guten Teleskopstock auf dem Pflaster ruiniert. Die Bauersfrau erscheint, sagt aber nur ein paar halbherzige Worte zu dem immer noch wütend bellenden Hund. Meine Frau bückt sich und kontrolliert auffällig die Hose nach Schäden. Es ist nichts. Aber die Bauersfrau denkt auch nicht daran, sich zu entschuldigen.

Etwas weiter der erste Blick zurück auf die Klosteranlagen. Da könnte man Hunderte von Mönchen unterbringen und sie mit eigener Landwirtschaft ernähren. So war das früher garantiert auch. Dann geht's steil hoch. Wir machen ganz kleine Schritte und lassen uns Zeit. Es geht durch zwei Dörfer, beide mit sehr unangenehmen Hunden. Zwei alte Männer - wir haben sie in der Kirche gesehen - fragen erstaunt, ob hier denn der Jakobsweg vorbeiführe. Ja, der von Michael Kasper! :-) Nein, ich antworte: "Es ist eine Nebenstrecke; der Hauptweg führt oben parallel zur Fernstraße her." - Weiter steil hoch. Im Handbuch ist jeder Abschnitt mit seiner Länge angegeben. So bewältige ich den Aufstieg, Stück um Stück. (Meine Frau hat sowieso keine Probleme.) Oben ein letzter Blick ins Tal, ganz hinten noch einmal das Meer, unten das Kloster. -



Schönes Refugio in
La Vega de Sariego

An der Kreuzung auf dem Pass liegt eine Fernfahrerbar, gerade richtig für unseren café con leche. Wir rufen auch zu Hause an. Inzwischen haben wir eine Telefonkarte einer privaten Firma. 1.000 P. für 45 Minuten nach Deutschland. Sagenhaft billig. - Wir wollen die Strecke nach Oviedo in etwa hälfteln und daher in Pola de Siero übernachten. Aus meinem Unterkunftsverzeichnis rufe ich das einzige(!) Hostal an: Completo! Sch... Da ist guter Rat teuer.

Aber erst einmal tippeln wir die 7,5 km bis La Vega de Sariego, wo es ebenfalls ein Refugio gibt. Direkt an der Straße, sieht sehr gut aus. Es sind noch gut 27 km bis Oviedo, das ist mir für morgen zu viel.


Nach Studium unserer Karten vermute ich, dass gut 1 km entfernt auf der Fernstraße ein Bus in Richtung Oviedo fährt. Wir sitzen auf einer Bank auf dem Dorfplatz, an dem auch das Refugio steht. Da kommt wieder ein "hilfreicher Spanier". Es ist der Apotheker, ein Nachbar des Refugios. Er weiß zwar nicht, wann ein Bus fährt, bringt es aber für uns in Erfahrung: 12:40 Uhr - Nun muss man wissen, dass "hilfreiche Spanier" lieber eine falsche Auskunft geben als eine Wissenslücke erkennen zu lassen. (Deshalb setze ich "hilfreicher Spanier" immer in Anführungsstriche.) Wir laufen in der Mittagshitze zur Fernstraße, der Bus kommt nicht. (Wenn es doch aushängende Fahrpläne gäbe!)

Also zurück. Prompt treffen wir wieder den Apotheker. Dem ist die Sache arg peinlich. Er macht es wie ich immer: er holt seine Frau zu Hilfe. Diese hat die Sache im Griff, besorgt die richtigen Zeiten. Ich merke mir vor allem die für morgen früh. Wir haben uns nämlich anders entschlossen: Anstatt heute mit dem Bus nach Pola de Siero zu fahren und von dort nach hierhin zurückzulaufen (was mir sowieso nicht gepasst hätte: falsch herum!), laufen wir lieber heute nach Pola de Siero und kommen von dort mit dem Bus zurück. Das Apothekerpaar kapiert zwar meine gestammelten Erklärungen nicht, ist aber zufrieden, weil wir's offenbar auch sind. - Nach einer mittäglichen Stärkung geht es also die ca. 10 km nach Pola de Siero, immer eine Landstraße entlang, die sogar auf meinen Karten steht. Die Sonne brennt, und die zahlreichen Hunde sind schlimm wie nie. Von überall her kläfft und grollt es, manchmal von beiden Seiten zugleich. Rechts liegen niedrige Berge. Der Autobahnbau verläuft dahinter, hat dieses Tal verschont.

Am Ortseingang von Pola de Siero geht es von der schräg nach links abknickenden Straße geradeaus, aber das im Handbuch erwähnte Schild "Stop 100 m" gibt es nicht mehr. Die Straße heißt auch erst im weiteren Verlauf Calle de San Antonio. Hier darf man sich also nicht irritieren lassen. So vermeidet man eine hässliche Vorstadt. - In Pola in die nächste Bar: Unterkunft? Nein, außer dem Hostal, das ja schon belegt war, nichts. Allenfalls 5 km an der Fernstraße. Nein, kam nicht in Frage. Also haben wir auf vielfachen Wunsch meiner Frau die Kirche besichtigt. 16:50 Uhr am Busbahnhof. (Er liegt weiter oben in der Stadt, parallel zum Pilgerweg.) Keine Schalter besetzt, Fahrkarten im Bus. Busfahrplan. Na also!

Es war nicht ganz leicht, unter den fast zur gleichen Zeit vorfahrenden Bussen den richtigen (Richtung Villaviciosa, 17:50 Uhr) zu finden, aber die freundlichen Fahrer gaben bereitwillig Auskunft. Einheitspreis 130 P. pro Person für Kurzstrecken wie üblich. Gut, dass wir die Bushaltestelle am Abzweig nach La Vega de Sariego schon kannten. Aber sonst hätten wir den Busfahrer um Hilfe gebeten. Danach zum dritten Mal heute diesen Weg in den Ort (natürlich immer mit vollem Gepäck). Pilgermäßig hatten wir damit Pola de Siero erreicht, obwohl wir in La Vega de Sariego übernachteten.

18:30 Uhr am Refugio. Ich klopfe, halb aus Spaß, an die geschlossene Tür. Ein älterer Spanier öffnet. - Es ist ein Pilger, der schon viel herumgekommen ist. Zur Zeit geht er nach Oviedo wie wir (Oh, da sehen wir uns ja morgen wieder!). Ein nicht sehr redseliger, sehr zurückhaltender Mensch, dessen Qualitäten man nicht sofort entdeckt. - Es gibt 3 Zimmer: 4+4+8 Betten. Also haben wir zwei Parteien jeder ein Zimmer für uns. Auf der Dachterrasse lässt sich die Wäsche trocknen, aber es gibt keine Leinen. - Auch fehlt eine Küche, im Gegensatz zu dem, was das Handbuch schreibt. Dafür sind im Ort Läden und Bars nicht weit. Gegenüber, in der Bar Casa Rufo meldet man sich bei der Betreuerin, wieder mal eine ältere Dame, an. Es stellt sich heraus, dass sie gleich für alles sorgt. Man bekommt den Stempel, kann in ihrem Kramladen einkaufen - und sie freut sich, für einen etwas zu essen zu machen! Sowas Liebes! Diesmal bin ich schlauer: Keine bohrenden Fragen nach Speisekarte und Preisen; das sieht nach Misstrauen aus, als ob man erwarte, übers Ohr gehauen zu werden. Ich habe endlich wieder Appetit und zeige zögernd auf eine Tütensuppe im Regal als Vorspeise. (Die wünsch' ich mir so, gab's den ganzen Pilgerweg noch nicht). Gar kein Problem! -

Unser Pilgerfreund kommt dazu, kann aber keine Wünsche loswerden, da unsere Wohltäterin in der Küche verschwunden ist. Wir haben uns schon mal Wein aus dem Kühlschrank geholt (ja, wir haben es inzwischen wirklich begriffen). - Meine Frau ist wieder geselliger als ich und lädt unsern Pilgerbruder ein mitzutrinken. Er setzt sich zögernd dazu. Die Wirtin bringt die Suppe, meine Frau will lieber schon Salat. Unser Pilgerfreund äußert bescheiden, dass er dasselbe möchte wie wir (weil das am einfachsten für sie ist). Zur Belohnung bekommt er gleich die andere Hälfte der Suppe, meine Frau ihren Salat (den sie auch bestellt hatte). So essen wir alle drei friedlich und zufrieden. Auch die Rechnung - für jeden 1.200 P. - war völlig in Ordnung.

Ein Problem ist der einzige Schlüssel des Refugios. Weil es an der Straße liegt, kann man die Tür schlecht sichtbar offen lassen, eine Klinke hat sie leider nicht. - Nun, in unserem Fall blieben wir ja sowieso zusammen, bis es Zeit war, schlafen zu gehen.


12.08.2001, Sonntag: Von Pola de Siero nach Oviedo, 17,5 km (510 km)

Am anderen Morgen wieder einmal zur Fernstraße. Unser Pilgerfreund ist längst in Richtung Oviedo unterwegs. Um 9:30 Uhr soll der Bus kommen. Ich werde schon nervös, da kommt er um 9:42 Uhr. Am Busbahnhof in Pola de Siero kennen wir uns aus. Eine Straße parallel, und wir sind auf dem Jakobsweg. Erst noch einen café con leche, wir haben Zeit. Der Weg ist heute nicht der beste, kann man im Umfeld einer größeren Stadt auch nicht erwarten.

Die Hunde sind noch schlimmer als gestern. Es gibt sehr viele Villengrundstücke in den Randgebieten, und da laufen sie frei herum, drohen jeden Moment, über die Absperrung zu springen. Einmal kommt uns ein größerer Hund tatsächlich auf die Straße nach, aber sein Besitzer hat es gemerkt, läuft hinterher und zerrt ihn zurück (rufen half nichts!). Was das Hundeproblem angeht, ist dieser Abschnitt der schlimmste unserer Pilgerfahrt.

Hinter einer weiträumigen Straßenbaustelle auf einmal ein paar Baracken: Dunkle Typen schauen uns nach. Ein Zigeunerlager. Einige Kilometer weiter, hinter einem alten, halb renovierten Palast, mitten in der Natur, ein weiteres Lager. Hütten und Haufen mit sortiertem Schrott. Einige Leute schauen neugierig, wir auch. Ich lächele freundlich in die Runde, hebe grüßend die Hand. Von diesen Menschen geht nichts Bedrohliches aus. Sie grüßen ebenso freundlich wieder.

Dann weist das Handbuch auf eine Stelle am Fluss Nora hin, an der man angeblich gut pausieren kann. Bei dieser Hitze täte Schatten gut. Wir biegen ab, da toben schon wieder zwei Hunde, auch wenn sie angeleint sind. Der Gang zum Fluss ist uns vermiest. Wer weiß, welcher Hund glaubt, da unten sei sein Terrain? Zwei Häuser weiter ist ein Ausflugslokal. Dann pausieren wir eben dort. Noch einmal geht es über eine schöne alte Brücke (vor Colloto). Um 14:48 Uhr haben wir laut Ortsschild den Stadtrand von Oviedo erreicht. Die "Last der letzten Kilometer": In brütender Hitze in die Stadt hinein.


Um 15:45 Uhr sind wir an unserem Pilgerziel, der Kathedrale. Ich möchte die Strophe des Pilgerliedes von "San Salvator", der Kirche von Oviedo singen, aber meine Frau muss unbedingt gleich ein Foto machen (jeden Moment kann die Kathedrale ja davonrennen). Als das mit vielem Hin und Her gemacht ist, ist meine Hochstimmung verflogen. Ich habe keine Lust mehr zu singen. Wir sind nur noch "angekommen".

Also, eben ohne Feierlichkeiten in die Kathedrale rein. Wiedermal "Denkste!" Die Kathedrale ist geschlossen, ohne jeden Hinweis. Sonntags ist in Oviedo anscheinend alles geschlossen: die Kathedrale, das Touristenbüro... Diese Stadt ist zunächst eine einzige Enttäuschung, denn es kommt noch besser.


Am Ziel: Vor der Kathedrale von Oviedo

Im Schaufenster des Touristenbüros findet sich wenigstens der Hinweis, dass die Kathedrale am Spätnachmittag geöffnet wird. Wäre ja auch noch schöner, am Sonntag! - Also, nach einer Pause zum Refugio. Es ist leicht zu finden und nicht weit. Irritiert schaue ich auf die Bürozeiten draußen: Ja, hier ist das Büro der asturischen und leonesischen Pilgerfreunde, mo-fr 19:00 bis 21:30 Uhr, sa 20 bis 21 Uhr. "Sonntags haben die zu" sage ich auf westfälisch witzelnd zu meiner Frau. "Quatsch," sagt sie, "das sind die Bürozeiten!" - Klar, ein Refugio ist immer geöffnet; und sonst ist eine Telefonnummer angegeben, und die fehlt hier ja. - Also "schloss ich messerscharf, dass nicht sein kann, was nicht sein darf" und klopfte energisch an die Tür. Einen Moment später öffnete unser Pilgerfreund von gestern. Wir freuten uns über das Wiedersehen.

Dann stutzen wir: Er hat einen Schlüssel, aber sonst ist niemand da. Noch besser: Auch er hat niemanden gesehen. Ich bin perplex. Äh, wie er denn an den Schlüssel gekommen sei? Den hat er von einer Pilgergruppe, die noch bis Mittag auf ihren Bus gewartet hat. Ich falle fast hintenüber: Wenn es nicht diese für uns glückliche Verkettung von Umständen gegeben hätte (von Samstag noch Leute mit dem Schlüssel bis relativ spät am Sonntag da; unser Pilgerfreund, der morgens gleich loseilt und deshalb so früh eintrifft, um noch den Schlüssel zu übernehmen), hätten wir alle drei vor geschlossener Tür gestanden. - Ja, spinnen die denn komplett, die asturischen und die leonesischen Pilgerfreunde? Und keinerlei Hinweis in den Refugios davor, dass "Oviedo sonntags geschlossen" ist. Ausgerechnet sonntags, wenn auch das Touristenbüro geschlossen ist, was die Suche nach einer Unterkunft besonders erschwert.

Die im Handbuch angegebene Telefonnummer habe ich glatt vergessen. Die hätte unser spanischer Freund ja mal ausprobieren können. - Jetzt zeigt sich seine umsichtige und hilfsbereite Art: Er hängt einen Zettel mit seiner Mobiltelefon-Nummer an die Tür, weil er ja den (einzigen) Schlüssel hat und ebenfalls noch in die Stadt will. Wir kündigen an, um 21:30 Uhr wieder zurück zu sein, was uns große Probleme bescherte: Messe in der Kathedrale, zum Bahnhof wegen Fahrkarten, Abendessen und Einkaufen; das war doch ein bisschen viel für die zur Verfügung stehende Zeit. Nun, wir strichen das Abendessen (das wir im Refugio nachholten) und schellten um 21:30 Uhr an der Tür; unser Freund schmunzelte über die sprichwörtliche deutsche Pünktlichkeit.

Weitere Pilger kamen nicht. So hatten wir viel Platz in dem großen, langgestreckten Schlafraum. Am Morgen war unser Freund früh auf und verabschiedete sich. Den Schlüssel ließen wir einfach auf dem Tisch im Vorraum. Einen Stempel hatten wir alle nicht bekommen. - Ihr lieben asturischen und leonesischen Pilgerfreunde: Das ist nicht in Ordnung!

So hatte unsere Pilgerfahrt aber ein erfolgreiches Ende genommen.


Rückreise über Burgos und Bilbao

Die Rückreise begann am Montag, den 13. August, von Oviedo aus. Wir verließen um 9:00 Uhr das Refugio, ließen den Schlüssel auf dem Empfangstisch liegen und zogen einfach die Tür zu. Da noch Zeit war, besuchten wir noch die Kirche San Julián, die im sog. asturischen Stil, noch vor der Romanik, erbaut wurde. Zwar war sie montags geschlossen, aber wir durften wenigstens an der Putzfrau vorbei hineinlugen.

Dann wollten wir uns noch einen Stempel für unseren Credenciál besorgen, aber da wusste (ausgerechnet in Oviedo) keiner Bescheid: das Touristenbüro schickte uns zur Cámara Santa in dem Dom, dort verwies man uns an die Sakristei... Wir winkten ab und gaben es auf.

Die Zugfahrt nach Bilbao kostete 5.400 P. pro Person (ca. 60 DM/32,40 EUR). Der Zug hatte nur zwei Wagen, mit Großraumabteilen, Klimaanlage, usw. Die Fahrt durchs Kantabrische Gebirge bis León war ein Erlebnis. Dann kam die Meseta. Ich erkannte tatsächlich den Abschnitt des Camino wieder, den ich mit Harald im letzten Jahr gegangen war. Gegen 14:45 Uhr (mit 3/4 Stunde Verspätung) kamen wir in Burgos an. Draußen tobte ein Gewitter. Im Bahnhof kein Informationsstand und kein Stadtplan (umsonst) zu bekommen. Wir beschlossen, zuerst zum Refugio zu gehen, um dort zur Not zu übernachten. Auf dem Weg dorthin sah ich vor dem Park, in dem das Refugio ist, einen Informationskiosk, der ab 17 Uhr geöffnet sein sollte. Hervorragend!

Meine Frau kannte Burgos und damit das Refugio noch nicht. Wir erhielten für zus. 1.000 P (6 EUR). Bett 84 und 85, idiotischerweise weder über- noch nebeneinander. Die zwei Holzbaracken mit den Schlafräumen enthielten jede über 60 Betten, so dicht aneinander, dass (bei vergitterten Fenstern) auch am Tage bei einem Feuerausbruch die meisten den einzigen Ausgang nicht mehr lebend erreicht hätten. - Um 17 Uhr zum Infokiosk. Die junge Dame gab uns fix einen Stadtplan, zeichnete einige nahe Hostales im gewünschten Preisrahmen ein, und schon konnten wir los. An der Straße zum Bahnhof vorbei in Richtung Innenstadt, dann rechts in die Straße La Concepción, 14, Hostal Termiño. Dort bekamen wir sofort ein Zimmer mit eigenem Bad für 5.500 P./33 EUR. Super! Gleich wieder zurück zum Refugio. Dort wimmelte es (bei anhaltendem Regenwetter) schlimm. Wir packten fix und meldeten beim Empfang die Betten als frei (die 1.000 P. ließen wir gern als Spende dort), damit zwei arme Pilger weniger auf der Straße lagen. Dann ging's in bester Laune in die Innenstadt, wo der Dom allerdings schon geschlossen war. Nach einigem Suchen fanden wir auch ein passables Lokal für ein Abendessen.

14. August 2001, Dienstag: Herrlich geschlafen und dankbar rumgehangen. Die Darmgrippe überwunden: endlich wieder Appetit! Neben dem nahen Stadttor Arco de Santa María gab's ein spanisches Frühstück (235 P.). Dann endlich zum Dom und später noch zur Festung rauf. Schließlich ein Stück den Jakobsweg durch die Innenstadt entlang. In der Calle de los Avellanos fanden wir ein kleines Lokal Mesón Astorga, in dem es tatsächlich wie draußen angekündigt ein Mittagsmenü für nur 1.000 P./6 EUR gab. Und zwar u.a. mit Bacalao (Stockfisch) in Tomatensoße. Hmmmm!


Meine Frau sagte wiederholt, dass sie es als angenehm empfand, so viele Pilger in der Stadt zu sehen. Hier wurde man nicht mit einem Landstreicher verwechselt. Zwei Damen aus Oregon/USA standen hilflos vor einer neuen Bronzestatue, die einen fast nackten und lädierten Pilger darstellte. Wir erklärten, worum es ging. Sie waren begeistert. In den USA könne niemand einfach so durch die Lande ziehen, das sei viel zu gefährlich, auch auf Campingplätzen.

Bronzeskulptur eines Pilgers in Burgos


Danach kam eine sprachliche Bewährungsprobe: In Bilbao in der Herberge anrufen, dass wir das 4 Wochen vorher bestellte Doppelzimmer weiterhin haben wollten, aber nicht vor 21 Uhr (statt 20 Uhr) ankommen konnten. Es meldete sich nur der Anrufbeantworter. Nach zwei weiteren Versuchen las ich dann einfach meinen vorbereiteten Text ab und sprach ihn auf Band. Geht denn da nie jemand ans Telefon? - Zu unserem Schreck hatte der Zug nach Bilbao auch noch 3/4 Verspätung, was außer uns niemand zu beachten schien. Nach einer landschaftlich wieder sehr schönen Fahrt durch das Kantabrische Gebirge erreichten wir gegen 20:45 Uhr Bilbao.

Zum Glück kannten wir uns ja aus. Raus aus dem Bahnhof und gegenüber zur Bushaltestelle. (Laufen hatte zeitlich gar keinen Sinn.) Glück: Schon um 21 Uhr kam ein Bus. - 21:20 Uhr bin ich am Empfang der Jugendherberge: Unser reserviertes Zimmer ist vergeben, weil wir nicht um 20 Uhr da waren! "Aber ich habe Ihnen doch eine Nachricht auf den Anrufbeantworter gesprochen", stottere ich. "Tja," meint die junge Dame, "ich war heute hier allein und hatte keine Zeit, ihn abzuhören." Mir klappt der Unterkiefer herunter: Wozu haben die denn dann überhaupt ein Telefon und sogar einen Internetanschluss? Wir sollen wieder getrennt werden. Ich bin sehr böse. Meine Frau beschwichtigt mich: Hauptsache ein Dach über dem Kopf, um diese Zeit bekommt man sowieso nichts anderes mehr. Die junge Dame bietet eine Alternative an (ich glaube, "Mehrbettzimmer" zu verstehen), bei der wir offenbar zusammenbleiben können. Wir nicken heftig, das nehmen wir. Sie hatte aber einen Tagesraum gemeint. Zu unserer Verblüffung wurden Tische und Stühle (wir halfen sofort eifrig mit) zusammengeschoben, zwei Klappbetten aufgestellt - und wir hatten doch noch unser Doppelzimmer! Gleich danach rannte ich zur Anmeldung zurück und sagte der jungen Dame, dass sie eine tolle Lösung gefunden habe und wir äußerst zufrieden seien. Dann will ich zahlen (die Pilgerausweise hatten wir schon abstempeln lassen). Da sagt sie doch glatt: "Geht auf Kosten des Hauses wegen unseres Irrtums, und hier sind die Frühstücksmarken." Da klappte mir zum zweiten Mal an diesem Abend der Unterkiefer herunter.

15. August 2001, Mittwoch:. Trotz Autobahnkrach (wir ließen ein Fenster los) gut geschlafen. Ehrensache, dass wir den Tagesraum peinlichst genau wieder herrichteten. Klappbetten und Bettwäsche stellten wir abholbereit vor der Zimmertür auf.

Aber vorher noch Waschen. Wir sind im 1. Stock (Tagesräume, Essräume, usw.), im 2. Stock ist alles nur für Behinderte. Also hoch zum 3. Stock, zur Männerabteilung der Duschen und Toiletten. Wie gehabt, die übrigen Gäste schlafen noch, ich habe alles für mich allein. Die Toilette hat ein komisches Schloss mit integriertem Sperrriegel im Handknauf. Vor 4 Wochen hätte ich das fast nicht wieder aufbekommen, hatte ich meiner Frau gegenüber bemerkt. Diesmal muss ich nach erledigtem Geschäft auch fummeln, klemmt irgendwie. Ich probiere weiter, erst ruhig und systematisch, dann mit wachsender Panik. Herr, lass es nicht wahr sein! Ich sitze in der (fensterlosen!) Toilette fest, niemand weit und breit - und das bei meiner Klaustrophobie! Mir bricht der Schweiß in Strömen aus, ich atme in Panik, reiße mir die Jacke runter, weil ich schon zu ersticken glaube. Krieg ich überhaupt Luft? Ich rede mir selbst laut zu, verweise auf den kleinen Türspalt unten (sehr klein). Aber es gibt kein Fenster, und ich kann nicht raus. -

Merkwürdigerweise lässt die Panik auf einmal nach. Ich weiß heute noch nicht, was da in meiner Psyche abgelaufen ist. Nach erneuten vergeblichen Versuchen (ich bin garantiert wie immer zu blöd, jeder Schimpanse wäre schon drei Mal draußen) überwinde ich meine Scham, in so einer lächerlichen Situation zu stecken, donnere mit der Faust gegen die Tür und schreie in mehreren Sprachen um Hilfe. Immer wieder mit "Leute, hierher, in die Toilette", denn sonst hört man mich zwar womöglich, sucht aber erst herum. Die Faust tut weh. Ich nehme den Sandalenabsatz, trommele SOS und brülle in regelmäßigen Abständen. Verwundert registriere ich, dass meine Stimme keine Panik enthält. Nachher denken die Leute, es sei der Scherz eines Trunkenbolds. Also doch lieber Panik in die Stimme gelegt. Das gelingt mir hervorragend, finde ich. Die Zeit vergeht, ich habe keine Uhr. Niemand sucht mich; meine Frau denkt, ich dusche gemütlich. Mein Zeitgefühl sagt mir, dass ich schon mehr als eine 1/4 Stunde brülle.

Endlich, nach weiteren Minuten kommt von weither Antwort. "In der Toilette" brülle ich wieder. Jetzt steht ein Spanier vor der Tür. Mein Spanisch reicht nicht aus, um zu sagen: "Ich kann den Sperrriegel im Türknauf nicht zurückbekommen." (Dieser Satz muss sofort in jedes Lehrbuch "Spanisch für Anfänger"!) "Die Tür funktioniert nicht, ist versperrt." sage ich stattdessen. Er will nach einem Verantwortlichen suchen. Wieder mal Glück im Unglück: Der Polizist, der den ganzen Tag den Empfang in der Jugendherberge überwacht, ist schon so früh (7:30 Uhr) auf dem Posten und ist binnen Minuten da. Fummelt am Schloss rum, hat es nach 3 Minuten auf; ich taumele schweißüberströmt, nur in Badehose (meine Jacke in der Hand) raus. Er geht nochmal rein und überprüft, ob ich nicht einfach zu dämlich war (diese Ausländer, das kennt man ja). Aber auch bei ihm sagt der Sperrriegel keinen Mucks, mit einem Schulterzucken spricht er mich frei. "Haben Sie einen Schock?" sagt der Spanier, der mich gerettet hat. "Es geht schon." Ich bedanke mich herzlich bei den beiden. Bald hilft das gute Frühstück über den erlittenen Albtraum hinweg. Nie wieder werde ich mich mit so einem Schloss in der Toilette einschließen!

Der Rest ist Routine. Wir laufen ein letztes Mal "in vollem Wichs", wie ich das ausdrücke, (d.h. in der Pilgeraufmachung) durch die Stadt, nehmen keinen Bus, weil wir noch viel Zeit haben. Die Stadt ist wie ausgestorben. Ja, wollen die Geschäfte denn gar nicht aufmachen? Wir haben noch Peseten auszugeben. Ahnungsvoll frage ich einen der ganz wenigen Passanten. "Nein, heute ist Feiertag, Mariä Himmelfahrt." löst die Frau das Rätsel. Na, dann gleich zum Flughafen, ehe der Bus dorthin wegen Feiertag auf einmal auch nur alle 2 Stunden fährt. Wir kommen aber ohne Schwierigkeiten weg. Diesmal nehmen wir die Isomatten als Handgepäck. So klappt alles. Ohne weitere Zwischenfälle erreichen wir pünktlich den Flughafen Münster-Osnabrück, wo uns meine Schwägerin und mein Schwager abholen.

Wir sind in unserer alten Welt zurück, aber das Pilgerdasein lässt einen innerlich nicht so schnell los. Eine Folge davon ist dieser Bericht, den ich fast unter dem Zwang schreibe, alles zu verarbeiten. Wenn ich an die überstandenen Strapazen denke: Nie wieder werde ich pilgern... Aber schön war's doch! Die Lücke Oviedo-Santiago müsste man doch eigentlich schließen, oder? :-)


Letzte Änderungen: 01.06.2025